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# taz.de -- Nordirland-Protokoll: Sieg der Vernunft
> Brüssel und London müssen in der Welt zusammenstehen. Das funktioniert
> nur, wenn sie sich vertragen.
Bild: Tauwetter in den Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. Sunak u…
Geht doch. Die britische Regierung und die EU-Kommission haben das
umstrittene Nordirland-Protokoll ihres Brexit-Abkommens revidiert.
Jahrelang hatte London behauptet, die Anwendung des Protokolls sei
unmöglich, weil es eine EU-Zollgrenze mitten durch das Vereinigte
Königreich zieht. Jahrelang hatte Brüssel behauptet, die Neuverhandlung des
Protokolls sei unmöglich, weil es integraler Bestandteil des geltenden
Brexit-Abkommens ist. Beides war grundsätzlich korrekt und beides zusammen
führte in die Sackgasse.
Nun hat sich die britische Seite weitgehend durchgesetzt. Das sogenannte
„[1][Windsor Framework]“, das Rishi Sunak und Ursula von der Leyen am
Montag in Windsor vorstellten, ersetzt zentrale Elemente durch neue
Vereinbarungen, die die EU-Zollgrenze für den Warenverkehr zwischen
Großbritannien und Nordirland abschaffen und ein nordirisches Vetorecht für
die Gültigkeit von EU-Binnenmarktregeln in Nordirland einführen. Das sind
zwei zentrale Zugeständnisse, gegen die sich Brüssel zuvor jahrelang
gesträubt hatte.
Warum nicht gleich so? Schließlich war absehbar, dass das 2019 mit heißer
Nadel gestrickte Protokoll langfristig nicht funktionieren würde. Ziel war
damals, die politische Blockade um den britischen EU-Austritt zu lösen,
mehr nicht. Der Protokolltext selbst sah eine Überprüfung seiner weiteren
Gültigkeit nach vier Jahren und die Möglichkeit einer Revision vor. Es war
alles eine Frage des politischen Willens. Zu lange wurde daraus aber eine
Machtfrage, in der Nordirland von beiden Seiten als Geisel gehalten wurde.
Brüssel beharrte auf dem Protokoll, [2][London beharrte auf Abschaffung].
Nichts davon war realistisch, aber es diente der Profilierung.
Die Ukraine-Zeitenwende hat diese Machtspielchen zunehmend lächerlich
aussehen lassen. Europa insgesamt, ob EU oder nicht, muss gegen die
russische Aggression zusammenstehen. Großbritannien wurde unter Boris
Johnson zur europäischen Führungsmacht bei der Unterstützung der Ukraine.
Zugleich drängt die Ukraine in die EU. Da macht es keinen Sinn, dass sich
London und Brüssel weiter beharken. Sie sollten in der Welt an einem Strang
ziehen, und das müssen sie zuerst vor der eigenen Tür schaffen.
## Sunak machte es möglich
Die Vernunft erzwang ein Nachgeben der EU. Es kann nicht sein, dass das
Beharren auf „Integrität“ des EU-Binnenmarkts die nordirischen
Autonomieinstitutionen aushebelt und damit das Karfreitagsabkommen und den
Frieden in Nordirland untergräbt, also genau das Gegenteil dessen bewirkt,
was eigentlich bezweckt war. Ebenso wenig kann es sein, dass es einfacher
ist, Kokain aus Südamerika in die EU zu schmuggeln, als einen Blumentopf
aus Liverpool nach Belfast zu schicken.
Der Anspruch auf hundertprozentige Anwendung des Nordirland-Protokolls mit
lückenlosen EU-Kontrollen sämtlicher Warensendungen von der britischen auf
die irische Insel ist scheinheilig, wenn zugleich an anderen
EU-Außengrenzen nur stichprobenartig kontrolliert wird und die wichtigsten
Containerhäfen der EU wie Antwerpen und Rotterdam allmählich in den Griff
der organisierten Kriminalität abgleiten.
Politisch machbar wurden die Brüsseler Zugeständnisse, weil in London nicht
mehr [3][Boris Johnson] regiert. Schon seine Nachfolgerin Liz Truss begann
den Prozess der Wiederannäherung an die EU, ihr Nachfolger Rishi Sunak gilt
als brexitpolitisch unbelastet und regiert als Pragmatiker, der das von
Johnson hinterlassene Chaos aufräumt. Es bleibt zu hoffen, dass ihm jetzt
niemand in London oder Belfast doch noch Stolpersteine in den Weg legt, in
der irrigen Annahme, [4][weiteres Chaos] sei irgendwie besser.
28 Feb 2023
## LINKS
[1] /Einigung-im-Brexit-Streit/!5918362
[2] /London-zum-Nordirland-Protokoll/!5858101
[3] /Brexit-Spitzengespraeche/!5689692
[4] /Lkw-Verkehr-nach-dem-Brexit/!5743998
## AUTOREN
Dominic Johnson
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Schwerpunkt Brexit
Nordirland
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