| # taz.de -- SPD ein Jahr nach der Zeitenwende: Diplomatie und Waffen | |
| > Die SPD-Fraktion debattiert sehr friedlich über ein Jahr Zeitenwende. | |
| > Verteidigungsminister Boris Pistorius fremdelt geschickt mit seinem neuen | |
| > Job. | |
| Bild: SPD-Verteidigungsminister Pistorius mit Marinesoldaten der Bundeswehr in … | |
| Berlin taz | Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef, muss leider schon nach fünf | |
| Minuten gehen. Man will über ein Jahr Zeitenwende debattieren – offen und | |
| kontrovers. Aber Mützenich muss dringend mit FDP und Grünen verhandeln. In | |
| der Ampel knallt es derzeit [1][wegen der Etatverhandlungen]. Es ist am | |
| Montagabend der einzige Hinweis, dass etwas unrund läuft. In der | |
| SPD-Fraktion scheint schönste Harmonie zu herrschen. | |
| Mützenich erinnert daran, dass sich auch [2][bei der UN-Versammlung am 24. | |
| Februar 2023] Staaten, die die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, | |
| bei der Abstimmung über den Ukrainekrieg enthalten haben. Umso mehr müsse | |
| man auf Diplomatie setzen. Das meine nicht Verhandlungen mit Putin. Der, so | |
| Mützenich, klipp und klar, „will nicht verhandeln“. | |
| Die oft missachtete Diplomatie sei nötig. Für viele Länder im Globalen | |
| Süden sei der 24. Februar eben keine Zeitenwende gewesen. Man werde eben | |
| auch Staaten, „die nicht unsere erste Wahl sind“, brauchen, wenn die Zeit | |
| der Verhandlungen komme. | |
| Carlo Masala, Politikwissenschaftler, ist in Sachen Russland ein Falke und | |
| ist mit markiger Wortwahl durchaus ein Konterpart zu Mützenich. Doch auch | |
| Masala lobt Olaf Scholz' Reisediplomatie. Die Einbindung des Globalen | |
| Südens sei wichtig, ein partnerschaftliches Verhältnis zu Staaten wie | |
| Indien oder Brasilien „strategisch wichtig“. Und: „Das macht Olaf Scholz | |
| herausragend.“ Harmonie fast überall. | |
| Waffenlieferungen und Diplomatie, so der solide Grundkonsens. Sogar Masala | |
| und Ralf Stegner, der die Fahne der alten militärskeptischen SPD hochhält, | |
| stellen leicht verblüfft fest, dass sie keinen grundlegenden Dissens finden | |
| können. | |
| ## Meister des etwas vage Klingenden | |
| Mützenich ist ein Meister der Andeutung, des etwas vage Klingenden, das | |
| entziffert werden muss. Er wählt fast immer allgemeine Formulierungen, ganz | |
| selten den persönlichen Angriff. Er kritisiert „die monothematische | |
| Diskussion“. Übersetzt heißt das: die törichte Verengung auf | |
| Panzerdebatten, anstatt das politische Feld zu betrachten. Für seine | |
| Verhältnisse ist der SPD-Fraktionschef deutlich. | |
| Auch er habe Fehler zu bekennen, sagt Mützenich und lässt offen, wie viel | |
| Ironie in diesem Satz ist. „Aber ich bin irritiert, dass manche es schon | |
| immer gewusst haben.“ Und: „Die Entspannungspolitik trägt nicht die | |
| Verantwortung für den Überfall auf die Ukraine, sondern Putin.“ Auch | |
| Verteidigungsminister Boris Pistorius betont, alle Entscheidungen der SPD | |
| in Sachen Russland seien nachvollziehbar gewesen. | |
| Die Phase der Selbstkritik und Zerknirschtheit scheint in der SPD-Fraktion | |
| vorbei zu sein. Man hat das Gefühl, zu oft die erhobenen Zeigefinger von | |
| selbstberufenen Richtern gesehen zu haben. Das ist verständlich. Aber | |
| dieser Abschied von der Selbstkritik ist trotzdem sehr flott, sehr glatt. | |
| ## Zackige Rhetorik mit Selbstdistanz | |
| Laut Boris Pistorius braucht Deutschland auch für die Zeit nach einer | |
| Befriedung der Ukraine Sicherheit vor Putin. Also langfristig viel Geld. | |
| Pistorius versteht es, zackige Rhetorik mit Selbstdistanz und Fremdeln mit | |
| seiner Rolle als Verteidigungsminister zu verbinden. „Wir brauchen | |
| Abschreckung“, sagt er. Und: „Dass ich das mit 62 Jahren sagen muss, hätte | |
| ich mir nicht träumen lassen“. | |
| Das kommt in der zum Teil militärkritischen SPD-Fraktion an. „Wir müssen | |
| viel Geld für Militär ausgeben“, so der Verteidigungsminister – und fügt | |
| hinzu: Das ist eine „furchtbare Vorstellung“. Ist das sympathisch – oder | |
| sehr geschickt? Wahrscheinlich beides. Pistorius ist [3][noch nicht so | |
| lange im Amt]. Man wird sehen, ob und wann diese Selbstdistanz verfliegt. | |
| Ende März werden deutsche Leopard-Panzer in der Ukraine rollen. Deutschland | |
| hat schon für 3,4 Milliarden Euro Waffen geliefert und sehr effektive | |
| Mittel gegen russische Raketen, so der Verteidigungsminister. „Deutsche | |
| Waffen retten Leben in der Ukraine, auch wenn das zynisch klingt“, sagt | |
| Pistorius. | |
| Auftritt Svenja Schulze, Ministerin für Entwicklung und Zusammenarbeit. | |
| [4][Sie kommt gerade aus Ghana]. Im Globalen Süden gebe es die Furcht, | |
| nicht mehr „wahrgenommen zu werden“, weil Deutschland oder Europa | |
| ausschließlich in die Ukraine schauen. 828 Millionen Menschen würden Hunger | |
| leiden, auch wegen des Krieges. | |
| Pistorius fordert 10 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Zusätzlich zum | |
| 100-Milliarden-Sondervermögen. Die Schuldenbremse gilt wieder, das Geld ist | |
| knapp. Schulze konterte die Charmeoffensive des Verteidigungsministers, der | |
| mit angemessen schlechtem Gewissen das Nötige fordert, auch trickreich. Im | |
| Globalen Süden, sagt sie, schaue man genau „auf unsere | |
| Haushaltsverhandlungen“. | |
| Bei denen wird es nicht so harmonisch zugehen wie auf diesem Podium. | |
| 28 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gruenen-Fraktionsvize-zum-Haushaltsstreit/!5918143 | |
| [2] /UN-Resolution-zum-Ukrainekrieg/!5918069 | |
| [3] /Besetzung-des-Verteidigungsministeriums/!5906391 | |
| [4] /Lage-der-Bauern-in-Westafrika/!5917990 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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