# taz.de -- Ehrung für Miriam Carlebach: „Es gibt keinen Gedenkort“ | |
> Die Wissenschaftlerin Miriam Carlebach war eine Tochter des in der Shoah | |
> ermordeten Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach. Nun wird an sie | |
> erinnert. | |
Bild: Miriam Carlebach 2013 mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (m) und… | |
taz: Herr Hentschel, wer war Miriam Carlebach, die in diesem Jahr 100 | |
geworden wäre? | |
Ulrich Hentschel: Sie war eins von neun Kindern des Hamburger Gelehrten, | |
Reformpädagogen und Oberrabbiners Joseph Carlebach, der – mit seiner Frau | |
und den vier jüngsten Kindern – 1941 ins [1][KZ Jungfernhof] bei Riga | |
deportiert wurde. Das Ehepaar und die drei Töchter wurden dort 1942 | |
ermordet. Der Sohn überlebte in einem „Arbeitskommando“. Die älteren Kind… | |
– Miriam und vier weitere Geschwister – konnten rechtzeitig emigrieren und | |
überlebten den Holocaust. | |
Wann ist Miriam geflohen? | |
Im Oktober 1938, kurz vor den [2][Novemberpogromen], bei denen die | |
Hamburger [3][Bornplatz-Synagoge] von Sympathisanten des NS-Regimes | |
verwüstet und dann unter dem Jubel der AnwohnerInnen angezündet wurde. | |
[4][Joseph Carlebach] selbst war zunächst Rektor an der Hamburger | |
Talmud-Tora-Schule, bevor der Oberrabbiner in Altona und dann an besagter | |
Bornplatz-Synagoge wurde. | |
Warum ist Joseph Carlebach nicht emigriert, obwohl er die Möglichkeit | |
hatte? | |
Er wollte wohl seine Gemeinde nicht im Stich lassen. Aber letztlich steht | |
es uns nicht zu, über seine Beweggründe zu urteilen. Ich sehe in Joseph | |
Carlebachs Solidarität mit seiner Gemeinde eine Haltung und Praxis | |
jüdischen Widerstandes. | |
Wie erging es der damals 16-jährigen Miriam Carlebach nach der Emigration? | |
Sie hat in Haifa eine Landwirtschaftsschule besucht und dann bis 1943 in | |
einem [5][Kibbuz] gelebt. Sie heiratete und bekam vier Kinder. Erst mit 46 | |
Jahren hat sie Abitur gemacht und Pädagogik studiert. Später hat sie | |
promoviert und an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan bei Tel Aviv | |
gelehrt und geforscht – viel über Sonderpädagogik, die Shoah, das deutsche | |
Judentum. Bis zu ihrem Tod 2020 war sie eine international anerkannte | |
Wissenschaftlerin. | |
Wann hat sie vom Tod der Eltern und ihrer jüngsten Schwestern erfahren? | |
1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Es war ein unglaublicher | |
Schock für sie. | |
Wie gedenkt Miriam Carlebach ihrer Familie? | |
Ihrer Mutter hat sie das Buch „Jedes Kind ist mein einziges“ gewidmet, das | |
auch Briefe ihrer Mutter enthält und aus dem wir bei der Veranstaltung | |
lesen. Zudem hat sie sich zeitlebens mit den philosophischen Abhandlungen | |
ihres Vaters befasst und einige davon herausgeben. Er war ja nicht nur | |
examinierter Pädagoge, sondern auch promovierter Mathematiker. | |
Wann kam Miriam Carlebach erstmals wieder nach Deutschland? | |
1983, als die erste vom Carlebach-Arbeitskreis der Uni Hamburg organisierte | |
Carlebach-Konferenz stattfand. Miriam Carlebach war – warum auch immer – | |
nicht eingeladen, hatte aber davon erfahren und kam auf eigene Initiative. | |
Sie wurde dann sofort zu einem Vortrag eingeladen und hat später eine | |
Ehrenprofessur der Hamburger Universität bekommen. 1992 hat sie an der | |
Universität Ramat-Gan das Joseph-Carlebach-Institut gegründet, das fortan | |
an den Carlebach-Konferenzen teilnahm, die teils auch in Ramat Gan | |
stattfanden. Sie ist dann noch oft nach Hamburg gekommen, zu Kundgebungen, | |
Vorträgen und Begegnungen mit Kindern. | |
Werden die Carlebachs in Hamburg angemessen gewürdigt? | |
Nein. Auch deshalb machen wir diese Veranstaltung im Altonaer Museum. Denn | |
es gibt zwar am Joseph-Carlebach-Platz – dem Ort der einstigen | |
Bornplatz-Synagoge – einen Vierzeiler am Straßenschild, aber es existiert | |
kein Gedenk- und Dokumentationsort, an dem das Schicksal dieser Familie | |
exemplarisch dokumentiert wäre – inklusive der [6][vielen Täter] von den | |
Spitzenbeamten bis zu den Angestellten, die die Deportationsbefehle | |
tippten. Man könnte so etwas zum Beispiel in der Nähe des Carlebach-Platzes | |
einrichten. Oder in Altona, wo die Familie bis 1936 wohnte. Und es fehlt | |
immer noch eine künstlerisch gestaltete Aufklärung über den jüdischen | |
Friedhof in Ottensen, der zugunsten des Einkaufszentrums Mercado 1995 | |
zubetoniert und damit unsichtbar geworden ist. Miriam Gillis-Carlebach hat | |
das sehr betrauert. | |
21 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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