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# taz.de -- Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Konkurrenz um humanitäre Hilfe
> 11,9 Milliarden Euro bekam die Ukraine 2022 für humanitäre Hilfe. Noch
> wurde bei anderen Ländern nicht gekürzt, doch die Sorge ist groß.
Bild: In Charkiw werden am 17.02.2023 warme Mahlzeiten an Bedürftige verteilt
Berlin taz | Andere Staaten sicherten der Ukraine im ersten Jahr des Kriegs
11,9 Milliarden Euro [1][als humanitäre Hilfe] zu. Rund ein Viertel der
Summe wurde bereits ausgezahlt – und das zusätzlich zu den über 100
Milliarden an Militär- und sogenannter Budgethilfe, die der Ukraine Support
Tracker des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel auflistet. Wie sehr geht
dies zulasten anderer Regionen der Welt, die ebenfalls dringend auf Hilfe
angewiesen sind?
Im „Global Humanitarian Overview“ rechnen die UN jedes Jahr vor, wie viel
Geld mindestens benötigt wird, um weltweit Menschen in akuten Notlagen mit
dem Allernötigsten zu versorgen. Die Zusagen der Geberstaaten reichen dafür
nie aus – das war schon vor dem Ukrainekrieg so.
2021 baten die Hilfsorganisationen um insgesamt 36,6 Milliarden US-Dollar
und bekamen 26,4 Milliarden. 2022, im ersten Jahr des Ukrainekriegs, lag
der globale Bedarf – ohne jenen der Ukraine – bei 47,1 Milliarden Dollar.
Ohne die Hilfen für die Ukraine flossen dafür 30,1 Milliarden – also rund
4 Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr. Unterm Strich wurde also nicht bei
anderen notleidenden Ländern gekürzt, um der Ukraine zu helfen.
Das Auswärtige Amt etwa verweist darauf, seine Mittel für humanitäre Hilfe
2022 von 2,56 auf 3,2 Milliarden Euro erhöht zu haben. Es seien [2][wegen
des Ukrainekriegs] „keine unmittelbaren Umschichtungen, Umwidmungen,
Kürzungen oder Budgetanpassungen vorgenommen worden“, so ein Sprecher zur
taz. In Regionen wie Syrien oder Jemen sei die Hilfe sogar erhöht worden.
Den Mehrbedarf durch den Ukrainekrieg habe das Auswärtige Amt unter anderem
durch einen Ergänzungshaushalt gedeckt.
## Ukraine von Geberstaaten bevorzugt
Das gilt so nicht für alle Geber. Und fest steht, dass die Ukraine von den
Geberstaaten insgesamt bevorzugt wurde: Sie erhielt 2022 insgesamt 3,3
Milliarden Dollar der zugesagten Gesamtsumme an humanitärer Hilfe, das
waren 78 Prozent der benötigten Summe. Bei keinem anderen Land der Welt ist
die Finanzierungslücke geringer. Für Syrien etwa kamen 2022 gerade 43
Prozent der benötigten Hilfszahlungen zusammen, für Somalia 58 Prozent.
Diese Lücken bedeuten für die Bedürftigen kaum vorstellbare Härten: In
Somalia etwa stehen so im Schnitt statt der erbetenen 78 nur 44 Euro-Cent
pro Person und Tag für Lebensmittelhilfen zur Verfügung. Erschwerend hinzu
kommt, dass durch den Ukrainekrieg die Preise für Getreide, Dünger und
Diesel stark gestiegen sind. Das Geld reichte also für deutlich weniger
Nahrungsmittel als vor Kriegsbeginn.
Zwar konnten durch das sogenannte Schwarzmeer-Abkommen bisher knapp 22
Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine exportiert werden. Doch der
Preisindex für Nahrungsmittel sei auf einem Zehnjahreshoch, so das
UN-Welternährungsprogramm WFP. „Ohne den Krieg würden heute Millionen
Menschen weniger hungern.“
Durch die steigenden Nahrungsmittelpreise musste die [3][Hilfsorganisation
in einigen Ländern] die Verteilung von Nahrungsmitteln kürzen. Im Südsudan
etwa wurden teils Schulspeisungen abgesagt, die oft die einzige Mahlzeit
für die Kinder sind. Allein das WFP bekam 2022 rund 14 Milliarden Dollar,
und damit mehr Geld als je zuvor. Doch gleichzeitig stieg die Zahl der akut
von Hunger betroffenen Menschen 2022 von 283 auf rund 350 Millionen. Die
gestiegenen Zuwendungen könnten mit der sich zuspitzenden Not nicht Schritt
halten, sagt Martin Rentsch vom WFP. „Aber der Krieg hat keine Löcher in
bestimmte Länderetats gerissen, die vorher noch nicht da gewesen wären.“
## Krieg könnte Finanzierungslücke vergrößern
Vielmehr seien „vergessene Krisen“ vor dem Krieg unterfinanziert gewesen
und sind es immer noch. „Wir können aber nicht feststellen, dass Geber ihre
Zuwendungen aus bestimmten Regionen abziehen und sie für die Ukraine
beziehungsweise die humanitären Auswirkungen verwenden“, so Rentsch.
Auch dem Entwicklungspolitik-Verband Venro sind keine solchen Umwidmungen
bekannt. Der erhöhte Bedarf sei durch zusätzliche Mittel für die Ukraine
abgefedert worden. In den nächsten Jahren könne der Krieg die
Finanzierungslücke aber vergrößern, weil in der Folge auch in anderen
Regionen der humanitäre Bedarf gewachsen sei, sagt Janna Völker von
Venro.
Das sieht auch das Entwicklungshilfeministerium BMZ so. „Der Bedarf wird –
auch aufgrund der sich verschärfenden Klimakrise – künftig eher steigen als
abnehmen“, sagt ein Sprecher. Für die Unterstützung der Ukraine brauche es
deshalb deutlich mehr Mittel als bisher geplant, „damit eben nicht zulasten
der Menschen in den Ländern des Globalen Südens umgeschichtet werden muss.“
„Natürlich verschärft sich insgesamt der Druck auf die Geber“, sagt Julian
Bergmann vom German Institute of Development and Sustainability (Idos) in
Bonn. Der Krieg in der Ukraine habe dabei einen doppelten Effekt: Die
rekordträchtigen Lebensmittel- und Energiepreise erhöhten gleichzeitig die
globale Armut und setzten die nationalen Haushalte der Geberländer unter
Druck. „Beides hat sich durch den Krieg verschärft.“ Und weil nicht
vorhersehbar sei, welche Krisen künftig noch dazukommen, „gibt es ein
gewisses Risiko, in Zukunft weniger handlungsfähig zu sein“.
Die EU etwa habe erhebliche Mittel und Kreditgarantien aus ihrem bis 2027
laufenden, „Außenpolitisches Instrument“ (NDICI-Global Europe) genannten
Etat für die Ukraine aufgebracht. Aus demselben Etat wird seit 2021 auch
die Entwicklungshilfe der EU finanziert.
Insgesamt hätten sich die Finanzierungslücken durch die Gleichzeitigkeit
von Krisen schon jetzt verschärft. „Die Sorge, dass der Ukrainekrieg
mittelfristig zulasten der Hilfe für arme Länder gehen kann, ist
begründet.“
Bergmann verweist darauf, dass Geberstaaten sich Teile der Kosten für die
Aufnahme von Geflüchteten als geleistete Entwicklungshilfe anrechnen lassen
können. In Ländern wie Polen, Tschechien oder Deutschland wirkt sich diese
Regel durch die hohe Zahl aufgenommener Ukrainer:innen besonders stark
aus – was theoretisch die Möglichkeit eröffnet, anderswo zu kürzen und
trotzdem eingegangene Selbstverpflichtungen für Entwicklungszusammenarbeit
einzuhalten. Die NGO One schätzt, dass die sogenannten geberinternen
Flüchtlingskosten für die Ukrainer:innen 2022 rund 35 Milliarden Dollar
ausmachen, was etwa einem Fünftel der globalen Entwicklungshilfe
entspricht.
26 Feb 2023
## LINKS
[1] /Wiederaufbau-der-Ukraine/!5887128
[2] /Krieg-in-der-Ukraine/!5913827
[3] /Haushalt-fuer-Entwicklungszusammenarbeit/!5894541
## AUTOREN
Christian Jakob
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