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# taz.de -- Minister über ukrainisches Getreide: „Weizenexporte werden sinke…
> Trotz Exporten leidet der ukrainische Getreidesektor unter dem Krieg.
> Agrarminister Mykola Solskyj über belastete Landwirte und die Aussichten
> für 2023.
Bild: Getreideernte im Juni 2022 in Mykolajiw, Ukraine
taz: Herr Solskyj, dank der im Sommer 2022 vereinbarten
UN-Getreideinitiative mit Russland kann die Ukraine wieder Getreide über
das Schwarze Meer exportieren. Trotzdem hat der ukrainische Agrarsektor
durch den russischen Angriffskrieg Verluste erlitten. Wie groß fallen diese
bisher aus?
Mykola Solskyj: Die Verluste sind sehr hoch: verlorene Technik, verminte
Felder, zerstörte Gebäude und Aufzüge, verlorene Ernten, zerstörte Vieh-
und Geflügelzucht … Nach unseren Schätzungen beliefen sich die direkten
Verluste bis Ende 2022 auf etwa 7 Milliarden Dollar. Die indirekten
Verluste beliefen sich auf etwa 30 Milliarden Dollar. Und sie steigen
täglich weiter an.
Wie ist die Situation aktuell?
Wir exportieren weiterhin Getreide, kämpfen für die Erweiterung des
Getreidekorridors – um die Schwarzmeerroute auch für den Transport anderer
Lebensmittel sowie Rohstoffe zu öffnen. Momentan ernten wir noch Mais, weil
sich die Saison wegen des Krieges verzögert hat. Gleichzeitig bereiten wir
uns auf die neue Aussaatsaison vor. Der Krieg heißt für unsere Landwirte
erschwerte Bedingungen, zum Beispiel große Verluste, Mangel an
Arbeitskräften aufgrund von Migration und Mobilisierung oder hohe Preise
für Betriebsmittel. Aber sie geben nicht auf und versuchen, ihre Felder so
gut wie möglich zu bestellen.
Trotz des russischen Überfalls war die Ukraine 2022 neuntgrößter
Weizenproduzent der Welt und belieferte nicht nur sich selbst, sondern auch
Dutzende Länder in Asien und Afrika. Wie schätzen Sie die Lage für 2023
ein?
Wir müssen noch etwa 20 Millionen Tonnen aus der vorherigen Saison
herausbringen – das sind Getreide, Ölsaaten und verarbeitete Produkte. Das
ist keine geringe Menge. Ich denke, dass die Gesamternte in diesem Jahr
geringer ausfallen wird als 2022. Die Landwirte sparen mehr, investieren
weniger in die Aussaat, und es gibt Schwierigkeiten mit Düngemitteln. All
das wird sich auf die Ernte auswirken.
Zumal einige Agrarsektoren bislang vor allem auf Masse hin produzieren.
So ist es. Und bei großen Mengen treten mehr Probleme mit dem Export auf.
In diesem Jahr stellen die Landwirte deshalb auf sparsamere Agrarkulturen
wie Sonnenblumen und Sojabohnen um – was die Exportlogistik deutlich
vereinfacht. Das heißt aber auch: Wir werden in diesem Jahr eine kleinere
Ernte haben – wie viel weniger, ist schwer zu sagen. Bei optimalen
Witterungsbedingungen wird sie etwa 5 bis 10 Prozent geringer ausfallen als
2022.
Was bedeutet das für die Exporte?
Wir erwarten, dass die Weizenexporte 2023 um mindestens 25 Prozent sinken.
Vielleicht sogar noch mehr. Wir haben weniger gesät und gedüngt. In drei
bis vier Monaten werden wir die genauen Angaben haben. Die Maisexporte
werden auch geringer ausfallen, jedoch nicht die Mengen an Raps und
Sojabohnen, die höchstwahrscheinlich gleich bleiben werden. Der Export von
Sonnenblumen könnte sogar zunehmen.
Wie wird sich dies auf den Weltmarktpreis für Getreide und auf die
Ernährungssicherheit auswirken?
Es wird den Preis nach oben treiben. Die Situation auf dem Weltmarkt hängt
jedoch nicht allein von der Ukraine ab, es gibt viele Faktoren,
beispielsweise das Wetter oder die Ernte in anderen Ländern. Natürlich ist
der Krieg ein Einflussfaktor, aber nicht der entscheidende.
Kyjiw wird oft dafür kritisiert, zu viele Futterpflanzen anzubauen – statt
Pflanzen für die Ernährung der Menschen. Dieser Trend scheint sich 2023
noch zu verstärken …
Diejenigen, die so etwas sagen, haben die grundlegenden Dinge nicht
verstanden. Für wen bauen wir Futterpflanzen an? Für die Tiere. Der Logik
der Kritiker nach hieße das: Die Menschen sollen nur noch Brot essen. Ich
halte diese Diskussion für Zeitverschwendung. Für die Landwirte wirkt sie,
als würde man darüber diskutieren, ob unser Planet wirklich rund ist.
Inwieweit beeinflussen die für die Aussaat verlorenen Gebiete – sogenannte
verschmutzte oder besetzte Felder – die Gesamtsituation?
Solche verschmutzten Flächen gibt es vor allem in der Region Cherson. Die
Felder sind unterschiedlich stark kontaminiert: Felder mit nicht
explodierten Sprengkörpern, verminte Felder und Felder, die mit Trümmern
kontaminiert sind. Dementsprechend benötigen sie unterschiedlich viel Zeit
für die Räumung. Es gibt noch Hunderttausende Hektar solcher Felder.
Natürlich werden sie die Erntemenge insgesamt beeinträchtigen, weil sie
erheblich sind, allerdings wird die Lage nicht kritisch sein. Sowohl
Landwirte als auch Unternehmen beteiligen sich aktiv an der Entminung.
Werden die befreiten Gebiete [1][Charkiw] und Cherson an der Agrarkampagne
des Frühjahrs teilnehmen?
In der Tat werden sie bereits an dieser Aussaatsaison teilnehmen. Ende Mai
wissen wir, wie viele genau.
Die Initiative Grain from Ukraine, ein humanitäres Nahrungsmittelprogramm,
das im vergangenen November, zum 90. Jahrestag des Beginns des Holodomor
von 1932 bis 1933, von Präsident Wolodimir Selenski ins Leben gerufen
wurde, hat bereits erhebliche Unterstützung von internationalen Partnern
erhalten …
Die Hauptidee war, die ärmsten Länder Afrikas mit Getreide zu versorgen.
Sie ist gut gestartet und funktioniert. Viele Länder sind zu Spendern
geworden und sind bereit, insgesamt etwa 200 Millionen Dollar in den Kauf
von Getreide, die Schiffsfracht, die Logistik und die Verteilung zu
investieren. Bislang sind fünf Schiffe mit unserem Getreide nach Somalia,
Äthiopien und Kenia ausgelaufen. Die nächsten Schiffe sollen in den Jemen
und in den Sudan fahren. Die Initiative war möglich nach dem
[2][Schwarzmeer-Getreide-Abkommen] für Exporte aus ukrainischen Häfen …
… das nach monatelanger Hafenblockade durch Russland im Juli 2022
verabschiedet wurde. Zuletzt war das Abkommen im November weitere vier
Monate verlängert wurden. Heißt: Nach jetzigem Stand läuft es am 18. März
aus …
Die Verhandlungen mit Russland, der Türkei und den Vereinten Nationen
zwecks Verlängerung laufen. Der Beitrag der Ukraine zur Bekämpfung des
Hungers in der Welt ist ja offensichtlich. Gleichzeitig hat diese
Vereinbarung eine Schlüsselrolle für den ukrainischen Agrarsektor in den
letzten sechs Monaten gespielt.
Einer der Aspekte, für den die Ukraine ebenfalls kritisiert wurde, ist,
dass ein Großteil der Getreideexporte in europäischen Ländern und nicht in
Afrika landet …
Erstens ist dies nicht wahr. Statistiken zeigen, dass über 40 Prozent des
ukrainischen Weizens nach Afrika und in den Nahen Osten geht. Ein weiterer
Teil geht nach Europa und der Rest nach Asien. Nach Afrika geht weniger
Mais als Weizen, aber das war schon immer so. Nichts ist daran
außergewöhnlich. Ich kann versichern, dass eine Menge Weizen, Mais und
Ölsaaten nach Afrika gehen. Zweitens hat das Getreide, das an andere Länder
verkauft wird, auch positive Auswirkungen auf die ärmsten afrikanischen
Länder. Denn das globale Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage verbessert
sich: Der Preis steigt nicht – oder zumindest langsamer.
Präsident Selenski hat kürzlich den ukrainischen Agrarsektor als eine der
drei wichtigsten Säulen für die Erholung der Ukraine bezeichnet. Er betonte
insbesondere die Schaffung von Getreidedrehscheiben in der EU, in Asien und
Afrika. Warum ist das wichtig?
Die Logistik in afrikanischen Ländern ist offensichtlich weniger entwickelt
als in anderen Teilen der Welt. Die Häfen dieser Länder müssen so ausgebaut
werden, dass das Getreide schnell entladen, gelagert und in guter Qualität
an die Kunden im Land weiterverkauft werden kann. Wir analysieren diese
Situation und sehen Perspektiven. Dies wird auch dazu beitragen, die
Ukraine und die EU einander näherzubringen, da wir eine gemeinsame Vision
und dieselben Werte in Bezug auf die Fähigkeit der afrikanischen
Bevölkerung haben. Wir nehmen ihr Recht auf hochwertige und genügend
Nahrungsmittel wahr.
28 Feb 2023
## LINKS
[1] /Folgen-des-Ukrainekriegs-in-Charkiw/!5909328
[2] /Experte-zu-ukrainischen-Getreideexporten/!5905981
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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