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# taz.de -- Gewerkschaften in den USA: Weil sie die Macht haben
> Lange lagen die US-Gewerkschaften darnieder. Doch nun könnte es im Sommer
> große Streiks geben. Woher kommt die neue Lust am Arbeitskampf?
Bild: Vincent Perrone (vorne, mit Brille) vertritt über 8.000 UPS-Mitarbeiter:…
Eine Masse brauner Uniformen, viele müde Augen. Rund 80 Menschen haben sich
an einer etwas trostlosen Ecke in Canarsie, einem Industrieviertel im
Südosten Brooklyns, versammelt. Punkt 8 Uhr ein lauter Pfiff. Um Vincent
Perrone bildet sich ein Kreis.
„Guys and girls“, sagt er, „ich möchte allen hier eine Frage stellen: Wer
hat die Macht?“
„Wir haben die Macht“, rufen einige zurück.
„Und warum haben wir die Macht?“, fragt Perrone weiter.
Gar nicht so einfach, wie man an den Gesichtsausdrücken erkennt. „Weil wir
in der Mehrheit sind“, sagt ein Mann nach kurzer Pause. Perrone nickt.
„Euer Boss bespitzelt uns gerade von seinem Fenster aus, weil er sich
Sorgen macht, was hier vor sich geht“, sagt Perrone und zeigt auf das
langgezogene, flache Gebäude auf der anderen Straßenseite, ein Zentrum des
Paketzulieferers United Parcel Service, kurz UPS. Dort drüben, in der
zweiten Etage, wo die Büros des Management sind, da sitzen die Gegner, wie
Perrone im Laufe seiner Ansprache immer wieder betonen wird. Es ist
allerdings das erste und letzte Mal in seiner Ansprache, dass er sie als
„Bosse“ bezeichnet. Ab jetzt hagelt es nur noch Beleidigungen.
Der 58-jährige Perrone ist Vorsitzender des Ortsverbands Local 804 der
International Brotherhood of Teamsters – mit 1,3 Millionen Mitgliedern eine
der größten US-Gewerkschaften. Er vertritt über 8.000 UPS-Mitarbeiter:innen
in New York, eine mächtige Position also. Als Perrone, der bis vor fünf
Jahren selbst noch Fahrer bei UPS war, 2018 zur Gewerkschaftswahl antrat,
versprach er einen Neuanfang: weg von der Kultur der Vetternwirtschaft und
Selbstbereicherung, die bei den Teamsters so lange herrschte; hin zu einer
Gewerkschaft, die sich mit aller nötigen Militanz für die
Arbeiter:innen einsetzt. Perrone will den Klassenkampf zurückbringen,
zumindest ein bisschen.
Doch davon sind noch nicht alle überzeugt.
„Warum sind wir hier?“, will eine junge Schwarze Frau mit orangefarbener
Cappy wissen. Sie wirkt skeptisch, wie einige der Anwesenden, die von der
Gewerkschaft zu oft enttäuscht wurden. Die meisten von ihnen arbeiten als
Fahrer, manche als Belader der Trucks. Gleich müssen sie rüber zum
UPS-Gebäude, dann beginnt ihre Schicht.
Perrone erklärt, dass in wenigen Monaten, am 31. Juli, der seit 2018
gültige Vertrag zwischen Teamsters und UPS auslaufen wird. Die
Verhandlungen für einen neuen Vertrag seien im Gang, sagt er, die Situation
angespannt. Zu den Kernforderungen der Gewerkschaft gehören eine
Gehaltserhöhung für alle Beschäftigten, ein Ende des Zwei-Klassen-Systems
zwischen Festangestellten und Teilzeitkräften, mehr Krankengeld, zwei
weitere bezahlte Feiertage, ein Verbot von Überwachungskameras in den
Fahrzeugen, sowie generell ein besserer Arbeitsschutz. „Wir wollen den
Anteil, der euch zusteht“, sagt Perrone und verweist auf den Rekordumsatz
von rund 100 Milliarden US-Dollar, den UPS im vergangenen Jahr gemacht hat.
Dann erinnert Perrone an die Anfänge der Pandemie, als den
Paketzusteller:innen das Prädikat „essential“ verpasst wurde:
systemrelevant. „Sie haben euch gesagt, dass ihr die Wirtschaft am Laufen
haltet“, sagt er, und nun ja, in diesem Sommer könnte es tatsächlich dazu
kommen, dass „die Wirtschaft dieses Landes stillsteht“. Es ist keine leere
Drohung. Es ist der Plan, der seit Monaten intensiv vorbereitet wird. Der
Grund, warum Versammlungen wie diese an vielen Orten der USA derzeit
stattfinden. Sollte UPS den Forderungen der Teamsters nicht nachkommen,
will die Gewerkschaft ihre 350.000 UPS-Mitglieder zur Arbeitsniederlegung
aufrufen. Damit könnte es zum größten Streik kommen, den das Land im 21.
Jahrhundert erlebt hat.
## ***
Es gab mal eine Zeit, da waren Gewerkschaften in den USA eine Macht. Lang
ist es her, New-Deal-Ära, als man den Einfluss sozialistischer und
kommunistischer Bewegungen noch spürte, als große Streiks zur Tagesordnung
gehörten und 35 Prozent aller Beschäftigten gewerkschaftlich vertreten
waren. Mitte der 50er wurde dieser Höchststand erreicht, dann ging es
langsam bergab. Die Marker dieses Niedergangs sind bekannt, vom Red Scare,
der Roten Angst, als zu Beginn des Kalten Kriegs Joseph McCarthy Jagd auf
alles Linke machte, über die Umbrüche der deindustrialisierten Arbeitswelt
bis zur systematischen Niederschlagung betrieblicher
Organisierungsversuche, was man in den USA „union busting“ nennt.
Nach Jahrzehnten der neoliberalen Regierung – und vielen Fehlern aufseiten
der Linken und Gewerkschaften – sind heute nur noch zehn Prozent aller
Beschäftigten in den USA Mitglied einer Gewerkschaft: ein historisches
Tief.
Die Arbeiter:innenbewegung in den USA ist am Boden. Doch seit
einigen Jahren kann man zunehmend Zuckungen wahrnehmen, manchmal sogar
Tritte und Schläge nach oben. Bei Amazon, Starbucks, Google und anderen
gigantischen Unternehmen haben sich zum ersten Mal überhaupt Gewerkschaften
formiert. Auch die Zahl der Streiks ist zuletzt gestiegen, vor allem im
Gesundheitsbereich und in der Bildung. Es gibt neue Inkubatoren wie das
Emergency Workplace Organizing Committee, in denen Beschäftigte Starthilfe
für ihre Arbeitskämpfe bekommen; neue Medien wie „More Perfect Union“, die
detailliert aus der Gewerkschaftswelt berichten.
Die Pandemie war eine Art Weckruf, wie der „Labor Notes“-Journalist Luis
Feliz Leon erklärt, viele Arbeiter:innen „spüren nicht nur in ihren
Knochen, dass sie mehr verdienen. Sie fordern auch mehr.“ Ganz
grundsätzlich kann man festhalten, dass in der US-Bevölkerung das Verlangen
nach ökonomischer Demokratie wächst. Laut Umfragen sagen rund 70 Prozent
der Amerikaner:innen, dass sie Gewerkschaften grundsätzlich unterstützen –
eine vergleichbar hohe Zustimmung gab es zuletzt in den 60er Jahren.
Viele der aktuellen Arbeitsaufstände laufen im „Do it yourself“-Modus. Weil
die etablierten Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten so zahnlos
waren, die Apparate so verkrustet und die Bedingungen so feindlich, haben
sich viele Organisationen von Grund auf neu geformt. Die jungen
Graswurzelgewerkschaften sind agiler und konfrontativer als die alten
Apparate, zum Teil auch chaotischer und kopfloser. Fehlende Größe und
Erfahrung sind befreiend und beschwerend zugleich.
Bestes Beispiel ist die Amazon Labor Union (ALU), von den zwei
Amazon-Arbeitern Chris Smalls und Derrick Palmer im April 2021 gegründet.
Der ALU gelang es trotz extremer Gegenwehr vonseiten Amazons, die Mehrheit
der Beschäftigten eines Warenlagers in Staten Island, New York, davon zu
überzeugen, dass eine Gewerkschaft bessere Bezahlung und sicherere
Arbeitsbedingungen erreichen kann. Der Wahlerfolg nach einem Jahr
leidenschaftlicher Organisierung im April 2022 war historisch, weil es in
den USA bis dahin keinen einzigen Amazon-Standort mit gewerkschaftlicher
Vertretung gab.
Heute, wieder ein Jahr später, ist von der Euphorie allerdings nicht mehr
viel übrig. Die ALU ist weit von einem Tarifvertrag entfernt, was in den
USA zwar normal ist, wenn sich neue Gewerkschaften bilden, und primär daran
liegt, dass Amazon den Präzedenzfall weiter um jeden Preis verhindern will.
Der Frust bei den Beschäftigten und ALU-Mitgliedern über die Stagnation ist
jedoch spürbar gestiegen. Die New York Times berichtete kürzlich über
Konflikte innerhalb der Gruppe. Gründer Smalls wird vorgeworfen, Egotrips
zu fahren und beratungsresistent zu sein. Auf das Angebot der Teamsters,
bei der Amazon-Organisierung zu helfen, habe die ALU nicht mal reagiert,
wie Perrone gegenüber der taz sagt. Die ALU hat seit dem Erfolg in Staten
Island zudem bittere Wahlniederlagen erlitten: In zwei Warenlagern sprach
sich die Mehrheit der Belegschaft gegen eine gewerkschaftliche Vertretung
aus.
So bahnbrechend und inspirierend der Aufstieg der Amazon Labor Union war,
so deutlich stößt die Organisation nun an ihre Grenzen. [1][Eine
strukturelle Erschöpfung spüren derzeit auch die Mitglieder von Starbucks
Workers United], die zwar seit Dezember 2021 phänomenale 300 Standorte der
Kaffeekette gewerkschaftlich organisiert, aber ebenfalls noch keinen
Tarifvertrag erreicht haben. Die zwei derzeit prominentesten
Graswurzelgewerkschaften der USA haben das gleiche Problem: Es fehlt an
Ressourcen und Druckmitteln gegenüber den Unternehmen. Diese werden von der
Politik nämlich kaum daran gestört, die gewerkschaftliche Organisierung zu
unterdrücken. Die Behörde, die die zahlreichen Verstöße von Amazon und
Starbucks gegen das Arbeitsrecht verfolgen soll, das National Labor
Relations Board, ist dramatisch unterbesetzt. Im Kongress verhindern die
Republikaner derweil, dass neue Gesetze zum Arbeitsschutz erlassen werden.
Was also tun?
Einerseits ist da all die Energie von unten, der Frust über das ökonomische
System, das Potenzial der jungen, neuen Linken. Und andererseits sind die
politischen Bedingungen für kollektive Organisierung so katastrophal, dass
die Energie zu verpuffen droht, wenn nicht bald substanzielle Erfolge
errungen werden. An genau dieser Stelle kommen die etablierten
Gewerkschaften ins Spiel, Teamsters ganz vorne. Sie haben nämlich genau
das, was den Graswurzelkollektiven fehlt: die Größe und nötige
Infrastruktur für einen Massenstreik.
## ***
Vincent Perrone trägt Sonnenbrille, trotz Wolkendecke in Brooklyn. Ein
stämmiger Mann mit kurzen grau-silbernen Haaren – auf den ersten Blick
könnte er, wie er da so breitbeinig steht und virtuos flucht, eine Figur
aus [2][Martin Scorseses „The Irishman]“ sein. Der episch lange Blockbuster
erzählt von den Verflechtungen zwischen Teamsters und Mafia, insbesondere
vom berüchtigten Gewerkschaftschef Jimmy Hoffa, der zwischen 1957 und 1971
mit Gangstermethoden herrschte und den Teamsters einen Ruf verpasste, der
ihnen bis heute nachhängt. „Wie die Reichen und Mächtigen in den letzten
Tagen des Römischen Reichs oder der ehemaligen UdSSR wurden auch die
letzten Herrscher der Teamsters im Laufe der Zeit immer dümmer und
korrupter“, schreibt der ehemalige UPS-Fahrer Joe Allen in seinem Buch „The
Package King“ über Hoffa und dessen Nachfolger.
„Die Zeiten haben sich verändert“, sagt Perrone an diesem Morgen zu den
UPS-Arbeiter:innen, „ihr müsst uns vertrauen, auch wenn das hart ist“. Er
bezieht sich damit allerdings weniger auf die Mafiosi-Jahre des 20.
Jahrhunderts, sondern vielmehr auf die Zeit von 1998 bis 2022, als Hoffas
Sohn James an der Spitze der Gewerkschaft stand: kein korrupter Autokrat
wie sein Vater, sondern ein konservativer Bürokrat, der zu oft die
Interessen der Beschäftigten verriet. Bei den letzten Verhandlungen mit UPS
im Jahr 2018 setzte Hoffa Junior gegen den Willen der Mitgliedermehrheit
einen Vertrag voller Zugeständnisse durch.
Seit März 2022 nun ist Sean O’Brien Präsident der Teamsters – auf ihm
liegen die Hoffnungen der Linken. In einer inzwischen legendären Rede bei
der „Labor Notes“-Konferenz im Sommer 2022 versprach der 51-jährige
O’Brien, „das Syndikat der Wirtschaftskriminalität, bekannt als Corporate
America“, zu bekämpfen. Mit Aussicht auf einen möglichen UPS-Streik
kündigte er an, „das Unternehmen in die Knie zu zwingen“. Spätestens in
diesem Moment wurde allen klar, dass bei der Gewerkschaft ein neues
Zeitalter der Militanz angebrochen ist. Auch die Zahl der Mitglieder ist im
vergangenen Jahr rasant gewachsen.
Warum die Militanz nötig ist, erklärt Perrone anhand seiner eigenen
Arbeitserfahrungen bei UPS. 1994 fing er dort als Fahrer an und machte sich
schnell beim Management unbeliebt, indem er sich lautstark für die Rechte
der Beschäftigten einsetzte. 1997 nahm er am bis dato letzten UPS-Streik
teil, der 15 Tage andauerte, das Unternehmen 620 Millionen Dollar kostete
und den Arbeiter:innen signifikante Gehaltssteigerungen brachte. 2014
riss sich Perrone beim Heben eines Paketes einen Schultermuskel. Drei Jahre
später fiel im Laderaum seines Lasters ein schweres Paket auf sein Knie.
Perrone musste pausieren und wurde kurz darauf gefeuert, wie er sagt. „Wenn
sie dich durch eine Sackkarre ersetzen könnten, würden sie es sofort
machen.“
Besonders im Sommer sei die Arbeit bei UPS extrem erschöpfend, sagt er. Im
Juni 2022 starb ein Fahrer in Kalifornien ein paar Tage nach seinem 24.
Geburtstag an einem Hitzeschlag. Auch deshalb fordern die Teamsters
Klimaanlagen für alle Fahrzeuge.
Perrone geht einen Schritt vor, einen zurück. Man spürt, dass er eine
Balance versucht: Er will bei den Leuten, die da um ihn herum im Kreis
stehen, Vertrauen aufbauen – und sie zugleich in die Pflicht nehmen. „Wer
meckert, muss auch mitmachen“, sagt er und fragt in die Runde, wer schon
einen Streikfonds eingerichtet hat, also Geld spart, damit man im Fall
einer Arbeitsniederlegung über die Runden kommt. Fünf Hände gehen hoch.
„Nicht genug!“, sagt Perrone. Finanzielle Unterstützung gebe es von der
Gewerkschaft dieses Mal von Tag eins an, verspricht er. Und besonders hart
werde man für die Teilzeitkräfte kämpfen. Die verdienen in New York nämlich
nur mickrige 15,50 Dollar pro Stunde.
Als Perrone an seinen Vize Chris Williamson übergibt, braucht der nur ein
paar Sätze, um in voller Rage zu sein. „Tut mir einen Gefallen“, ruft er,
„nehmt euren Frust und tragt ihn zu den Bastarden da drüben!“ Williamson,
der lange Zeit selbst Teilzeitarbeiter bei UPS war, schreit und flucht und
spuckt. Spätestens jetzt sind sie alle hier wach.
## ***
Die Teamsters sind nicht das einzige Gewerkschaftsschiff, das sich derzeit
nach links bewegt. Auch bei den United Auto Workers (UAW) haben die
Mitglieder kürzlich eine neue Spitze bestimmt, die einen deutlichen Bruch
mit der alten – und massiv korrupten – Politik bedeutet. Bei der
Mitgliederversammlung in Detroit im März machte der frisch gewählte
Präsident Shawn Fain klar, was auf Firmen wie Ford, General Motors und
Stellantis, deren Beschäftigte die UAW vertritt, zukommen könnte: „Wir sind
hier, um gemeinsam gegen unseren einzig wahren Feind zu kämpfen – die
milliardenschweren Konzerne und Arbeitgeber, die sich weigern, unseren
Mitgliedern ihren gerechten Anteil zu geben“, sagte er.
Wie auch bei den Teamsters ist der Wandel bei den United Auto Workers nicht
über Nacht gekommen. Innerhalb beider Gewerkschaften haben Reformgruppen
über lange Zeit durch intensive Organisierung den Grundstein dafür gelegt.
Immer wichtiger ist in den vergangenen Jahren eine Praxis geworden, die
lange Zeit vergessen schien: Linke Aktivist:innen suchen sich derzeit
Jobs in bestimmten Branchen, um dort die politische Organisierung
voranzutreiben. „Salting“ nennt sich das in Fällen, wo es noch gar keine
Gewerkschaft gibt; „industrializing“, wenn eine bestehende Gewerkschaft von
innen radikalisiert werden soll. Beides wurde in diesem Ausmaß zuletzt in
den 70er Jahren versucht.
Insbesondere die Erfolge der neuen Starbucks-Gewerkschaft gehen darauf
zurück, wie das Magazin Bloomberg Businessweek kürzlich berichtete.
Mindestens zehn Undercover-Aktivist:innen hätten demnach bei
Starbucks-Filialen in Buffalo, New York, einen Job gesucht, um beim
Organizing zu helfen. Im Herbst 2021 stimmte dort der allererste Standort
in den USA für eine Gewerkschaft ab.
„Salting“ und „industrializing“ sind auch deshalb wichtig, weil sie auf…
Problem reagieren: die Distanz zwischen der neuen Linken und der alten
Gewerkschaftswelt. Bereits seit einigen Jahren rufen die Democratic
Socialists of America aus diesem Grund ihre Mitglieder – überwiegend junge
Großstädter mit Uni-Abschluss – dazu auf, entsprechende Jobs anzutreten.
Aktivist:innen sollen sich fern ihrer Bubbles nützlich machen und bei
Arbeitskämpfen mitwirken. Ein eigenes Training zum effektiven „salting“
bietet derweil die in Maryland ansässige Inside Organizer School an.
Mehrere Male im Jahr kommen hier Gewerkschaftsaktivist:innen
zusammen, um Strategien zu besprechen. Laut Perrone spielt das Thema auch
bei den Teamsters eine immer stärkere Rolle. Im Detail wollen allerdings
die wenigsten darüber sprechen. Sie wissen, dass die Unternehmen diese
Praktiken besonders genau verfolgen.
Die exzessiven Repressionen sind und bleiben die größte Herausforderung,
vor denen die US-Arbeiter:innenbewegung steht. Insbesondere neue
Gewerkschaften müssen einen „Spagat zwischen zwischen Community-Aufbau und
Geheimhaltung“ hinlegen, sagt Organizerin Maeg Yosef, die für den
Lebensmittelhändler Trader Joe’s in der Kleinstadt Hadley in Massachusetts
arbeitet. Yosef gehörte Anfang 2022 zu einem kleinen Kreis von
Angestellten, die den Plan einer gewerkschaftlichen Vertretung schmiedeten.
Für die Gruppe galt es einerseits, über so viele persönliche Gespräche wie
möglich Vertrauen unter Kolleg:innen aufzubauen, andererseits mussten
sie penibel darauf achten, dem Unternehmen so wenig Angriffsfläche wie
möglich zu geben.
Der Spagat gelang. Im Juli stimmte die Belegschaft in Hadley für eine
gewerkschaftliche Vertretung – als erster Standort in den USA überhaupt.
Trader Joe’s United hat seither Filialen in verschiedenen Bundesstaaten
erfolgreich organisiert.
Während überall neue Gewerkschaften sprießen, steht in diesem Sommer jedoch
im Mittelpunkt, was bei den Teamsters passiert. Sollte UPS auf die
Forderungen eingehen, hätte die Gewerkschaft ihre Macht demonstriert.
Sollte es zu einem Streik kommen, wäre das ein noch größeres Fanal.
Ziel sei es, wie Teamsters-Präsident Sean O’Brien angekündigt hat, mit
einem starken Vertrag ein branchenübergreifendes Zeichen zu setzen.
Insbesondere den über eine Million Beschäftigten von Amazon solle gezeigt
werden, „was man bekommt, wenn man der besten Organisation der Welt
beitritt“.
Große Worte, denen nun Taten folgen müssen. Je mehr die Teamsters in diesem
Sommer rausholen, desto stärker ist ihre Position – und damit auch ihre
Glaubwürdigkeit gegenüber den jungen Graswurzelgewerkschaften wie der
Amazon Labor Union. Treiben sie dann auch noch die Demokratisierung der
eigenen Strukturen weiter voran, könnten die alte Gewerkschaftswelt und die
neue Linke tatsächlich ein wenig zusammenrücken.
Das wäre ziemlich viel.
1 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Lukas Hermsmeier
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