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# taz.de -- Racial Profiling im Görlitzer Park: Rassismus in Uniform
> Ein Strafbefehl gegen einen Schwarzen wegen unerlaubten Aufenthalts im
> Görli stellt sich als rassistische Polizeikontrolle heraus. Kein
> Einzelfall.
Bild: Immer wieder berichten Schwarze von rassistischen Polizeikontrollen im G�…
Berlin taz | Abubacarr F. läuft an einem Junitag mit einem Freund durch den
Görlitzer Park in Kreuzberg. Plötzlich wird er von Polizeibeamten
angehalten und nach seinen Ausweispapieren gefragt. F. erkundigt sich bei
den Beamten: warum werde nur er kontrolliert und die anderen
Spaziergänger*innen um ihn herum nicht? Die Polizisten reagieren nicht
auf seine Einwände, doch F. kennt die Antwort: Er ist Schwarz.
Beweisen lässt sich das [1][verbotene Racial Profiling], also rassistische
Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe, nur schwer – auch in F.s Fall.
Spätestens seit diesem Dienstag ist jedoch erwiesen, dass alles, was nach
F.s Kontrolle passierte, unrechtmäßig war: Die Beamten ziehen die Papiere
des 25-jährigen Gambiers ein, nehmen ihn zur erkennungsdienstlichen
Behandlung mit auf die Wache, beschuldigen ihn, mit Drogen zu handeln, und
erstatten Anzeige gegen ihn. Kurze Zeit später erhält er einen Strafbefehl
über 25 Tagessätze, weil er sich ohne Aufenthaltsberechtigung in
Deutschland aufgehalten haben soll.
F. legt dagegen Einspruch ein und der Fall kommt vor Gericht. Bei der
Verhandlung am Dienstagmorgen wirkt er gefasst, aber entschlossen. Mithilfe
eines Dolmetschers erzählt er ruhig, was bei seiner Kontrolle Ende Juni
geschehen ist: Ja, sein Ausweis war seit mehr als einem Monat abgelaufen.
Nein, er hielt sich nicht illegal in Deutschland auf. Denn bereits zwei
Monate zuvor hatte der Geflüchtete einen Termin bei der Ausländerbehörde
vereinbart, um seine Papiere verlängern zu lassen.
Doch wie oft bei Berliner Behörden war der nächste freie Termin erst drei
Monate später. Bis dahin ist der Ausweis weiter gültig. Das steht auch so
in der Terminbestätigung der Ausländerbehörde, die F. immer dabei hat und
die die Richterin laut vorliest.
## Die Polizei beschuldigt ihn zu Unrecht, Drogendealer zu sein
Die Polizist*innen habe das jedoch nicht interessiert. Nachdem sie
seine Fingerabdrücke genommen hatten, fährt F. nach Hause zu seiner Frau
und ihren zwei Kindern. Er sei verzweifelt gewesen ohne seinen Ausweis,
sagt der junge Mann. „Ich gehe niemals ohne Papiere aus dem Haus.“ Nicht
ohne Grund, bereits zwei Mal sei er zuvor von Polizist*innen ohne
Anlass kontrolliert worden, erzählt F. der taz.
Also fährt die Familie noch einmal zur Polizeiwache in Friedrichshain, wo
die beiden Polizisten arbeiten. Doch statt Gerechtigkeit habe er dort
weitere rassistische Demütigungen erfahren, erzählt F. So sei einer der
Polizisten wütend geworden und habe vor seiner Familie behauptet, in seinem
Führungszeugnis würde stehen, dass er mit Drogen dealt – eine Lüge, wie
sich später herausstellt. Doch eine Lüge mit Folgen: „Verkauft Papa
wirklich Drogen?“, habe der fünfjährige Sohn seine Frau danach gefragt.
Abubacarr F. wird am Dienstag freigesprochen. Selbst die Staatsanwältin
hatte den Freispruch beantragt und musste einräumen, dass dieser Termin
eigentlich gar nicht hätte zustande kommen dürfen.
„Es ist traurig, dass mein Mandant das überhaupt durchmachen musste“, sagt
die Anwältin Ilil Friedman zu taz. „Ihm wurde etwas vorgeworfen, was
überhaupt nicht strafbar ist.“ Denn selbst wenn sein Ausweis ungültig
gewesen wäre – da er eine Aufenthaltsgenehmigung hat und nicht
ausreisepflichtig ist, ist das nicht strafbar. Doch die Polizei habe nichts
hören und sehen wollen. Für die Anwältin ist das reine Schikane: „Das war
eine rassistische Polizeikontrolle, er wurde nur wegen seiner Hautfarbe für
einen Drogendealer gehalten“, sagt sie.
Doch nicht nur der Polizei, auch der Staatsanwaltschaft und der Richterin,
die den Strafbefehl unterzeichnet und ihn damit unschuldig verurteilt hat,
wirft die Anwältin Fehlverhalten vor: „Wenn hier Unkenntnis vorlag, dann
war sie rassistisch bedingt“, ist Friedman überzeugt. In ihrer Arbeit
würden ihr häufig Fälle wie dieser begegnen. Viele Betroffene würden aus
Unwissen jedoch nicht dagegen vorgehen, auch weil die Strafbefehle nicht
übersetzt würden.
## 68 Beschwerden gegen die Polizei wegen Rassismus
„Dieser Prozess ist ein Skandal und wäre gar nicht nötig gewesen, wenn das
System nicht so rassistisch wäre“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für
Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) zur taz. „Die Polizisten sehen
einen Schwarzen Mann im Görli und halten ihn automatisch für einen
Drogendealer. Diese Sichtweise gehört abgeschafft.“ KOP will nun wegen
Diskriminierung Beschwerde einlegen.
[2][Seit Juni 2020 gibt es in Berlin das Landesantidiskriminierungsgesetz]
(LADG), mit dem Betroffene gegen staatliche Diskriminierung etwa durch
Polizeibeamt*innen vorgehen können. Seitdem sind bei der Ombudsstelle
109 Beschwerden gegen die Polizei eingegangen, davon mit 68 mehr als die
Hälfte wegen rassistischer beziehungsweise herkunftsbezogener
Diskriminierung, wie die Senatsjustizverwaltung auf taz-Nachfrage mitteilt.
Insbesondere im Görlitzer Park kommt es laut KOP und der
Anwohner*inneninitiative „Wrangelkiez-United“ immer wieder zu
[3][rassistischen Polizeikontrollen]. Der Görli gilt, ebenso wie etwa das
Kottbusser Tor und der Hermannplatz, als „kriminalitätsbelasteter Ort“
(KbO). Seit rund zweieinhalb Jahren ist dort eine Brennpunkteinheit der
Polizei unterwegs, die systematisch und „verdachtsunabhängig“
Personenkontrollen durchführen darf.
## „Anlasslose“ Kontrollen treffen vor allem Nichtweiße
Laut einer [4][Antwort der Senatsinnenverwaltung] auf eine Anfrage der
Linken-Abgeordneten Elif Eralp und Niklas Schrader werden dabei neben
geringfügigen Drogendelikten wie dem Besitz von Cannabis vor allem Verstöße
gegen das Aufenthaltsgesetz verzeichnet, 388 Fälle waren es im ersten
Halbjahr 2022. Kontrolliert werden also überwiegend nichtweiße Personen,
kritisieren die Abgeordneten.
„Die polizeilichen Maßnahmen bringen außer kurzfristigen
Verdrängungseffekten nichts“, [5][kritisiert auch die Initiative
„Wrangelkiez-United“] und fordert statt einer Kriminalisierung von People
of Color soziale Lösungen und die Abschaffung der KbO. „Eine Aufenthalts-
und Arbeitserlaubnis für Menschen ohne Papiere oder ein Angebot an
Drogenkonsumräumen rund um die Uhr würde die Situation hier im Kiez
entspannen – anders als die meisten Polizeieinsätze.“
18 Oct 2022
## LINKS
[1] /Gesetze-zu-Racial-Profiling-der-Polizei/!5698417
[2] /Ein-Jahr-LADG/!5777575
[3] /Drogenhandel-in-Berlin-Kreuzberg/!5738936
[4] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-12…
[5] https://wrangelkiezunited.noblogs.org/zur-situation-im-wrangelkiez-gorlitze…
## AUTOREN
Marie Frank
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