| # taz.de -- Tierfreie Landwirtschaft: Ohne Mist | |
| > Beim Pflanzenanbau werden tierische Produkte zum Düngen genutzt. Acht | |
| > Antworten, wie eine tierfreie Landwirtschaft funktionieren könnte. | |
| Bild: Die Kuh kackt wertvolles Düngemittel. Aber es gibt Alternativen | |
| Warum braucht man für den Anbau von Gemüse, Obst und Getreide überhaupt | |
| Tiere? | |
| Damit Getreide, Obstbäume und Gemüsepflanzen gut gedeihen, müssen sie mit | |
| Nährstoffen wie Stickstoff, Kalium und Phosphor versorgt sein. Das geht mit | |
| [1][synthetisch hergestellten Düngern, die im Biolandbau allerdings | |
| verboten sind]. Eine andere Möglichkeit sind tierische Exkremente wie Gülle | |
| oder Mist. Sie fallen massenweise in der Tierhaltung an und sind gute | |
| Nährstofflieferanten. | |
| Zu den tierischen Düngern zählen auch Hornspäne und Horngries, das sind | |
| zermahlene Rinderhörner, Rinderhufe und Schweineklauen. Aber auch Blutmehl | |
| und getrocknete Tierhaare, die zu Pellets gepresst wurden, werden auf | |
| Obstplantagen und Gemüsefeldern eingesetzt. | |
| Letztlich handelt es sich um Abfälle aus der Schlachtindustrie, die | |
| teilweise aus anderen Teilen der Welt importiert werden. Ihr Vorteil: Sie | |
| enthalten viel Stickstoff, sind als Dünger sehr effizient und | |
| kostengünstig. Das macht sie sowohl für den konventionellen als auch für | |
| den ökologischen Landbau attraktiv. | |
| Was ist das Problem mit tierischem Dünger? | |
| Auch viele Biolandwirte düngen auf diese Weise. Bio-Obst und Bio-Gemüse ist | |
| also letztlich mit Hilfe von Schlachtabfällen aus der konventionellen | |
| Massentierhaltung gewachsen. Das wirft ethisch-moralische Fragen auf, etwa | |
| für [2][Veganerinnen und Veganer]. Auch einige Biolandwirte und | |
| Agrarexperten sehen das kritisch: Einerseits setzt sich der Ökolandbau für | |
| eine Verbesserung des Tierwohls ein. Andererseits schafft er es aber nicht, | |
| unabhängig von der konventionellen Tierhaltung zu sein. | |
| Der Grund dafür ist ein Mengenproblem. Weil nur etwa 10 Prozent der | |
| Biolandwirte auch Tiere halten, reichen ihre Exkremente, Hörner und Klauen | |
| nicht aus, um auch die restlichen 90 Prozent Biobetriebe damit zu | |
| versorgen. | |
| Kann eine Landwirtschaft ganz ohne Tiere funktionieren? | |
| Im Prinzip ja, sagen Agrarwissenschaftler. In der Praxis gibt es bereits | |
| eine kleine Entwicklung zur tierfreien Landwirtschaft. Ein Bauer, der früh | |
| damit begonnen hat, ist beispielsweise Clemens Hund, der Apfelplantagen in | |
| der Bodenseeregion bewirtschaftet. Er ist komplett auf pflanzliche Dünger | |
| umgestiegen. | |
| Pflanzliche Düngeralternativen sind etwa getrocknete Algen, Pellets aus | |
| Kartoffelschalen, Trester aus Biobrauereien, Kleegraspellets oder Vinasse – | |
| eine Art Melasse aus der Zuckerindustrie. Clemens Hund düngt unter anderem | |
| mit Kleegras, das er zwischen die Baumreihen sät. Das Kleegras bindet den | |
| Stickstoff aus der Luft und reichert ihn im Boden an. „Pflanzliche Dünger | |
| bedeuten zwar mehr Aufwand, aber der Ertrag ist nicht weniger“, sagt | |
| Clemens Hund. | |
| Die Arbeitszeit für Landwirt*innen erhöht sich, weil man noch genauer | |
| planen muss, was wann in welcher Menge bei welcher Pflanze eingesetzt wird. | |
| Manche pflanzliche Dünger setzen ihre Nährstoffe zum Beispiel nicht direkt | |
| frei, wenn sie auf das Feld aufgebracht werden, sondern erst etwas später. | |
| Das macht das Timing komplizierter. | |
| Was sagt die Wissenschaft dazu? | |
| Pflanzliche Düngung ist grundsätzlich machbar, nicht nur im Obst- und | |
| Gemüseanbau, sondern auch im Getreideanbau, sagt die Agrarexpertin Sabine | |
| Zikeli. Sie leitet das Zentrum für Ökologischen Landbau der | |
| agrarwissenschaftlichen Universität Hohenheim. Mit ihrem Team testet sie, | |
| welche pflanzlichen Dünger sich für welche Kultur am besten eignen. Dafür | |
| messen sie, wie viele Nährstoffe die Dünger liefern. | |
| Bei den wissenschaftlichen Untersuchungen hat der Flüssigdünger Vinasse | |
| bislang am besten abgeschnitten. Er setzt den Stickstoff besonders gut und | |
| schnell frei, fanden die Hohenheimer Wissenschaftler heraus. Als weiteres | |
| Ergebnis ihrer Forschung sieht Sabine Zikeli, dass die pflanzliche Düngung | |
| auf lange Sicht die Tierhaltung und die gesamte Landwirtschaft verändern | |
| kann. „Wir müssen den Tierbesatz reduzieren“, sagt sie. Für diese Art der | |
| Landwirtschaft bräuchte es zumindest im Anbau der Lebensmittel keine | |
| Tierhaltung mehr. | |
| Ist das massentauglich? | |
| Generell ja, [3][wie die bisherige Praxis zeigt]. Erste Beispiele | |
| bioveganer Wirtschaftsweise gibt es in allen Betriebsgrößen, sagt Anja | |
| Bonzheim, Koordinatorin des Projektes [4][Veganer Ökolandbau]. „Die | |
| Betriebsformen reichen von kleinbäuerlichen Familienbetrieben in | |
| Griechenland, mittelgroßen Betrieben in Deutschland, der Schweiz und den | |
| Niederlanden bis hin zu großflächigen Ackerbaubetrieben mit bis zu 800 | |
| Hektar Fläche in Österreich und Ungarn.“ | |
| Biozyklisch-vegan nennt sich dieser Anbau. Hierzulande sind es aber erst | |
| ein Dutzend Höfe, die so wirtschaften und dabei zertifiziert sind. Was im | |
| Obstbau gut klappt, ist beim Gemüse- und Getreideanbau aufwendiger, weil | |
| hier größere Nährstoffmengen nötig sind. | |
| Wenn alle Biobetriebe biovegan anbauen würden, stellt sich allerdings die | |
| Frage, woher die pflanzlichen Nährstoffe letztlich kommen sollen. Bei | |
| Stickstoff ist es unproblematisch, er stammt aus der Luft und kann mit | |
| Hilfe von Pflanzen gebunden werden. Schwieriger ist es bei Stoffen, die aus | |
| dem Boden stammen, etwa bei Phosphat und Kalium. | |
| Wenn die Lebensmittel geerntet, verkauft und gegessen sind, fehlen diese | |
| Nährstoffe im Acker und müssen wieder zugeführt werden. Um den Kreislauf zu | |
| schließen, müssten die organischen Abfälle der Haushalte oder der | |
| Lebensmittelindustrie wieder auf die Felder gelangen. | |
| Für den großen Maßstab sehen Agrarexperten die Möglichkeit, dass | |
| aufgearbeiteter Klärschlamm, also menschliche Gülle, wieder auf die Felder | |
| gebracht wird. [5][Statt tierischem organischem Abfall bräuchte es also | |
| mehr menschlichen organischen Abfall.] | |
| Gibt es dann schon wieder ein neues Siegel? | |
| Ja, es heißt „Biozyklisch-Veganer Anbau“. Das Siegel ist aber kaum | |
| verbreitet und so gut wie unbekannt. Dazu kommt, dass einige biovegan | |
| wirtschaftenden Landwirte Kosten und Aufwand für die Zertifizierung | |
| scheuen, weil von Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher noch keine | |
| Nachfrage besteht. Um das Siegel zu bekommen, ist kommerzielle Nutz- und | |
| Schlachttierhaltung ausgeschlossen, auch Dünger tierischen Ursprungs sind | |
| nicht erlaubt. So steht es in den Regeln, die seit 2017 festgelegt sind. | |
| Laut dem Verein für Biozyklisch-Veganen Anbau sind erst 50 Betriebe in | |
| Europa zertifiziert. | |
| Was ändert sich noch, wenn keine Nutztiere mehr gehalten werden? | |
| In einer Welt ohne Tierhaltung würde es keine Wiesen und Weiden mehr geben. | |
| Sie lassen sich nur mit Weidetieren erhalten. Ohne Rinder, Schafe und | |
| Ziegen würden mit den Wiesen auch wertvolle Biotope verschwinden. Sabine | |
| Zikeli hält eine Landwirtschaft ohne Tiere zwar für möglich, aber nicht für | |
| sinnvoll: „In Deutschland sind 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten | |
| Fläche Dauergrünland, das heißt Wiesen und Weiden, und ein Teil davon ist | |
| schlecht ackerbaulich nutzbar.“ | |
| Der größte Teil der Wiesen wird intensiv gedüngt und gemäht, um so | |
| Viehfutter herzustellen. Ein kleinerer Teil sind Weideflächen, die zu | |
| wertvollen Naturlandschaften geworden sind, wie die Lüneburger Heide, die | |
| Schwäbische Alb oder Almwiesen in den Alpen. | |
| Über die Huftritte und Exkremente der Weidetiere haben sich hier | |
| Lebensräume gebildet, in denen sich seltene Pflanzen und Insekten | |
| angesiedelt haben. Diese Biotope sind oft sogar artenreicher als eine | |
| natürlich entstandene Vegetation. Mit dem richtigen Maß an Beweidung ist | |
| die Tierhaltung auf diesen Flächen auch Naturschutz. | |
| Lars Krogmann, Insektenexperte und wissenschaftlicher Direktor des | |
| Naturkundemuseums Stuttgart, hält solche Weidebiotope für besonders | |
| schützenswert. Ein Drittel sei schon zerstört und von der Vernichtung | |
| bedroht. Wenn solche Flächen gemäht und gedüngt werden, statt Tiere auf | |
| ihnen weiden zu lassen, sehe man einen Rückgang der Pflanzen- und | |
| Insektenvielfalt. „Es wäre deshalb ein Fortschritt, wenn mehr Beweidung | |
| stattfindet“, sagt Krogmann. | |
| Schaf- und Ziegenhaltung auf Moorweiden etwa kann auch dem Schutz von | |
| Mooren dienen, die wiederum ein wichtiges Instrument im Klimaschutz sind. | |
| Mehr Beweidung heißt aber nicht mehr Tierhaltung, da zum Beispiel viele | |
| Kühe bisher im Stall gehalten werden. | |
| Ist eine Landwirtschaft ganz ohne Tierhaltung nun wünschenswert oder nicht? | |
| Das kommt auf die Perspektive an. Wissenschaftlich besteht kein Zweifel | |
| daran, dass die [6][Tierbestände in Deutschland stark reduziert werden | |
| müssen], um die Klimaziele zu erreichen. Aktuell werden [7][11 Millionen | |
| Rinder, 26 Millionen Schweine und 173 Millionen Geflügel] in Deutschland | |
| gehalten. Experten haben berechnet, dass die Tierbestände mindestens | |
| halbiert werden müssen, um so viel Treibhausgas einzusparen, wie es das | |
| Pariser Klimaabkommen vorgibt. | |
| „Landwirtschaft ohne Tiere“ war einer der Themenwünsche, die die | |
| Zukunftsredaktion von Leser*innen auf dem [8][tazlab 2023] bekommen hat. | |
| Haben Sie auch ein Zukunftsthema, das Sie besonders interessiert? Schreiben | |
| Sie uns an [9][[email protected]]. | |
| 8 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Studie-zu-Pestiziden/!5917959 | |
| [2] /Veganismus/!t5013096 | |
| [3] https://www.uni-kassel.de/fb11agrar/fachgebiete-/-einrichtungen/oekologisch… | |
| [4] https://veganer-oekolandbau.de/ | |
| [5] https://www.presseportal.de/pm/118695/4934057 | |
| [6] /Methanemissionen-in-der-Landwirtschaft/!5861407 | |
| [7] https://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/tierhaltung | |
| [8] /programm/2023/tazlab2023/de/index.html | |
| [9] /[email protected] | |
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| Monika Kovacsics | |
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