| # taz.de -- Rassimus im Alltag: Blackness in Berlin | |
| > Schwarzes Leben ist auch in der Hauptstadt bis heute von Rassismus | |
| > geprägt. Nicht jeder gehört überall dazu. | |
| Bild: Berlin: Nicht jede:r gehört dazu | |
| Niemand erzählt dir das vorher, aber in Berlin zu leben, verleiht dir | |
| ungewünschte Superkräfte. Wenn ich durch Mitte oder Prenzlauer Berg gehe, | |
| probiere ich sie aus. Eine Passantin klammert sich demonstrativ an ihre | |
| Tasche und wirft mir einen zornigen Blick zu, als ich an ihr vorbeigehe. | |
| Dann wechselt sie zügig die Straßenseite und setzt ein höhnisches Lächeln | |
| auf. | |
| Regelmäßig ertappe ich mich dabei, dass ich mit anderen Fußgängern das | |
| „Angsthasenspiel“ spiele: Wenn wir aufeinander zugehen und uns gegenseitig | |
| im Weg sind, wer macht dann Platz, damit wir uns den Bürgersteig teilen | |
| können? Ich bin gespannt, wie das Spiel ausgeht, obwohl ich das Ergebnis | |
| schon kenne. Aus Prinzip weigere ich mich fast immer, den Vorrang zu | |
| gewähren, es sei denn, es handelt sich um ältere oder behinderte Menschen. | |
| Und warum? Weil von mir erwartet wird, dass ich zurückweiche und aus dem | |
| Weg gehe. So passiert das, was immer passiert: Wir rempeln uns an. Dieses | |
| „Spiel“ ist Schwarzen Berlinern vertraut. Eine meiner Freundinnen erzählte | |
| mir, dass sie als Kind diesen Begegnungen einen Namen gab: „Frau Arroganz“. | |
| Sie versuchte, dem [1][Rassismus], dem sie auf der Straße begegnete, bevor | |
| sie die Begriffe kannte, um ihn zu benennen – einen Rassismus, der ihr auf | |
| den Fuß trat, sie aus dem Weg schob und sie anrempelte –, durch eine | |
| Mutprobe einen Sinn zu geben. Sie weigerte sich, auszuweichen und | |
| unsichtbar zu sein. Diese Zusammenstöße enthalten einen Widerspruch. | |
| ## Unerwünschte Macht | |
| Sie legen eine Macht offen, die Schwarze Menschen ungefragt erhalten haben | |
| und die sie sich nicht wünschen: Wir sind auf den Straßen Berlins sowohl | |
| unsichtbar als auch hypersichtbar. Wir sind also gleichzeitig eine | |
| sichtbare Bedrohung für das unterstellte Weißsein des öffentlichen Raums | |
| und ein unsichtbares Objekt, das ignoriert und missachtet wird. | |
| Sie glauben mir nicht? Sie denken, ich bin zu empfindlich? Bin ich | |
| vielleicht sogar ein schlechter Gast während meiner kurzen Zeit in Berlin? | |
| Auch das ist eine Superkraft – oder vielmehr, wie Kassandra zu ihrem | |
| Leidwesen feststellen musste, ein Fluch: Wir sagen die Wahrheit, doch das | |
| wird bezweifelt – uns wird nicht geglaubt. | |
| Dieser Widerspruch zwischen Unsichtbarkeit und Hypersichtbarkeit offenbart | |
| sich durch Blicke. Mich fasziniert das offene und unverhohlene Anstarren | |
| von Männern, Frauen und Kindern. Sicher, ich bin ziemlich hübsch, doch | |
| seien wir ehrlich: Ich bin nicht jedermanns Sache. Das Anstarren hat eine | |
| Bedeutung. Es ist auch eine Art Kollision – ein politischer Akt, der durch | |
| das Visuelle und das Imaginäre in Gang gesetzt wird. | |
| ## Man wird stets auf Englisch angesprochen | |
| Wenn ich in der Straßenbahn oder in einem Restaurant angestarrt werde, | |
| starre ich immer so lange zurück, bis die andere Person wegschaut. Diese | |
| Handlung des Widerstands, jemanden anzustarren, der oder die einen zwar | |
| ansieht, aber nicht wirklich sehen kann, ist eine häufige Reaktion | |
| Schwarzer Berliner, wie ich festgestellt habe. Ich lebe mein Leben weiter, | |
| aber ein wenig verunsichert – was natürlich der ursprüngliche Zweck des | |
| Anstarrens war. | |
| Wie kann das sein? Berlin, so sagt man mir ständig, ist so vielfältig! So | |
| international! So kosmopolitisch! Hier sprechen alle Englisch! Sicher, | |
| Berlin ist voll von Menschen aus aller Welt. Aber natürlich gehört nicht | |
| jeder überall dazu in Berlin – vor allem, wenn dein Pass die falsche Farbe | |
| hat oder dein rechtlicher Status fragwürdig ist. | |
| Interessant ist auch, wie Englisch in der Stadt funktioniert. Einerseits | |
| ist es ein Zeichen für die Andersartigkeit Berlins, einer der vielen | |
| Punkte, in denen es sich vom Rest Deutschlands unterscheidet. Andererseits | |
| wird die Sprache ständig als Waffe eingesetzt. Wenn ich mit meinen | |
| Schwarzen deutschen Freunden in einer Bar oder in einer Galerie bin, fällt | |
| mir immer wieder auf, wie [2][automatisch Englisch] mit ihnen gesprochen | |
| wird. | |
| ## Zugehörigkeit einfordern | |
| Sie antworten in der Regel auf Deutsch und zwingen das Gespräch ins | |
| Deutsche, um ihre Zugehörigkeit zum Ort und zur Stadt zu zeigen und | |
| einzufordern. Ein weiteres Aufeinanderprallen, dieses Mal der | |
| Muttersprachen, die die Linien zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung in | |
| Berlin markieren. Nichts davon ist neu. Vor genau 70 Jahren veröffentlichte | |
| Ralph Ellison einen der großen Romane, in dem es unter anderem um das | |
| schwarze Leben in der Großstadt geht. | |
| In [3][„Der unsichtbare Mann“] stellt Ellisons namenloser Protagonist | |
| bekanntermaßen fest: „Ich bin ein Mensch aus Substanz, aus Fleisch und | |
| Knochen, aus Fasern und Flüssigkeiten – ja, man könnte vielleicht sogar | |
| sagen, dass ich einen Verstand besitze. Ich bin unsichtbar, verstehen Sie, | |
| weil sich die Leute weigern, mich zu sehen. […] Wer sich mir nähert, sieht | |
| nur meine Umgebung, sich selbst oder die Auswüchse seiner Phantasie – in | |
| der Tat alles und jedes, nur mich nicht.“ | |
| Was ist zu tun? Können wir überhaupt etwas tun? Das ist auch eine | |
| Superkraft, wenn Menschen nach Lösungen für Probleme gefragt werden, die | |
| sie nicht selbst verursacht haben. Ehrlich gesagt gibt es keine wirkliche | |
| Lösung, denn es geht um das Leben in und die Zugehörigkeit zu Berlin. Diese | |
| Zusammenstöße müssen in den breiteren Kontext der Dynamik des Lebens in | |
| Berlin gestellt werden. Es geht darum, wie die Stadt nach dem Mauerfall für | |
| den Komfort und die Sicherheit einiger weniger auf Kosten anderer gebaut | |
| wurde. | |
| [4][Mieter] werden aus ihren Wohnungen und aus ganzen Vierteln verdrängt. | |
| Migrantenrechtsaktivisten, die [5][gegen Abschiebungen] protestieren und | |
| angesichts staatlicher Gewalt Räume der Zugehörigkeit einfordern. Die | |
| Kämpfe um die deutsche Erinnerungskultur – um die Frage, woran und an wen | |
| erinnert werden soll und warum. | |
| All diese Konflikte sagen uns etwas über das Selbstverständnis Berlins und | |
| weisen uns einen Weg, um neu darüber nachzudenken, wer ein Recht auf die | |
| Stadt hat und worin sich das Wesen einer Stadt offenbart, wenn wir durch | |
| sie reisen – wie wir uns begegnen und was wir aus diesen sich | |
| überschneidenden Leben, Träumen, Ängsten und Erinnerungen lernen. | |
| 14 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Akwugo Emejulu | |
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