# taz.de -- Cem Özdemir zum Umbau der Landwirtschaft: „Ich habe harte Gegner… | |
> Sein Einfluss sei begrenzt, sagt Bundesagrarminister Cem Özdemir. | |
> Vorzeitig nach Baden-Württemberg wechseln will der Grünenpolitiker | |
> trotzdem nicht. | |
Bild: Cem Özdemir beim Kuscheln im Schweinehaltungsbetrieb im April 2022 in Ni… | |
taz: Herr Özdemir, UmweltschützerInnen haben große Hoffnungen in Sie als | |
ersten grünen Bundesagrarminister seit 16 Jahren gesetzt. Jetzt klagen | |
manche: Ein Jahr nach Ihrem Amtsantritt gehe es kaum einem Tier besser, die | |
Klimaneutralität der Landwirtschaft sei noch nicht einmal in Sicht. Stimmt | |
das? | |
Cem Özdemir: Ich bekomme in diesen Tagen doch viel Lob, angefangen bei | |
strengeren Platzanforderungen für Mastputen über den Umbau der Tierhaltung | |
bis hin zu unserem Wald-Klima-Paket und dem Schutz der Moore, die | |
Treibhausgase speichern. Versäumnisse der letzten 16 Jahre holt man nicht | |
in einem Jahr nach. Den Kritikern sage ich: Der Staatsaufbau der | |
Bundesrepublik Deutschland sieht nicht vor, dass der | |
Bundeslandwirtschaftsminister am Parlament, den Koalitionspartnern, dem | |
Bundesrat und der EU-Kommission vorbei das Recht aushebeln kann. Zum Glück. | |
Ich verstehe ja die Ungeduld vieler, die sagen: „Warum ist das Paradies | |
noch nicht ausgebrochen in jedem Stall, auf jedem Acker?“ Glauben Sie mir: | |
Wir arbeiten dran. (lacht) | |
Sind Sie zu lasch gegenüber der FDP? | |
Wir Grüne sind fest davon überzeugt, dass wir sehr gute Argumente haben. | |
Wir sollten aber nicht vergessen: Das sind andere Parteien auch. Und da wir | |
nun mal nicht alleine regieren, braucht es eben auch Kompromisse, um zum | |
Ziel zu kommen. | |
Die von Ihnen geplanten strengeren Vorschriften betreffen nur wenige Tiere. | |
Was ist zum Beispiel mit den Mastbullen, die so beengt leben, dass sie ihre | |
Nachbarn berühren, wenn sie sich hinlegen? | |
Wir schließen nach und nach die [1][Lücken im Tierschutzrecht]. Das Thema | |
Mindestanforderungen für Rinder ist voraussichtlich 2024 auf der | |
Tagesordnung. Aktuell überarbeiten wir das Tierschutzgesetz. | |
Ihre geplante verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung soll | |
VerbraucherInnen helfen, Produkte aus besseren Ställen zu erkennen. Aber | |
sie soll nur für unverarbeitetes Schweinefleisch im Einzelhandel, und auch | |
da nur für den letzten Lebensabschnitt der Tiere, die Mast, gelten. Das ist | |
lediglich ein kleiner Teil des Marktes, oder? | |
Mehr als die Hälfte [2][des Fleischkonsums geht auf Schweinefleisch | |
zurück], die Mast macht den größten Lebenszyklus aus. Deshalb fangen wir | |
damit an. Da wir mit einer verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung | |
Neuland betreten, muss Brüssel erst einmal grünes Licht geben. Dann können | |
wir die nächsten Schritte gehen, um weitere Lebensphasen wie etwa die | |
Ferkelproduktion, andere Nutztierarten und vor allem auch verarbeitete | |
Fleischprodukte und Absatzkanäle wie die Gastronomie reinzunehmen. Jetzt | |
geht es darum loszulegen, damit wir am Ziel ankommen. Verbraucherinnen und | |
Verbraucher sollen eine echte Wahl für mehr Tierschutz bekommen. Das geht | |
nur, wenn alle Fleischprodukte gekennzeichnet sind. | |
Sie wollen während 4 Jahren mit insgesamt 1 Milliarde Euro LandwirtInnen | |
bezuschussen, die ihre Schweine tierfreundlicher halten. Ist das nicht zu | |
wenig, damit alle 16.900 SchweinehalterInnen ihre Ställe umbauen? | |
Diese Anschubfinanzierung reicht für den Start hin zu einer zukunftsfähigen | |
Tierhaltung. Aber das Geld reicht natürlich nicht, um das Programm auf den | |
gesamten Produktionsprozess und auf alle Tierarten auszuweiten. Darum | |
verhandeln die Koalitionsfraktionen gerade über ein langfristiges | |
Finanzierungsinstrument. Ergebnisse soll es bis Ende März geben, darauf | |
haben wir uns geeinigt. | |
Die [3][Landwirtinnen und Landwirte brauchen Planungs- und | |
Investitionssicherheit], wenn sie in tiergerechte Ställe und mehr Klima- | |
wie Umweltschutz investieren sollen. Das Schöne an meiner Arbeit ist ja, | |
dass ich die Kritik der Umwelt- und Tierschutzseite selbst zitieren kann, | |
weil ich sie in vielen Fragen teile. Ich bitte nur um Geduld. Rom wurde | |
auch nicht an einem Tag erbaut. Vergessen wir nicht: Wir bauen da gerade | |
ein System grundlegend um. | |
Warum ist das so schwer? | |
Ich habe auch harte Gegner, die den Umbau nicht wollen. Die Krise der | |
Tierhaltung in Deutschland trifft ja nicht alle gleichermaßen. Vor allem | |
die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe haut es aus der Kurve. Andere | |
haben sich aber auch sehr gut damit eingerichtet, und die sind sehr | |
wortstark und gut organisiert. Nicht jeder sieht die politische | |
Notwendigkeit, dass auch kleine, familiengeführte Höfe mit tiergerechter | |
Haltung eine Zukunft haben. | |
Wie wollen Sie erreichen, dass die Landwirtschaft insgesamt | |
umweltfreundlicher wird? Sie trägt ja maßgeblich zum Artensterben bei. | |
Dazu braucht es auch den größten Hebel, den wir in der | |
Landwirtschaftspolitik haben. Das ist die Gemeinsame Agrarpolitik, kurz | |
GAP, der Europäischen Union mit ihren milliardenschweren Agrarsubventionen. | |
Ich habe eine GAP geerbt, die noch von der Vorgängerregierung verhandelt | |
war. Aber die nächste GAP muss unsere Handschrift tragen: Wir wollen das | |
System der Direktzahlungen schrittweise auf die Honorierung öffentlicher | |
Leistungen für mehr Nachhaltigkeit umstellen – dafür werbe ich auch in | |
Brüssel. | |
Bislang gibt es Direktzahlungen, die vor allem den Besitz von Land | |
honorieren – weitgehend unabhängig davon, wie umweltfreundlich | |
Landwirtinnen und Landwirte tatsächlich arbeiten. Wenn es nach mir geht, | |
binden wir spätestens in der Förderperiode ab 2027 Zahlungen an die | |
Kriterien Klima-, Umwelt-, Tier- und Artenschutz. Wir werden aber wo immer | |
möglich auch jetzt schon Anpassungen in der laufenden Förderperiode machen. | |
Brüssel hat uns die Möglichkeit gegeben, jährlich nachzubessern. | |
Muss Deutschland die Tierhaltung halbieren, um das im Klimaschutzgesetz | |
vorgegebene Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen? | |
Ich glaube, dass wir einen guten Weg gefunden haben in Deutschland. 8 | |
Prozent der Gesamtemissionen kommen aus der Landwirtschaft. Der größte | |
Teil, über 40 Prozent, sind Emissionen aus der Tierhaltung. Der | |
Fleischkonsum geht kontinuierlich zurück. Jetzt geht es darum, dass wir die | |
Tierzahlen in Einklang bringen mit dem Fleischverzehr – und mit der Fläche. | |
Deshalb wollen wir weniger Tiere, aber die sollen besser gehalten werden. | |
Die Zuschüsse für den Stallumbau soll es entsprechend für | |
landwirtschaftliche Betriebe geben, die höchstens zwei Großvieheinheiten – | |
also zum Beispiel zwei Rinder – pro Hektar Land halten. | |
Anfang November standen 25 Prozent weniger Schweine als vor zehn Jahren in | |
deutschen Ställen. Wird der Rückgang weitergehen? | |
Ich fürchte, dass der Absatzmarkt in China für deutsches Schweinefleisch | |
nicht nur vorübergehend weg ist. China baut gerade massive Mastkapazitäten | |
auf. Ich rate allen dazu, sich von der Illusion zu lösen, dass die alten | |
Absatzmärkte wieder zurückkommen. Das Gleiche gilt aber auch für den | |
nationalen Absatzmarkt. Die Konsumgewohnheiten ändern sich nicht | |
vorübergehend, sondern dauerhaft. Man sieht einen langfristigen Trend, dass | |
nicht nur die Zahl der Vegetarier und Veganer, sondern am stärksten die der | |
Flexitarier hochgeht. Das sind Menschen, die weniger, aber dafür bewusst | |
Fleisch essen. Und dieser Trend ist unabhängig davon, ob der Agrarminister | |
Cem Özdemir heißt. | |
Der Fleischkonsum geht aber nur langsam zurück. Sollte der Bund die | |
Mehrwertsteuer für pflanzliche Lebensmittel streichen, um den Rückgang zu | |
beschleunigen? | |
Über den Preis ließen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das | |
wäre zum einen ein Gesundheitssignal: Alle Empfehlungen der Wissenschaft | |
sagen uns, dass wir im Schnitt deutlich zu viel Fleisch essen. Empfohlen | |
werden zwischen 300 und 600 Gramm pro Woche. Die [4][Männer sind im Schnitt | |
bei 1.100 und die Frauen bei 600 Gramm]. Dieser Fleischkonsum ist auch weit | |
außerhalb der planetaren Grenzen. Also muss er runter. | |
Ich hätte auch ein sozialpolitisches Signal, wenn ich für Obst, Gemüse, | |
Hülsenfrüchte die Mehrwertsteuer auf null setzen würde. Ich muss aber zur | |
Kenntnis nehmen: Ich habe dafür erkennbar keine Mehrheit. Wir erarbeiten | |
aber gerade auch die Ernährungsstrategie der Bundesregierung, ein | |
wesentliches Ziel ist die Förderung der pflanzenbasierten Ernährung gerade | |
über die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Kantinen und Mensen. | |
Wegen der Inflation entscheiden sich viele VerbraucherInnen öfter für | |
konventionelle statt für Biolebensmittel. Führt Ihre starke Förderung des | |
Ökolandbaus zu Überproduktion und Preisverfall? | |
Ich weiß aus Gesprächen mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels, dass | |
die ihr [5][Bioangebot ausbauen statt reduzieren wollen]. Wir sind fest | |
überzeugt davon, dass Bio sehr, sehr viele Vorteile hat. Man schützt | |
nachgewiesen Klima, Artenvielfalt, Böden und Wasser. Wir werden Bio weiter | |
fördern, etwa indem wir die Nachfrage ankurbeln. Da stellt die | |
Gemeinschaftsverpflegung einen großen Hebel dar. Ein anderer Punkt: Wir | |
werden 30 Prozent unseres Forschungsbudgets dem Ökobereich zugutekommen | |
lassen. | |
Sie werden als möglicher Nachfolger des baden-württembergischen | |
Ministerpräsidenten Kretschmann gehandelt. Wollen Sie wirklich vier Jahre | |
Bundesagrarminister bleiben, wenn die Koalition so lange hält? | |
Erstens hält die Koalition so lange. Und zum anderen: Ich habe nicht | |
vergessen, wo ich herkomme. Ich habe immer noch die Stimme meiner Eltern im | |
Ohr: „Vergiss nie: Du heißt nicht Hans, [6][Jost] oder Julian, sondern du | |
hast so einen Öztelbrötzelnamen.“ Für mich ist es ein Privileg, dass ich | |
als Bundesminister für unser Land arbeiten darf – und das nehme ich sehr | |
ernst. | |
Jetzt ist gerade mal ein Jahr um. Ich habe vieles angestoßen, viele Dinge | |
warten aber auch noch drauf, dass sie umgesetzt werden. Ich will erleben, | |
dass sie sich verändern. Deshalb will ich die Legislaturperiode bis zu | |
ihrem Ende nutzen. Und alles Weitere, würde jetzt Winfried Kretschmann | |
sagen, liegt in Gottes Hand. | |
16 Jan 2023 | |
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