| # taz.de -- Kundgebung „Aufstand für Frieden“: Lasst mich bloß in Frieden | |
| > Mehrere zehntausend Menschen sind dem Aufruf von Schwarzer und | |
| > Wagenknecht gefolgt. Friedensbewegte vereinigen sich mit der | |
| > Querdenken-Szene. | |
| Bild: „Frauenpower für den Frieden“ – so sehen es linke und (extrem) rec… | |
| Berlin taz | Nach knapp zwei Stunden ist er vorbei, der „Aufstand für | |
| Frieden“. Zum Abschluss schwärmt Alice Schwarzer: „Das, was wir heute hier | |
| erleben, ist der Beginn einer Bürgerbewegung, die bitter nötig ist.“ Und | |
| Sahra Wagenknecht sekundiert: „Mir zumindest hat es das Herz gewärmt, dass | |
| ihr alle hier wart.“ Dann dröhnt John Lennons „Imagine“ über den Platz. | |
| Ganz so, als wäre es eine ganz normale Friedenskundgebung gewesen, an | |
| diesem Samstag vor dem Brandenburger Tor. | |
| Neben Schwarzer und Wagenknecht auf der Bühne stehen unter anderem | |
| Ex-Bundeswehrgeneral Erich Vad, der Ex-SPD- und Linken-Vorsitzende Oskar | |
| Lafontaine und die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen auf der | |
| Bühne – und strahlen. Aus gutem Grund: Trotz Kälte und Schneeregen sind | |
| mehr gekommen als die 10.000, die die Veranstalter:innen angemeldet | |
| hatten. Von einem „Startschuss für eine neue starke Friedensbewegung“, | |
| spricht Wagenknecht. | |
| Die Straße des 17. Juni ist zwischen dem Brandenburger Tor, vor dem die | |
| große Bühne aufgebaut ist, und Gerhard Marcks' „Der Rufer“-Statue sehr gut | |
| gefüllt. Danach dünnt es bis zum Sowjetischen Ehrenmal, vor dem sich die | |
| DKP mit mehreren Transparenten aufgebaut hat, stark aus. Von 50.000 | |
| Menschen, die gekommen sind, spricht Wagenknecht. Laut Polizeiangaben | |
| sollen es etwa 13.000 sein. Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo in der Mitte | |
| liegen. | |
| Inmitten der Kundgebung stehen auch drei ältere Männer aus Berlin mit IG | |
| Metall-Fahnen. „Es braucht schnellstmögliche, bedingungslose | |
| Verhandlungen“, sagt einer von ihnen. „Und die Waffentransporte müssen | |
| stoppen.“ Für Letzteres zu sorgen, das sei auch Aufgabe von | |
| Gewerkschafter:innen. „Die Rüstungskonzerne gehen durch die Decke, Krieg | |
| ist auch ein Geschäftsmodell.“ So aber dürfe Arbeit nicht entstehen. | |
| Die Gewerkschaften würden viel zu wenig gegen den Krieg und die | |
| Waffenlieferungen machen, ist das Trio überzeugt. Dass die angegriffene | |
| Ukraine aber um die Waffen gebeten habe, um die russischen Angriffe | |
| abzuwehren? Das schaffe doch keinen Frieden, wettert der Gewerkschafter und | |
| spricht lieber über den ukrainischen Nationalismus. Und die fehlende | |
| Abgrenzung nach rechts von Wagenknecht und Schwarzer? Die Männer winken ab. | |
| „Wir dürfen doch den Rechten nicht die Straße überlassen.“ | |
| Weiter hinten steht ein Mann mit grünem „Frieden mit Russland“-Banner. Dass | |
| es eines der rechtsextremen „Freien Sachsen“ ist, hat er kaschiert – das | |
| Logo ist abgeschnitten. „Wagenknecht ist wunderbar“, sagt der Mann im rotem | |
| Anorak. Würde sie wieder für die Linke stehen, würde er auch wieder die | |
| Partei wählen, so wie früher, behauptet er. | |
| Dann schimpft er: „Die Kriegshetzerei muss aufhören“. Seit Jahren sei | |
| Russland doch bedrängt worden, seien Menschen im Donbass gestorben. Die | |
| russischen Verbrechen wischt der Mann weg. Auch er fordert Verhandlungen, | |
| ohne Vorbedingungen. Warum könne die Ukraine denn nicht wie eine neutrale | |
| Schweiz sein? | |
| Eine jüngere Frau, auch aus Sachsen, verfolgt das Gespräch. „Die Sache ist | |
| nicht so einfach“, räumt die Sozialarbeiterin und zweifache Mutter aus | |
| Zittau ein. „Ich bin auch zwiegespalten. Aber ich glaube, es wird momentan | |
| nicht genug für Diplomatie getan.“ Sie selbst habe eine Ukrainerin zu Hause | |
| aufgenommen, die um ihren Sohn bange, der im Krieg kämpfe. „Dieser Konflikt | |
| kann nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen werde.“ Auf Friedensprotesten sei | |
| sie bisher nicht gewesen, Wagenknecht aber gefalle ihr schon lange, deshalb | |
| sei sie eigens angereist. | |
| Die wettert unterdessen von der Bühne gegen die grüne Außenministerin | |
| Annalena Baerbock, die wie ein Elefant durch einen Porzellanladen trampele. | |
| „Von all den grünen Panzernarren fühlen wir uns nicht vertreten“, ruft | |
| Wagenknecht in scharfem Ton unter dem Applaus der Menge und „Baerbock | |
| raus“-Rufen. | |
| Währenddessen postieren sich am Rande der Kundgebung immer wieder Menschen, | |
| die sich solidarisch mit der Ukraine erklären, auch mit Fahnen des | |
| angegriffenen Landes – beides fehlt beim Wagenknecht-Schwarzer-Protest | |
| völlig. „Solidarität statt Ego-Pazifismus“, reckt ein Mann ein Schild in | |
| die Höhe. | |
| Die Kundgebungsteilnehmenden reagieren teils hitzig, teils wird aber auch | |
| sachlich diskutiert. „Ich hatte heftigere Reaktionen erwartet“, sagt Mary | |
| Killian, die in der Gegenkundgebung steht. „Es gibt offensichtlich | |
| Redebedarf.“ | |
| Immer wieder betonen Killian und die anderen in der kleinen | |
| Gegenkundgebung, dass die Ukrainer:innen ein Recht hätten, ihr Leben zu | |
| verteidigen. Dass Putin doch gar nicht zu Verhandlungen bereit sei. | |
| Wagenknecht und Teile der Linken sollten „vor Scham in die Hölle sinken, | |
| dass sie der Ukraine die Solidarität verweigern“, schimpft Killian. Ihre | |
| Hoffnung mit ihrem Gegenprotest: „Vielleicht kommt ja doch einer ins | |
| Grübeln, ob wir Recht haben könnten.“ | |
| Es gibt ein paar Gegenveranstaltungen an diesem Samstag. Aber sie sind | |
| allesamt sehr klein. Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors | |
| kritisiert ein Häuflein Antifa-Aktivist:innen unermüdlich die | |
| Wagenknecht-Demo. Ein Mann am Mikro sagt in Richtung der strömenden | |
| „Friedensdemonstrant:innen“: „Wer durch das Tor geht, hat die | |
| Arbeiterklasse verraten. Wer durchgeht, wird automatisch ein Nazi.“ Nicht | |
| nur auf der Schwarzer-Wagenknecht-Kundgebung gibt es Menschen mit allzu | |
| schlichtem Weltbild. | |
| „Die Kampagne gegen uns gipfelte darin, dass man versucht hat, uns in die | |
| Nähe der extremen Rechten zu rücken“, beschwert sich Wagenknecht. Daran | |
| sehe man, „wie krank die Diskussion in Deutschland inzwischen ist“. | |
| Selbstverständlich hätten Neonazis und Reichsbürger „auf unserer | |
| Friedenskundgebung nichts zu suchen“. Das verstehe sich doch von selbst. | |
| Ist das so? | |
| Nun ja, während Wagenknecht spricht, stehen vor der Bühne im Publikum so | |
| einige, die das offenkundig anders sehen. Der verurteilte Holocaust-Leugner | |
| Nikolai Nerling ist mit dabei, die AfD ist unter anderem mit dem | |
| sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, ihrem | |
| sächsischen Landeschef Jörg Urban, dem Berliner AfD-Abgeordneten Gunnar | |
| Lindemann und seinem Brandenburger Parteifreund Lars Günther vertreten. | |
| Gekommen ist auch Reichsbürger und Ex-NPD-Funktionär Rüdiger Hoffmann. | |
| Neben einem „Wagenknecht, die beste Kanzlerin“-Schild raucht | |
| Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer grinsend eine Zigarette. A[1][nders | |
| als noch am Samstag zuvor in München] ist es für ihn und seine Kameraden in | |
| Berlin jedoch nicht ganz so gemütlich. Die Kundgebung muss er eingekreist | |
| von „Nazis raus!“ skandierenden linken Demonstrant:innen verbringen. | |
| „Mit AfD und Co ist kein Frieden zu machen“ steht auf ihren Schildern. | |
| Mit der Begründung, er wolle die Veranstaltung stören, hatten zuvor bereits | |
| die Wagenknecht-Vertraute Dağdelen und der Ostermärsche-Organisator Willi | |
| van Ooyen im Namen der Versammlungsleitung versucht, Elsässer von der | |
| Polizei entfernen zu lassen. Doch dessen Beteuerungen, die Kundgebung nicht | |
| stören, sondern unterstützen zu wollen, erschien den Ordnungskräften | |
| offenkundig plausibel – und so durfte der extrem rechte Publizist bleiben, | |
| wenn auch isoliert. | |
| Einen Konsens, wie mit Leute wie Elsässer umzugehen ist, gibt es unter den | |
| Demonstrierenden nicht. Bezeichnend dafür: Um Verstärkung gegen Elsässer zu | |
| holen, sucht ein Linken-Mitglied ein paar Meter weiter in der Menge | |
| lautstark nach Mitstreiter:innen. „Nur 30 Meter weiter steht der | |
| Querfront-Stratege und Neonazi Jürgen Elsässer“, ruft er. „Wir wollen kei… | |
| Nazis hier, schließt euch an und drängt ihn mit uns aus der Kundgebung!“ | |
| Kaum jemand folgt ihm. Eine ältere Frau fordert ihn auf, er solle nicht so | |
| rumbrüllen. Und überhaupt: Gegen den Krieg sein, das ginge ja nur | |
| gemeinsam, man solle aufhören mit der ewigen Spaltung. | |
| Ein Mann trägt ein großes Schild mit der Aufschrift: „Linkes Sektierertum | |
| und Distanzeritis verhindert den Aufbau einer nachhaltigen | |
| Friedensbewegung. Hört endlich auf damit!“ Nicht weit entfernt steht jemand | |
| mit QAnon-Symbol um den Hals und genießt die Szenerie. | |
| Neben den dominierenden Weiße-Taube-auf-blauem-Hintergrund-Friedensfahnen | |
| kommen auch immer wieder Russlandfahnen zum Vorschein. Hin und wieder | |
| kommen Ordner:innen und weisen deren Schwenker:innen daraufhin, dass | |
| Nationalfahnen auf der Kundgebung generell nicht erwünscht seien. Die | |
| würden sonst medial ausgeschlachtet, erklärt ein Ordner einem | |
| unverständigen Demonstranten, der sogar zwei Russlandfahnen mitgebracht | |
| hat. Nur widerwillig rollt er sie ein. | |
| Es ist eine merkwürdige Mischung, die sich in Berlin versammelt hat. Viele | |
| Slogans und Fahnen stammen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre. | |
| Versammelt haben sich „klassische“ Friedensbewegte und zahlreiche | |
| Mitglieder der Linkspartei, aber – und zwar unübersehbar – auch sehr viele | |
| aus der Coronaleugner:innen- und der sogenannten Querdenken-Szene, die für | |
| sich inzwischen den Ukrainekrieg zum neuen Aktionsfeld auserkoren haben. | |
| Es hat den Anschein als bildet die verschwörungsideologische | |
| „Querdenken“-Bewegung hier den Kitt zwischen Rechtsextremen, Resten der | |
| traditionellen Friedensbewegung und einer antiimperialistischen Linken auf | |
| Abwegen. Ringsum halten Teilnehmer:innen Schilder der Kleinpartei „Die | |
| Basis“ hoch. Die „Oberhavel Trommler“ trommeln für den Frieden und gegen | |
| die Corona-Diktatur. Ein großes Banner verharmlost den Nationalsozialismus, | |
| indem darauf in Anlehnung an Goebbels Sportpalastrede steht: „Wollt ihr den | |
| totalen Krieg?“ | |
| Auf dem Hin- und Rückweg zur Schwarzer-Wagenknecht-Kundgebung kommt es vor | |
| der russischen Botschaft Unter den Linden zu mitunter heftigen | |
| Wortgefechten. Dort hat eine pro-ukrainische Dauerkundgebung ihren Platz. | |
| Ebenso steht dort ein im Ukrainekrieg zerstörter russischer Panzer, den | |
| Kriegsberichterstatter und Aktivist Enno Lenze dort aufstellen ließ. Darauf | |
| weht eine Ukraineflagge. | |
| Ein Demonstrant, den das offenbar stört, klettert auf den Panzer, schmeißt | |
| die Ukraine-Flagge runter und hält stattdessen eine laminierte | |
| Russlandflagge hoch, die er wohl irgendwo hinhängen will. Lenze klettert | |
| ebenfalls auf den Panzer, hängt die ukrainische Flagge wieder auf, knüllt | |
| die russische zusammen. Polizist:innen bitten beide runter und | |
| eskortieren den Mann mit der Russlandflagge weg. | |
| 25 Feb 2023 | |
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