# taz.de -- Wagenknecht und die Rechten: Altlinks oder neurechts? | |
> Sahra Wagenknecht ist es gelungen, sich das Label „Friedensbewegung“ ans | |
> Revers zu heften. Rechte lieben die Linken-Abgeordnete dafür. | |
Bild: Schnittmengen zwischen ihr und der Rechten gab es schon im Flüchtlingshe… | |
Sahra Wagenknecht ist derzeit auch für ihre Verhältnisse medial | |
omnipräsent. Sie posiert mit Alice Schwarzer auf eleganten | |
Schwarz-Weiß-Fotos und wirbt für ein „Manifest für den Frieden“. Sie wird | |
im Spiegel und TV interviewt und läuft in Talkshows rhetorisch heiß. | |
Mit dem „Manifest“ ist ihr ein Scoop gelungen: Sie hat es geschafft, in der | |
Öffentlichkeit zwischen der Friedensbewegung und ihrer Person eine Art | |
Gleichheitszeichen zu inszenieren. Ist sie die neue Stimme all jener, die | |
sich angesichts der scheinbar zwanghaft wachsenden Verstrickung | |
Deutschlands in den Ukrainekrieg unwohl fühlen? | |
Hajo Funke (78), emeritierter Berliner Politikprofessor und anerkannter | |
Experte für Rechtsextremismus, zählt zu den Erstunterzeichnern des | |
Manifests. Mit der Eskalation der Waffenlieferungen drohe ein | |
„Schreckenskrieg ohne Ende“, sagt er der taz. Der Manifesttext sei „ein | |
verzweifelter Ruf, um diese Eskalation nach einem Jahr zu unterbrechen“ und | |
ein Appell an Kanzler Scholz. Mit Wagenknecht habe er nicht viel am Hut. | |
Die „Abgrenzung nach rechts“ reiche ihm aber. Wie jemand, der felsenfest | |
überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen, klingt Funke eher nicht. | |
Jürgen Elsässer, Chef der rechtsextremen Zeitschrift Compact, sieht eine | |
machtvolle Querfront auf dem Vormarsch, mit Wagenknecht und der Formel | |
„gegen Waffenlieferungen, für Verhandlungen“ an der Spitze. Da sei er als | |
„Nationalpazifist“ dabei, verkündete der rechte Strippenzieher in seinem | |
Youtube-Kanal compact-TV. Bei manchen Rechten scheint die linke | |
Bundestagsabgeordnete nun tatsächlich zu einer Art Ikone geworden zu sein. | |
## Alles ein Trick, um Leute wie Reinhard Mey zu kapern? | |
Ist das ein Irrtum? Ein Trick der Rechtsextremen, die damit den Protest | |
anderer Unterzeichner des Manifests, von Katharina Thalbach bis Reinhard | |
Mey, kapern wollen? | |
Paul Schäfer (74), bis 2013 für die Linkspartei im Bundestag und | |
Verteidigungsexperte, hat den Aufruf nicht unterschrieben. Das Manifest sei | |
„ein genialer Schachzug von Wagenknecht. Darin wird die Schuldfrage | |
vernebelt und der Krieg als Abstraktum attackiert. Gegen Krieg sind ja | |
alle“, sagt er der taz. Schäfer verfasst seit dem 24. Februar 2022 präzise | |
Analysen des Krieges und kritisiert das Nein seiner Partei zu | |
Waffenlieferungen. „Das Manifest“, sagt er, „nimmt fast eine Umkehrung vo… | |
indem es verschwiemelt suggeriert, die Ukraine und der Westen seien schuld. | |
[1][Das ist die Brücke nach rechts.] Deshalb kann auch die AfD dieses | |
Manifest unterstützen.“ | |
Das ist inzwischen auch dem Politikwissenschaftler Johannes Varwick, dem | |
antimilitaristischen Aktivisten Jürgen Grässlin und der Ex-Bischöfin Margot | |
Käßmann aufgefallen: Sie hatten das Papier erst unterzeichnet, distanzieren | |
sich inzwischen aber davon beziehungsweise von Wagenknechts und Schwarzers | |
Aufruf zur Demonstration. | |
## Wagenknecht spricht von Diffamierung | |
Wagenknecht weist den Vorwurf, nach rechts offen zu sein, als Diffamierung | |
zurück. Beifall von der falschen Seite – da könne man nichts machen. Doch | |
Schnittmengen zwischen ihr und der Rechten gab es schon im | |
Flüchtlingsherbst 2015, bei der Skepsis gegen eine angebliche | |
Coronadiktatur und der Verachtung für urbane Eliten. Beim Ukrainekrieg ist | |
die Übereinstimmung nun besonders groß. | |
Rückblende, Bundestag, September 2022: Wagenknecht hält der Ampel vor, | |
„einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun zu brechen“. | |
Sie fordert russisches Gas für die deutsche Wirtschaft und den Ausstieg | |
Berlins aus den Sanktionen gegen Moskau. Die AfD klatscht, Teile der | |
Linksfraktion auch – eine Art Querfront der Claqueure im Parlament. Selten | |
hat eine Fünfminutenrede im Bundestag solches Aufsehen erregt. Gekonnt | |
mixte die 53-Jährige ernst zu nehmende Kritik am Krisenmanagement der Ampel | |
mit rechtspopulistischen Opfer-Täter-Verdrehungen. | |
Deutschland hätte, folgt man Wagenknecht, nach Putins Überfall auf die | |
Ukraine am 24. Februar 2022 am besten gar nichts getan. Es hätte weiter für | |
Milliarden Gas und Öl bei Putin kaufen, die Sanktionen des Westens | |
unterlaufen und keine Waffen liefern sollen. So, als wäre nichts passiert. | |
„Wagenknecht will die Ukraine, die überfallen worden ist, im Stich lassen. | |
Das ist mit einer linken Überzeugung unvereinbar“, sagt Paul Schäfer, der | |
Linke. | |
## Auch Lafontaine hat wohl genug | |
Wagenknecht hält Putin zwar routiniert den völkerrechtswidrigen | |
Angriffskrieg gegen die Ukraine vor. Doch dieser Krieg erscheint nicht nur | |
bei ihr als Effekt eines angeblichen globalen Imperialismus der USA. Oskar | |
Lafontaine beschreibt in seinem Buch „Ami, it’s time to go“ (vertrieben | |
unter anderem von dem rechten Compact-Shop) den Ukrainekrieg als von den | |
USA angezetteltes Ereignis, das mit „dem von den USA organisierten Putsch | |
auf dem Maidan 2014“ begonnen habe. Die Bundesregierung taucht als | |
treudummer „Vasall der aggressiven USA“ auf. | |
So ähnlich klingt es nicht nur bei Rechtsextremen – es gibt auch | |
Berührungspunkte mit Putins Propaganda. Lafontaine und Wagenknecht scheinen | |
auf ein Deutschland zu zielen, das sich aus der EU löst und in Richtung | |
Putin die weiße Fahne hisst. „Es war erklärtes Ziel der USA, ein | |
Zusammengehen der deutschen Technik mit den russischen Rohstoffen zu | |
verhindern“, behauptet Lafontaine. Da blüht ein alter Traum der deutschen | |
Rechten auf: Deutschland, fern vom liberalen Westen, verbrüdert mit dem | |
christlichen, traditionellen Russland. | |
So bewegen sich Wagenknecht und Lafontaine derzeit rasant in Richtung | |
Querfront: antiamerikanisch, russlandaffin und national egoistisch. Einen | |
Echoraum finden diese Töne derzeit vor allem in Ostdeutschland. Die | |
Empörungsunternehmerin Wagenknecht hat ein gutes Gespür für Stimmungen. Es | |
ist ihr mit dieser Mischung aus deutschem Egoismus und Friedensrhetorik | |
gelungen, zum Gesicht des Pazifismus zu werden. Jedenfalls derzeit. | |
Michael Schulze von Glaßer (36), Geschäftsführer der traditionsreichen | |
Deutschen Friedensgesellschaft DfG-VK, wirkt angesichts dessen etwas | |
ratlos. Die DfG-VK hat schon vor zwei Monaten einen – medial spärlich | |
wahrgenommenen – Aufruf verfasst, mit deutlicher Kritik an „der russischen | |
Aggression“. Das Thema Waffenlieferungen haben die 15 Organisationen, die | |
den Aufruf unterschrieben, mangels Konsens ausgeklammert. | |
## Habermas in einem Atemzug mit Wagenknecht | |
Die meisten sind strikt dagegen. Im Manifest von Wagenknecht und Schwarzer | |
vermisst Schulze von Glaßer nicht nur eine klare Abgrenzung nach rechts, | |
sondern auch den „Ausbau humanitärer Hilfe oder die Aufnahme von | |
Kriegsflüchtlingen“. Es gehe dort „nur um Deutschland“. Bedenklich finde | |
er, dass manche junge Leute mittlerweile bei dem Begriff „Friedensbewegung“ | |
eher „an Rechte“ dächten. | |
Paul Schäfer wundert sich über Bekannte von ihm, die Waffenlieferungen an | |
Kyjiw unterstützen – und trotzdem das Manifest unterschrieben haben. Die | |
„Gedankenlosigkeit in der öffentlichen Debatte“ und die „bellizistische | |
Stimmung“, heiße es von jenen Bekannten. [2][Abwägende kritische Stimmen, | |
die für dosierte Waffenlieferungen und Verhandlungspflichten eintreten], | |
wie etwa der Philosoph Jürgen Habermas, werden derzeit leicht überhört. | |
[3][Habermas betonte jüngst die ethischen Pflichten, die mit Waffenexporten | |
verknüpft sind]. Nun wird er oft in einem Atemzug mit Wagenknecht genannt. | |
In der überhitzten Debatte landet bitter nötiger Zweifel und Querdenkertum | |
in einem Topf. | |
Im Umfeld von Kanzler Scholz hält man die mehr als 600.000 Unterschriften | |
für das Manifest für das Signal: „Wir haben Angst.“ Das müsse man ernst | |
nehmen, heißt es. Der Kanzler lehnt das Manifest ab. „Bloß Verhandlungen zu | |
fordern“, mache derzeit keinen Sinn. Scholz’ Ton ist aber moderat. | |
Moralisch hochfahrende Beschimpfungen der UnterzeichnerInnen würden nur die | |
von AfD und Wagenknecht ersehnte Grenze befestigen: dort die „politische | |
Elite“, hier „Volkes Stimme“. | |
Am Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine steht Katja Kipping | |
fröstelnd bei einer Mahnwache vor der russischen Botschaft in Berlin. Sie | |
war zehn Jahre lang Chefin der Linkspartei – und Wagenknechts | |
Gegenspielerin. Als Berliner Sozialsenatorin hat sie dafür gesorgt, dass | |
mehr als 60.000 UkrainerInnen in der Stadt untergebracht wurden. „Russland | |
muss diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beenden und raus aus der | |
Ukraine“, sagt sie. Das ist der Satz, der in dem Manifest fehlt. Ein | |
Kontrapunkt. Klaus Lederer, linker Kultursenator in Berlin, mahnt, dass | |
Linke verstehen müssten, dass es „die Ukraine ohne Waffenlieferungen heute | |
nicht mehr geben würde“. Es fällt feiner Schneeregen. Das Publikum, drei | |
Dutzend Leute, klatscht zaghaft. | |
24 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wagenknecht-und-Schwarzer/!5912913 | |
[2] /Medienecho-auf-die-Friedenspetition/!5912716 | |
[3] /Habermas-zu-SPD-und-Ukrainekrieg/!5849275 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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