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# taz.de -- Journalistin über Arbeit im Krieg: „Gerechtigkeit für alle Krie…
> Katerina Sergatskova ist Chefredakteurin in Kyjiw. Ein Gespräch über
> Widerstände im eigenen Land, Propaganda und die anhaltende Müdigkeit.
Bild: Eine zurückgelassene Trage in einem wieder befreiten Dorf in der Donezke…
taz: Frau Sergatskova, seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen
erweiterten Krieg gegen die Ukraine. Vor welchen Herausforderungen stehen
Journalisten in der Ukraine eineinhalb Jahre später?
Katerina Sergatskova: Was sich am meisten bemerkbar macht, ist die
anhaltende Müdigkeit. Wir sprechen, denken und schreiben jeden Tag über
Kriegsverbrechen in unserem Land. Manchmal schreiben wir auch über
Menschen, die wir persönlich kannten, die gelitten haben oder gestorben
sind. Wir bei Zaborona müssen dabei unsere Arbeit professionell erledigen,
ausgewogen berichten und darüber hinaus unser journalistisches Team
managen. Wir müssen uns zusätzlich um unsere Familien und Angehörigen
kümmern. Kein Mensch kann das auf Dauer aushalten und derselbe bleiben. Je
länger der Krieg andauert, desto schwieriger ist es, mit diesem Stress
fertig zu werden.
Russische Staatsmedien verbreiten [1][durchgehend Regierungspropaganda].
Der Ukraine wird dasselbe vorgeworfen. Wie würden Sie den Unterschied in
der Medienberichterstattung beider Länder beschreiben?
Der größte Unterschied ist, dass Russland als Aggressor Narrative schafft,
um seine Kriege zu rechtfertigen. Um sich zum Beispiel Länder wie die
Ukraine anzueignen, das Russland als Kolonie betrachtet. Damals, im Jahr
2022, rechtfertigte Putin seine Invasion ja damit, dass er einem Angriff
der Ukraine zuvorkam. Das hört sich verrückt an, aber für die russische
Bevölkerung wird dieser Wahnsinn medial sehr gekonnt dargestellt und zum
Schüren von Hass genutzt. In der Ukraine würde ich eher von staatlicher PR
sprechen, die der Verteidigung der Grenzen eines souveränen Staates dient.
Können Sie das konkretisieren?
Leider ist die Ukraine kein reiches Land, unsere Ressourcen sind sehr
begrenzt. Um der Aggression der russischen Armee, die über schier
unerschöpfliche militärische Ressourcen verfügt, zu begegnen, müssen wir um
Hilfe bitten. Wir sind auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen, da es
für uns schwierig ist, einen solchen Albtraum allein zu bewältigen. Deshalb
bemüht sich der Staat, eher seine Erfolge im Kampf gegen Russland zu
betonen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Auf ukrainischer offizieller Ebene ist es nicht üblich, über Verluste zu
sprechen – vor allem nicht über militärische Verluste. In Wirklichkeit hat
aber jeder Ukrainer in seiner unmittelbaren Umgebung Menschen, die im Krieg
verwundet wurden oder gefallen sind, und jeder hat Freunde und Verwandte,
die an der Front dienen.
Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus für ukrainische Journalisten?
Journalisten wird regelmäßig der Zugang zu direkten Kriegsgebieten
verweigert oder eingeschränkt und sie werden oft daran gehindert, mit dem
Militär zu sprechen. Das soll Informationslecks verhindern, führt aber
dazu, dass in den Medien zu wenig über die Opfer des Krieges berichtet
wird. Das bedeutet, dass es für die Menschen – sowohl in der Ukraine als
auch in der ganzen Welt – schwierig ist, zu verstehen, welchen Preis wir
für unseren Widerstand gegen die russische Invasion zahlen. Dieser Preis
ist das Leben jedes einzelnen Menschen, der die Ukraine und Europa
verteidigt, sowie das Leben von Familien, die ihre Angehörigen verloren
haben.
Als Journalistin in der Ukraine sind Sie in einer Doppelrolle: Sie wollen
objektiven Journalismus betreiben und sind gleichzeitig Bürgerin eines
Landes, das angegriffen wird. Wie gehen Sie damit um?
Wir bei Zaborona sind sehr motiviert, möglichst objektive und
wahrheitsgemäße Informationen zu sammeln, um Gerechtigkeit für alle Opfer
dieses Krieges zu erlangen. Natürlich herrscht in Demokratien
Pressefreiheit, die Medien sind frei. Gleichzeitig versuchen auch
Geheimdienste und Regierungen von Demokratien in turbulenten Zeiten wie
einem Krieg, die Presse zu Teilen zu reglementieren. Solche Tendenzen gibt
es in der Ukraine, wie überall sonst auch.
Was reagieren Sie darauf?
Wir lehnen uns offen dagegen auf, protestieren und bemühen uns, unsere
Arbeit gut zu machen. Das ist nicht einfach, und oft brauchen wir dafür
Unterstützung, zum Beispiel Fördermittel aus dem Ausland, aber wenigstens
können wir in unserem eigenen Land arbeiten, im Gegensatz zu Journalisten,
die im Exil leben.
Es gilt als Tabu, über Fälle von Korruption in der ukrainischen Armee zu
berichten. Wie geht Zaborona damit um?
Über alles, was die Armee betrifft, ist es sehr schwierig zu berichten.
Zaborona konzentriert sich bei seinen Themen eher auf soziale Aspekte als
auf Korruption. Unser Team veröffentlichte im Sommer eine Geschichte über
das Militärkommissariat in Odessa, das Menschenrechte verletzt und Männer
an Kontrollpunkten in Kasernen einquartiert. Daraufhin gab es einen großen
Aufschrei, die Geschichte wurde von anderen Publikationen aufgegriffen und
schließlich wurde gegen den Leiter des Kommissariats ermittelt. Meine
Kollegen berichteten auch über Fälle, in denen Menschen mit
Schwerbehinderungen und Amputationen in die Armee aufgenommen werden. Es
ist nicht leicht, darüber zu berichten, denn die meisten Betroffenen wollen
ihre Namen nicht preisgeben und haben Angst vor Verfolgung.
Es hat schon viele Fälle gegeben, in denen Soldaten der Presse Interviews
gegeben haben – und wenn das Kommando davon erfahren hat, wurden sie zum
Beispiel in eine andere Einheit versetzt oder ihre Dienstbedingungen haben
sich verschlechtert.
Welche positiven Veränderungen haben Sie seit Kriegsbeginn im ukrainischen
Journalismus festgestellt?
Der Journalismus in der Ukraine ist sehr gereift. Meines Erachtens hat sich
eine große Solidarität unter den Medienschaffenden entwickelt. Sie sind
bereit, sich gegenseitig zu helfen, nützliches Wissen zu teilen,
voneinander zu lernen. Im Vergleich zum Anfang der Invasion sind wir heute
viel besser vorbereitet und zuversichtlicher in unserem Handeln.
Zu Beginn der russischen Invasion haben Sie mit Roman Stepanovych die
Stiftung 2402 gegründet, die ukrainische Journalisten unterstützt. Was
haben Sie bislang erreicht?
Bis heute haben wir mehr als 400 ukrainische Medienschaffende mit allem
versorgt, was sie brauchen, um zu berichten – von kugelsicheren Westen und
Helmen bis hin zu Satellitenüberwachungsgeräten. Wir bieten Journalisten
Schulungen in den Bereichen Medizin, Überlebenskampf und Cybersicherheit
an. Für die Journalisten, die vor Ort arbeiten und keinen Zugang zu
Ressourcen großer internationaler Organisationen haben, die es sich leisten
können, ein großes Budget für die Ausbildung ihrer Mitarbeiter auszugeben,
bieten wir alle Schulungen kostenlos an. Wir stellen auch ein taktisches
Erste-Hilfe-Set zur Verfügung, das für Kriegsbedingungen geeignet ist.
Schließlich geben all diese Menschen dieses Wissen an ihre Angehörigen und
ihr Umfeld weiter. Das bedeutet, dass es schnell Hunderttausende Menschen
werden, die viel besser Bescheid wissen, was im Falle einer gefährlichen
Situation zu tun ist und wie man die Person neben sich retten kann.
Die taz Panter Stiftung hat Zaborona 2022 mit Spenden unterstützt.
11 Sep 2023
## LINKS
[1] /Prorussische-Propaganda/!5950668
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
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