| # taz.de -- Münchner Sicherheitskonferenz: Schlacht um Frieden | |
| > Auf der Sicherheitskonferenz diskutieren Politiker über Auswege aus dem | |
| > Ukrainekrieg – ohne Vertreter Russlands. Das erhält auf Demos | |
| > Schützenhilfe. | |
| Der Sound eines Herzschlags ist schon von Weitem zu hören. Im Stakkato, | |
| monoton, einprägend. Der Blick richtet sich dann auf zerbombte Häuser, | |
| Menschen, die aus dem Schutt gezogen werden, blutüberströmt. Unter einem | |
| Berg zerschossener Hausfassade ragen zwei Kinderbeinchen mit türkisfarbenen | |
| Turnschuhen an den Füßen hervor. | |
| Die Collage ist Teil einer Ausstellung im Bayerischen Hof zu russischen | |
| Kriegsverbrechen. Genau dort, wo von Freitag bis Sonntag die Münchner | |
| Sicherheitskonferenz (MSC) tagte. Das Bild, das erzeugt werden soll, ist | |
| klar: Pulsierendes Leben wurde und wird barbarisch ausgelöscht. Von Putin, | |
| von der russischen Armee, in den vergangenen zwölf Monaten Krieg. Hunderte | |
| Kriegsverbrechen, die von den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden | |
| untersucht und bestätigt wurden, wurden in der Ausstellung der [1][Victor | |
| Pinchuk Foundation] auf einer Landkarte dokumentiert. Die schwer | |
| erträglichen Fotos und Video zeigen die Gräueltaten. | |
| „Wir wollen nicht schockieren, sondern die Realität abbilden“, sagt Ilona | |
| Demchenko, Leiterin der Ausstellung. In [2][Davos beim | |
| Weltwirtschaftsforum] wurde sie gezeigt, im EU-Parlament, in New York bei | |
| der UN-Vollversammlung. Überall dort, wo politische Entscheider:innen | |
| zusammenkommen, sagt Demchenko. So auch bei der Münchner | |
| Sicherheitskonferenz. Am Sonntag verabschieden sich der amtierende | |
| Vorsitzende der Konferenz [3][Christoph Heusgen] und sein Vorgänger | |
| Wolfgang Ischinger persönlich von Demchenko und Oligarch und | |
| Stiftungsgründer Victor Pinchuk. | |
| Starke emotionale Bilder, Werben um Solidarität, um Durchhaltevermögen, den | |
| langen Atem. Mit diesem Tenor eröffnete der ukrainische Präsident Wolodimir | |
| Selenski am Freitagmittag die Münchner Sicherheitskonferenz. Eindringlich | |
| appellierte er von Kyjiw aus an die in der bayerischen Landeshauptstadt | |
| versammelten Staats- und Regierungschefs, die militärische Unterstützung | |
| für die Ukraine zu verstärken. „Goliath darf keine Chance haben“, sagte e… | |
| „Die Steinschleuder muss noch stärker werden, und zwar jetzt.“ | |
| ## „Bessere Steinschleuder“ | |
| Putins Russland ist der Goliath, die Ukraine David – so das biblische Bild, | |
| das sich durch die gesamte Rede Selenskis zog. Die Botschaft: „Wir müssen | |
| Goliath besiegen!“ Und er ist tatsächlich zuversichtlich: „Der russische | |
| Goliath hat bereits angefangen zu verlieren“ und werde „in jedem Fall in | |
| diesem Jahr fallen. Wir können es schaffen.“ Zu einem Sieg der Ukraine gebe | |
| es „keine Alternative“. | |
| Ein Sieg, der für Selenski vor allem über starke militärische Unterstützung | |
| der Verbündeten funktioniert. Dass die Waffenwunschliste der Ukraine gar | |
| nicht oder nicht schnell erfüllt wird, wird in München mehr als deutlich. | |
| Für Kanzler Olaf Scholz gelten bei den Waffenlieferungen die Grundsätze | |
| „Sorgfalt vor Schnellschuss“ und „Zusammenhalt vor Solo-Vorstellung“. | |
| Außerdem sei die Unterstützung „so anzulegen, dass wir sie lange | |
| durchhalten“. Scholz räumte ein, dass der von den westlichen Staaten | |
| eingeschlagene Weg durch „unkartiertes Gelände“ führe. Scholz’ Äußeru… | |
| bewegten sich ganz auf der Linie des französischen Präsidenten Emmanuel | |
| Macron, der unmittelbar nach ihm auf der Siko sprach. „Die Frage ist, wie | |
| kann die Ukraine widerstehen?“ Auch Macron pocht auf eine dauerhafte | |
| Unterstützung. Wie auch der britische Premierminister Rishi Sunak forderte | |
| er, die Lieferung von Waffen zu intensivieren. Die ukrainischen | |
| Streitkräfte müssten in die Lage versetzt werden, in die Gegenoffensive zu | |
| kommen. Erst das eröffne die Möglichkeit für Verhandlungen – und zwar „zu | |
| Bedingungen, die die Ukraine auswählt“. | |
| Von diesem Ansatz hält ein Großteil der Demonstrant:innen am Samstag | |
| gar nichts. Auf dem Königsplatz dröhnen Cat Stevens’ „Peace Train“, Mar… | |
| Müller-Westernhagens „Freiheit“ und Nenas „99 Luftballons“ aus den Box… | |
| Dazwischen wechselt sich eine Kuhglockenkapelle aus der Schweiz mit einer | |
| bayerischen Trommeltruppe ab. An einem Stand gibt es Warnwesten mit der | |
| Aufschrift „Nein zur Impfpflicht“ und „Nehmt die Masken ab!“-Aufkleber. | |
| Während im Bayerischen Hof US-Vizepräsidentin Kamala Harris Russland | |
| vorwirft, in der Ukraine „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu begehen, | |
| sammeln sich zeitgleich einen Fußweg von rund 15 Minuten entfernt | |
| „Friedensfreund:innen“ ganz eigener Provenienz: ein Bündnis von Gruppen aus | |
| der Coronaleugner:innen- und der sogenannten Querdenken-Szene, die für sich | |
| inzwischen den Ukrainekrieg zum neuen Aktionsfeld auserkoren haben. | |
| ## „Ami go home“ | |
| Klassizistisch umrahmt von der Glyptothek im Norden und der Antikensammlung | |
| im Süden wehen Weiße-Taube-auf-blauem-Hintergrund-Friedens- neben | |
| Deutschlandfahnen. Nicht wenige Russlandfahnen sind ebenfalls zu sehen, | |
| ebenso „Ami go Home“-Transparente des Rechtsaußenmagazins Compact. Rund | |
| 10.000 Menschen sind gekommen, um sich die Reden des | |
| Ex-Linken-Parlamentariers und Musikmillionärs Diether Dehm sowie des | |
| früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Kleinstparteigründers | |
| Jürgen Todenhöfer anzuhören. | |
| Die Bühne, die vor den Propyläen aufgebaut ist, ziert ein Banner mit der | |
| Aufschrift „Macht Frieden!“. An wen sich das richtet, daran lassen sowohl | |
| Todenhöfer als auch Dehm keinen Zweifel: nicht an Russland. Für beide, wie | |
| auch für alle anderen auf dem Platz, ist klar, wer für den Ukrainekrieg | |
| eigentlich verantwortlich ist: die Nato im Allgemeinen und die USA im | |
| Besonderen, deren Vasall Deutschland sei. Das Pentagon habe, so verkündet | |
| Dehm, den Krieg „auf dem Rücken Europas“ mit Hilfe von „ukrainischen | |
| Killerbanden mit SS-Symbolen“ vorbereitet. | |
| Dehm gehört zum minoritären Wagenknecht-Lager in der Linkspartei, gegen ihn | |
| läuft ein Parteiausschlussverfahren. Hier in München wird er umjubelt. Das | |
| liegt auch daran, dass er nicht nur Putin verteidigt, sondern | |
| zielgruppenorientiert ebenso „die Freiheit, alternative Meinungen zu den | |
| Coronadiktaten zu sagen“. Nachdem er dazu aufgerufen hat, am kommenden | |
| Samstag zur Wagenknecht-Schwarzer-Demonstration vor dem Brandenburger Tor | |
| zu kommen, fordert Dehm am Ende seiner Rede dazu auf, gemeinsam sein | |
| neuestes Lied zu singen – und aus tausenden Kehlen erklingt: „Ami, go | |
| home“. Das ist das, was alle hier verbindet. | |
| Anders als Dehm lässt der nachfolgende Todenhöfer, der zu den | |
| Erstunterzeichner:innen des Schwarzer-Wagenknecht-Manifests gehört, | |
| immerhin nicht unerwähnt, wer wen angegriffen hat. Einen knappen Satz in | |
| seiner fast 40-minütigen Rede verliert er dazu: „Wir sind ganz | |
| selbstverständlich gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine“, sagt er – | |
| um direkt hinzuzufügen: „Aber wir sind auch gegen diejenigen, die diesen | |
| Krieg bewusst provoziert haben.“ Und damit es auch jede:r versteht: „Der | |
| Westen wollte diesen Krieg.“ Es ginge nur darum, „Russland fertigzumachen�… | |
| Auf Putin lässt hier niemand etwas kommen. | |
| „Es ist ein sehr guter Auftakt für den Friedensfrühling in Deutschland“, | |
| schwärmt Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer in eine Kamera. Elsässer | |
| hatte zuvor bereits an einer AfD-Demo mit knapp 300 Teilnehmer:innen | |
| auf dem nahegelegenen Karl-Stützel-Platz teilgenommen. Nun freut er sich, | |
| dass er und seine extrem rechten Kamerad:innen auch auf dem Königsplatz | |
| gern gesehen sind. Schließlich verstehen sich die Versammelten als | |
| „lagerübergreifend“, wie einer Veranstalter von der Bühne herab verkünde… | |
| Parallel zum „Querdenken“-Event haben sich auf dem Odeonsplatz Menschen | |
| versammelt, die nur Empörung für solche Töne übrig haben: Ukrainer:innen | |
| und deren Unterstützer:innen, die gegen Putins Angriffskrieg | |
| protestieren. Der Platz vor der Feldherrnhalle ist geschickt gewählt, liegt | |
| er doch unmittelbar neben dem internationalen Pressezentrum der MSC. Etwa | |
| 1.500 Menschen sind gekommen, die meisten mit Fahnen, Tüchern oder Mützen | |
| in den ukrainischen Landesfarben Blau-Gelb. Mit dabei sind auch mehrere | |
| Bundestagsabgeordnete: die Grünen Anton Hofreiter und Jamila Schäfer, die | |
| FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sowie Roderich Kiesewetter | |
| und Florian Hahn von der Union. | |
| Zu Beginn der Kundgebung wird gemeinsam die ukrainische Nationalhymne | |
| gesungen. Etliche Kinder halten Schilder mit der Aufschrift „Arm Ukraine | |
| Now“ in die Höhe. „Ukrainische Armee + deutsche Waffen = Sieg für Ukraine… | |
| ist auf Plakaten zu lesen. Ein ukrainischer Abgeordneter heizt mit | |
| „Freedom, Freedom, Freedom“-Rufen die Menge an – um schließlich damit zu | |
| enden: „Putin ist ein Killer. Er wird seinen Preis bezahlen.“ Jubel folgt | |
| aus der Menge. Wer mit einzelnen Teilnehmer:innen spricht, bekommt auch | |
| immer wieder die bange Frage gestellt: Wie lange wird die Unterstützung des | |
| Westens andauern, wenn der Krieg noch lange, möglicherweise mehrere Jahre | |
| dauert? „Ihr werdet bald vergessen, dass in der Ukraine Frauen | |
| vergewaltigt, Menschen gefoltert oder Kinder verschleppt werden“, sagte | |
| eine Frau mit dem traditionellen kranzförmigen ukrainischen Blumenschmuck | |
| auf dem Kopf. | |
| Die ersten Redebeiträge sind gerade vorbei, als es auf einmal hitzig wird. | |
| Direkt an der Ukraine-Soli-Demo leitet die Polizei die traditionelle | |
| Anti-Siko-Demonstration des „Aktionsbündnisses gegen die | |
| Nato-Sicherheitskonferenz“ vorbei. Der Zug ist ein Sammelsurium der linken | |
| und friedensbewegten Szene. Pax Christi ist dabei, Aktivist:innen für | |
| ein freies Kurdistan, Gewerkschaften, Mitglieder der Linkspartei natürlich, | |
| feministische und antifaschistische Organisationen unterschiedlichster | |
| Colour. Was sie eint, ist ihre Ablehnung der Nato, sie sind per se gegen | |
| Waffenlieferungen, fordern Frieden jetzt und sofort – und vor allem | |
| Verhandlungen. | |
| Die Pro-Ukraine-Aktivist:innen sind zahlenmäßig deutlich weniger, dafür | |
| umso lauter. „Lumpenpazifisten, geht zum Putin“ und „Ihr unterstützt | |
| Terroristen“, dröhnt es wütend den linken Gruppen entgegen. | |
| Faschistenfreunde nennen sie sie. Aber auch die linken Demonstrant:innen | |
| zeigen ihre Wut. So kommt mitten aus dem Demo-Zug ein Mann mit | |
| Schiebermütze auf eine junge Frau zugerannt, die sich am Straßenrand mit | |
| einer ukrainischen Flagge in die Sonne gestellt hat. „USA ist Nato. Nato | |
| ist Krieg“, schreit er die Frau an. „Wir wollen leben“, sagt sie. Dann | |
| reckt er drohend die Faust und verschwindet in der Menge des | |
| Protestmarsches. | |
| Beide Seiten wollen Frieden. Doch was das konkret bedeutet, dazwischen | |
| stehen nicht nur Absperrgitter und Polizist:innen, sondern Welten. Die | |
| Ukrainer:innen und ihre Unterstützer:innen fordern mehr und | |
| schwerere Waffen, hoffen auf einen Sieg über Russland. Und die anderen? | |
| „Verhandlungen und humanitäre Hilfe“, sagt eine Lehrerin, die ihren Namen | |
| nicht nennen will. Auf der Anti-Siko-Demo trägt sie ein Schild mit einer | |
| Friedenstaube um den Hals, in der Hand hält sie eine Pace-Flagge. Auf die | |
| Bemerkung, dass es humanitäre Hilfe doch gebe und das Problem mit | |
| Verhandlungen sei, dass Putin diese nicht wolle, entgegnet sie, dass man | |
| davon ja gar nichts hören würde. „Es geht hier doch nur um Waffen, mehr | |
| nicht.“ | |
| ## Wiederaufbau | |
| Um für genau diese andere Hilfe zu werben, ist Lena Koszarny nach München | |
| gekommen. Während Scholz und Macron das Publikum auf Solidarität mit der | |
| Ukraine – vor allem militärisch – einschwören, sitzt sie gegenüber dem | |
| Bayerischen Hof und wirbt für ihr Unternehmen, eine | |
| Privat-Equity-Gesellschaft, die in ukrainische Technologieunternehmen | |
| investiert. Seit der Krieg in ihrem Land tobt, schrecken Investoren zurück. | |
| „Dabei brauchen wir auch wirtschaftliche Stabilität, um gegen Russland zu | |
| bestehen“, sagt Koszarny. Militärische Hilfe allein wird die Ukraine nicht | |
| wieder aufbauen. Sie warnt vor einem „brain drain“, einem Verlust von gut | |
| ausgebildeten Arbeitskräften. Und davor, dass mit dem Wiederaufbau ihres | |
| Landes nicht bis zum Ende des Krieges gewartet werden kann. „Wir brauchen | |
| Risikogarantien“, sagt Koszarny. Damit meint sie „Werkzeuge“, die | |
| Investoren animieren sollen zu investieren und ihnen die Angst vor | |
| finanziellen Verlusten nehmen. | |
| Die Privatwirtschaft spiele eine entscheidende Rolle beim Thema | |
| Wiederaufbau, sagt sie und hofft, dass die deutsche Bundesregierung und | |
| dort das Entwicklungsministerium sich für solche Garantien einsetzen. Auch | |
| Andriy Vadatursky, Chef von Nibulon, einem der größten ukrainischen | |
| Getreidehersteller und -exporteure, fordert eine solche Risikominimierung. | |
| Die Ukraine könne Ernährungssicherheit global gewähren, wenn man | |
| Unternehmen wie seines nicht allein lasse. Und: Russland hätte kein | |
| Interesse daran, diese Aufgabe zu übernehmen. „Niemand weiß, wie viel Zeit | |
| wir noch haben“, sagt Vadatursky. Was er aber weiß, ist, dass es bei den | |
| Getreideexporten zu deutlichen Einbrüchen kommen wird, wenn der Krieg noch | |
| sehr lange andauert. Für die Ernten 2024 und 2025 hat er keine gute | |
| Prognose. | |
| Von solchen Überlegungen scheint es, wollen die Demonstrant:innen | |
| nichts wissen. Der Protestzug der Anti-Siko-Demo ist mittlerweile am | |
| Marienplatz angekommen. Auf der Bühne vor dem Neuen Rathaus steht Claus | |
| Schreer vor einem Banner mit der Aufschrift „Verhandeln statt schießen!“. | |
| Der mittlerweile 84-Jährige ist so etwas wie eine Institution der | |
| Friedensbewegung. Bereits als junger Kriegsdienstverweigerer war er beim | |
| ersten Münchner Ostermarsch 1961 dabei, seit 2002 organisiert er die | |
| Demonstration gegen das Spektakel im Bayerischen Hof. „Krieg darf kein | |
| Mittel sein“, sagt Schreer. Er fordert einen sofortigen Waffenstillstand, | |
| das Ende aller Waffenlieferungen, Schluss mit der Aufrüstung der Nato und | |
| die Rückkehr zu internationaler Zusammenarbeit. | |
| Knapp 3.000 Menschen haben sich auf dem Marienplatz versammelt – deutlich | |
| weniger als bei der „Querdenken“-Demo. Für eine Antwort auf die Frage, wie | |
| er das findet, bleibt Schreer an diesem Tag keine Zeit. „Furchtbar“ sei | |
| das, sagen andere Anti-Siko-Leute. Das einzige Positive: „Zum Glück sind | |
| die ja nicht hier.“ | |
| Dann betritt die Hauptrednerin die Bühne: Sevim Dağdelen. Die | |
| Linken-Bundestagsabgeordnete, die wie Dehm zum Wagenknecht-Lager zählt, | |
| sprach auch bereits auf der Anti-Siko-Demo im vergangenen Jahr. Vor einem | |
| Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Kriegskurs der Nato-Staaten!“ | |
| bezichtigte sie damals die USA, mit ihrer Warnung vor einem russischen | |
| Einmarsch in die Ukraine eine „Lügenkampagne der CIA“ zu verbreiten. Und | |
| von der Ukraine forderte sie, endlich ihre „Provokationen“ zu beenden. Das | |
| war fünf Tage vor dem russischen Überfall. | |
| An ihrer Weltsicht hat sich auch fast ein Jahr nach Kriegsbeginn nichts | |
| geändert. Die Sicherheitskonferenz ist für sie bloß eine „Kriegskonferenz�… | |
| der Ukrainekrieg ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland. In | |
| Wahrheit gehe es ja gar nicht um die Freiheit der Ukraine, sondern um das | |
| Befördern deren autokratisch-nationalistischen Kampfes gegen Russland. | |
| Kritische Töne Richtung Putin hat sie nicht. Dafür geht Dağdelen die | |
| Bundesregierung mächtig an, insbesondere die grüne Außenministerin Annalena | |
| Baerbock. Sie und andere hätten gar kein Interesse daran, den Krieg zu | |
| beenden, sondern „die gelangweilte Bourgeoisie hat Sehnsucht nach der | |
| Apokalypse“. Es sind Sprüche, die ankommen. Die Demonstrant:innen – | |
| viele mit „Stop Ceta“-Buttons, mit Pace-Schals, Kirchentag und Ostermarsch | |
| erprobt, klatschen begeistert, rufen „Bravo, bravo“. Und selbstverständlich | |
| ruft Dağdelen zur Wagenknecht-Schwarzer-Demo am nächsten Samstag auf. | |
| Nicht ungenutzt lässt sie auch die Steilvorlage, die ihr der ukrainische | |
| Vizeregierungschef Olexander Kubrakow tags zuvor 500 Meter entfernt im | |
| Bayerischen Hof geliefert hat. [4][Kubrakow hatte am Freitagabend von den | |
| westlichen Verbündeten die Lieferung von Streumunition und | |
| Phosphor-Brandwaffen ins Spiel gebracht.] Wie Russland wolle auch sein Land | |
| diese „Art von Kampfmitteln“ nutzen, sagte er. „Warum können wir sie nic… | |
| nutzen? Es ist unser Staatsgebiet“, sagte er. | |
| Kubrakows völkerrechtlich hochproblematische Forderung hat auf der Siko für | |
| einige Irritationen gesorgt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erteilte | |
| ihr umgehend eine Absage: „Wir liefern Artillerie und andere Arten von | |
| Waffen, aber keine Streubomben“, sagte er. Auch Baerbock ließ an ihrer | |
| Ablehnung keinen Zweifel. Doch während die Außenministerin am Samstag auf | |
| Nachfrage eindeutig auf das Völkerrecht verweist, suggeriert Dağdelen vor | |
| den Anti-Siko-Demonstrant:innen, dass die Bundesregierung zur Verteidigung | |
| der Ukraine zu allem bereit wäre. Im Publikum wird die Nachricht von der | |
| Streumunition-Forderung aufgefasst wie ein Offenbarungseid der Ampel. Denn | |
| sie entspricht nur allzu perfekt ihren Vorstellungen einer vermeintlichen | |
| „Kriegstreiberkoalition“. | |
| Dem Auftreten der Bundesregierung auf der Siko entspricht das nicht. So | |
| vermied Kanzler Olaf Scholz bei seinem Auftritt am Freitag jedes unpassende | |
| Säbelrasseln. „Wir tun gut daran, alle Konsequenzen unseres Handels | |
| sorgfältig abzuwägen und alle wichtigen Schritte eng abzustimmen unter | |
| Bündnispartnern“, sagte er. Zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland | |
| dürfe es keinesfalls kommen. „Die Balance zwischen bestmöglicher | |
| Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation | |
| werden wir auch weiterhin wahren“, versprach der Kanzler. | |
| Mit Blick auf die bundesdeutsche Bevölkerung sagte Scholz, er verstehe, | |
| „wenn einige bei uns in Deutschland Sorgen haben und unsere Entscheidungen | |
| hinterfragen“. Aber die Waffenlieferungen an die Ukraine würden nicht den | |
| Krieg in der Ukraine verlängern, sondern dienten dem Gegenteil: „Je früher | |
| Präsident Putin einsieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht | |
| erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf | |
| Rückzug russischer Eroberungstruppen“, sagte Scholz. | |
| Frankreichs Präsident Macron unterstützt den Kurs. Aber: Er rief auch dazu | |
| auf, in die Zukunft zu schauen: „Bereiten wir auch den Frieden vor“, sagte | |
| er. „Keiner von uns wird die Geografie von Russland verändern, es wird | |
| immer auf europäischem Boden liegen.“ Er glaube nicht an einen | |
| Regimewechsel in Moskau. Das bedeute, es werde „keinen dauerhaften und | |
| vollständigen Frieden auf unserem Kontinent geben, wenn es uns nicht | |
| gelingt, uns der Frage Russlands zu stellen, mit klarem Verstand und ohne | |
| jede Selbstgefälligkeit.“ | |
| Aber von dem, was auf der Siko besprochen wird, bekommen die | |
| Anti-Siko-Aktivist:innen nur wenig mit. So ist es bei ihnen kein Thema, | |
| dass Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi kurz vor Beginn ihrer Demo am | |
| Samstagmittag einen Friedensplan seines Landes angekündigt hat. „Wir werden | |
| etwas vorlegen, und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung | |
| der Ukraine-Krise“, sagte Wang Yi. „Wir werden auf der Seite des Friedens | |
| und des Dialoges standfest stehen.“ Was das konkret bedeutet, blieb | |
| allerdings offen. Gleichwohl begrüßte die deutsche Außenministerin Baerbock | |
| erst einmal die Initiative. Es sei gut, wenn China „eine Verantwortung | |
| sieht, für den Weltfrieden einzustehen“, sagte sie. „Wenn man das ganze | |
| Jahr für Frieden arbeitet, muss man jede Chance auf Frieden nutzen.“ | |
| Nach fast fünf Stunden neigt sich die Anti-Siko-Kundgebung dem Ende zu. | |
| Geklebte Friedenstauben liegen am Boden, die Pace-Flaggen werden | |
| eingerollt. Die Ukrainer:innen und ihre Unterstützer:innen dagegen | |
| feiern sich geradezu am Odeonsplatz. Von schlechter Stimmung ist nichts | |
| spüren. Eher von starkem Zusammenhalt in furchtbaren Zeiten. | |
| Diesen Eindruck will auch Demchenko den Besucher:innen ihrer | |
| Ausstellung mitgeben. Neben der Collage mit den Terrorbildern läuft ein | |
| weiteres Video in der Ausstellung im Bayerischen Hof: Zwei Kinder, Bruder | |
| und Schwester, laufen Anfang Januar durch das befreite Cherson. Das Mädchen | |
| hüpft über den Gehweg. „Wer die Ukraine nicht liebt, soll zur Hölle | |
| fahren“, singen beide. Wie lange der Krieg noch dauern wird, dafür hat auch | |
| Ausstellungsleiterin Demchenko keine Prognose. Aber: „Wir haben Hoffnung“, | |
| sagt sie. | |
| 19 Feb 2023 | |
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| [2] /Weltwirtschaftsforum-in-Davos/!5906137 | |
| [3] /Sicherheitskonferenz-Chef-ueber-Ukraine/!5912828 | |
| [4] /Muenchner-Sicherheitskonferenz/!5916886 | |
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| Tanja Tricarico | |
| Pascal Beucker | |
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