| # taz.de -- Rinderhaltung und CO2-Emission: Auf der Weide grast sich's schöner | |
| > Weidehaltung kann umwelt- und tierfreundlicher sein als die Fütterung im | |
| > Stall, sagt eine Studie. Sind Rinder doch keine Klimakiller? | |
| Bild: Freier Auslauf auf der grünen Wiese fördert nicht nur die Tiergesundheit | |
| München taz | Kühe haben mittlerweile ein denkbar schlechtes Image. [1][Sie | |
| gelten als Klimakiller] und Wasserverseucher – Fleisch und Milch steht | |
| daher auf dem Index von umweltbewussten Zeitgenossen. Doch es mehren sich | |
| Studien, dass es einen Unterschied macht, wie die Tiere gehalten werden, | |
| also ob die Rinder im Stall gehalten und mit Kraftfutter gemästet werden | |
| oder regelmäßig auf der Weide grasen. Ist Milch und Fleisch von Weidekühen | |
| vielleicht sogar umweltfreundlicher? | |
| Bei der Produktion von Rindfleisch und Milch entstehen erhebliche Mengen an | |
| Treibhausgasen, [2][vor allem Methan]. Die Krux: Methan ist rund 28-mal | |
| klimaschädlicher als Kohlendioxid. Die Kuh bildet es bei ihrer | |
| komplizierten Verdauung. Tatsächlich entsteht sogar pro Liter Milch mehr | |
| Methan, wenn die Kuh auf der Weide frisst und nicht aus dem Futterbottich. | |
| Denn: Die Mikroorganismen müssen hier mehr arbeiten, um die Fasern | |
| aufzuspalten. Allerdings wird auf Dauergrünland mehr Kohlendioxid im Boden | |
| nachhaltig in den Wurzeln unter der Grasnarbe gebunden als auf Äckern. | |
| Umgekehrt entstehen bei der Produktion von Kraftfutter auch noch weitere | |
| Klimagase, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Kraftfutter | |
| besteht vor allem aus Soja und Mais. Soja kommt jedoch meist aus Übersee, | |
| wo für den Anbau erhebliche Mengen mineralischer Dünger und | |
| Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen und im schlimmsten Fall sogar | |
| Regenwälder dafür abgeholzt werden. | |
| Bei der Herstellung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln als auch bei der | |
| Landnutzungsänderung vom Urwald zur Sojaplantage entstehen wiederum | |
| klimaschädliche Gase, vor allem Kohlendioxid und Lachgas. Auch der lange | |
| Transportweg nach Europa trägt zur schlechten Klimabilanz bei. | |
| ## Klimagase sind nicht vermeidbar | |
| In der sogenannten Grazing-Bewegung wird darum sogar behauptet, dass bei | |
| der Weidehaltung so viel [3][Kohlendioxid im Boden] verschwindet, dass sich | |
| die Bilanz ins Negative kehrt, die Produktion von Milch und Fleisch also | |
| mehr Klimagase aufnimmt als ausstößt. Die Organisation Sustainable Food | |
| Trust gehört etwa zu den Verfechtern dieser Theorie und schlussfolgert in | |
| einer Studie aus dem Jahr 2020, dass man darum lieber Milch aus | |
| Weidehaltung trinken sollte als Sojamilch. Das Rind sei also kein | |
| Klimakiller, sondern ein Klimaretter. | |
| Hans Marten Paulsen, Agrarwissenschaftler am Thünen-Institut für | |
| Ökologischen Landbau hält jedoch dagegen: „Die Viehhaltung geht immer mit | |
| der Emission von Klimagasen einher, egal welches Haltungssystem man | |
| betrachtet.“ Auch eine Publikation mehrerer Forschungsinstitute unter der | |
| Leitung der Universität Oxford aus dem Jahr 2017 hat die Thesen der | |
| Grazing-Bewegung ausführlich widerlegt. | |
| Paulsen und seine Kollegen haben zudem für die deutschen konventionellen | |
| und ökologischen Milchbetriebe belegt: Hinsichtlich der Klimawirkung | |
| bezogen auf einen Liter Milch gibt es nicht generell Unterschiede zwischen | |
| Weidegang oder reiner Stallhaltung, das hängt ganz vom Produktionssystem | |
| ab. | |
| „Weil Weiden und Wiesen mehr Humus enthalten, ist ihr Erhalt jedoch sehr | |
| wichtig für den Klimaschutz“, sagt Paulsen. Carsten Malisch von der | |
| Universität Kiel, der ebenfalls eine Studie dazu veröffentlicht hat, | |
| ergänzt: „Weidegang kann aber besser abschneiden, wenn wenige Tiere mit | |
| hoher Milchleistung gehalten werden.“ | |
| ## „Grünland bietet mehr Biodiversität als ein Acker“ | |
| Wichtig wäre es darum, laut Malisch, dass die Tiere ein hochwertiges Futter | |
| erhalten, auf der Wiese also viel Klee oder Luzerne wächst. Denn diese | |
| Leguminosen enthalten viele Proteine, deren Umsetzung weniger Methan | |
| freisetzt. Und sie tragen Stickstoff in den Boden ein, sind also ein | |
| natürlicher Dünger. | |
| Weideland hat zudem andere Umweltvorteile: „Grünland bietet mehr | |
| Biodiversität als ein Acker“, sagt Paulsen. „Eine Beweidung fördert dies | |
| noch, weil die Tiere selektiv fressen und durch ihren Tritt | |
| unterschiedliche Lebensräume schaffen.“ So gibt es mehr Tierarten wie | |
| Mistkäfer, Nektarsammler und Spinnen sowie mehr Gräser- und Blühpflanzen, | |
| davon profitieren wiederum Vögel und Hasen. In Kuhfladen nisten viele | |
| Insekten, und Samen werden über Fell, Hufe und Kot verteilt. | |
| „Die Biodiversität hängt aber letztendlich vom Weidemanagement ab und von | |
| Besatzdichten.“ Zu viele Tiere auf der Weide sind also kontraproduktiv. | |
| Zudem sind Grünlandflächen für den Menschen ohne Wiederkäuer nicht nutzbar, | |
| weil er Gras nicht verdauen kann. Es entsteht darum auch keine | |
| Nahrungskonkurrenz zum Menschen im Gegensatz zur Haltung von Hühnern und | |
| Schweinen, deren Futtergrundlage Getreide und Hülsenfrüchte sind. | |
| Dauergrünland ist auch weniger von Erosion betroffen, das Vermögen Wasser | |
| zu binden, ist ebenso größer. Dies wappnet den Boden gegen Dürre oder | |
| Landschaften gegen Hochwasser. | |
| ## Weidemilch-Label auf der Milchtüte | |
| Im Ökolandbau ist Weidegang von April bis Oktober vorgeschrieben. Ökotiere | |
| erhalten meist weniger Kraftfutter als konventionell gefütterte Tiere. Den | |
| Begriff „Weidemilch“ darf ein Landwirt auf die Milchtüte schreiben, wenn | |
| seine Kühe in der Sommersaison mindestens 120 Tage für sechs Stunden grasen | |
| dürfen. Prangt auf einem Milchkarton das „Pro Weideland-Label“, erfüllt es | |
| die Kriterien der Weidemilch, erweitert durch Zusatzregeln, wie etwa | |
| ganzjähriger Auslauf, notfalls auch im Stall. | |
| Der Begriff „Heumilch“ bedeutet: Tiere werden vor allem mit frischem Gras | |
| und Heu gefüttert. Die Tiere haben also nicht unbedingt eine Weide gesehen. | |
| Dennoch: Heumilch hat immer noch eine bessere Ökobilanz als konventionelle | |
| Milch. „Weidefleisch“ kann hingegen auch von Tieren stammen, die eng | |
| gedrängt im Feedlot gehalten wurden. Hier gibt es für Verbraucher also | |
| wenige Orientierungsmöglichkeiten. | |
| Echte Weidehaltung ist aber nicht nur besser für die Umwelt. Auch das | |
| Tierwohl profitiert. Wenn die Tiere mehr als sechs Stunden in der | |
| Sommersaison auf die Weide dürfen, dann geht es ihnen messbar besser. Vor | |
| allem leiden sie seltener an Gelenk- sowie Klauenerkrankungen, hat das | |
| Thünen-Institut belegt. Schließlich können Tiere sich auf der Weide besser | |
| bewegen, was die Knochen und Gelenke gesund hält, und sie können ihrem | |
| natürlichem Verhalten nachgehen. | |
| Es gibt zwar Hinweise, dass die Tiere auch fruchtbarer sind und teilweise | |
| weniger unter Eutererkrankungen leiden. Dies ist allerdings nicht | |
| ausreichend belegt. Wenn Rinder die Wahl haben, halten sie sich aber lieber | |
| auf der Weide als im Stall auf, sogar nachts. | |
| 14 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kathrin Burger | |
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