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# taz.de -- Drehbuchstreik in Hollywood: Eine linke Vision
> Monatelang haben Autor:innen in Hollywood gestreikt – mit Erfolg. Ihr
> Arbeitskampf steht für einen US-amerikanischen Zeitgeist.
Bild: Anfang Mai waren die Drehbuchautor:innen in den Ausstand getreten
Klar könnte man Filme und Serien in Zukunft von künstlicher Intelligenz
schreiben lassen. Man könnte auch Pflegekräfte in Altersheimen durch
Roboter ersetzen. Oder eine neue Steuer einführen, nennen wir sie X, mit
der Marskolonisationsfantasien subventioniert werden. Und wie wäre es, wenn
in den Fernsehtalkshows Maischberger und Anne Will bald nur noch
Klartext-Bots mit gelegentlicher Emotionssimulierung gegeneinander
antreten? Wobei das, wenn man ehrlich ist… naja, anderes Thema.
Wir könnten unheimlich viele dumme Sachen machen, nur weil wir die
technischen Möglichkeiten dazu haben – beziehungsweise glauben, sie
irgendwann zu erreichen. Oder aber wir überlegen uns auf demokratische
Weise, welche Art von Fortschritt wir eigentlich wollen und wirklich
brauchen. Genau das hat die US-amerikanische Gewerkschaft der
Drehbuchautor:innen in diesem Sommer getan.
Die Writers Guild of America (WGA) ging mit ihren rund 11.000 Mitgliedern
[1][Anfang Mai in den Streik]. Studios standen daraufhin leer, Produktionen
wurden verschoben, Latenight-Shows fielen aus. Weil im Juli auch die
Gewerkschaft der Schauspieler:innen zur Arbeitsniederlegung aufrief,
war Hollywood monatelang zu großen Teilen lahmgelegt. Bilder wurden in
dieser Zeit allerdings trotzdem geschaffen – und zwar die der Solidarität.
Berühmte Schauspielerinnen protestierten neben unbekannten Schreibern und
andersrum. Unterstützt wurde das Ganze laut Umfragen von einer
überwältigenden Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung. Im Verdrängen ist
unsere Spezies zwar spitze, aber wenn [2][Netflix] und HBO Max nur 10
Dollar im Monat kosten, scheint irgendwie klar zu sein, dass an dieser
Industrie nicht alle gleich goldig beteiligt sind.
## Zwänge der Profitwirtschaft
In dieser Woche nun wurde der Streik beendet. Die Writers Guild of America
und der Arbeitgeberverband der Film- und Fernsehproduktionen haben sich auf
einen neuen Vertrag geeinigt, der einen immensen Erfolg für die
Gewerkschaft darstellt. Neben einem Lohnzuwachs, besserem Kranken- und
Altersschutz, mehr Transparenz über die Zuschauerquoten und einer Erhöhung
der Tantiemen wurden auch – und das war ein zentraler Punkt – neue
Regelungen für den Umgang mit künstlicher Intelligenz vereinbart. Den
Studios ist es künftig untersagt, literarische Stoffe durch KI zu erstellen
oder Texte von Autor:innen durch KI umzuschreiben.
Ob und wie die Technologien als Hilfe zur Anwendung kommen, sollen die
Autor:innen eigens entscheiden können. Festgehalten wurden also nicht
nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern darüber hinaus eine Vision der
kollektiven Selbstbestimmung. Statt sich den stummen Zwängen der
Profitwirtschaft oder einem Tech-Fatalismus zu ergeben, haben die
US-Autor:innen die Kultur als etwas verteidigt, „das mehr als eine Masse
von pasteurisierten und vorverdauten Inhalten“ ist, wie der Historiker
Gabriel Winant kürzlich schrieb.
Der Arbeitskampf der US-Autor:innen berührt nicht nur die Beschäftigten
dieser einen Branche. Er stößt mitten in eine gesamtgesellschaftliche
Debatte hinein. Seit die Firma Open AI im vergangenen November ihr Programm
ChatGPT präsentiert hat, scheint das Thema KI endgültig im Mainstream
angekommen zu sein. In Parlamenten werden mögliche Gesetzgebungen
diskutiert, in Unternehmen neue Geschäfte kalkuliert.
Es geht um technische, wirtschaftliche, politische, ethische, aber auch
philosophische Fragen. Was zum Beispiel unterscheidet menschliche
Intelligenz überhaupt von künstlicher? Und inwiefern ist der Begriff KI
sinnvoll, wenn man bedenkt, dass künstliche Intelligenzen ja erstens von
Menschen gemacht sind, also die Künstlichkeit sehr bedingt ist, und
zweitens kaum über Intentionalität verfügen, also man auch die Intelligenz
in Zweifel ziehen kann. Zwischen naiver Gutgläubigkeit und stumpfer
Verteufelung finden sich hier alle Positionen.
## Forderung nach Demokratisierung
Der Streik der US-Autor:innen könnte Signalwirkung haben, weil er diesen
Diskussionen ein Subjekt vorschiebt: Wer entscheidet eigentlich, wie KI die
Gesellschaft künftig verändern wird?
Bislang sind es primär die CEOs der großen Tech-Firmen, die bestimmen.
Kapitalkonzentration bedeutet Machtkonzentration. Aber Machtkonzentration
scheint selten ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein zu bedeuten.
Open-AI-Chef Sam Altman zum Beispiel hat mit [3][ChatGPT] erst eine
geniale, unfertige, gefährliche Software in die Welt gesetzt, um nun etwas
pseudo-dringlich eine Regulierung eben jenes Programms zu fordern. Man muss
kein Anhänger der Zentralwirtschaft sein, um solche Entwicklungen mit
Bedenken zu verfolgen. Auch mit Blick auf den Einfluss von Konzernen wie
Google und Amazon wird immer deutlicher, wie überfällig eine
Demokratisierung unserer digitalen Strukturen ist.
## Demokratisierung war Ziel der Streikenden
Demokratisierung war von Anfang an das Ziel der streikenden Autor:innen.
Und damit sind sie nicht allein. Auffällig ist, dass in den USA immer mehr
Arbeitskämpfe stattfinden, bei denen nicht nur punktuelle Korrekturen
verlangt werden, sondern eine grundsätzliche ökonomische und ökologische
Transformation vorangeschoben wird. [4][Die United Auto Workers, die sich
seit Mitte September im Streik befinden], visieren neben einer
sozialverträglichen Produktionsumstellung Richtung E-Autos auch eine
Vier-Tage-Woche an.
Streikende Lehrer:innen haben in den vergangenen Jahren in Städten wie
Los Angeles und Chicago für umfassende Reformen gekämpft, die weit über das
Klassenzimmer hinausgehen. Es geht zum Beispiel um den Schutz vor
Zwangsräumungen, einen Abzug der Polizei aus den Schulen und Investitionen
in andere soziale In-frastrukturen. Nimmt man all diese Forderungen
zusammen, ergibt sich fast schon ein ganzes linkes Programm. Zumindest ist
es eine neue Vorstellung von Arbeit: emanzipierter, nachhaltiger,
gerechter.
Bis zur Erfüllung dieser Vision ist es weit. Die politischen Bedingungen in
den USA bleiben unterm Strich gewerkschaftsfeindlich. Wenn die Writers
Guild of America jedoch eine Sache demonstriert hat, dann den Weg dorthin:
Streiks haben Wirkung.
29 Sep 2023
## LINKS
[1] /Historischer-Doppelstreik-in-Hollywood/!5947310
[2] /Nutzerinnenschwund-bei-Netflix/!5876135
[3] /Kuenstliche-Intelligenz-via-ChatGPT/!5903102
[4] /Gegen-drei-US-Autobauer-auf-einmal-/!5957969
## AUTOREN
Lukas Hermsmeier
## TAGS
Filmbranche
Streik
Hollywood
Filmindustrie
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Ärzte
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Filmbranche
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Lesestück Recherche und Reportage
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