| # taz.de -- Journalist über Arbeit im Ukrainekrieg: „Die Spontaneität ist e… | |
| > Denis Trubetskoy arbeitet in Kyiw als selbstständiger Journalist – teils | |
| > ohne Strom und Internet. Ein Gespräch über den Krieg und die Medien. | |
| Bild: Wegen Stromausfall am 24.12.2022 in Kyiv sind Passanten mit Taschenlampen… | |
| taz: Herr Trubetskoy, sind Sie noch derselbe Journalist wie vor [1][dem 24. | |
| Februar 2022]? | |
| Denis Trubetskoy: Definitiv nicht. Ich bin auch ein anderer Mensch. Nach | |
| dem ersten Schock brauchte ich drei, vier Wochen, bis ich wieder arbeiten | |
| konnte. In den Jahren zuvor war ich in einer komfortablen Position, weil | |
| ich nicht auf politische Interessen unterschiedlicher Medienbesitzer in der | |
| Ukraine achten musste. Ich konnte stattdessen wie ein Auslandsjournalist, | |
| der nach Kyjiw entsandt wird, für deutsche Medien arbeiten. Für die | |
| Berichterstattung über einen Krieg gegen das eigene Land wurde ich aber | |
| nicht ausgebildet. | |
| Was ist die größte Herausforderung? | |
| Ich befinde mich in einem ständigen Balanceakt zwischen dem Anspruch, | |
| faktenorientierten Journalismus zu machen, und meiner persönlichen | |
| Betroffenheit. Ich würde lügen, wenn ich so tun würde, als hätte ich kein | |
| Interesse daran, dass mein Land diesen Angriffskrieg erfolgreich abwehrt. | |
| Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie in Kyjiw? | |
| Ich habe sechs Stunden Strom zu Hause, dann drei Stunden keinen. Kritisch | |
| kann es in den Tagen unmittelbar nach einem Angriff auf die | |
| Energieinfrastruktur werden. In der Gegend rund um das Regierungsviertel | |
| gibt es dann Strom, aber oft kein Wasser. Man kann dort also in einem Café | |
| arbeiten, aber nicht die Toilette benutzen. Die absolute Spontaneität ist | |
| für mich das größte Problem. Nichts lässt sich planen, weil es plötzlich | |
| keinen Handyempfang gibt oder eine Katastrophe passiert. Als ganze | |
| Stadtteile ohne Strom waren, pendelte ich zwischen den Bezirken, die noch | |
| welchen hatten. Das kostet Kraft. Wenn man in diesem Zustand eine Woche | |
| lebt, verkraftet man das. Aber wenn das mehrere Monate andauert, wird es | |
| schwierig. | |
| Als am 14. Januar russische Raketen ein Wohnhaus in Dnipro zerstörten und | |
| 45 Menschen dabei getötet wurden, schrieben Sie auf Twitter, dass sie als | |
| Journalist bemüht sind, nicht zu emotional zu klingen, aber auch nur ein | |
| Mensch seien. Wie gehen Sie mit Ihren Emotionen um? | |
| Wann man sieht, was in Dnipro passierte oder auch in Krementschuk, wo | |
| russische Raketen im letzten Sommer ein Einkaufszentrum getroffen haben, | |
| dann versteht man, wie das Böse funktioniert. Es war wohl nicht das Ziel | |
| der Russen, dieses Gebäude zu treffen, aber sie wussten, dass sie mit | |
| ungenauen Raketen auf Großstädte schießen. Da wird bewusst in Kauf | |
| genommen, dass Zivilisten sterben. Durch solche Gefühle kämpfe ich mich | |
| durch. Das andere ist der berufliche Druck. Mir fällt es schwer, damit | |
| umzugehen. Redaktionen haben Erwartungen an mich, beispielsweise | |
| Abgabetermine – und das ist ihr gutes Recht. Es gibt Wochen, in denen es | |
| mir besser geht. Und andere, in denen geht es mir schlechter. Diese Woche | |
| gehört zu Letzteren. | |
| Wieso? | |
| Ich bin müde, auch weil so viel los ist um den 24. Februar. Mich begleitet | |
| das Gefühl, keine Pause machen zu dürfen. Ich glaube, so geht es vielen | |
| Ukrainern. Manchmal sage ich zu mir: Mensch, Denis, du kannst auch mal eine | |
| Serie gucken. Macht man das nicht, fühlt man sich irgendwann leer. Macht | |
| man es aber doch, fühlt man sich wiederum schuldig. All das ist nicht | |
| wirklich gesund. Die bittere Wahrheit ist: Es gibt gerade Wichtigeres, als | |
| Pause zu machen. Der Gegner, Russland, macht auch keine Pause. | |
| Die deutsche Debatte über den russischen Angriffskrieg konzentriert sich | |
| auf [2][die Frage nach Waffenlieferungen]. Wie blicken Sie als Ukrainer | |
| darauf? | |
| Was mich dabei aufregt, ist beispielsweise die Frage, ob Deutschland | |
| Kriegspartei ist. Völkerrechtlich ist doch klar, dass Deutschland keine | |
| Kriegspartei ist. Will man das aber aus Putins Perspektive beantworten, | |
| dann ist der Westen sowieso seit Tag eins Kriegspartei. In Deutschland | |
| verliert man schnell den Blick fürs Wesentliche und redet lieber weiter | |
| über Dinge, die längst geklärt sind. | |
| [3][Korruption in der Ukraine], auch ein Lieblingsthema der Deutschen. | |
| Erst letztens habe ich eine Anfrage dazu bekommen. Am Telefon wurde mir | |
| gesagt, man wolle darüber reden, wie Korruption in der Ukraine | |
| funktioniert, ob da Briefumschläge mit Geld im Spiel sind. Da habe ich mir | |
| gedacht: Leute, braucht ihr mich wirklich dafür? Es kann sich doch jeder | |
| vorstellen, wie so etwas funktioniert. Oft wird so getan, als gebe es in | |
| Deutschland keine Korruption. Aber ihr müsst schon hinschauen, was in eurem | |
| eigenen Laden passiert: sei es die Maskenaffäre oder der Korruptionsfall | |
| einer Klimastiftung in Mecklenburg-Vorpommern. In Sachen Korruption steht | |
| Deutschland natürlich deutlich besser da als die Ukraine. Die | |
| Anstrengungen, die die Ukraine unternimmt, um gegen Korruption vorzugehen, | |
| tauchen aber in der deutschen Berichterstattung kaum auf. | |
| Im Herbst 2013 war in Kyjiw kein einziger entsandter festangestellter | |
| Korrespondent eines deutschen Mediums dauerhaft präsent. [4][Die | |
| Maidanrevolution] und die Krimannexion 2014 legten offen, dass es kaum | |
| Ukraine-Expertise in deutschen Redaktionen gab. Haben die Redaktionen | |
| dazugelernt? | |
| Jein. Viele Redaktionen haben damals nicht begriffen, welche historische | |
| Bedeutung die Annexion der Krim hatte. 2014 war der eigentliche Beginn der | |
| Zeitenwende, nicht 2022. Die Frage ist, ob den deutschen Redaktionen wie | |
| auch der deutschen Gesellschaft heute bewusst ist, dass die Ukraine nach | |
| dem Ende des Krieges eine vermutlich nicht allzu kleine Rolle in Europa | |
| spielen wird. Ich habe da Zweifel. Im Vergleich zu 2014 ist die Lage | |
| besser. Es werden Büros in Kyjiw eröffnet, Medienhäuser wie die ARD planen, | |
| langfristig in der Ukraine präsent zu sein. Das ist gut. Eine Schwierigkeit | |
| bleibt, dass für die meisten Leser Putin am interessantesten ist. Eine | |
| Schlagzeile mit Putin klickt sich garantiert besser als jeder sachliche | |
| Artikel über die Ukraine. | |
| Ein demokratischer Staat, der militärisch angegriffen wird, gerät unter | |
| Druck: Auf der einen Seite steht das Bedürfnis nach öffentlicher Debatte | |
| über Entscheidungen. Auf der anderen Seite lebt militärisches Handeln oft | |
| von Geheimhaltung. Wie ist die ukrainische Medienlandschaft damit | |
| umgegangen? | |
| Ich glaube, jeder Journalist in der Ukraine denkt darüber nach, ob das, was | |
| man veröffentlicht, dem Land schadet oder nicht. Es gibt Regeln, an die man | |
| sich als Journalist halten muss: Man darf die Truppenbewegung der | |
| ukrainischen Streitkräfte nicht filmen oder Folgen des Beschusses | |
| unmittelbar danach nicht zeigen, damit der Gegner keinen Vorteil daraus | |
| ziehen kann. Seriöse ukrainische Medien, das sind meist Onlinemedien, | |
| veröffentlichen weiterhin Geschichten über innenpolitische Intrigen, über | |
| Korruptionsfälle, wie zu Vorkriegszeiten. Ende Januar gab es eine Recherche | |
| darüber, dass das ukrainische Verteidigungsministerium vermutlich | |
| Lebensmittel für Soldaten im Hinterland zu Preisen über dem Marktwert | |
| einkauft. Darüber wird dann auch gesellschaftlich diskutiert. Hand aufs | |
| Herz: Am 24. Februar des letzten Jahres habe ich gedacht, das war’s für | |
| eine Weile mit Meinungsfreiheit und freier Berichterstattung in diesem | |
| Land. | |
| Was haben Sie befürchtet? | |
| Ich dachte, es gibt die totale Zensur. Zwar nicht so wie in Russland. Aber | |
| ich ging davon aus, dass zum Beispiel halbwegs objektive Berichterstattung | |
| von der Front nicht möglich sein wird. Das ist nicht passiert. Die | |
| Regierung betreibt klar PR, aber keine Propaganda. Die meisten Medien | |
| können kritischen Journalismus machen. Da unterscheidet sich die Ukraine | |
| kolossal von Russland. | |
| Waren Medienschaffende in der Ukraine auf den russischen Überfall | |
| vorbereitet? | |
| Es ist unmöglich, sich auf so etwas vorzubereiten, vor allem mental. Viele | |
| hatten falsche Hoffnungen, wie auch ich. Wir hofften, es würde doch nicht | |
| zum großen Krieg kommen. 2014 war niemand vorbereitet. Da haben | |
| Journalisten von einem Tag auf den anderen lernen müssen, wie sie aus einem | |
| Krieg berichten. Kaum jemand hatte damals ein Sicherheitstraining | |
| absolviert. Die Erfahrungen, die zwischen 2014 und dem 24. Februar 2022 | |
| gesammelt wurden, haben enorm geholfen. | |
| 27 Feb 2023 | |
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| Erica Zingher | |
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