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# taz.de -- Preise für Strom und Gas: Wie im Wettbüro
> Die Gas- und Strommärkte sind außer Rand und Band. Es wird Zeit, eine
> neue Ära einzuläuten und sich von der Profitlogik der Branche zu
> verabschieden.
Bild: Wenn der Energieeinkauf zum Glücksspiel wird, läuft etwas gewaltig schi…
Der Stromanbieter hatte extra nochmal Druck gemacht. Das Unternehmen müsse
den Vertrag unbedingt an diesem Tag unterschreiben, sonst würde es viel
teurer als nötig, drängte er. Das zuständige Vorstandsmitglied setzte alles
in Bewegung, damit es gelang – und wünschte sich im Nachhinein, es hätte
nicht geklappt. Denn mit der Unterschrift wurde der Anbieter beauftragt, am
nächsten Tag den benötigten Strom an der Energiebörse zu kaufen – zu dem
dann geltenden Preis. Und das war der Jahreshöchstpreis. Das Unternehmen
soll nun statt 100.000 rund 700.000 Euro im Jahr für Strom zahlen. Zwei
oder drei Tage später wäre es erheblich billiger gewesen.
Auf dem Energiemarkt geht es mitunter zu wie im Wettbüro. Ob [1][Strom oder
Gas – die drastisch gestiegenen Preise verunsichern die Verantwortlichen]
in Unternehmen genauso wie private Verbraucher:innen, deren
Abschlagszahlungen für Strom und Heizwärme drastisch erhöht wurden. Sie
fühlen sich einem Markt ausgeliefert, dessen Untiefen sie kaum erkennen
können.
Gas und Strom sind keine Produkte wie Büromaterial, Milch oder Klopapier,
sie sind nicht auf Vorrat lagerbar. Gleichzeitig ist Strom unverzichtbar,
für jede:n einzelne:n und für die Gesellschaft als Ganzes. Wer mit Gas
kocht oder heizt, ist darauf ebenso angewiesen wie Unternehmen, die es als
Rohstoff oder Energieträger brauchen.
Der Staat ist dafür verantwortlich, dass die Versorgung gesichert ist. Aus
gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht es als „Gemeinschaftsinteresse
höchsten Ranges“ bezeichnet, das zu gewährleisten. Aber angesichts der
Kapriolen auf den Energiemärkten stellt sich die Frage, ob der Staat dem
noch gerecht wird. Wenn der Energieeinkauf zum Glücksspiel wird, läuft
etwas gewaltig schief.
## Der Energiemarkt ist extrem schwer zu durchschauen
Die [2][Energiekosten sind schon vor dem Überfall auf die Ukraine stark
gestiegen], weil die Wirtschaft auf der ganzen Welt nach der Corona-Krise
viel schneller und stärker wieder angesprungen ist als erwartet. Nach
Beginn des Krieges sind die Preise explodiert. Bislang haben sich die
wenigsten Privatleute mit den Preisen im Detail beschäftigt. Der
Energiemarkt ist auch außerhalb von Krisen extrem schwer zu durchschauen,
Vertragsänderungen sind mit Bürokratie verbunden.
Nachdem die Bundesregierung auf die Krise reagiert hat und sogenannte
Preisbremsen einführen will, gibt es immerhin eine Hausnummer, was künftig
ein guter Preis ist: Beim Strom soll die Preisbremse bei 40 Cent pro
Kilowattstunde liegen, beim Gas bei 12 Cent pro Kilowattstunde. Der Staat
übernimmt bis April 2024 für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs von
Privathaushalten und kleineren Firmen die Kosten der Differenz zwischen
Preisbremse und Marktpreis. Wer mehr verbraucht, muss dafür den höheren
Marktpreis zahlen. So sollen die Bürger:innen zum Energiesparen animiert
werden.
Mit Einführung der Preisbremsen wird es drei Gruppen von
Verbraucher:innen geben: Erstens die, die damit irgendwie klar kommen.
Zweitens jene, die trotz dieser Hilfe aufgrund der hohen Energiepreise vor
einem finanziellen Fiasko stehen. Und Drittens gibt es diejenigen, die
einen Energieanbieter mit so günstigen Preisen haben, dass bei ihnen nicht
gebremst werden muss. Für diesen Kreis ist das Glücksspiel gut ausgegangen.
Von Ausnahmen abgesehen werden die meisten dieser Kund:innen nicht
deshalb einen günstigen Anbieter haben, weil sie ihn unter dem
Gesichtspunkt einer kommenden Energiekrise ausgesucht haben. In den
häufigsten Fällen wird es schlicht Zufall sein.
Viele Menschen haben ihren Energieversorgungsvertrag seit vielen Jahren
nicht angefasst, auch weil ihnen der Markt mit den unzähligen Anbietern
viel zu kompliziert ist. Diese Intransparenz ist die Geschäftsgrundlage für
Vergleichsportale im Internet. Noch vor kurzem sind Drückerkolonnen etwa in
Technikmärkten auf Kund:innen losgegangen, um sie mit Prämien zu einem
Wechsel zu einem Billiganbieter zu bewegen. Für Laien ist kaum zu
durchschauen, welche Konsequenzen das haben kann.
Überrascht mussten Kund:innen etwa zur Kenntnis nehmen, dass ihr
bisheriger Billiganbieter den Vertrag gekündigt hat und sie nur zu sehr
hohen Tarifen einen neuen finden konnten. Billiganbieter zocken etwa an den
Energiebörsen. Ihr Geschäftsmodell ist, auf günstige Preise zu warten und
der Konkurrenz mit langfristigen Verträgen und höheren Kosten die
Kund:innen abzujagen. Verspekulieren sie sich, müssen
Verbraucher:innen das ausbaden.
## Mit dem neoliberalen Zeitgeist kam die Privatisierung
Noch vor einem Vierteljahrhundert konnte das nicht passieren. Bis dahin gab
es sogenannte Gebietsmonopole für die Energieversorgung. Strom konnten
Verbraucher:innen nur über das örtliche Elektrizitätswerk beziehen, das
für sie zuständig war. Diese Unternehmen, in der Regel die kommunalen
Stadtwerke, hatten ein festgelegtes Versorgungsgebiet. Sie stellten Strom
entweder selbst her oder bezogen ihn von Großkraftwerken, mit denen sie
langfristige Lieferverträge hatten. Die schwarz-gelbe Regierung unter
Helmut Kohl brachte [3][1997 die sogenannte Strommarktliberalisierung auf
den Weg], mit der die Monopole durch Märkte ersetzt wurden.
Deregulierung und Privatisierung waren seinerzeit – dem neoliberalen
Zeitgeist geschuldet – in vielen Branchen auf der Tagesordnung. Das war
nicht nur ideologisch motiviert, die Industrie machte Druck. Der
Chemiekonzern BASF etwa beschwerte sich bei der EU-Kommission, weil das
Unternehmen gezwungen war, den vergleichsweise teuren Strom ihres
Versorgers zu zahlen und es nicht den für den Abnehmer billigeren Atomstrom
aus Frankreich kaufen konnte.
Die Liberalisierung des Gasmarktes erfolgte einige Jahre nach der des
Strommarktes. Unzählige Firmen entstanden, die an verschiedensten Stellen
der Versorgungskette Geld verdienen. Das Versprechen sinkender Strompreise
erfüllte sich auch aufgrund [4][diverser neuer Abgaben für Privathaushalte
nicht]. Die Gaspreise gaben zunächst leicht nach, weil die
Beschaffungskosten sanken, [5][seit 2021 steigen sie enorm].
Weil Strom und Gas nicht wie Kartoffeln oder Milch gehandelt werden können,
war die Liberalisierung von Anfang an stark reglementiert. Energie kommt
über Leitungen ins Haus, und die sind nicht beliebig verlegbar. Deshalb
werden die vielen hundert Netzbetreiber gesetzlich dazu gezwungen, die
Energie der Konkurrenz durchzulassen – gegen eine Gebühr. Ein komplexes
Geflecht von Regeln soll den Wettbewerb und gleichzeitig die
Versorgungssicherheit gewährleisten.
## Energieerzeugung muss geplant werden
Diese Balance zu halten, ist teuer. Das mittlerweile wohl bekannteste
Beispiel ist die sogenannte Merit-Order: Der Preis für alle Erzeuger hängt
von dem teuersten Kraftwerk ab, das Strom produziert. Wegen des hohen
Gaspreises sind das zurzeit Gaskraftwerke. Das Problem: Auf dem
Energiemarkt können sich Angebot und Nachfrage nicht selbst ausbalancieren,
denn dann wäre die Versorgungssicherheit in Gefahr.
Energieerzeugung muss geplant werden. Wird ein Kraftwerk erst hochgefahren,
wenn der Bedarf gerade steigt, ist es zu spät. Stromerzeuger melden deshalb
ihre voraussichtliche Produktion bei den Verantwortlichen für das jeweilige
Stromnetz an. Ist zum Beispiel wegen starken Windes viel Windenergie zu
erwarten, werden Kohle- oder Gaskraftwerke heruntergefahren. Oder es werden
Windanlagen gestoppt, weil es viel Atomenergie gibt.
Die EU und auch die deutsche Regierung wollen eine Reform des sogenannten
Energiemarktdesigns. Ihnen ist klar, dass die jetzigen Mechanismen nicht
gut funktionieren. An einem wollen sie aber unbedingt festhalten: am
Marktprinzip. Doch das ist absurd angesichts eines Pseudomarktes, der durch
eine ganze Reihe staatlicher Interventionen erst künstlich geschaffen wird.
Die Konstruktion begünstigt Spekulation. Die Energieversorgung ist aber
viel zu wichtig, um sie Zockerbuden zu überlassen, die sich als
Vertriebsgesellschaften bezeichnen. Niemand braucht Unternehmen, die gar
keine Energie erzeugen, Strom und Gas aber mit hohen Gewinnmargen
verkaufen.
Das sind die negativen Folgen der Liberalisierung Ende der 1990er Jahre.
Die war allerdings nicht nur schlecht: Ohne sie wäre es kaum möglich
gewesen, erneuerbare Energien im großen Stil voranzubringen. Die damaligen
Manager der Branche waren völlig auf Kohle- und Atomenergie fixiert, sie
brauchten Druck von außen. Heute ist die Lage anders, die einstige
Blockadehaltung der Branche hat sich weitgehend aufgelöst. Die breite
Mehrheit in Gesellschaft und Wirtschaft ist zu einer Abkehr von fossilen
Energien bereit. Jetzt ist es an der Zeit, sich von der alten
Liberalisierungsideologie zu lösen und eine neue Ära der Energieversorgung
einzuleiten.
## Staatliche Eingriffe als Chance
Dass die großen Player wie Uniper oder das Nachfolgeunternehmen der
deutschen Gasprom-Tochter, SEFE, ins Schlingern geraten sind und vom Staat
aufgefangen werden, ist eine große Chance. Der Gashandelskonzern VNG ist
bereits in öffentlicher Hand. Der Staat sollte sich nicht nur finanziell
engagieren, sondern in die Geschäftspolitik eingreifen. Er kann seine neuen
Spielräume nutzen, um die Energiewende zu forcieren.
Der Staat muss nicht generell selbst zum Versorger werden. Aber er muss
nicht-gewinnorientierte Unternehmensformen fördern, etwa
Energiegenossenschaften. Vor allem muss er andere Prioritäten setzen: Statt
um das Ausbalancieren von Wettbewerb und Versorgung muss es um den
Dreiklang von Energiesicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit gehen.
Deshalb ist nicht nur der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien
wichtig, sondern auch eine neue Preispolitik, etwa die Einführung von
Sozialtarifen für Strom und Wärmeenergie.
Denn es geht um viel mehr als das Abfedern der aktuellen Krise. Die
Energiewende weg vom Fossilen ist angesichts der Klimakrise unausweichlich,
und sie wird sehr teuer. Wer hier auf die unsichtbare Hand des Marktes
setzt, wie es nicht nur die FDP tut, riskiert das Scheitern der
Energiewende. Die vielen Milliarden Euro an Gewinnen, die in der Branche
anfallen, fließen eben nicht vorwiegend in neue klimafreundliche Anlagen
und sie werden erst recht nicht zur Dämpfung der Preise verwendet. Und die
werden weiter klettern.
## Der Strombedarf wird in Zukunft enorm steigen
Denn der Strombedarf wird trotz mehr Effizienz und Sparsamkeit in Zukunft
enorm steigen, gerade durch die Abkehr von fossilen Energien. Nach einer
Studie der Unternehmensberatung McKinsey [6][wird sich die Stromnachfrage
global bis 2050 voraussichtlich verdreifachen]. Das ist eine enorme
Herausforderung.
Die dezentrale Stromproduktion und Selbstversorgung von Privathaushalten
und Unternehmen ist eine der wichtigsten Stellschrauben, um das zumindest
ansatzweise zu bewältigen. Technisch ist heute sehr viel mehr möglich als
im Normalbetrieb und Alltag genutzt wird. Dass sich Privathaushalte
komplett selbst mit Strom und Wärme versorgen und damit auch ihr E-Auto
laden, ist keine Utopie.
Staat und Energiebranche machen es privaten Verbraucher:innen und
Unternehmen aber mit einem Wirrwarr von Vorschriften und Gängeleien immer
noch zu schwer. Damit sollten sie schleunigst aufhören. Gerade jetzt in der
Krise sind so viele wie nie zuvor bereit, ihre Energieversorgung selbst in
die Hand zu nehmen. Damit sie das können, muss dem Energiemarkt die
Profitlogik entzogen werden. Wer anderen für viel Geld Energie verkaufen
will, wird sie nicht dabei unterstützen, Strom selbst zu erzeugen.
12 Nov 2022
## LINKS
[1] /Habeck-will-Strom--von-Gaspreis-loesen/!5877441
[2] /Strom-Gas-und-Oel-teurer/!5801165
[3] https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivat…
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/234370/umfrage/entwicklung-d…
[5] https://www.bdew.de/media/documents/BDEW-Gaspreisanalyse_no_dw_halbjaehrlic…
[6] https://www.mckinsey.com/industries/oil-and-gas/our-insights/global-energy-…
## AUTOREN
Anja Krüger
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