| # taz.de -- Dennree-Farm im Bioland-Verband: Gut für die Kühe, schlecht für … | |
| > Den Rindern im größten deutschen Ökomilchviehbetrieb geht es zwar besser. | |
| > Dennoch sprechen Kritiker von „Landgrabbing im Ökolandbau“. | |
| Bild: Glücklichere Kühe, dennoch industrielle Produktionsbedingungen in Dennr… | |
| Eichigt taz | Die Agrofarm 2000 GmbH im sächsischen Eichigt war ein | |
| typischer Milchviehbetrieb aus DDR-Zeiten: 1.400 Kühe lebten hier im | |
| Vogtland in engen Ställen, auf perforierten Betonböden, deren Spalten die | |
| Gülle aufnahmen aber auch die Klauen verletzten. Nicht jede Kuh hatte einen | |
| eigenen Liegeplatz, die Hornansätze brannte man den Tieren aus, damit sie | |
| sich in den schmalen Gängen nicht gegenseitig verletzen. Den Stall | |
| verließen sie in der Regel nur auf dem Weg zum Schlachthof. Eine Weide | |
| betraten sie nie. Viele solcher konventionellen Milchviehanlagen im Osten | |
| arbeiten bis heute so. | |
| In Eichigt änderte sich das ab dem Jahr 2015, als der Bio-Großhändler | |
| Dennree mit seiner Supermarktkette Denn's den Betrieb für [1][20 Millionen | |
| Euro] übernahm und auf ökologische Landwirtschaft umstellte. Jetzt heißt | |
| die ehemalige Agrofarm „[2][Hofgut Eichigt]“, ist Deutschlands größter | |
| Bio-Milchviehbetrieb und Mitglied des Ökobauernverbands Bioland. | |
| Dennree riss die alten Ställe kurzerhand ab und baute neue. „Wir haben | |
| ungefähr genauso viel Kühe wie früher, aber drei mal so viel Stallfläche“, | |
| sagt Nadine Adler, Naturschutzbeauftragte des Betriebs, bei einer Führung | |
| für Pressevertreter, an der auch die taz teilnahm. Da nun jede Kuh 15 statt | |
| wie früher 6 Quadratmeter Platz habe, müssten die Tiere auch nicht mehr | |
| enthornt werden. | |
| Die neuen Gebäude sind an den Seiten offen, damit die Kühe auch im Stall | |
| frische Luft haben und das Außenklima wahrnehmen können. Sollte es zu kalt | |
| werden, lassen sich Stoffjalousien an den Seiten nach unten fahren. Der | |
| Dachstuhl ist aus mächtigen gelben Holzbalken gebaut, es fällt viel Licht | |
| in den Stall. | |
| ## Luftigere Ställe, kein perforierter Boden | |
| Jede Kuh hat eine mit weichem Stroh und Kalk eingestreute Box, in die sie | |
| sich legen kann. An einer Seite ist jeweils eine Betonfläche, die nicht | |
| überdacht ist. Der Boden ist nicht mehr perforiert. Stattdessen schiebt | |
| eine Maschine die Gülle in einen Kanal am Ende des Stalls. | |
| „Außerdem lassen wir die Rinder während der gesamten Weidesaison und wann | |
| immer es die Witterung zulässt auf die Weide“, verspricht Adler. Den 800 | |
| Kühen in Eichigt würden dafür zurzeit cirka 70 Hektar Weide zur Verfügung | |
| stehen. Die 700 Tiere am zweiten Standort im nahegelegenen Obertriebel | |
| hätten sogar 200 Hektar. | |
| Das ist mehr, als die [3][Bioland-Richtlinien] verlangen – aber am Standort | |
| Eichigt weniger als beispielsweise das norddeutsche „[4][Pro | |
| Weideland]“-Label, das je Milchkuh und Jahr „mindestens 1.000 Quadratmeter | |
| als Weidefläche“ fordert. Dennoch verkauft Dennree auch die Eichigt-Milch | |
| als „Weidemilch“. | |
| Zusätzlich haben die Tiere des Hofguts einen nicht überdachten Auslauf auf | |
| Betonboden direkt neben den Ställen. Noch in diesem Jahr solle die | |
| Ammenkuhhaltung beginnen: Die Kälber werden dann nicht mehr nur mit Milch | |
| aus einem Eimer ernährt, sondern von einer Ammenkuh. Das gilt als | |
| artgerechter. | |
| Aber das Hofgut ist eben ein riesiger Betrieb. Rund 100 Mitarbeiter, 4.000 | |
| Hektar Land und inklusive der Kälber gut 3.000 Rinder hat er. Der | |
| durchschnittliche Bauer kam 2016 laut Statistischem Bundesamt [5][nur auf | |
| 60 Hektar]. Wer Rinder hielt, hatte im Schnitt lediglich 102. | |
| Nicht Menschen schieben das Futter vor die Kühe, sondern ein | |
| Fütterungsroboter. Den Nachschub streut regelmäßig ein haushoher | |
| Futtermischwagen unter ohrenbetäubendem Lärm vor die Tiere. Sie haben | |
| Nummern, keine Namen. | |
| ## Bis zu 50 Hektar große Felder | |
| Die Felder sind als Folge der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR | |
| relativ groß, „bis zu 40/50 Hektar“, sagt Adler, „im Schnitt 10 Hektar.�… | |
| Westdeutschland haben viele Äcker nur eine Fläche von etwa 1,5 Hektar. | |
| Große Felder haben Studien zufolge meist weniger Hecken oder Bäume pro | |
| Hektar, die die Bodenerosion reduzieren und die Artenvielfalt erhöhen. Um | |
| diese riesigen Flächen effizient zu bearbeiten, benutzt das Hofgut sehr | |
| große und damit schwere Traktoren und Maschinen. So einen Striegel, eine | |
| Art Egge zur Unkrautbekämpfung, die 18 Meter breite Ausleger hat. | |
| Das Gewicht der Maschinen verdichtet den Boden stärker als leichteres | |
| Gerät, so dass er weniger Wasser aufnimmt und Regenwürmer leiden. „Bei | |
| kleineren Maschinen schaffen die Mitarbeiter die Feldarbeit nicht in den | |
| Zeitfenstern, die das Wetter hergibt“, sagt Dennree-Chef Thomas Greim der | |
| taz. Mehr Personal will oder kann er sich nicht leisten. | |
| ## Dennree hält nicht alle Gesellschafteranteile | |
| Typisch für einen Agrargroßbetrieb ist auch, dass Dennree laut | |
| [6][Konzernabschluss] nur 94,74 Prozent der Gesellschafteranteile gekauft | |
| hat. Den Rest halte der bisherige und aktuelle Geschäftsführer, berichtet | |
| Greim. Derartige „Share Deals“ haben zwei entscheidende Vorteile: Erstens | |
| spart der Käufer so die Grunderwerbsteuer in Höhe von in Sachsen 3,5 | |
| Prozent. Zweitens sind für solche Anteilsverkäufe keine Genehmigungen der | |
| Behörden nach dem Grundstücksverkehrsgesetz nötig. | |
| Dieses verlangt von dem zuständigen Amt, einen Verkauf an einen | |
| Nicht-Landwirt zu verbieten, falls es von einem Bauern weiß, der die Fläche | |
| benötigt. Doch die Veräußerung von Firmen, die Eigentümer von Agrarflächen | |
| sind, regelt das Gesetz nicht. Dieses Schlupfloch nutzen nicht nur | |
| [7][Konzerne wie die Münchener Rück]versicherungs-Gesellschaft („Munich | |
| Re“), die auch in Agrarland investiert haben. | |
| Von „Landgrabbing im Ökolandbau“ spricht deshalb Michael Grolm, | |
| Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in | |
| Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Ein nichtlandwirtschaftlicher | |
| Erwerber kauft über einen Share Deal einen riesigen Betrieb und spart dabei | |
| Steuern“, kritisiert der Agraringenieur und Berufsimker, der selbst | |
| Bioland-Mitglied ist. | |
| Man müsse auch fragen, unter welchen Bedingungen dieser Betrieb überhaupt | |
| so groß geworden ist, sagt Grolm. Zu DDR-Zeiten war er eine | |
| Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). „In der DDR wurden | |
| Bauern in LPGs gezwungen und nach der Wende haben die Geschäftsführer sich | |
| viele dieser Betriebe unter den Nagel gerissen und die Mitglieder mit | |
| lächerlichen Summen abgespeist.“ | |
| Grolm stört, dass ausgerechnet Bioland den Betrieb aufgenommen hat. Der | |
| Verband wirbt damit, dass seine Mitglieder Bauern und nicht | |
| agrarindustrielle Unternehmen seien. Agrarindustrie ist eine Form der | |
| Landwirtschaft, die Eigenschaften der klassischen Industrie übernommen hat. | |
| Dazu zählen auch sehr große Betriebe. „In seiner [8][‚Leitbild‘-Brosch�… | |
| zeigt Bioland riesige Felder als abschreckendes Beispiel für einen | |
| agrarindustriellen Betrieb. Genau so sieht es aber bei den LPG-Nachfolgern | |
| aus“, sagt Grolm. | |
| Der Dennree-Betrieb könne wegen seiner Größenvorteile Biolandprodukte | |
| billiger produzieren. „Das führt bei den anderen, bäuerlichen Betrieben | |
| dazu, dass sie rationalisieren müssen – oder dass sie aufgeben“, sagt | |
| Grolm. | |
| Diese Kostenvorteile würden noch dadurch verstärkt, dass große Betriebe | |
| weniger Mitgliedsbeitrag an Bioland pro Hektar zahlten als kleine. Zwar hat | |
| Bioland nach erster Kritik von Grolm an dem Dennree-Betrieb im Jahr 2017 | |
| die damalige Obergrenze für die Beiträge abgeschafft. „Aber auch jetzt | |
| zahlen Großbetriebe weniger pro Hektar als viele kleine“, kritisiert der | |
| Bauernaktivist. Bioland entgegnet, seine Bundesdelegiertenversammlung habe | |
| das Beitragssystem „basisdemokratisch“ beschlossen. | |
| „Bei echten Familienbetrieben steht die Familie gerade für das, was auf dem | |
| Hof passiert. Bei abgesicherten GmbHs ist das nicht so“, sagt Grolm. Wenn | |
| es mehr kleinere Betriebe gebe, schaffe das auch mehr Vielfalt und mehr | |
| Leben in den Dörfern. Zudem werde der Wohlstand gleichmäßiger verteilt. „Da | |
| arbeitet dann nicht nur das Agrarproletariat, das von irgendeiner Zentrale | |
| gesteuert wird“, ärgert sich der Aktivist. | |
| Tatsächlich ist das Hofgut Eichigt in mehreren Gesellschaften mit | |
| begrenzter Haftung organisiert. Haupteigentümer Greim ist weiterhin | |
| hauptberuflich Chef von Dennree und nur ein paar Tage pro Woche regelmäßig | |
| in Eichigt. | |
| „Natürlich geht es den Tieren besser und auf den Feldern dürfen keine | |
| chemisch-synthetischen Pestizide mehr gespritzt werden, seitdem der Betrieb | |
| auf Bio umgestellt hat“, räumt Grolm ein. „Aber es ist eben nicht so, dass | |
| alle Biobetriebe gleich gut sind. Man muss schon genau hinschauen.“ | |
| „Mit der Pionierarbeit am Hofgut Eichigt möchten wir zeigen, dass eine | |
| naturgemäße Landbewirtschaftung auch in größeren Strukturen möglich ist“, | |
| schrieb Marketingleiter Lukas Nossol in einer Stellungnahme zu den | |
| Vorwürfen. „Deshalb bauen wir konsequent Weidefläche aus und stellen dem | |
| Hof Frau Adler zu Verfügung, die sich als Naturschutzbeauftragte in | |
| Vollzeit darum bemüht, dass eben nicht große Flächen einen Nachteil für die | |
| Biodiversität bilden.“ | |
| Der Verkaufsprozess der Altgesellschafter und die Frage, warum der frühere | |
| und aktuelle Geschäftsführer seine Anteile behalten möchte, seien | |
| persönliche Themen, die Nossol nicht kommentieren will. | |
| 8 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.freiepresse.de/nachrichten/bio-grosshaendler-kauft-vogtlands-gr… | |
| [2] https://www.hofgut-eichigt.de/ | |
| [3] https://www.bioland.de/fileadmin/dateien/HP_Dokumente/Richtlinien/Bioland_R… | |
| [4] https://www.proweideland.eu/kriterien | |
| [5] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forst… | |
| [6] https://www.unternehmensregister.de/ureg/result.html;jsessionid=00861FD9428… | |
| [7] /!5354610/ | |
| [8] https://www.bioland.de/fileadmin/dateien/HP_Bilder/Intern/Verband/Bioland_V… | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
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