# taz.de -- Paul Schäfer zu „Friedensbewegung“: „Ohne Dialektik geht es … | |
> Aus dem Wagenknecht-Schwarzer-Bündnis wird keine neue Friedensbewegung, | |
> glaubt der Linke Paul Schäfer. Waffen und Diplomatie seien kein | |
> Widerspruch. | |
Bild: Bunte Truppe für den Frieden: Teilnehmende auf der Demo von Wagenknecht … | |
taz: Herr Schäfer, war die Kundgebung am Samstag der [1][„Startschuss für | |
eine neue starke Friedensbewegung“], wie Sahra Wagenknecht meint? | |
Paul Schäfer: Nein. Diese Mischung von Links- und Rechtspopulisten, | |
Querdenkern und Schwurblern ist jedenfalls nicht die Friedensbewegung, die | |
ich mir vorstelle. Sie führt Menschen und Gruppierungen zusammen, die nicht | |
unbedingt zusammengehören. Die tragfähige Basis einer neuen Bewegung war da | |
nicht zu erkennen. Allerdings hat das Manifest erheblichen Widerhall | |
gefunden. | |
Woher rührt diese Resonanz? | |
Viele haben Angst vor der Eskalation des Krieges. Diese Sorge muss man | |
ernst nehmen. Und es gibt großen Unmut, dass in Medien oft nur über | |
Kriegsszenarien und Waffen geredet wird. Wer Diplomatie anmahnt, wird | |
schnell moralisch niedergemacht. Das stört viele – und das ist | |
verständlich. Manche, die jahrzehntelang Pazifisten waren, sind abrupt zu | |
Militärexperten konvertiert. | |
Alice Schwarzer und Wagenknecht fordern: [2][sofortiger Waffenstillstand | |
und Verhandlungen]. Was ist daran falsch? | |
Angesichts der Eskalationsrisiken scheint es das Vernünftigste zu sein, | |
wenn sich die Akteure des Krieges zusammensetzen und verhandeln. Aber das | |
ist wohlfeil. Denn die Ursache des Krieges und dass die Eskalation von | |
russischer Seite ausgeht, wird dabei einfach überspielt. Das ist | |
inakzeptabel. Eine neue Friedensbewegung kann nur auf der Basis des | |
Völkerrechts und der Empathie mit den Angegriffenen agieren. Davon war bei | |
den Reden am Samstag wenig bis nichts zu spüren. Ich halte eine neue | |
Friedensbewegung für nötig. Aber nicht so. | |
Also nur Waffenlieferung, keine Verhandlungen? | |
Solange die russische Seite auf den eroberten Gebieten beharrt, kann es | |
keinen halbwegs gerechten Frieden geben. Deshalb muss Putin erst | |
militärisch klargemacht werden, dass er damit nicht durchkommt. | |
Gleichzeitig teile ich den Zweifel, dass die Ukraine auch mit moderner | |
westlicher Militärtechnik nicht in der Lage sei wird, einen vollständigen | |
militärischen Sieg zu erreichen. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass | |
Verhandlungen erst beginnen werden, wenn das russische Regime verstanden | |
hat, dass es seinem Kriegsziel auf dem Schlachtfeld nicht näherkommt. Für | |
diesen Verhandlungsprozess muss man die ukrainische Position stärken. Damit | |
sie möglichst viele ihrer Ziele auf der Basis des Völkerrechts durchsetzen | |
kann. | |
Bedeutet das keinen Abnutzungskrieg, der endlos weitergeht? | |
Das ist eine berechtigte Frage, die niemand beantworten kann. | |
Wahrscheinlich wird auch die Ukraine kalkulieren müssen, wann Kompromisse | |
einem völlig verwüsteten Land vorzuziehen sind. | |
Die westlichen Sanktionen haben die russische Wirtschaft bisher nicht | |
massiv geschädigt. [3][Das Putin-Regime stellt sich auf einen langen Krieg | |
ein] und rechnet damit, dass der dekadente Westen in ein paar Jahren keine | |
Lust mehr hat, diesen Krieg weiter zu finanzieren. | |
Dieses düstere Szenario ist leider wahrscheinlich. In Putins Reden klingt | |
ja diese Mischung an aus Paranoia: „Wir sind das Opfer des Westens“ und | |
Größenwahn: „Wir werden den impotenten, dekadenten Westen on the long run | |
bezwingen.“ Die Idee, mit Sanktionen Russland kriegsuntauglich zu machen, | |
war von vornherein illusionär. Sanktionen wirken nur langfristig. Die | |
Umstellung auf Kriegswirtschaft hat in Russland offenbar funktioniert. | |
Trotz aller Mängel an Kriegskunst und militärischer Führung verfügt | |
Russland über große Reserven an Soldaten und funktionierende | |
Waffenfabriken. Russland verkauft Erdöl und Erdgas an China und Indien und | |
geht nicht bankrott. | |
Ist es trotzdem richtig, an den Sanktionen festzuhalten? | |
Ja, schon um Russland von Hightech-Militärtechnik abzuschneiden. Die | |
Sanktionen sind eine Botschaft an die Bevölkerung und die Elite in | |
Russland. Russland ist schon seit den 90er Jahren auf einen semiperipheren | |
Status zurückgeworfen. Die Sanktionen werden Russland weiter um Jahrzehnte | |
zurückwerfen. Sie stellen also, auch an die Oligarchen, eine Frage: Wollt | |
ihr wirklich eure Chancen für die Zukunft für diesen Krieg verspielen? | |
Manche EU-Länder liefern noch immer Dual-Use-Güter an Russland, die auch | |
militärisch einsetzbar sind. Ist das Sanktionsregime konsequent genug? | |
Nein, ist es nicht. Schon die Sanktionen gegen Oligarchen und Firmen waren | |
von Anfang an löchrig. Viele wurden nicht erfasst. Die Sanktionsschraube | |
wurde sehr behutsam angezogen, meist aus Sonderinteressen einzelner | |
Staaten. | |
Ein Einwand gegen Verhandlungen lautet: Es gibt für Putin keinen Weg mehr | |
zurück zur Diplomatie. | |
Putin hat sein Schicksal praktisch mit den Annexionen verknüpft und den | |
Konflikt damit extrem eskaliert. Er müsste nun bei einem Friedensschluss | |
„russische Erde“ weggeben. Das ist schwer vorstellbar. Aber die kommenden | |
Kalküle sind offen. Das ist eine Glaskugel. Wir sollten aber darauf achten, | |
Russland Angebote für die Zeit nach dem Krieg zu machen. Die vermisse ich. | |
Wer über eine mögliche Aufhebung von Sanktionen und künftige | |
Kooperationsbeziehungen redet, wird schnell diffamiert. Es ist unklug, | |
sogar die russische Kultur zu verbannen oder das Signal an die russische | |
Gesellschaft zu senden, man wolle Russland ruinieren. Dadurch bringt man | |
sie nicht in Widerspruch zu Putin, was nötig wäre. Das ist politisch extrem | |
töricht, wenn man Verhandlungen und Frieden anstrebt. | |
[4][China hat jetzt einen Friedensplan vorgelegt]. Was bedeutet der? | |
Dieser Friedensplan ist unkonkret und mit Vorsicht zu genießen. Teile der | |
Nato haben den Plan aber sofort als Show abgelehnt. Das ist nicht | |
weitblickend. Klüger wäre es, diese Initiative aufzugreifen und | |
weiterzuentwickeln. Punkt eins des chinesischen Plans ist die Anerkennung | |
der territorialen Souveränität. Dieser Punkt wurde in russischen Medien | |
sehr klein geschrieben. Damit aber gibt es einen Anknüpfungspunkt, den man | |
nutzen sollte. China hatte bisher die Position: Wir unterstützen Moskau, | |
der Rest geht uns nicht viel an. Mit dem Friedensplan hat Peking sich nun | |
aus dem Fenster gelehnt. Das ist positiv. | |
Putin hat mit dem Einsatz von Nuklearwaffen in der Ukraine gedroht. Wie | |
groß ist die Gefahr, dass er Ernst macht? | |
China und Indien haben Russland die Konsequenzen eines Einsatzes taktischer | |
Atomwaffen klargemacht: Moskau wäre danach völlig isoliert. Damit haben sie | |
dem Einsatz solcher Waffen einen gewissen Riegel vorgeschoben. Obwohl das | |
atomare Szenario also unwahrscheinlicher geworden ist, sollte man die | |
Bedenken jedoch nicht vom Tisch wischen. Ich bin besorgt über die | |
Sorglosigkeit mancher Politiker. Denn nicht zu unterschätzen ist die | |
Möglichkeit einer Verzweiflungstat, als Waffe der letzten Instanz, wenn der | |
Krieg aus russischer Sicht verlorengeht. Auch deshalb ist die scharfe | |
Rhetorik aus dem Westen, man wolle Moskau in den Staub werfen, hoch | |
problematisch. | |
Wenn Schwarzer und Wagenknecht keine brauchbare neue Friedensbewegung sind | |
– wo soll die herkommen? | |
Die Antwort darauf fällt schwer. Eine progressive Linke wird neu darüber | |
nachdenken müssen. | |
Wie müssen sich die progressive Linke und die Friedensbewegung | |
positionieren? | |
Der Ausgangspunkt muss die Solidarität mit der Ukraine und die Bekämpfung | |
des russischen Angriffskrieges sein. Das schließt aus meiner Sicht ein, der | |
Ukraine nötige Waffen zu liefern. Mir hat zum Beispiel nicht eingeleuchtet, | |
warum Deutschland nicht früher Raketenabwehrsysteme an Kiew geliefert hat. | |
Aber es sollte Distanz zu Scharfmachern wie Hofreiter und Strack-Zimmermann | |
gewahrt werden. Die Friedensbewegung muss klarmachen, dass es rote Linien | |
bei Waffenlieferungen an Kiew gibt – bei Raketen mit großer Reichweite, die | |
russisches Gebiet treffen können, und bei Waffen, die wie Streumunition | |
völkerrechtlich geahndet sind, sowieso. | |
Das klingt kompliziert … | |
Eine Friedensbewegung muss eben beides tun – sowohl für Diplomatie werben | |
als auch für konsequente Sanktionen. Trotz der nötigen Waffenlieferung an | |
die Ukraine bleibt es richtig, grundsätzlich eine restriktive | |
Rüstungsexportpolitik zu fordern. Auch muss eine Politik kritisiert werden, | |
die jetzt so tut, als sei das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung im Zuge | |
einer neuen globalen Konfrontation vom Tisch. Das finde ich fatal. Wir | |
brauchen globale Kooperation, keine Blockbildung des Westens gegen China. | |
Nur damit bekommen wir die atomare Gefahr und die Klimakatastrophe in den | |
Griff. Einerseits handfeste Unterstützung der Ukraine – andererseits mehr | |
Kooperation im Rahmen der UNO. Die Friedensbewegung muss lernen, mit diesem | |
Widerspruch umzugehen. Ohne Dialektik geht es nicht. | |
Warum fällt es der Linkspartei so schwer, einen Umgang mit diesem Krieg zu | |
finden? | |
Es stimmt, dass sich die Linke schwertut, sich dazu zu positionieren. Das | |
liegt zum einen daran, dass sie aus der noblen pazifistischen Tradition | |
kommt, die sie sich bis heute auf ihre Fahnen geschrieben hat – was gut | |
ist. Aber es gibt konkrete Konfliktlagen, wo eine rein pazifistische | |
Position keine unmittelbare Antwort geben kann. Mit diesem Dilemma muss man | |
als Pazifist umgehen und Abwägungen vornehmen. Auch Nichthandeln kann | |
schuldig machen. Und expansiver Gewalt muss man in Grenzsituationen wirksam | |
entgegentreten – um Schlimmeres zu verhüten. Darüber muss weiter diskutiert | |
werden. Aber es gibt in der Linken auch negative Traditionen: Da ist die | |
Verklärung Russlands, die in einem nostalgischen Verhältnis zur Sowjetunion | |
und der Oktoberrevolution begründet ist. Zum anderen besteht bei einigen | |
die ideologische Fixierung auf den alten wie falschen geopolitischen | |
Leitgedanken, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei. Eine Art | |
altertümlicher Antiimperialismus, bei dem die Menschen und ihre Grundrechte | |
auf der Strecke bleiben. | |
Wie spalterisch ist der Ukrainekrieg für die Linkspartei? | |
Die Ausgangslage ist schwierig. Es gibt bei manchen die fatale Hoffnung auf | |
eine neue populistische und nationalkonservative Plattform als | |
Rettungsanker, mit der sich die „Massen“ erreichen ließen. Das ist das | |
Modell Wagenknecht. Aber erstens glaube ich nicht an diesen Rettungsanker, | |
und zweitens würde mir eine solche Partei, die auch Teile der AfD aufsaugt, | |
Angst machen. Auf jeden Fall wäre sie nicht meine. Aber in den letzten | |
Jahren sind viele jüngere Mitglieder in die Partei gekommen, sie sind auch | |
im Parteivorstand gut vertreten. Für die ist es gar keine Frage, den | |
russischen Angriffskrieg unmissverständlich abzulehnen und solidarisch mit | |
der Ukraine zu sein. Und sie stehen für eine progressive Linke. Das macht | |
mir Mut. | |
28 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kundgebung-Aufstand-fuer-Frieden/!5918192 | |
[2] /Wagenknecht-und-die-Rechten/!5915376 | |
[3] /Putins-Rede-zur-Lage-der-Nation/!5914130 | |
[4] /Chinas-Friedensplan-fuer-die-Ukraine/!5918076 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Friedensbewegung | |
Linkspartei | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Sahra Wagenknecht | |
Alice Schwarzer | |
GNS | |
IG | |
Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
Ostermarsch | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Linkspartei | |
Alice Schwarzer | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Querfront | |
Leopard-Panzer | |
Sahra Wagenknecht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Skandal beim Eurovision Song Contest: ŠČ! ŠČ! ŠČ! | |
Der kroatische Beitrag „Mama ŠČ“ rettet dem ESC politisch den Arsch. | |
Derweil haben die Organisatoren Selenski verboten, ein Grußwort zu halten. | |
Ostermärsche der Friedensbewegung: Appelle für mehr Verhandlungen | |
Bundesweit sind in den kommenden Tagen Ostermärsche der Friedensbewegung | |
geplant. Die Forderung an die Bundesregierung: mehr Einsatz für Diplomatie. | |
Krieg in der Ukraine: Frag mal Clausewitz | |
Beim Streit über den Krieg kann ein Blick auf die Lehren des Carl von | |
Clausewitz hilfreich sein. Der ist heute so aktuell wie zu seiner Zeit. | |
Wagenknecht bereitet ihren Abgang vor: Zum Abschied leise Servus | |
Sahra Wagenknecht hat eine erneute Kandidatur für die Linkspartei | |
ausgeschlossen. Damit leben Spekulationen über eine mögliche Abspaltung | |
wieder auf. | |
Schwarzer-Wagenknecht-Demo: Demozahlenwirrwarr | |
Mindestens 50.000 Menschen hätten an der Berliner Kundgebung von Alice | |
Schwarzer und Sahra Wagenknecht teilgenommen, behauptet die „Emma“. Stimmt | |
das? | |
Zeitenwende im Bundestag: Wie das „Monster Putin“ stoppen | |
Ein Jahr nach der Zeitenwende-Rede erläutert Olaf Scholz seinen Kurs. Er | |
versucht Kritiker mitzunehmen. Das gelingt dem SPD-Fraktionschef besser. | |
SPD ein Jahr nach der Zeitenwende: Diplomatie und Waffen | |
Die SPD-Fraktion debattiert sehr friedlich über ein Jahr Zeitenwende. | |
Verteidigungsminister Boris Pistorius fremdelt geschickt mit seinem neuen | |
Job. | |
Wagenknechts „Friedensbewegung“: Rhetorik der Aggression | |
Auf der Wagenknecht-Schwarzer-Demo war das „Querdenken“-Milieu breit | |
vertreten. Schon in der Coronazeit zeigte sich: Harmlos ist was anderes. | |
Auswege aus dem Ukraine-Krieg: Diplomatie jetzt | |
Bitter: Zwischen der Truppe um Wagenknecht und Schwarzer und Unterstützern | |
der Ukraine liegt nichts außer einem Graben. Dabei gäbe es ein Dazwischen. | |
Kundgebung „Aufstand für Frieden“: Lasst mich bloß in Frieden | |
Mehrere zehntausend Menschen sind dem Aufruf von Schwarzer und Wagenknecht | |
gefolgt. Friedensbewegte vereinigen sich mit der Querdenken-Szene. |