# taz.de -- Landwirtschaft und Klima: Klimaretterin Kuh | |
> Das Rind rülpst das Treibhaus voll und verdirbt dem Veganer den Appetit. | |
> Doch seine Freunde sind überzeugt: Die Tiere können dem Klima helfen. | |
Bild: Glückliche Kühe auf dem Kugelsüdhanghof | |
SIBRATSHOFEN/FREISING/WEIBHAUSEN taz | Christine Bajohr zeigt auf den Hang | |
hinter ihrem Bauernhaus: „Wenn das mit dem Klimawandel so klappt, wie wir | |
uns das vorstellen, dann können wir da oben bald Wein anbauen“, sagt sie. | |
Eine wie Bajohr darf sich so eine Prise Sarkasmus zwischenrein schon mal | |
erlauben, denn die Gefahr, dass er bei ihr in Fatalismus umschlägt, ist | |
nicht sehr hoch. Im Gegenteil: Sie stemmt sich ja mit aller Kraft gegen | |
das, was da auf sie zukommt – und wenn’s der ganze Berg ist. | |
Natürlich will Christine Bajohr trotz der schönen Hanglage ihres Hofs, des | |
[1][Kugelsüdhanghofs], hier im Oberallgäu keinen Wein anbauen, sondern | |
weiterhin Milchwirtschaft betreiben. Doch es wird nicht gerade leichter. | |
Der Klimawandel ist hier längst angekommen. Mit einigen Mitstreitern will | |
die Bäuerin jetzt auf ihrem und ein paar anderen Höfen zeigen, was man | |
vielleicht noch alles anders machen kann in der Landwirtschaft, wie man die | |
Sache vielleicht noch drehen kann. | |
Was Bajohrs Unterfangen ungewöhnlich macht, ist die prominente Rolle, die | |
der Kuh darin zukommt. „[2][KUHproKlima]“ heißt das Projekt und dürfte | |
schon allein aufgrund des Titels bei vielen ein reflexhaftes Kopfschütteln | |
auslösen. Ist doch allgemein bekannt, dass die Kuh ein Klimakiller ist. | |
Denn als Wiederkäuerin produziert sie das besonders fiese Treibhausgas | |
Methan. Bei rund 1,5 Milliarden Rindern, die es weltweit geben soll, | |
läppert sich da schon etwas zusammen, möchte man meinen. Öffentliche | |
Sympathiebekundungen für die Rinderhaltung verlangen daher etwas Mut. | |
Bajohr hat zu Kaffee und Keksen geladen, draußen am Gartentisch vor dem 120 | |
Jahre alten Bauernhaus. Sie hat sich im Schneidersitz auf das Sofa gesetzt, | |
die Brille ins brünette Haar gesteckt. Eigentlich kommt sie aus der | |
Stuttgarter Gegend, aus Vaihingen an der Enz. Mitte fünfzig ist sie jetzt, | |
war viel unterwegs, in jungen Jahren auch mal eine Zeitlang in Neuseeland; | |
aber erst im Allgäu, wohin es sie mit ihrem ersten Mann verschlagen hat, | |
ist sie sesshaft geworden. Und hier ist sie auf die Kuh gekommen. | |
## Neun Kilo Rindfleisch isst der Durchschnittsdeutsche | |
Den Kugelsüdhanghof führt sie gemeinsam mit ihrem jetzigen Mann, dem | |
Hoferben Martin Wiedemann-Bajohr. Es ist ein kleiner Betrieb, idyllisch | |
gelegen, 22,5 Hektar, gerade mal neun Milchkühe, Demeter. Ihr Mann, | |
gelernter Karosseriebauer, arbeitet halbtags auch noch in einer Firma, die | |
Schneefräsen herstellt. Sibratshofen heißt das Dorf, zu dem der Hof gehört, | |
die Grenze zu Baden-Württemberg ist nicht weit. | |
Es ist später Vormittag, der Milchlaster hat gerade die Milch für die | |
Schönegger Käsealm abgeholt, kritisch beäugt von Anton, dem Hofhund. Anton | |
ist eine Promenadenmischung aus einem polnischen Tierheim, deren Beine | |
etwas zu kurz geraten sind. Aber im tiefsten Inneren, versichert Bajohr, | |
sei Anton ein Dobermann. Im Kaffee ist, was sonst, Rohmilch. Vom | |
Gartentisch aus kann man auf eine der Weiden des Hofes hinunterschauen. | |
Dort stehen acht Schumpen, wie man die Jungrinder im Allgäu nennt. | |
Gut elf Millionen Rinder gibt es in Deutschland, darunter knapp vier | |
Millionen Milchkühe. Die schwarzbunte Holsteinkuh, das Simmentaler | |
Fleckvieh, Braun- und Grauvieh et cetera. Sie stehen in Ställen, | |
Laufställen und auf der Weide. Nett anzuschauen sind sie ja, die 600 Kilo | |
Tier: die Augen groß, die Wimpern lang, das Wesen in der Regel freundlich | |
und neugierig. Sollte man sie halten? Sollte man sie essen? Die Meinungen | |
gehen auseinander. Der Rindfleischkonsum in Deutschland nimmt ab. Und doch | |
isst der Durchschnittsdeutsche noch immer mehr als neun Kilo im Jahr. Dazu | |
kommen über 80 Kilo Milchprodukte. | |
Es gibt Kritiker, die Nutztierhaltung grundsätzlich und ohne Ausnahme | |
ablehnen. So argumentiert beispielsweise die Tierrechtsorganisation Peta | |
auf ihrer Website, [3][es sei nicht „normal“ für Menschen, Fleisch zu | |
essen], und man solle sich ins Gedächtnis rufen, dass es in früheren Zeiten | |
auch als „normal“ gegolten habe, andere Menschen als Sklaven zu halten. | |
Unter dieser Prämisse wäre natürlich die Frage, ob eine Landwirtschaft, die | |
auf maßvolle und durchdachte Nutztierhaltung setzt, einer rein vegan | |
ausgerichteten Landwirtschaft in Sachen Klimaschutz und Welternährung | |
überlegen sein könnte, moralisch nicht zu rechtfertigen. | |
## Die landwirtschaftlichen Flächen werden knapp | |
Für Menschen mit einer weniger radikalen Haltung könnte die Frage aber | |
durchaus interessant sein. Denn die meisten Argumente gegen den Konsum von | |
Milch und Rindfleisch wenden sich bei näherer Betrachtung nicht gegen die | |
Kuh als solches, sondern gegen die gravierenden Missstände, wie sie heute | |
weltweit in der real existierenden Nutztierhaltung tatsächlich gang und | |
gäbe sind. Es tut also Not, ein wenig zu differenzieren. | |
Wilhelm Windisch sollte dazu in der Lage sein – obwohl auch er einer dieser | |
Kuhfreunde ist. Einer, der beispielsweise behauptet, das Rind sei | |
evolutionär gesehen die erfolgreichste Spezies überhaupt. Wie sich dieses | |
Tier in Sachen Eiweißversorgung unabhängig gemacht habe, einfach grandios! | |
Man trifft Windisch in einem schmucklosen Bau auf dem [4][Weihenstephaner | |
Campus der Technischen Universität München] an. Es sind seine letzten Tage | |
hier, mit dem Ende des Semesters geht der Professor in den Ruhestand. Sein | |
repräsentatives und geräumiges Büro hat der Inhaber des Lehrstuhls | |
Tierernährung schon verlassen müssen, jetzt sitzt er hier in einem schmalen | |
Zimmer, das kaum Platz für einen Schreibtisch bietet. „Mein | |
Austragsstüberl“, sagt er. Das Whiteboard an der Wand über dem Schreibtisch | |
ist unbeschrieben. Windisch lehnt sich in seinem Drehsessel zurück, faltet | |
die Hände über dem Bauch und legt los. | |
Seine Erläuterungen beginnen mit einem Fußballfeld. Windisch rechnet gern | |
in Fußballfeldern. Eine landwirtschaftliche Fläche eben dieser Größe, | |
erklärt er, benötige man heute, um drei Menschen zu ernähren. Aber 2050 | |
müsse man auf demselben Feld schon mehr als fünf Menschen satt bekommen. | |
Dabei seien nur die Strafräume Ackerfläche, also für den Anbau veganer | |
Lebensmittel geeignet. Man muss kein Fußballexperte sein, um zu erkennen: | |
Das wird eng. | |
Schuld daran sind in Deutschland etwa der Flächenfraß, der beispielsweise | |
in Bayern täglich mehr als zehn Hektar beste Böden in Betonwüste | |
verwandelt, aber weltweit fielen die Böden vor allem auch Erosion und | |
Verwüstung anheim – Folgen des Klimawandels. Dazu kommt natürlich das | |
Wachstum der Weltbevölkerung. | |
## Weizen als Tierfutter, das geht gar nicht | |
Schön und gut, aber was hat das nun mit der Kuh zu tun? Hat da nicht der | |
Professor mit seinem Strafraum-Beispiel den Gegnern jeglicher | |
Nutztierhaltung gerade das beste Argument an die Hand gegeben? Schließlich | |
weiß doch jeder: Um ein Kilo tierisches Eiweiß herzustellen, braucht man | |
ein Vielfaches an pflanzlichem Eiweiß. Je nach Quelle unterscheiden sich | |
zwar die Angaben, aber selbst die niedrigsten Berechnungen gehen noch vom | |
Fünffachen aus. Sprich: Jeder Fleck des Fußballfeldes, den wir Tieren | |
abtreten, ist doch reinste Verschwendung. | |
Einspruch, ruft da Windisch, so einfach sei es nun auch wieder nicht. Was | |
man da oft an Argumenten aufgetischt bekomme, sei ein „Konglomerat von | |
Narrativen, von Verkürzungen“. Eine dieser Verkürzungen beispielsweise ist | |
die Annahme, man müsse Tiere mit denselben Lebensmitteln ernähren wie | |
Menschen. Eine Annahme, die darauf fußt, dass es ja zu einem Großteil | |
tatsächlich so praktiziert wird. In Deutschland, erzählt Windisch, werde | |
etwa die Hälfte der Ackerfläche für den Anbau von Tierfutter verwendet, zum | |
Großteil Silomais. Die Hälfte! | |
Zwei andere Zahlen: Ein Drittel der globalen Getreideernte und über drei | |
Viertel der Sojaernte landet im Futtertrog. „Wir haben tatsächlich eine | |
intensive Tierproduktion, die enorme Mengen an Lebensmitteln verbraucht“, | |
so Windisch. An das heutige Hochleistungsgeflügel zum Beispiel würden fast | |
ausschließlich hochwertige Ackerprodukte verfüttert. Bei der Kuh sei der | |
Anteil deutlich niedriger, aber auch rund 30 Prozent des Rinderfutters in | |
Mitteleuropa bestünden aus Getreide und anderen Ackerpflanzen. Ein Unding, | |
das findet auch Windisch. „Da bin ich völlig d’accord mit dem veganen | |
Konzept: Was wir selbst essen können, sollten wir nicht an Tiere | |
verfüttern.“ Das Stichwort lautet: Nahrungskonkurrenz. | |
Nur: Was, wenn das Tier dem Menschen gar nichts wegfrisst? So wie die Kühe | |
der Bajohrs. Sie ernähren sich ausschließlich von Gras und Heu, Pflanzen, | |
die der härteste Veganermagen nicht verwerten könnte. Und damit kommt | |
Windisch zurück auf die Kuh als Geniestreich der Evolution. Kuh und | |
Grasland hätten sich gleichzeitig entwickelt – vor über 30 Millionen | |
Jahren. Ohne Gras kein Rind, ohne Rind aber auch kein Gras. | |
## Umwandlung von Grünland? „Geht gar nicht!“ | |
Und schon sind wir tief drin im Pansen, dessen Funktionsweise zu erklären | |
sich Wilhelm Windisch nicht zweimal bitten lässt: „So eine Kuh, die frisst | |
ja gar kein Gras“, erklärt der Wissenschaftler mit seinem leicht | |
fränkischen Einschlag dann auch gleich, „sondern die füttert ihren Pansen | |
mit Gras.“ In dem prominentesten der vier Mägen der Kuh seien Bakterien, | |
die das ansonsten nicht verdaubare Gras zu Eiweiß verarbeiteten. Erst | |
dieses Produkt sei dann die eigentliche Nahrung der Kühe, die sie beim | |
Wiederkäuen fräßen und ihrerseits wieder in Milch und Fleisch überführten. | |
Das Ergebnis: Der Mensch erhält zusätzliche Lebensmittel, ohne dafür auf | |
eine einzige Kartoffel, eine Weizenähre oder ein Salatblatt verzichten zu | |
müssen. | |
Aber könnten wir nicht einfach die Wiesen und Weiden zu Äckern machen und | |
für den Anbau von veganen Lebensmitteln nutzen, anstatt Kühe darauf zu | |
stellen? Nein, sagt Windisch. Zum einen werde bei der Umwandlung von | |
Grünland in Acker unglaublich viel CO2 freigesetzt. „Das ist wie das | |
Abholzen von Wald oder das Trockenlegen von Mooren. Geht gar nicht.“ Zum | |
anderen seien alle Flächen, die sich als Acker eigneten, längst Ackerland. | |
Und selbst dort fällt noch Futter für Nutztiere an. „Auf einem Getreidefeld | |
wachsen ja keine Körner“, sagt Windisch. „Da wachsen ganze Pflanzen.“ Pro | |
Kilogramm pflanzliches Lebensmittel fielen vier Kilogramm für den Menschen | |
nicht essbare Biomasse an. Verfüttert man auch diese, erhält man nach | |
Windischs Berechnungen ein weiteres Kilo tierische Lebensmittel. „Sie | |
verdoppeln über die Nutztiere praktisch die vegane Basisproduktion – ganz | |
ohne Nahrungskonkurrenz.“ | |
Auf diese Weise, so Windisch, könne man die Bevölkerung mit Hilfe von | |
Wiederkäuern auch weiterhin gut ernähren. Dass das unter dem Strich jedoch | |
bedeuten würde, dass wir dann deutlich weniger tierische Produkte auf dem | |
Teller hätten, steht für Windisch außer Frage. Er klappt sein Laptop auf, | |
öffnet eine Powerpoint-Präsentation. Auf einer Folie ist ein von der | |
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften für die Schweiz | |
berechnetes Szenario dargestellt: Würde man dort Nutztiere nur noch mit | |
nicht essbarer Biomasse füttern, müsste man den Konsum von Schweinefleisch | |
um 70 Prozent, den von Geflügel sogar um 99 Prozent und den von Eiern um 95 | |
Prozent reduzieren. Bei Milch wären es nur 30, bei Rindfleisch 40 Prozent. | |
Bleibt dennoch das Problem der Klimakillerkuh. Klar, ohne Methanbildung | |
geht es nicht, sagt Windisch. „Es ist der Preis, den ich bezahlen muss, | |
damit ich sehr große Mengen an nicht essbarem Material in etwas Essbares | |
überführen kann.“ Die unmittelbare Treibhauswirkung des Gases sei rund | |
85-mal so stark wie die von CO2. [5][Ein klimatischer Hufabdruck, der es in | |
sich hat.] Aber immerhin: Während CO2 Jahrtausende in der Atmosphäre | |
verweile, habe Methan eine relativ kurze Halbwertszeit und sei schon nach | |
wenigen Jahrzehnten kaum noch nachzuweisen. Dadurch akkumuliere sich das | |
Methan in der Atmosphäre nicht. | |
Es gebe aber einen ständigen Sockel, der sich immer wieder erneuere. Daher | |
sei es wichtig, die Methanbürde so gering wie möglich zu halten, den Sockel | |
ein wenig abzutragen. Eine Stellschraube hierfür sei beispielsweise das | |
Tierwohl. Wenn die Milchkühe gesund seien und vor allem länger lebten, | |
reduziere sich auch die Methanlast pro Liter Milch. In Deutschland sinke | |
der Methanausstoß der Rinder infolge der niedrigeren Bestandszahlen ohnehin | |
seit mehreren Jahrzehnten. Inzwischen produzierten die Rinder hierzulande | |
weniger Methan als vor der Industrialisierung. | |
Christine Bajohr führt runter auf die Weiden. Anton läuft schon mal voraus. | |
Die Schumpen haben sich hingelegt. Nach der morgendlichen Graserei walten | |
sie nun ihres Amtes und käuen wieder. Mit der Lässigkeit eines Kaugummi | |
kauenden Teenagers verwandeln sie Unverdauliches in beste Proteine. | |
„Also ich denke, ohne Tiere auf der Weide geht es nicht“, sagt Bajohr. „D… | |
ist unser großer Fehler, dass wir sie aus der Gleichung rausgenommen haben, | |
denn das Ökosystem Grünland funktioniert nur mit biologischer Vielfalt – | |
mit Kühen, Insekten und anderen Tieren.“ Am besten auch mit Hecken und | |
Bäumen – eines der nächsten großen Projekte der Bajohrs. | |
## Ein ausgefeiltes Weidemanagement für das Klima | |
Die Bäuerin zeigt noch schnell die benachbarte Weidefläche, auf der die | |
Tiere vier Tage zuvor waren. Das Gras steht noch zehn bis zwanzig | |
Zentimeter hoch – und das ist Absicht. „Wenn sie nur einmal abgebissen | |
haben, ist es ideal“, erklärt Bajohr. Die Pflanze werde dadurch in ihrer | |
Photosyntheseleistung gefördert und müsse nicht an ihre Reserven gehen. | |
Zudem bleibe mehr Biomasse zurück, höhere Halme und Stängel, die ein | |
hervorragendes Habitat für Insekten böten. „Der Boden trocknet auch nicht | |
so schnell aus, es ist ein ideales Mikroklima.“ Das ist der Grund, warum | |
die Rinder auf dem Kugelsüdhanghof immer nur auf einer vergleichsweise | |
kleinen Fläche weiden dürfen, dafür aber recht häufig den Platz wechseln. | |
Es ist ein Mehraufwand, aber es deutet alles darauf hin, dass er sich | |
lohnt. | |
Bajohr lässt das Gras jetzt drei, vier Wochen nachwachsen, dann wird hier | |
gemäht und Heu gemacht. Nach 45 Tagen dürfen dann wieder die Rinder auf die | |
Weide. Mit einem ausgefeilten Weidemanagement lässt sich viel für Kuh und | |
Klima erreichen. Deshalb ist es auch ein zentrales Anliegen des Projekts | |
„KUHproKLIMA“, das Bajohr vor drei Jahren initiiert hat und jetzt leitet. | |
Wird Grünland vernünftig beweidet, so der Gedanke, ist der Humusaufbau | |
größer, als wenn nur gemäht wird. Insgesamt sieben landwirtschaftliche | |
Betriebe im Allgäu wollen in dem Projekt „verschiedene Herangehensweisen | |
hin zu einer standortgerechten, klimafreundlichen, resilienten | |
Grünlandbewirtschaftung erproben“, so die Projektbeschreibung. | |
Wie können Emissionen und Betriebskosten zugleich gesenkt werden? Welche | |
Rahmenbedingungen sind nötig, damit die Kuh ihre Qualitäten voll ausspielen | |
kann? Um diese Fragen geht es. Am Ende soll ein Best-Practice-Leitfaden | |
stehen, der interessierten Kolleginnen und Kollegen, die sich „auf eine | |
klimafreundlichere, existenzsichernde Grünlandbewirtschaftung“ einlassen | |
wollen, eine Fülle von Fallbeispielen und Tipps liefern soll. | |
Das Ganze wird wissenschaftlich flankiert; Kartierungen und Bodenproben | |
sollen etwa belegen, welche Maßnahmen das Biotop Weide durch eine größere | |
Artenvielfalt bereichern oder auch den Aufbau von Humus und damit die | |
Einlagerung von Kohlenstoff befördern. Das Projekt wird von der EU | |
gefördert, für die übrige Finanzierung sucht Bajohr [6][Unterstützer via | |
Crowdfunding]. | |
## Weniger Fleisch vom Schwein und Huhn | |
Ein abendlicher Abstecher in den Chiemgau: Der Saal des Gasthofs Alpenblick | |
in Weibhausen ist voll. An die hundert Leute sind gekommen. Hinter Ulrich | |
Mück stieren zwei große Rindsköpfe in den Saal. Es ist das Startbild seiner | |
Präsentation. Mück, Agraringenieur, Berater für Ökolandbau und | |
Vortragsreisender in Sachen Kuh, trägt ein Sakko mit Ärmelschonern. Brille, | |
grauer Bart, sehr schlank. Mehr so Typ Hochleistungsmilchkuh ohne | |
Fleischansatz, scherzt er selbst. Gerade hat er noch einen Tafelspitz mit | |
Kartoffelsalat verspeist. Ein Vertreter des Bauernverbands kündigt den | |
Referenten an, „der wo sich mit dem beschäftigt, was der Grund alles Bösen | |
ist“. Gemeint ist die Kuh, und gemeint ist es natürlich ironisch. | |
Was folgt, ist ein zweistündiger Parforceritt durch Evolution, | |
Kulturgeschichte und Verdauungstrakt der Wiederkäuer im Allgemeinen und des | |
Rindes im Speziellen. Seit 34 Jahren ist Mück jetzt im Auftrag der Kuh | |
unterwegs. Wie Christine Bajohr und Wilhelm Windisch plädiert er für einen | |
radikalen Umbau der Landwirtschaft – unter tatkräftiger Beteiligung der | |
Kuh. Die Fleischreduzierung sollte bei Geflügel und Schwein ansetzen, | |
fordert er, die zusammen 82,5 Prozent des Schlachtgewichts in Deutschland | |
ausmachten. | |
Besteck klappert, Bedienungen wuseln durch den Saal: Wer kriegt den | |
Schweinsbraten, wer das Pfeffersteak? Und wer die Rindersuppe? Es ist ein | |
typisches bayerisches Wirtshaus, Blümchen auf Tischdecken und Vorhängen – | |
und auf der Speisekarte, wie es sich gehört, reichlich Fleisch. | |
Mück erzählt seinem Publikum, wie die Kuh den Humusaufbau befördert. Jedes | |
Mal, wenn eine Pflanze verbissen wird, stirbt ein Teil des Wurzelsystems | |
ab, hinterlässt organische Substanz und Kohlenstoff im Boden, und die | |
Pflanze treibt neu aus. Mück erzählt auch von der Artenvielfalt auf einer | |
Weide. Welches Labsal etwa ein Kuhfladen für Insekten sei und welche | |
Bedeutung er somit für ganze Nahrungsketten habe. So habe man in der | |
Oberpfalz durch spezielle Beweidungsprojekte die letzten deutschen | |
Exemplare der Großen Hufeisennase, einer Fledermausart, vor dem Aussterben | |
bewahrt. Gülledüngung könne das Meisterwerk eines Kuhfladen nicht ersetzen. | |
## „Wer Milch trinkt, muss auch Rindfleisch essen“ | |
Und Mück hat noch eine weitere Botschaft für seine Zuhörer: Wer Milch | |
trinkt, muss auch Rindfleisch essen. Er hat es ausgerechnet: Damit die | |
Kälber der Milchkühe im Ökolandbau artgerecht aufgezogen und als | |
Ökomastrind gehalten werden können, müssen für jeden Liter Milch 25 bis 30 | |
Gramm Rindfleisch gegessen werden. Denn andernfalls müsse man sich nicht | |
wundern, wenn die Kälber aus der Biomilchproduktion unter fragwürdigen | |
Bedingungen bis nach Tunesien oder Usbekistan gekarrt würden. Nicht gerade | |
das, was sich der Biokunde wünscht. „Die Kälbertransporte, für die wir | |
immer kritisiert werden, an denen ist der Verbraucher schuld“, ruft prompt | |
ein Bauer in den Saal. „Früher haben wir die Kälber halt an den | |
Bullenmäster gegeben. Aber die machen jetzt Biogas, weil sie das Fleisch | |
nicht mehr loskriegen. Und seiba kömmas ned essen.“ | |
Zum Schluss schaut Christine Bajohr noch schnell bei den Milchkühen und | |
ihren Kälbern nach dem Rechten. „So möchte ich sie sehen: eine zufriedene, | |
entspannte Herde“, sagt die Bäuerin und stellt die Tiere vor. Da wäre | |
gleich am Gatter Liane, mit ihren 14 Jahren die älteste der neun Milchkühe. | |
Ihre Urgroßmutter wurde schon auf dem Hof geboren. Sie ist nicht die | |
Hellste, etwas orientierungslos, aber ein lieber Charakter. Dann Gladini, | |
die Leitkuh, ihre Freundin Annika, Frau Holle, Hummel, Birketta, die nichts | |
anbrennen lässt, und, und, und … 2014 haben die Bajohrs auf muttergebundene | |
Kälberaufzucht umgestellt, das heißt, die Kälber bleiben die ersten Monate | |
an der Seite ihrer Mütter. | |
Und irgendwann, da hat Christine Bajohr dann beschlossen: Lebend gibt sie | |
kein Tier mehr her. Deshalb werden jetzt auch die Jungrinder hier | |
aufgezogen, bis sie im Alter von zwei bis zweieinhalb Jahren für die | |
Direktvermarktung geschlachtet werden. Bajohr ist es nicht nur wichtig, wie | |
die Tiere leben, sondern auch, wie sie sterben. Die Bauern der Umgebung | |
haben sich schon vor Jahrzehnten gemeinsam ein kleines Schlachthaus gebaut, | |
in dem Metzger aus der Gegend bei Bedarf für sie schlachten. Gerade mal 900 | |
Meter ist es vom Hof entfernt. „Die Tiere denken, sie fahren auf die Weide, | |
weil wir ja das mit denen als Jungvieh geübt haben.“ Natürlich gibt es | |
Schöneres im Alltag einer Bäuerin. Aber: „Das gehört dazu“, sagt Bajohr. | |
Wer Rinder haben will, muss sie töten. | |
15 Jun 2022 | |
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[1] https://www.xn--kugelsdhanghof-lsb.de/ | |
[2] https://www.kuhproklima.de/ | |
[3] https://www.peta.de/themen/gruende-gegen-fleisch/ | |
[4] https://www.wzw.tum.de/index.php?id=2 | |
[5] /Methan-Emissionen-steigen-an/!5700764 | |
[6] https://www.kuhproklima.de/crowdfunding.html | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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