# taz.de -- Solidarischer Getreideanbau: Fünf Kilo Korn für jeden | |
> Getreide vom kleinen Feld direkt zur Konsumentin: Kann das klappen? Ein | |
> Brandenburger Kollektiv versucht es – mit alten Maschinen und neuen | |
> Ideen. | |
Wenn man Siggi sieht, ist es schwer zu glauben, dass hier in Letschin an | |
der Zukunft der Landwirtschaft gearbeitet wird. Siggi ist ein Mähdrescher, | |
Baujahr 1974, ein kantiges Ungetüm, von dessen einst blauem Lack nur noch | |
wenige Reste auf dem dumpfgrauen Metall hängen. Das DDR-Kombinat | |
Fortschritt Landmaschinen, das ihn zusammenschraubte, gibt es schon seit | |
der Wende nicht mehr. | |
Mit dem Hofprojekt Basta, auf dem er in einem Unterstand steht, soll Siggi | |
jetzt noch mal Teil der Agrarwende sein. Auf eine Platte am Mähdrescher | |
sind Namen gemalt. [1][Gegen 15 Euro Spende] konnten sich | |
UnterstützerInnen des Hofes auf Siggi verewigen lassen. Die | |
„Mähdrescher Hall of Fame“ war [2][Teil der Crowdfundingaktion], um weitere | |
Maschinen für den Getreideanbau zu finanzieren. | |
Alte Technik, neue Ideen – diese zwei Dinge begegnen einem, wenn man sich | |
von Renée Frigge und Olli Jahn über den Hof des Landwirtschaftskollektivs | |
in Ostbrandenburg führen lässt. Frigge ist eine 28-Jährige mit Wollmütze | |
und Tischlerhose, aus einer Tasche lugen Arbeitshandschuhe. Jahn trägt eine | |
grobmaschige Strickmütze auf den wuscheligen Haaren, ein Bärtchen am Kinn | |
und einen Zollstock in der Hosentasche. Beide reden fast akzentfreies | |
Hochdeutsch und wissen genau, was sie kommunizieren wollen – und wie. | |
„Wir sind die ganzen Akademiker*innen, die jetzt auf dem Acker stehen“, | |
sagt Frigge und lacht. Sie hat mal Psychologie studiert, er Ethnologie – | |
nicht Agrarwirtschaft. Wie man Lebensmittel produziert, haben sie vor allem | |
auf anderen Höfen in der Praxis gelernt. Dennoch habe es das siebenköpfige | |
Hofkollektiv geschafft, [3][seinen Betrieb] seit zehn Jahren so erfolgreich | |
zu führen, dass die MitarbeiterInnen davon leben können, sagt Olli Jahn. | |
Wobei sie im Jahresschnitt nur 25 bis 32 Stunden pro Woche arbeiteten und | |
30 Urlaubstage hätten. Das ist in den meisten bäuerlichen Betrieben Luxus. | |
Aber dem Kollektiv geht es nicht nur um faire Arbeitsbedingungen. Sie | |
wollen verändern, wie Landwirtschaft in Deutschland funktioniert. Hin zu | |
ökologischerem Anbau auf kleinen Flächen, getragen durch direkte | |
Unterstützung von KonsumentInnen. Immer mehr solcher Projekte sind in den | |
letzten Jahren entstanden, vor allem für den Anbau von Gemüse. Allerdings | |
machen Salat, Möhren und Kohl nur einen winzigen Teil der | |
landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland aus, viel wichtiger ist der | |
Getreideanbau. Kann das Modell von Basta auch da funktionieren? Und ist der | |
Anbau auf kleinen Flächen wirklich die Zukunft? | |
Wer im Supermarkt Mehl oder Müsli kauft, unterstützt damit meist Höfe mit | |
großen Feldern. Flächen, wie man sie auch rund um Letschin sieht. Äcker, | |
auf denen teilweise auf einer Fläche von 50 Hektar, also über 60 | |
Fußballfeldern, nur eine Pflanzenart wächst. Zwar stehen an den Feldrändern | |
Gras, Bäume und Büsche, in denen Tiere und Wildpflanzen leben können. Aber | |
weil die Äcker so groß sind, gibt es auch weniger Feldränder. Und weil auf | |
dem Feld selbst nur eine Pflanze wächst und Spritzmittel eingesetzt werden, | |
gibt es dort kaum biologische Vielfalt. Das sind Gründe, weshalb immer mehr | |
Tier- und Pflanzenarten aussterben. | |
Die Getreidefelder von Basta, die Olli Jahn jetzt zeigt, sehen eher aus wie | |
ein großer Garten. Grüne Dinkelpflänzchen ragen neben der Hofstelle aus dem | |
Boden. Am Rand wachsen Kräuter, Beerensträucher und Bäume. Nur etwa 0,9 | |
Hektar hat hier ein Schlag – also ein zusammenhängendes Ackerstück. | |
Viele andere Landwirte klagen über die VerbraucherInnen, die ja keine | |
Ahnung hätten und immer so viel Umweltschutz verlangten, dafür dann aber | |
nicht bezahlen wollten. Dass man so was beim Hofrundgang mit den | |
Basta-Leuten nicht hört, liegt auch daran, dass der Biohof eine | |
„Solidarische Landwirtschaft“ – kurz Solawi – ist. Das Konzept ist auch | |
unter dem englischen Begriff „Community Supported Agriculture“ bekannt. | |
Rund 150 Haushalte mit circa 500 Personen vor allem aus Berlin finanzieren | |
die Grundkosten mit festen monatlichen Beträgen und bekommen dafür das, was | |
der Acker an Gemüse hergibt. | |
Die KonsumentInnen tragen also das Risiko von Missernten und anderen | |
Problemen mit, was sonst bei den LandwirtInnen bliebe. Dafür dürfen | |
UnterstützerInnen aber auch mitreden zum Beispiel darüber, welche Pflanzen | |
angebaut werden. Am 21. Januar demonstrierte diese Gemeinschaft in einem | |
eigenen „Basta-Block“ auf der Berliner „Wir haben es satt“-Demo für ei… | |
Agrarwende. Projekte wie Basta sind zwar eine winzige Minderheit unter den | |
landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland, aber ihre Zahl ist in den | |
letzten zehn Jahren rasant gewachsen. Über [4][400 Solawis gibt es | |
mittlerweile]. | |
In diesen Tagen startet Basta etwas Neues: die ersten Getreidelieferungen. | |
Dafür hat der Hof eine eigene Versorgungsgemeinschaft für bis zu 150 | |
Mitglieder gegründet. Basta gehört damit zu den wenigen Solawi-Projekten, | |
die auch Getreide anbauen. „Wir haben hier halt im Unterschied zu einer | |
Monokultur bei dieser kleinen Strukturierung unheimlich viel Diversität und | |
auch Habitate“, sagt Olli Jahn und zeigt auf den Getreideacker in der | |
Winterruhe. „Es gibt durch die unterschiedlichen Erntezeitpunkte und | |
Ernterückstände, die auf dem Acker bleiben, immer Rückzugsorte und Futter | |
für Bodenlebewesen.“ | |
Weil insgesamt so viele verschiedene Pflanzenarten auf den Feldern wachsen, | |
sei auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass trotz häufiger auftretenden | |
Dürren infolge des Klimawandels immer welche gut gedeihen, sagt Renée | |
Frigge. Auch alte Kulturpflanzen wie Einkorn und Emmer, die in Deutschland | |
selten geworden sind, stehen auf den Feldern. | |
Dass Biolandwirtschaft vorteilhaft für Artenvielfalt, Wasser und Böden ist, | |
hat zum Beispiel [5][eine Überblicksstudie] des bundeseigenen | |
Thünen-Agrarforschungsinstituts bewiesen. Die Böden der Betriebe hätten | |
etwa mehr Regenwürmer pro Quadratmeter, unter anderem weil bei Bio | |
chemisch-synthetische Pestizide verboten sind. Ein Forscherteam um den | |
Göttinger Agrarökologen Teja Tscharntke hat außerdem in mehreren | |
Untersuchungen herausgefunden, [6][dass kleinere Felder besser] als große | |
Äcker für Insekten und die Natur allgemein sind. Auf größeren Äckern | |
könnten demnach zum Beispiel weniger Wildbienen leben, so die | |
WissenschaftlerInnen. | |
## Emmer, Einkorn und Lupinen | |
Frigge und Jahn führen nun in eine Halle des über 100 Jahre alten | |
Hofgebäudes aus roten Klinkersteinen: in ihre Kornkammer. Hafer, Einkorn, | |
Emmer, Lupinen und Dinkel vom Acker lagern hier in würfelförmigen | |
Metallbehältern für je 1.000 Kilogramm und einem Traktoranhänger. Daneben | |
stehen zwei Maschinen: eine neue, die die Körner schält, und eine vom Typ | |
Fortschritt K541 Super aus DDR-Zeiten, die die Körner von Unkrautsamen, | |
Steinen und anderem trennen soll. | |
Dieser Getreidereiniger ist so lang wie ein Autoanhänger, der Lack ist auch | |
hier an vielen Stellen abgeplatzt. Jahn legt einen Schalter um, die | |
Maschine rumpelt ohrenbetäubend. Jahn schüttet einen Plastikeimer | |
Lupinensamen, die Bohnen ähneln, in einen Trichter an einem Ende der | |
Maschine, sie fallen auf große plattenförmige Siebe, die sich hin und her | |
bewegen. Diese rütteln so lange, bis in einen ganz rechts am Gerät | |
aufgehängten Sack nur noch die Lupinensamen fallen. Andere Kleinteile | |
landen in den Säcken daneben. | |
Die Fortschritt-Maschine funktioniere ganz gut, sei aber etwas langsam, | |
sagt Jahn. Doch für ein schnelleres Modell hatte Basta kein Geld. | |
Professionelle Getreideverarbeiter haben bessere Maschinen, aber sie würden | |
kaum so kleine Mengen annehmen. Deshalb haben sich die Basta-Leute in Polen | |
dieses Gerät, Baujahr 1987, für 4.000 Euro gekauft. Ihre Technik wollen sie | |
auch anderen Kleinbauern zur Verfügung stellen. Sie hoffen, dass so weitere | |
Höfe in den kleinflächigen Getreideanbau einsteigen, sagt Jahn, sie seien | |
da auch schon im Gespräch mit anderen Betrieben. | |
Die Maschinen sind ein kritischer Punkt im Ackerbau. Denn Landmaschinen | |
sind bei der Produktion von Getreide viel wichtiger als etwa von Gemüse. | |
Handarbeit gibt es auf dem Weizenacker quasi nicht. Zwar kann man sich | |
Maschinen samt Fahrer ausleihen, aber winzige Felder lohnen sich für solche | |
externen Dienstleister nicht und Äcker mit Unkraut, wie das beim Bioanbau | |
vorkommt, sind bei ihnen auch unbeliebt. | |
Eigene Landmaschinen sind aber teuer. Und das ist ein Grund, weshalb | |
Getreidehöfe normalerweise so große Flächen haben. So können die Kosten für | |
den Maschineneinsatz pro Kilogramm Getreide gesenkt werden. | |
## Das Korn ist teuer | |
Entsprechend ist der kleinflächige Getreideanbau tendenziell teurer, was | |
sich auch auf Hof Basta zeigt. Im Schnitt 24 Euro pro Monat kostet die | |
VerbraucherInnen ein Anteil an der Getreide-Versorgungsgemeinschaft. Dafür | |
sollen sie laut Jahn erst einmal insgesamt 5 bis 6 Kilogramm Körner | |
bekommen – ungemahlen. | |
Der Preis ist schwer zu berechnen, bei Dinkel wären es etwa 4 Euro. Im | |
Biohandel kostet das Kilo 2,40 Euro. Aber im Laufe des Jahres sollen die | |
Mitglieder auch Leinsamen und Sonnenblumenkerne erhalten, die zu Öl | |
gepresst würden. Bei Bioöl ist der Preisunterschied zum Laden geringer. Bei | |
Basta bestimmt jedes Mitglied, wie viel es zahlt – je nach Einkommen. „Es | |
ist uns besonders wichtig, dass wir nicht so eine schicke Landwirtschaft | |
für Besserverdienende machen“, sagt Jahn. | |
Ist der Anbau bei Basta auf kleiner Fläche möglicherweise klimaschädlicher? | |
Zum Beispiel, weil alte Mähdrescher viel Treibstoff schlucken? „Die Frage | |
ist: Was ist klimaschädlich?“, antwortet Renée Frigge. Ist es jetzt nur der | |
Dieselverbrauch und das Umrechnen in CO2? Oder gehört dazu auch, wie der | |
Boden aufgebaut wird, weil der viel puffern kann und eine lebenswichtige | |
Ressource ist? Eine Klimabilanz für den Hof gibt es, wie für fast alle | |
Betriebe, nicht. Aber selbst wenn Ackerbau auf kleinen Flächen mehr | |
Treibhausgase verursachen sollte, sind das, im Vergleich etwa zum | |
CO2-Fußabdruck der Tierhaltung, immer noch geringe Größenordnungen. Das | |
geht aus [7][Berechnungen des Umweltbundesamts] hervor. | |
Die Basta-Leute glauben nicht, dass kleine Projekte wie ihr Hof reichen, um | |
die Landwirtschaft insgesamt zu verändern. „Wir finden nicht, dass die | |
politische Verantwortung bei den einzelnen Konsument*innen liegt“, sagt | |
Renée Frigge. Vielmehr müsse der Staat zum Beispiel die Agrarsubventionen | |
anders verteilen. Denn im Moment gilt: Je mehr Hektar ein Hof hat, desto | |
höher sind die Zahlungen. Künftig, finden die Basta-Leute, sollten etwa | |
Betriebe mit kleineren Feldern mehr bekommen. Davon könnten sie dann | |
vielleicht auch den Mähdrescher Siggi ersetzen, wenn er eines Tages | |
aufgibt. | |
24 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.startnext.com/basta-ackerbau/ds/d/sn-symbolisches/sn-patenschaf… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=vSrn8SpnCRI&t=28s | |
[3] https://hof-basta.de/ | |
[4] https://www.solidarische-landwirtschaft.org/fileadmin/media/solidarische-la… | |
[5] /Studie-zur-Biolandwirtschaft/!5563861 | |
[6] /Kampf-gegen-das-Insektensterben/!5488270 | |
[7] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/landwirtschaft-u… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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