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# taz.de -- Ukraine nutzt KI von Palantir: Daten als neue Munition
> Die US-Datenfirma Palantir liefert Software an die Ukraine, um feindliche
> Truppenbewegungen zu verfolgen. Ist das rechtlich und moralisch
> vertretbar?
Bild: Auf dem Display des Smartphones zu sehen: Alex Karp, Geschäftsführer vo…
Zu den Eigentümlichkeiten des [1][Ukraine-Kriegs] gehört, dass er mit den
militärischen Mitteln und Taktiken des 20. Jahrhunderts geführt, aber mit
Instrumenten des 21. Jahrhunderts organisiert wird. Brutale
Abnutzungskämpfe in Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg stehen
satellitengestütztem Internet und [2][Kryptofinanzierung] gegenüber. Vor
Kurzem wurde bekannt, dass die Ukraine bei der militärischen Zielerkennung,
dem sogenannten „Targeting“, [3][eine Künstliche Intelligenz der US-Firma
Palantir nutzt.]
Die [4][Software] namens MetaConstellation, die Palantir der Ukraine
kostenlos zur Verfügung stellt, verarbeitet massenhaft Daten von
Satelliten, Flugzeugsensoren und Drohnen, um in Echtzeit feindliche
Truppenbewegungen zu verfolgen. Palantir-Chef Alex Karp jubilierte, die
„Macht ausgefeilter algorithmischer Waffensysteme“ sei mittlerweile
vergleichbar mit dem Besitz einer taktischen Atomwaffe.
Die verbale Offensive überrascht, heißt es doch immer, man müsse in dem
Konflikt „rhetorisch abrüsten“. Doch Karp kann sich solche forschen Töne
erlauben. Palantir ist einer der größten Player im globalen
Überwachungskapitalismus. Die vom rechts-libertären Investor Peter Thiel
gegründete Firma, die in der Anfangsphase vom Wagniskapitalarm der CIA
mitfinanziert wurde, liefert Analysesoftware an Behörden auf der ganzen
Welt.
## Durch die Hintertür zur Kriegspartei
Es ist ein lukratives, aber gleichsam verschwiegenes Geschäft. Zu den
Kunden von Palantir gehören neben US-Geheimdiensten und -konzernen unter
anderem auch die Polizei in Hessen, [5][deren eingesetzte Fahndungssoftware
HessenData jüngst vom Bundesverfassungsgericht für teilweise
verfassungswidrig erklärt wurde]. Das Überwachungsnetz, das die umstrittene
Analysefirma über die Welt geworfen hat, ist so engmaschig, dass sich darin
nicht nur Terroristen und Drogendealer, sondern auch Betrüger wie der
mittlerweile verstorbene Börsenmakler Bernie Madoff verfangen haben. Und
möglicherweise auch russische Kriegsverbrecher. Palantir-Chef Karp erklärte
in kühl-technischem Militärjargon, die Software seines Unternehmens sei für
den größten Teil des „Targetings“ in der Ukraine verantwortlich.
Dabei stellt sich aus völkerrechtlicher Perspektive eine wichtige Frage:
Wenn Teile der Befehlskette, nämlich die datengestützte Zielverfolgung, an
ein US-Unternehmen delegiert werden, werden dann die USA durch die
Hintertür zur Kriegspartei? Es ist schon erstaunlich: Über die Lieferung
von Panzern wird hitzig diskutiert, über die Lieferung von Software und
Daten jedoch kaum. Dabei sind Daten im Krieg mindestens so wichtig wie
Munition.
Das weiß auch Palantir-Chef Karp, der sich als Teil einer Guerilla-Truppe
sieht, die nicht nur für den Westen, sondern auch für ihre Anteilseigner
kämpft. Viele Anleger, die in das börsennotierte Unternehmen investierten,
spekulierten auf eine steigende Nachfrage an Überwachungssoftware im
„Global War on Terror“.
„Mehr Google als Lockheed“, so beschrieb das Tech-Magazin „Wired“ einmal
die Unternehmenskultur von Palantir – mehr Suchmaschine als
Rüstungskonzern. Die Webseite des Konzerns wirkt wie die eines Biolabors.
In einem Imagefilm blicken Menschen in medizinischer Kleidung in Mikroskope
und füllen Reagenzgläser ab, laufen Impfampullen und Einwegmasken vom Band;
in einer fast schon rührenden Szene hält eine Pflegerin am Krankenbett die
Hand einer Seniorin. Der Hintergrund: Palantir hat einen millionenschweren
Deal mit dem britischen Gesundheitsdienst NHS geschlossen – die Bilder von
fürsorgendem Pflegepersonal lassen sich besser vermarkten als die
bewaffneter Soldaten. Doch vieles von dem, was die T-Shirt-tragenden
Softwareentwickler in ihren hippen Start-up-Räumen zu Code verschrauben,
landet am Ende bei der Polizei oder dem Militär.
## Waffenfähige Daten
So konnte die US-Armee mit einer Mustererkennungssoftware von Palantir
herausfinden, dass Terroristen im Irak Garagentüröffner als ferngesteuerte
Detonatoren benutzen. Auch bei der Aufspürung des Verstecks von Osama bin
Laden soll die dubiose Datenfirma eine Rolle gespielt haben. Wenn die
Ukraine nun bei der militärischen Zielauswahl auf die Software von Palantir
zurückgreift, ist das, zumindest instrumentell, eine Fortsetzung des
Krieges gegen den Terror. Nur: Wo und von wem werden die Entscheidungen
getroffen? Wie hoch ist die Trefferrate? Was, wenn die Künstliche
Intelligenz sich irrt?
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zu US-Drohneneinsätzen
entschieden, dass die bloße Durchleitung von Datenströmen über eine
Satelliten-Relaisstation an der Air Base Ramstein keine grundrechtlichen
Schutzpflichten des deutschen Staates auslöst. Diese seien nur für
„Handlungen oder technische Abläufe auf deutschem Staatsgebiet“ zu bejahen,
„die einen relevanten Entscheidungscharakter aufweisen“. Das wäre zum
Beispiel die Erstellung von Ziellisten oder Auswertung von Informationen.
Nun lässt sich die deutsche Grundrechtsdogmatik nicht auf das Völkerrecht
anwenden. Doch das Erfordernis einer „völkerrechtskonformen Zielauswahl“
gilt auch für private, staatlich mandatierte Unternehmen wie Palantir,
zumal deren Software auch nach eigenen Angaben einen erheblichen
Entscheidungs- und Steuerungscharakter hat.
Interessant in diesem Kontext ist, dass das US-Raumfahrtunternehmen SpaceX
kürzlich die Nutzung des Satelliten-Internets Starlink aus genau diesen
Gründen eingeschränkt hat. Das Netzwerk dürfe nicht für „offensive Zwecke…
genutzt werden, teilte das Unternehmen von Elon Musk mit.
Diese Frage stellt sich auch mit Blick auf das datengestützte Tracking.
Kann es überhaupt eine „normativ neutrale“ Durchleitung von Daten, von der
im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Rede ist, geben? Oder ist das
Bereitstellen technischer Infrastruktur nicht per se eine
Unterstützungsleistung? Woher kommen die Daten, die die Palantir-Software
verarbeitet (möglicherweise auch von deutschen Quellen)?
Es gibt in dem unregulierten Markt des Überwachungskapitalismus keine
Herkunftsnachweise für Datenpakete, und vielleicht müsste angesichts der
zunehmenden „weaponization“, also der Waffenfähigmachung und militärischen
Anreicherung von Daten, auch über ein Lieferkettengesetz für Daten
diskutiert werden.
Gewiss, aus einer moralischen Warte ist jedes Mittel recht, den
verbrecherischen und mörderischen Angriffskrieg, den Putin seit über einem
Jahr gegen die Ukraine führt, zu beenden. Aber aus einer
konsequenzialistischen Ethik heraus muss auch die Frage gestellt werden,
mit wessen Daten eine möglicherweise erratische KI gefüttert wird, die am
Ende nicht alle militärischen Ziele trifft.
9 Mar 2023
## LINKS
[1] /Anschlaege-auf-Nord-Stream-Pipelines/!5919241
[2] /Kollaps-der-Kryptowaehrungen/!5901327
[3] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5913234
[4] /Softwareupdate-Pflicht-fuer-Smartphones/!5917845
[5] /Karlsruhe-zu-hessischem-Polizeigesetz/!5912911
## AUTOREN
Adrian Lobe
## TAGS
Ukraine
Software
Datenspionage
IG
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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