# taz.de -- Münchner Sicherheitskonferenz: Schlacht um Frieden | |
> Auf der Sicherheitskonferenz diskutieren Politiker über Auswege aus dem | |
> Ukrainekrieg – ohne Vertreter Russlands. Das erhält auf Demos | |
> Schützenhilfe. | |
Der Sound eines Herzschlags ist schon von Weitem zu hören. Im Stakkato, | |
monoton, einprägend. Der Blick richtet sich dann auf zerbombte Häuser, | |
Menschen, die aus dem Schutt gezogen werden, blutüberströmt. Unter einem | |
Berg zerschossener Hausfassade ragen zwei Kinderbeinchen mit türkisfarbenen | |
Turnschuhen an den Füßen hervor. | |
Die Collage ist Teil einer Ausstellung im Bayerischen Hof zu russischen | |
Kriegsverbrechen. Genau dort, wo von Freitag bis Sonntag die Münchner | |
Sicherheitskonferenz (MSC) tagte. Das Bild, das erzeugt werden soll, ist | |
klar: Pulsierendes Leben wurde und wird barbarisch ausgelöscht. Von Putin, | |
von der russischen Armee, in den vergangenen zwölf Monaten Krieg. Hunderte | |
Kriegsverbrechen, die von den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden | |
untersucht und bestätigt wurden, wurden in der Ausstellung der [1][Victor | |
Pinchuk Foundation] auf einer Landkarte dokumentiert. Die schwer | |
erträglichen Fotos und Video zeigen die Gräueltaten. | |
„Wir wollen nicht schockieren, sondern die Realität abbilden“, sagt Ilona | |
Demchenko, Leiterin der Ausstellung. In [2][Davos beim | |
Weltwirtschaftsforum] wurde sie gezeigt, im EU-Parlament, in New York bei | |
der UN-Vollversammlung. Überall dort, wo politische Entscheider:innen | |
zusammenkommen, sagt Demchenko. So auch bei der Münchner | |
Sicherheitskonferenz. Am Sonntag verabschieden sich der amtierende | |
Vorsitzende der Konferenz [3][Christoph Heusgen] und sein Vorgänger | |
Wolfgang Ischinger persönlich von Demchenko und Oligarch und | |
Stiftungsgründer Victor Pinchuk. | |
Starke emotionale Bilder, Werben um Solidarität, um Durchhaltevermögen, den | |
langen Atem. Mit diesem Tenor eröffnete der ukrainische Präsident Wolodimir | |
Selenski am Freitagmittag die Münchner Sicherheitskonferenz. Eindringlich | |
appellierte er von Kyjiw aus an die in der bayerischen Landeshauptstadt | |
versammelten Staats- und Regierungschefs, die militärische Unterstützung | |
für die Ukraine zu verstärken. „Goliath darf keine Chance haben“, sagte e… | |
„Die Steinschleuder muss noch stärker werden, und zwar jetzt.“ | |
## „Bessere Steinschleuder“ | |
Putins Russland ist der Goliath, die Ukraine David – so das biblische Bild, | |
das sich durch die gesamte Rede Selenskis zog. Die Botschaft: „Wir müssen | |
Goliath besiegen!“ Und er ist tatsächlich zuversichtlich: „Der russische | |
Goliath hat bereits angefangen zu verlieren“ und werde „in jedem Fall in | |
diesem Jahr fallen. Wir können es schaffen.“ Zu einem Sieg der Ukraine gebe | |
es „keine Alternative“. | |
Ein Sieg, der für Selenski vor allem über starke militärische Unterstützung | |
der Verbündeten funktioniert. Dass die Waffenwunschliste der Ukraine gar | |
nicht oder nicht schnell erfüllt wird, wird in München mehr als deutlich. | |
Für Kanzler Olaf Scholz gelten bei den Waffenlieferungen die Grundsätze | |
„Sorgfalt vor Schnellschuss“ und „Zusammenhalt vor Solo-Vorstellung“. | |
Außerdem sei die Unterstützung „so anzulegen, dass wir sie lange | |
durchhalten“. Scholz räumte ein, dass der von den westlichen Staaten | |
eingeschlagene Weg durch „unkartiertes Gelände“ führe. Scholz’ Äußeru… | |
bewegten sich ganz auf der Linie des französischen Präsidenten Emmanuel | |
Macron, der unmittelbar nach ihm auf der Siko sprach. „Die Frage ist, wie | |
kann die Ukraine widerstehen?“ Auch Macron pocht auf eine dauerhafte | |
Unterstützung. Wie auch der britische Premierminister Rishi Sunak forderte | |
er, die Lieferung von Waffen zu intensivieren. Die ukrainischen | |
Streitkräfte müssten in die Lage versetzt werden, in die Gegenoffensive zu | |
kommen. Erst das eröffne die Möglichkeit für Verhandlungen – und zwar „zu | |
Bedingungen, die die Ukraine auswählt“. | |
Von diesem Ansatz hält ein Großteil der Demonstrant:innen am Samstag | |
gar nichts. Auf dem Königsplatz dröhnen Cat Stevens’ „Peace Train“, Mar… | |
Müller-Westernhagens „Freiheit“ und Nenas „99 Luftballons“ aus den Box… | |
Dazwischen wechselt sich eine Kuhglockenkapelle aus der Schweiz mit einer | |
bayerischen Trommeltruppe ab. An einem Stand gibt es Warnwesten mit der | |
Aufschrift „Nein zur Impfpflicht“ und „Nehmt die Masken ab!“-Aufkleber. | |
Während im Bayerischen Hof US-Vizepräsidentin Kamala Harris Russland | |
vorwirft, in der Ukraine „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu begehen, | |
sammeln sich zeitgleich einen Fußweg von rund 15 Minuten entfernt | |
„Friedensfreund:innen“ ganz eigener Provenienz: ein Bündnis von Gruppen aus | |
der Coronaleugner:innen- und der sogenannten Querdenken-Szene, die für sich | |
inzwischen den Ukrainekrieg zum neuen Aktionsfeld auserkoren haben. | |
## „Ami go home“ | |
Klassizistisch umrahmt von der Glyptothek im Norden und der Antikensammlung | |
im Süden wehen Weiße-Taube-auf-blauem-Hintergrund-Friedens- neben | |
Deutschlandfahnen. Nicht wenige Russlandfahnen sind ebenfalls zu sehen, | |
ebenso „Ami go Home“-Transparente des Rechtsaußenmagazins Compact. Rund | |
10.000 Menschen sind gekommen, um sich die Reden des | |
Ex-Linken-Parlamentariers und Musikmillionärs Diether Dehm sowie des | |
früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Kleinstparteigründers | |
Jürgen Todenhöfer anzuhören. | |
Die Bühne, die vor den Propyläen aufgebaut ist, ziert ein Banner mit der | |
Aufschrift „Macht Frieden!“. An wen sich das richtet, daran lassen sowohl | |
Todenhöfer als auch Dehm keinen Zweifel: nicht an Russland. Für beide, wie | |
auch für alle anderen auf dem Platz, ist klar, wer für den Ukrainekrieg | |
eigentlich verantwortlich ist: die Nato im Allgemeinen und die USA im | |
Besonderen, deren Vasall Deutschland sei. Das Pentagon habe, so verkündet | |
Dehm, den Krieg „auf dem Rücken Europas“ mit Hilfe von „ukrainischen | |
Killerbanden mit SS-Symbolen“ vorbereitet. | |
Dehm gehört zum minoritären Wagenknecht-Lager in der Linkspartei, gegen ihn | |
läuft ein Parteiausschlussverfahren. Hier in München wird er umjubelt. Das | |
liegt auch daran, dass er nicht nur Putin verteidigt, sondern | |
zielgruppenorientiert ebenso „die Freiheit, alternative Meinungen zu den | |
Coronadiktaten zu sagen“. Nachdem er dazu aufgerufen hat, am kommenden | |
Samstag zur Wagenknecht-Schwarzer-Demonstration vor dem Brandenburger Tor | |
zu kommen, fordert Dehm am Ende seiner Rede dazu auf, gemeinsam sein | |
neuestes Lied zu singen – und aus tausenden Kehlen erklingt: „Ami, go | |
home“. Das ist das, was alle hier verbindet. | |
Anders als Dehm lässt der nachfolgende Todenhöfer, der zu den | |
Erstunterzeichner:innen des Schwarzer-Wagenknecht-Manifests gehört, | |
immerhin nicht unerwähnt, wer wen angegriffen hat. Einen knappen Satz in | |
seiner fast 40-minütigen Rede verliert er dazu: „Wir sind ganz | |
selbstverständlich gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine“, sagt er – | |
um direkt hinzuzufügen: „Aber wir sind auch gegen diejenigen, die diesen | |
Krieg bewusst provoziert haben.“ Und damit es auch jede:r versteht: „Der | |
Westen wollte diesen Krieg.“ Es ginge nur darum, „Russland fertigzumachen�… | |
Auf Putin lässt hier niemand etwas kommen. | |
„Es ist ein sehr guter Auftakt für den Friedensfrühling in Deutschland“, | |
schwärmt Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer in eine Kamera. Elsässer | |
hatte zuvor bereits an einer AfD-Demo mit knapp 300 Teilnehmer:innen | |
auf dem nahegelegenen Karl-Stützel-Platz teilgenommen. Nun freut er sich, | |
dass er und seine extrem rechten Kamerad:innen auch auf dem Königsplatz | |
gern gesehen sind. Schließlich verstehen sich die Versammelten als | |
„lagerübergreifend“, wie einer Veranstalter von der Bühne herab verkünde… | |
Parallel zum „Querdenken“-Event haben sich auf dem Odeonsplatz Menschen | |
versammelt, die nur Empörung für solche Töne übrig haben: Ukrainer:innen | |
und deren Unterstützer:innen, die gegen Putins Angriffskrieg | |
protestieren. Der Platz vor der Feldherrnhalle ist geschickt gewählt, liegt | |
er doch unmittelbar neben dem internationalen Pressezentrum der MSC. Etwa | |
1.500 Menschen sind gekommen, die meisten mit Fahnen, Tüchern oder Mützen | |
in den ukrainischen Landesfarben Blau-Gelb. Mit dabei sind auch mehrere | |
Bundestagsabgeordnete: die Grünen Anton Hofreiter und Jamila Schäfer, die | |
FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sowie Roderich Kiesewetter | |
und Florian Hahn von der Union. | |
Zu Beginn der Kundgebung wird gemeinsam die ukrainische Nationalhymne | |
gesungen. Etliche Kinder halten Schilder mit der Aufschrift „Arm Ukraine | |
Now“ in die Höhe. „Ukrainische Armee + deutsche Waffen = Sieg für Ukraine… | |
ist auf Plakaten zu lesen. Ein ukrainischer Abgeordneter heizt mit | |
„Freedom, Freedom, Freedom“-Rufen die Menge an – um schließlich damit zu | |
enden: „Putin ist ein Killer. Er wird seinen Preis bezahlen.“ Jubel folgt | |
aus der Menge. Wer mit einzelnen Teilnehmer:innen spricht, bekommt auch | |
immer wieder die bange Frage gestellt: Wie lange wird die Unterstützung des | |
Westens andauern, wenn der Krieg noch lange, möglicherweise mehrere Jahre | |
dauert? „Ihr werdet bald vergessen, dass in der Ukraine Frauen | |
vergewaltigt, Menschen gefoltert oder Kinder verschleppt werden“, sagte | |
eine Frau mit dem traditionellen kranzförmigen ukrainischen Blumenschmuck | |
auf dem Kopf. | |
Die ersten Redebeiträge sind gerade vorbei, als es auf einmal hitzig wird. | |
Direkt an der Ukraine-Soli-Demo leitet die Polizei die traditionelle | |
Anti-Siko-Demonstration des „Aktionsbündnisses gegen die | |
Nato-Sicherheitskonferenz“ vorbei. Der Zug ist ein Sammelsurium der linken | |
und friedensbewegten Szene. Pax Christi ist dabei, Aktivist:innen für | |
ein freies Kurdistan, Gewerkschaften, Mitglieder der Linkspartei natürlich, | |
feministische und antifaschistische Organisationen unterschiedlichster | |
Colour. Was sie eint, ist ihre Ablehnung der Nato, sie sind per se gegen | |
Waffenlieferungen, fordern Frieden jetzt und sofort – und vor allem | |
Verhandlungen. | |
Die Pro-Ukraine-Aktivist:innen sind zahlenmäßig deutlich weniger, dafür | |
umso lauter. „Lumpenpazifisten, geht zum Putin“ und „Ihr unterstützt | |
Terroristen“, dröhnt es wütend den linken Gruppen entgegen. | |
Faschistenfreunde nennen sie sie. Aber auch die linken Demonstrant:innen | |
zeigen ihre Wut. So kommt mitten aus dem Demo-Zug ein Mann mit | |
Schiebermütze auf eine junge Frau zugerannt, die sich am Straßenrand mit | |
einer ukrainischen Flagge in die Sonne gestellt hat. „USA ist Nato. Nato | |
ist Krieg“, schreit er die Frau an. „Wir wollen leben“, sagt sie. Dann | |
reckt er drohend die Faust und verschwindet in der Menge des | |
Protestmarsches. | |
Beide Seiten wollen Frieden. Doch was das konkret bedeutet, dazwischen | |
stehen nicht nur Absperrgitter und Polizist:innen, sondern Welten. Die | |
Ukrainer:innen und ihre Unterstützer:innen fordern mehr und | |
schwerere Waffen, hoffen auf einen Sieg über Russland. Und die anderen? | |
„Verhandlungen und humanitäre Hilfe“, sagt eine Lehrerin, die ihren Namen | |
nicht nennen will. Auf der Anti-Siko-Demo trägt sie ein Schild mit einer | |
Friedenstaube um den Hals, in der Hand hält sie eine Pace-Flagge. Auf die | |
Bemerkung, dass es humanitäre Hilfe doch gebe und das Problem mit | |
Verhandlungen sei, dass Putin diese nicht wolle, entgegnet sie, dass man | |
davon ja gar nichts hören würde. „Es geht hier doch nur um Waffen, mehr | |
nicht.“ | |
## Wiederaufbau | |
Um für genau diese andere Hilfe zu werben, ist Lena Koszarny nach München | |
gekommen. Während Scholz und Macron das Publikum auf Solidarität mit der | |
Ukraine – vor allem militärisch – einschwören, sitzt sie gegenüber dem | |
Bayerischen Hof und wirbt für ihr Unternehmen, eine | |
Privat-Equity-Gesellschaft, die in ukrainische Technologieunternehmen | |
investiert. Seit der Krieg in ihrem Land tobt, schrecken Investoren zurück. | |
„Dabei brauchen wir auch wirtschaftliche Stabilität, um gegen Russland zu | |
bestehen“, sagt Koszarny. Militärische Hilfe allein wird die Ukraine nicht | |
wieder aufbauen. Sie warnt vor einem „brain drain“, einem Verlust von gut | |
ausgebildeten Arbeitskräften. Und davor, dass mit dem Wiederaufbau ihres | |
Landes nicht bis zum Ende des Krieges gewartet werden kann. „Wir brauchen | |
Risikogarantien“, sagt Koszarny. Damit meint sie „Werkzeuge“, die | |
Investoren animieren sollen zu investieren und ihnen die Angst vor | |
finanziellen Verlusten nehmen. | |
Die Privatwirtschaft spiele eine entscheidende Rolle beim Thema | |
Wiederaufbau, sagt sie und hofft, dass die deutsche Bundesregierung und | |
dort das Entwicklungsministerium sich für solche Garantien einsetzen. Auch | |
Andriy Vadatursky, Chef von Nibulon, einem der größten ukrainischen | |
Getreidehersteller und -exporteure, fordert eine solche Risikominimierung. | |
Die Ukraine könne Ernährungssicherheit global gewähren, wenn man | |
Unternehmen wie seines nicht allein lasse. Und: Russland hätte kein | |
Interesse daran, diese Aufgabe zu übernehmen. „Niemand weiß, wie viel Zeit | |
wir noch haben“, sagt Vadatursky. Was er aber weiß, ist, dass es bei den | |
Getreideexporten zu deutlichen Einbrüchen kommen wird, wenn der Krieg noch | |
sehr lange andauert. Für die Ernten 2024 und 2025 hat er keine gute | |
Prognose. | |
Von solchen Überlegungen scheint es, wollen die Demonstrant:innen | |
nichts wissen. Der Protestzug der Anti-Siko-Demo ist mittlerweile am | |
Marienplatz angekommen. Auf der Bühne vor dem Neuen Rathaus steht Claus | |
Schreer vor einem Banner mit der Aufschrift „Verhandeln statt schießen!“. | |
Der mittlerweile 84-Jährige ist so etwas wie eine Institution der | |
Friedensbewegung. Bereits als junger Kriegsdienstverweigerer war er beim | |
ersten Münchner Ostermarsch 1961 dabei, seit 2002 organisiert er die | |
Demonstration gegen das Spektakel im Bayerischen Hof. „Krieg darf kein | |
Mittel sein“, sagt Schreer. Er fordert einen sofortigen Waffenstillstand, | |
das Ende aller Waffenlieferungen, Schluss mit der Aufrüstung der Nato und | |
die Rückkehr zu internationaler Zusammenarbeit. | |
Knapp 3.000 Menschen haben sich auf dem Marienplatz versammelt – deutlich | |
weniger als bei der „Querdenken“-Demo. Für eine Antwort auf die Frage, wie | |
er das findet, bleibt Schreer an diesem Tag keine Zeit. „Furchtbar“ sei | |
das, sagen andere Anti-Siko-Leute. Das einzige Positive: „Zum Glück sind | |
die ja nicht hier.“ | |
Dann betritt die Hauptrednerin die Bühne: Sevim Dağdelen. Die | |
Linken-Bundestagsabgeordnete, die wie Dehm zum Wagenknecht-Lager zählt, | |
sprach auch bereits auf der Anti-Siko-Demo im vergangenen Jahr. Vor einem | |
Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Kriegskurs der Nato-Staaten!“ | |
bezichtigte sie damals die USA, mit ihrer Warnung vor einem russischen | |
Einmarsch in die Ukraine eine „Lügenkampagne der CIA“ zu verbreiten. Und | |
von der Ukraine forderte sie, endlich ihre „Provokationen“ zu beenden. Das | |
war fünf Tage vor dem russischen Überfall. | |
An ihrer Weltsicht hat sich auch fast ein Jahr nach Kriegsbeginn nichts | |
geändert. Die Sicherheitskonferenz ist für sie bloß eine „Kriegskonferenz�… | |
der Ukrainekrieg ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland. In | |
Wahrheit gehe es ja gar nicht um die Freiheit der Ukraine, sondern um das | |
Befördern deren autokratisch-nationalistischen Kampfes gegen Russland. | |
Kritische Töne Richtung Putin hat sie nicht. Dafür geht Dağdelen die | |
Bundesregierung mächtig an, insbesondere die grüne Außenministerin Annalena | |
Baerbock. Sie und andere hätten gar kein Interesse daran, den Krieg zu | |
beenden, sondern „die gelangweilte Bourgeoisie hat Sehnsucht nach der | |
Apokalypse“. Es sind Sprüche, die ankommen. Die Demonstrant:innen – | |
viele mit „Stop Ceta“-Buttons, mit Pace-Schals, Kirchentag und Ostermarsch | |
erprobt, klatschen begeistert, rufen „Bravo, bravo“. Und selbstverständlich | |
ruft Dağdelen zur Wagenknecht-Schwarzer-Demo am nächsten Samstag auf. | |
Nicht ungenutzt lässt sie auch die Steilvorlage, die ihr der ukrainische | |
Vizeregierungschef Olexander Kubrakow tags zuvor 500 Meter entfernt im | |
Bayerischen Hof geliefert hat. [4][Kubrakow hatte am Freitagabend von den | |
westlichen Verbündeten die Lieferung von Streumunition und | |
Phosphor-Brandwaffen ins Spiel gebracht.] Wie Russland wolle auch sein Land | |
diese „Art von Kampfmitteln“ nutzen, sagte er. „Warum können wir sie nic… | |
nutzen? Es ist unser Staatsgebiet“, sagte er. | |
Kubrakows völkerrechtlich hochproblematische Forderung hat auf der Siko für | |
einige Irritationen gesorgt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erteilte | |
ihr umgehend eine Absage: „Wir liefern Artillerie und andere Arten von | |
Waffen, aber keine Streubomben“, sagte er. Auch Baerbock ließ an ihrer | |
Ablehnung keinen Zweifel. Doch während die Außenministerin am Samstag auf | |
Nachfrage eindeutig auf das Völkerrecht verweist, suggeriert Dağdelen vor | |
den Anti-Siko-Demonstrant:innen, dass die Bundesregierung zur Verteidigung | |
der Ukraine zu allem bereit wäre. Im Publikum wird die Nachricht von der | |
Streumunition-Forderung aufgefasst wie ein Offenbarungseid der Ampel. Denn | |
sie entspricht nur allzu perfekt ihren Vorstellungen einer vermeintlichen | |
„Kriegstreiberkoalition“. | |
Dem Auftreten der Bundesregierung auf der Siko entspricht das nicht. So | |
vermied Kanzler Olaf Scholz bei seinem Auftritt am Freitag jedes unpassende | |
Säbelrasseln. „Wir tun gut daran, alle Konsequenzen unseres Handels | |
sorgfältig abzuwägen und alle wichtigen Schritte eng abzustimmen unter | |
Bündnispartnern“, sagte er. Zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland | |
dürfe es keinesfalls kommen. „Die Balance zwischen bestmöglicher | |
Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation | |
werden wir auch weiterhin wahren“, versprach der Kanzler. | |
Mit Blick auf die bundesdeutsche Bevölkerung sagte Scholz, er verstehe, | |
„wenn einige bei uns in Deutschland Sorgen haben und unsere Entscheidungen | |
hinterfragen“. Aber die Waffenlieferungen an die Ukraine würden nicht den | |
Krieg in der Ukraine verlängern, sondern dienten dem Gegenteil: „Je früher | |
Präsident Putin einsieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht | |
erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf | |
Rückzug russischer Eroberungstruppen“, sagte Scholz. | |
Frankreichs Präsident Macron unterstützt den Kurs. Aber: Er rief auch dazu | |
auf, in die Zukunft zu schauen: „Bereiten wir auch den Frieden vor“, sagte | |
er. „Keiner von uns wird die Geografie von Russland verändern, es wird | |
immer auf europäischem Boden liegen.“ Er glaube nicht an einen | |
Regimewechsel in Moskau. Das bedeute, es werde „keinen dauerhaften und | |
vollständigen Frieden auf unserem Kontinent geben, wenn es uns nicht | |
gelingt, uns der Frage Russlands zu stellen, mit klarem Verstand und ohne | |
jede Selbstgefälligkeit.“ | |
Aber von dem, was auf der Siko besprochen wird, bekommen die | |
Anti-Siko-Aktivist:innen nur wenig mit. So ist es bei ihnen kein Thema, | |
dass Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi kurz vor Beginn ihrer Demo am | |
Samstagmittag einen Friedensplan seines Landes angekündigt hat. „Wir werden | |
etwas vorlegen, und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung | |
der Ukraine-Krise“, sagte Wang Yi. „Wir werden auf der Seite des Friedens | |
und des Dialoges standfest stehen.“ Was das konkret bedeutet, blieb | |
allerdings offen. Gleichwohl begrüßte die deutsche Außenministerin Baerbock | |
erst einmal die Initiative. Es sei gut, wenn China „eine Verantwortung | |
sieht, für den Weltfrieden einzustehen“, sagte sie. „Wenn man das ganze | |
Jahr für Frieden arbeitet, muss man jede Chance auf Frieden nutzen.“ | |
Nach fast fünf Stunden neigt sich die Anti-Siko-Kundgebung dem Ende zu. | |
Geklebte Friedenstauben liegen am Boden, die Pace-Flaggen werden | |
eingerollt. Die Ukrainer:innen und ihre Unterstützer:innen dagegen | |
feiern sich geradezu am Odeonsplatz. Von schlechter Stimmung ist nichts | |
spüren. Eher von starkem Zusammenhalt in furchtbaren Zeiten. | |
Diesen Eindruck will auch Demchenko den Besucher:innen ihrer | |
Ausstellung mitgeben. Neben der Collage mit den Terrorbildern läuft ein | |
weiteres Video in der Ausstellung im Bayerischen Hof: Zwei Kinder, Bruder | |
und Schwester, laufen Anfang Januar durch das befreite Cherson. Das Mädchen | |
hüpft über den Gehweg. „Wer die Ukraine nicht liebt, soll zur Hölle | |
fahren“, singen beide. Wie lange der Krieg noch dauern wird, dafür hat auch | |
Ausstellungsleiterin Demchenko keine Prognose. Aber: „Wir haben Hoffnung“, | |
sagt sie. | |
19 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://pinchukfund.org/en/ | |
[2] /Weltwirtschaftsforum-in-Davos/!5906137 | |
[3] /Sicherheitskonferenz-Chef-ueber-Ukraine/!5912828 | |
[4] /Muenchner-Sicherheitskonferenz/!5916886 | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Annalena Baerbock | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Wladimir Putin | |
Ukraine-Konflikt | |
Olaf Scholz | |
Emmanuel Macron | |
Sicherheitskonferenz | |
Großbritannien | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Sahra Wagenknecht | |
Thüringen | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Sahra Wagenknecht | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Sicherheitskonferenz | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
München streicht Zuschüsse: Kein Geld für Friedenskonferenz | |
Die Münchner Friedenskonferenz ist der Stachel im Fleisch der | |
Sicherheitskonferenz. Doch künftig soll sie ohne Zuschüsse der Stadt | |
stattfinden. | |
Großbritanniens Bündnisdiplomatie: Im Westen was Neues | |
Rishi Sunak beweist mit dem Verteidigungsbündnis AUKUS, dass er global | |
denkt. Deutschland hat in dieser Hinsicht einiges an Aufholarbeit zu | |
leisten. | |
Kollaboration mit Russen in der Ukraine: Stechender Schmerz | |
Auch nach der Befreiung gibt es in der Ukraine viele Menschen, die für die | |
russische Armee sind. Die Ärztin Natalja aus der Region Charkiw mag das | |
nicht hinnehmen. | |
Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Konkurrenz um humanitäre Hilfe | |
11,9 Milliarden Euro bekam die Ukraine 2022 für humanitäre Hilfe. Noch | |
wurde bei anderen Ländern nicht gekürzt, doch die Sorge ist groß. | |
Kundgebung „Aufstand für Frieden“: Lasst mich bloß in Frieden | |
Mehrere zehntausend Menschen sind dem Aufruf von Schwarzer und Wagenknecht | |
gefolgt. Friedensbewegte vereinigen sich mit der Querdenken-Szene. | |
Halle für „Aschermittwoch“ überlassen: Stadt lässt Rechtsextreme feiern | |
Das Thüringer Ronneburg überlässt Rechtsradikalen eine städtische Halle für | |
eine Aschermittwochsfeier. Der Landesinnenminister ist entsetzt. | |
Friedensdemos am Wochenende: Rechtsaußen bleibt draußen | |
Am Wochenende finden zahlreiche Demos gegen den Ukrainekrieg statt. Bei | |
manchen mischen Rechte mit. Doch viele Veranstalter grenzen sich klar ab. | |
Rechte suchen Nähe zu Wagenknecht: Sehnsucht nach der Querfront | |
Der Aufruf zur Friedenskundgebung von Wagenknecht zieht auch Rechtsextreme | |
an. Sie hoffen auf einen Schulterschluss mit linken Kräften – mal wieder. | |
Chinas Friedensplan für die Ukraine: Zweifelhafter Vermittler | |
China fährt im Ukrainekrieg eine Doppelstrategie: loyal zu Russland, keine | |
direkte Einmischung. Die USA glauben, dass Peking bald Waffen liefern | |
könnte. | |
Iran bei der Münchner Sicherheitskonferenz: Exil-Opposition nicht vergessen | |
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz waren Kritiker*innen des Irans | |
vertreten. Zeit für Gespräche hatte die deutsche Regierung nicht. Ein | |
Fehler? | |
+++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Biden besucht Kyjiw | |
US-Präsident Biden besucht auf dem Weg nach Warschau Selenski in Kyjiw. Die | |
EU-Außenminister planen das zehnte Sanktionspaket gegen den Aggressor. | |
Repression in Russland: Des Menschseins beraubt | |
Russlands Repressionsapparat nimmt den Menschen die Empathie. Anteilnahme | |
für die ukrainischen Opfer zeigt sich nur im Kleinen. | |
Krieg in der Ukraine: Im Jahr eins der Zeitenwende | |
Die Welt kann im Kampf gegen Russland nicht einlenken. Auf der | |
Sicherheitskonferenz geht es darum, möglichst wenig Fehler zu machen. |