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# taz.de -- Landwirtschaft und Klima: Klimaretterin Kuh
> Das Rind rülpst das Treibhaus voll und verdirbt dem Veganer den Appetit.
> Doch seine Freunde sind überzeugt: Die Tiere können dem Klima helfen.
Bild: Glückliche Kühe auf dem Kugelsüdhanghof
Sibratshofen/Freising/Weibhausen taz | Christine Bajohr zeigt auf den Hang
hinter ihrem Bauernhaus: „Wenn das mit dem Klimawandel so klappt, wie wir
uns das vorstellen, dann können wir da oben bald Wein anbauen“, sagt sie.
Eine wie Bajohr darf sich so eine Prise Sarkasmus zwischenrein schon mal
erlauben, denn die Gefahr, dass er bei ihr in Fatalismus umschlägt, ist
nicht sehr hoch. Im Gegenteil: Sie stemmt sich ja mit aller Kraft gegen
das, was da auf sie zukommt – und wenn’s der ganze Berg ist.
Natürlich will Christine Bajohr trotz der schönen Hanglage ihres Hofs, des
[1][Kugelsüdhanghofs], hier im Oberallgäu keinen Wein anbauen, sondern
weiterhin Milchwirtschaft betreiben. Doch es wird nicht gerade leichter.
Der Klimawandel ist hier längst angekommen. Mit einigen Mitstreitern will
die Bäuerin jetzt auf ihrem und ein paar anderen Höfen zeigen, was man
vielleicht noch alles anders machen kann in der Landwirtschaft, wie man die
Sache vielleicht noch drehen kann.
Was Bajohrs Unterfangen ungewöhnlich macht, ist die prominente Rolle, die
der Kuh darin zukommt. „[2][KUHproKlima]“ heißt das Projekt und dürfte
schon allein aufgrund des Titels bei vielen ein reflexhaftes Kopfschütteln
auslösen. Ist doch allgemein bekannt, dass die Kuh ein Klimakiller ist.
Denn als Wiederkäuerin produziert sie das besonders fiese Treibhausgas
Methan. Bei rund 1,5 Milliarden Rindern, die es weltweit geben soll,
läppert sich da schon etwas zusammen, möchte man meinen. Öffentliche
Sympathiebekundungen für die Rinderhaltung verlangen daher etwas Mut.
Bajohr hat zu Kaffee und Keksen geladen, draußen am Gartentisch vor dem 120
Jahre alten Bauernhaus. Sie hat sich im Schneidersitz auf das Sofa gesetzt,
die Brille ins brünette Haar gesteckt. Eigentlich kommt sie aus der
Stuttgarter Gegend, aus Vaihingen an der Enz. Mitte fünfzig ist sie jetzt,
war viel unterwegs, in jungen Jahren auch mal eine Zeitlang in Neuseeland;
aber erst im Allgäu, wohin es sie mit ihrem ersten Mann verschlagen hat,
ist sie sesshaft geworden. Und hier ist sie auf die Kuh gekommen.
## Neun Kilo Rindfleisch isst der Durchschnittsdeutsche
Den Kugelsüdhanghof führt sie gemeinsam mit ihrem jetzigen Mann, dem
Hoferben Martin Wiedemann-Bajohr. Es ist ein kleiner Betrieb, idyllisch
gelegen, 22,5 Hektar, gerade mal neun Milchkühe, Demeter. Ihr Mann,
gelernter Karosseriebauer, arbeitet halbtags auch noch in einer Firma, die
Schneefräsen herstellt. Sibratshofen heißt das Dorf, zu dem der Hof gehört,
die Grenze zu Baden-Württemberg ist nicht weit.
Es ist später Vormittag, der Milchlaster hat gerade die Milch für die
Schönegger Käsealm abgeholt, kritisch beäugt von Anton, dem Hofhund. Anton
ist eine Promenadenmischung aus einem polnischen Tierheim, deren Beine
etwas zu kurz geraten sind. Aber im tiefsten Inneren, versichert Bajohr,
sei Anton ein Dobermann. Im Kaffee ist, was sonst, Rohmilch. Vom
Gartentisch aus kann man auf eine der Weiden des Hofes hinunterschauen.
Dort stehen acht Schumpen, wie man die Jungrinder im Allgäu nennt.
Gut elf Millionen Rinder gibt es in Deutschland, darunter knapp vier
Millionen Milchkühe. Die schwarzbunte Holsteinkuh, das Simmentaler
Fleckvieh, Braun- und Grauvieh et cetera. Sie stehen in Ställen,
Laufställen und auf der Weide. Nett anzuschauen sind sie ja, die 600 Kilo
Tier: die Augen groß, die Wimpern lang, das Wesen in der Regel freundlich
und neugierig. Sollte man sie halten? Sollte man sie essen? Die Meinungen
gehen auseinander. Der Rindfleischkonsum in Deutschland nimmt ab. Und doch
isst der Durchschnittsdeutsche noch immer mehr als neun Kilo im Jahr. Dazu
kommen über 80 Kilo Milchprodukte.
Es gibt Kritiker, die Nutztierhaltung grundsätzlich und ohne Ausnahme
ablehnen. So argumentiert beispielsweise die Tierrechtsorganisation Peta
auf ihrer Website, [3][es sei nicht „normal“ für Menschen, Fleisch zu
essen], und man solle sich ins Gedächtnis rufen, dass es in früheren Zeiten
auch als „normal“ gegolten habe, andere Menschen als Sklaven zu halten.
Unter dieser Prämisse wäre natürlich die Frage, ob eine Landwirtschaft, die
auf maßvolle und durchdachte Nutztierhaltung setzt, einer rein vegan
ausgerichteten Landwirtschaft in Sachen Klimaschutz und Welternährung
überlegen sein könnte, moralisch nicht zu rechtfertigen.
## Die landwirtschaftlichen Flächen werden knapp
Für Menschen mit einer weniger radikalen Haltung könnte die Frage aber
durchaus interessant sein. Denn die meisten Argumente gegen den Konsum von
Milch und Rindfleisch wenden sich bei näherer Betrachtung nicht gegen die
Kuh als solches, sondern gegen die gravierenden Missstände, wie sie heute
weltweit in der real existierenden Nutztierhaltung tatsächlich gang und
gäbe sind. Es tut also Not, ein wenig zu differenzieren.
Wilhelm Windisch sollte dazu in der Lage sein – obwohl auch er einer dieser
Kuhfreunde ist. Einer, der beispielsweise behauptet, das Rind sei
evolutionär gesehen die erfolgreichste Spezies überhaupt. Wie sich dieses
Tier in Sachen Eiweißversorgung unabhängig gemacht habe, einfach grandios!
Man trifft Windisch in einem schmucklosen Bau auf dem [4][Weihenstephaner
Campus der Technischen Universität München] an. Es sind seine letzten Tage
hier, mit dem Ende des Semesters geht der Professor in den Ruhestand. Sein
repräsentatives und geräumiges Büro hat der Inhaber des Lehrstuhls
Tierernährung schon verlassen müssen, jetzt sitzt er hier in einem schmalen
Zimmer, das kaum Platz für einen Schreibtisch bietet. „Mein
Austragsstüberl“, sagt er. Das Whiteboard an der Wand über dem Schreibtisch
ist unbeschrieben. Windisch lehnt sich in seinem Drehsessel zurück, faltet
die Hände über dem Bauch und legt los.
Seine Erläuterungen beginnen mit einem Fußballfeld. Windisch rechnet gern
in Fußballfeldern. Eine landwirtschaftliche Fläche eben dieser Größe,
erklärt er, benötige man heute, um drei Menschen zu ernähren. Aber 2050
müsse man auf demselben Feld schon mehr als fünf Menschen satt bekommen.
Dabei seien nur die Strafräume Ackerfläche, also für den Anbau veganer
Lebensmittel geeignet. Man muss kein Fußballexperte sein, um zu erkennen:
Das wird eng.
Schuld daran sind in Deutschland etwa der Flächenfraß, der beispielsweise
in Bayern täglich mehr als zehn Hektar beste Böden in Betonwüste
verwandelt, aber weltweit fielen die Böden vor allem auch Erosion und
Verwüstung anheim – Folgen des Klimawandels. Dazu kommt natürlich das
Wachstum der Weltbevölkerung.
## Weizen als Tierfutter, das geht gar nicht
Schön und gut, aber was hat das nun mit der Kuh zu tun? Hat da nicht der
Professor mit seinem Strafraum-Beispiel den Gegnern jeglicher
Nutztierhaltung gerade das beste Argument an die Hand gegeben? Schließlich
weiß doch jeder: Um ein Kilo tierisches Eiweiß herzustellen, braucht man
ein Vielfaches an pflanzlichem Eiweiß. Je nach Quelle unterscheiden sich
zwar die Angaben, aber selbst die niedrigsten Berechnungen gehen noch vom
Fünffachen aus. Sprich: Jeder Fleck des Fußballfeldes, den wir Tieren
abtreten, ist doch reinste Verschwendung.
Einspruch, ruft da Windisch, so einfach sei es nun auch wieder nicht. Was
man da oft an Argumenten aufgetischt bekomme, sei ein „Konglomerat von
Narrativen, von Verkürzungen“. Eine dieser Verkürzungen beispielsweise ist
die Annahme, man müsse Tiere mit denselben Lebensmitteln ernähren wie
Menschen. Eine Annahme, die darauf fußt, dass es ja zu einem Großteil
tatsächlich so praktiziert wird. In Deutschland, erzählt Windisch, werde
etwa die Hälfte der Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter verwendet, zum
Großteil Silomais. Die Hälfte!
Zwei andere Zahlen: Ein Drittel der globalen Getreideernte und über drei
Viertel der Sojaernte landet im Futtertrog. „Wir haben tatsächlich eine
intensive Tierproduktion, die enorme Mengen an Lebensmitteln verbraucht“,
so Windisch. An das heutige Hochleistungsgeflügel zum Beispiel würden fast
ausschließlich hochwertige Ackerprodukte verfüttert. Bei der Kuh sei der
Anteil deutlich niedriger, aber auch rund 30 Prozent des Rinderfutters in
Mitteleuropa bestünden aus Getreide und anderen Ackerpflanzen. Ein Unding,
das findet auch Windisch. „Da bin ich völlig d’accord mit dem veganen
Konzept: Was wir selbst essen können, sollten wir nicht an Tiere
verfüttern.“ Das Stichwort lautet: Nahrungskonkurrenz.
Nur: Was, wenn das Tier dem Menschen gar nichts wegfrisst? So wie die Kühe
der Bajohrs. Sie ernähren sich ausschließlich von Gras und Heu, Pflanzen,
die der härteste Veganermagen nicht verwerten könnte. Und damit kommt
Windisch zurück auf die Kuh als Geniestreich der Evolution. Kuh und
Grasland hätten sich gleichzeitig entwickelt – vor über 30 Millionen
Jahren. Ohne Gras kein Rind, ohne Rind aber auch kein Gras.
## Umwandlung von Grünland? „Geht gar nicht!“
Und schon sind wir tief drin im Pansen, dessen Funktionsweise zu erklären
sich Wilhelm Windisch nicht zweimal bitten lässt: „So eine Kuh, die frisst
ja gar kein Gras“, erklärt der Wissenschaftler mit seinem leicht
fränkischen Einschlag dann auch gleich, „sondern die füttert ihren Pansen
mit Gras.“ In dem prominentesten der vier Mägen der Kuh seien Bakterien,
die das ansonsten nicht verdaubare Gras zu Eiweiß verarbeiteten. Erst
dieses Produkt sei dann die eigentliche Nahrung der Kühe, die sie beim
Wiederkäuen fräßen und ihrerseits wieder in Milch und Fleisch überführten.
Das Ergebnis: Der Mensch erhält zusätzliche Lebensmittel, ohne dafür auf
eine einzige Kartoffel, eine Weizenähre oder ein Salatblatt verzichten zu
müssen.
Aber könnten wir nicht einfach die Wiesen und Weiden zu Äckern machen und
für den Anbau von veganen Lebensmitteln nutzen, anstatt Kühe darauf zu
stellen? Nein, sagt Windisch. Zum einen werde bei der Umwandlung von
Grünland in Acker unglaublich viel CO2 freigesetzt. „Das ist wie das
Abholzen von Wald oder das Trockenlegen von Mooren. Geht gar nicht.“ Zum
anderen seien alle Flächen, die sich als Acker eigneten, längst Ackerland.
Und selbst dort fällt noch Futter für Nutztiere an. „Auf einem Getreidefeld
wachsen ja keine Körner“, sagt Windisch. „Da wachsen ganze Pflanzen.“ Pro
Kilogramm pflanzliches Lebensmittel fielen vier Kilogramm für den Menschen
nicht essbare Biomasse an. Verfüttert man auch diese, erhält man nach
Windischs Berechnungen ein weiteres Kilo tierische Lebensmittel. „Sie
verdoppeln über die Nutztiere praktisch die vegane Basisproduktion – ganz
ohne Nahrungskonkurrenz.“
Auf diese Weise, so Windisch, könne man die Bevölkerung mit Hilfe von
Wiederkäuern auch weiterhin gut ernähren. Dass das unter dem Strich jedoch
bedeuten würde, dass wir dann deutlich weniger tierische Produkte auf dem
Teller hätten, steht für Windisch außer Frage. Er klappt sein Laptop auf,
öffnet eine Powerpoint-Präsentation. Auf einer Folie ist ein von der
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften für die Schweiz
berechnetes Szenario dargestellt: Würde man dort Nutztiere nur noch mit
nicht essbarer Biomasse füttern, müsste man den Konsum von Schweinefleisch
um 70 Prozent, den von Geflügel sogar um 99 Prozent und den von Eiern um 95
Prozent reduzieren. Bei Milch wären es nur 30, bei Rindfleisch 40 Prozent.
Bleibt dennoch das Problem der Klimakillerkuh. Klar, ohne Methanbildung
geht es nicht, sagt Windisch. „Es ist der Preis, den ich bezahlen muss,
damit ich sehr große Mengen an nicht essbarem Material in etwas Essbares
überführen kann.“ Die unmittelbare Treibhauswirkung des Gases sei rund
85-mal so stark wie die von CO2. [5][Ein klimatischer Hufabdruck, der es in
sich hat.] Aber immerhin: Während CO2 Jahrtausende in der Atmosphäre
verweile, habe Methan eine relativ kurze Halbwertszeit und sei schon nach
wenigen Jahrzehnten kaum noch nachzuweisen. Dadurch akkumuliere sich das
Methan in der Atmosphäre nicht.
Es gebe aber einen ständigen Sockel, der sich immer wieder erneuere. Daher
sei es wichtig, die Methanbürde so gering wie möglich zu halten, den Sockel
ein wenig abzutragen. Eine Stellschraube hierfür sei beispielsweise das
Tierwohl. Wenn die Milchkühe gesund seien und vor allem länger lebten,
reduziere sich auch die Methanlast pro Liter Milch. In Deutschland sinke
der Methanausstoß der Rinder infolge der niedrigeren Bestandszahlen ohnehin
seit mehreren Jahrzehnten. Inzwischen produzierten die Rinder hierzulande
weniger Methan als vor der Industrialisierung.
Christine Bajohr führt runter auf die Weiden. Anton läuft schon mal voraus.
Die Schumpen haben sich hingelegt. Nach der morgendlichen Graserei walten
sie nun ihres Amtes und käuen wieder. Mit der Lässigkeit eines Kaugummi
kauenden Teenagers verwandeln sie Unverdauliches in beste Proteine.
„Also ich denke, ohne Tiere auf der Weide geht es nicht“, sagt Bajohr. „D…
ist unser großer Fehler, dass wir sie aus der Gleichung rausgenommen haben,
denn das Ökosystem Grünland funktioniert nur mit biologischer Vielfalt –
mit Kühen, Insekten und anderen Tieren.“ Am besten auch mit Hecken und
Bäumen – eines der nächsten großen Projekte der Bajohrs.
## Ein ausgefeiltes Weidemanagement für das Klima
Die Bäuerin zeigt noch schnell die benachbarte Weidefläche, auf der die
Tiere vier Tage zuvor waren. Das Gras steht noch zehn bis zwanzig
Zentimeter hoch – und das ist Absicht. „Wenn sie nur einmal abgebissen
haben, ist es ideal“, erklärt Bajohr. Die Pflanze werde dadurch in ihrer
Photosyntheseleistung gefördert und müsse nicht an ihre Reserven gehen.
Zudem bleibe mehr Biomasse zurück, höhere Halme und Stängel, die ein
hervorragendes Habitat für Insekten böten. „Der Boden trocknet auch nicht
so schnell aus, es ist ein ideales Mikroklima.“ Das ist der Grund, warum
die Rinder auf dem Kugelsüdhanghof immer nur auf einer vergleichsweise
kleinen Fläche weiden dürfen, dafür aber recht häufig den Platz wechseln.
Es ist ein Mehraufwand, aber es deutet alles darauf hin, dass er sich
lohnt.
Bajohr lässt das Gras jetzt drei, vier Wochen nachwachsen, dann wird hier
gemäht und Heu gemacht. Nach 45 Tagen dürfen dann wieder die Rinder auf die
Weide. Mit einem ausgefeilten Weidemanagement lässt sich viel für Kuh und
Klima erreichen. Deshalb ist es auch ein zentrales Anliegen des Projekts
„KUHproKLIMA“, das Bajohr vor drei Jahren initiiert hat und jetzt leitet.
Wird Grünland vernünftig beweidet, so der Gedanke, ist der Humusaufbau
größer, als wenn nur gemäht wird. Insgesamt sieben landwirtschaftliche
Betriebe im Allgäu wollen in dem Projekt „verschiedene Herangehensweisen
hin zu einer standortgerechten, klimafreundlichen, resilienten
Grünlandbewirtschaftung erproben“, so die Projektbeschreibung.
Wie können Emissionen und Betriebskosten zugleich gesenkt werden? Welche
Rahmenbedingungen sind nötig, damit die Kuh ihre Qualitäten voll ausspielen
kann? Um diese Fragen geht es. Am Ende soll ein Best-Practice-Leitfaden
stehen, der interessierten Kolleginnen und Kollegen, die sich „auf eine
klimafreundlichere, existenzsichernde Grünlandbewirtschaftung“ einlassen
wollen, eine Fülle von Fallbeispielen und Tipps liefern soll.
Das Ganze wird wissenschaftlich flankiert; Kartierungen und Bodenproben
sollen etwa belegen, welche Maßnahmen das Biotop Weide durch eine größere
Artenvielfalt bereichern oder auch den Aufbau von Humus und damit die
Einlagerung von Kohlenstoff befördern. Das Projekt wird von der EU
gefördert, für die übrige Finanzierung sucht Bajohr [6][Unterstützer via
Crowdfunding].
## Weniger Fleisch vom Schwein und Huhn
Ein abendlicher Abstecher in den Chiemgau: Der Saal des Gasthofs Alpenblick
in Weibhausen ist voll. An die hundert Leute sind gekommen. Hinter Ulrich
Mück stieren zwei große Rindsköpfe in den Saal. Es ist das Startbild seiner
Präsentation. Mück, Agraringenieur, Berater für Ökolandbau und
Vortragsreisender in Sachen Kuh, trägt ein Sakko mit Ärmelschonern. Brille,
grauer Bart, sehr schlank. Mehr so Typ Hochleistungsmilchkuh ohne
Fleischansatz, scherzt er selbst. Gerade hat er noch einen Tafelspitz mit
Kartoffelsalat verspeist. Ein Vertreter des Bauernverbands kündigt den
Referenten an, „der wo sich mit dem beschäftigt, was der Grund alles Bösen
ist“. Gemeint ist die Kuh, und gemeint ist es natürlich ironisch.
Was folgt, ist ein zweistündiger Parforceritt durch Evolution,
Kulturgeschichte und Verdauungstrakt der Wiederkäuer im Allgemeinen und des
Rindes im Speziellen. Seit 34 Jahren ist Mück jetzt im Auftrag der Kuh
unterwegs. Wie Christine Bajohr und Wilhelm Windisch plädiert er für einen
radikalen Umbau der Landwirtschaft – unter tatkräftiger Beteiligung der
Kuh. Die Fleischreduzierung sollte bei Geflügel und Schwein ansetzen,
fordert er, die zusammen 82,5 Prozent des Schlachtgewichts in Deutschland
ausmachten.
Besteck klappert, Bedienungen wuseln durch den Saal: Wer kriegt den
Schweinsbraten, wer das Pfeffersteak? Und wer die Rindersuppe? Es ist ein
typisches bayerisches Wirtshaus, Blümchen auf Tischdecken und Vorhängen –
und auf der Speisekarte, wie es sich gehört, reichlich Fleisch.
Mück erzählt seinem Publikum, wie die Kuh den Humusaufbau befördert. Jedes
Mal, wenn eine Pflanze verbissen wird, stirbt ein Teil des Wurzelsystems
ab, hinterlässt organische Substanz und Kohlenstoff im Boden, und die
Pflanze treibt neu aus. Mück erzählt auch von der Artenvielfalt auf einer
Weide. Welches Labsal etwa ein Kuhfladen für Insekten sei und welche
Bedeutung er somit für ganze Nahrungsketten habe. So habe man in der
Oberpfalz durch spezielle Beweidungsprojekte die letzten deutschen
Exemplare der Großen Hufeisennase, einer Fledermausart, vor dem Aussterben
bewahrt. Gülledüngung könne das Meisterwerk eines Kuhfladen nicht ersetzen.
## „Wer Milch trinkt, muss auch Rindfleisch essen“
Und Mück hat noch eine weitere Botschaft für seine Zuhörer: Wer Milch
trinkt, muss auch Rindfleisch essen. Er hat es ausgerechnet: Damit die
Kälber der Milchkühe im Ökolandbau artgerecht aufgezogen und als
Ökomastrind gehalten werden können, müssen für jeden Liter Milch 25 bis 30
Gramm Rindfleisch gegessen werden. Denn andernfalls müsse man sich nicht
wundern, wenn die Kälber aus der Biomilchproduktion unter fragwürdigen
Bedingungen bis nach Tunesien oder Usbekistan gekarrt würden. Nicht gerade
das, was sich der Biokunde wünscht. „Die Kälbertransporte, für die wir
immer kritisiert werden, an denen ist der Verbraucher schuld“, ruft prompt
ein Bauer in den Saal. „Früher haben wir die Kälber halt an den
Bullenmäster gegeben. Aber die machen jetzt Biogas, weil sie das Fleisch
nicht mehr loskriegen. Und seiba kömmas ned essen.“
Zum Schluss schaut Christine Bajohr noch schnell bei den Milchkühen und
ihren Kälbern nach dem Rechten. „So möchte ich sie sehen: eine zufriedene,
entspannte Herde“, sagt die Bäuerin und stellt die Tiere vor. Da wäre
gleich am Gatter Liane, mit ihren 14 Jahren die älteste der neun Milchkühe.
Ihre Urgroßmutter wurde schon auf dem Hof geboren. Sie ist nicht die
Hellste, etwas orientierungslos, aber ein lieber Charakter. Dann Gladini,
die Leitkuh, ihre Freundin Annika, Frau Holle, Hummel, Birketta, die nichts
anbrennen lässt, und, und, und … 2014 haben die Bajohrs auf muttergebundene
Kälberaufzucht umgestellt, das heißt, die Kälber bleiben die ersten Monate
an der Seite ihrer Mütter.
Und irgendwann, da hat Christine Bajohr dann beschlossen: Lebend gibt sie
kein Tier mehr her. Deshalb werden jetzt auch die Jungrinder hier
aufgezogen, bis sie im Alter von zwei bis zweieinhalb Jahren für die
Direktvermarktung geschlachtet werden. Bajohr ist es nicht nur wichtig, wie
die Tiere leben, sondern auch, wie sie sterben. Die Bauern der Umgebung
haben sich schon vor Jahrzehnten gemeinsam ein kleines Schlachthaus gebaut,
in dem Metzger aus der Gegend bei Bedarf für sie schlachten. Gerade mal 900
Meter ist es vom Hof entfernt. „Die Tiere denken, sie fahren auf die Weide,
weil wir ja das mit denen als Jungvieh geübt haben.“ Natürlich gibt es
Schöneres im Alltag einer Bäuerin. Aber: „Das gehört dazu“, sagt Bajohr.
Wer Rinder haben will, muss sie töten.
15 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.xn--kugelsdhanghof-lsb.de/
[2] https://www.kuhproklima.de/
[3] https://www.peta.de/themen/gruende-gegen-fleisch/
[4] https://www.wzw.tum.de/index.php?id=2
[5] /Methan-Emissionen-steigen-an/!5700764
[6] https://www.kuhproklima.de/crowdfunding.html
## AUTOREN
Dominik Baur
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