Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polizeigewalt gegen Schwarze: Die Angst im Nacken
> 15 Minuten lang soll ein Polizist einem Schwarzen das Knie in den Nacken
> gedrückt haben, bis er bewusstlos wurde. Nun steht das Opfer vor Gericht.
Bild: Die entscheidenden Bilder der Überwachungskamera fehlen
Berlin taz | Mehr als 15 Minuten lang habe der Polizist ihm das Knie in den
Nacken gedrückt. Selbst als er sich erbrechen musste und ohnmächtig wurde,
hätten sie nicht von ihm abgelassen. Was der Schwarze Deutsche Zefanias M.
am Mittwoch vor dem Gerichtssaal erzählt, erinnert unweigerlich an den
Polizeieinsatz in den USA vor rund zweieinhalb Jahren, bei dem ein Polizist
dem Schwarzen US-Amerikaner [1][George Floyd neun Minuten lang das Knie in
den Nacken presste], bis dieser verstarb. „Ich habe gesagt: ‚Ich glaube,
ich ersticke‘. Da meinte der Polizist nur: ‚Hoffentlich‘“, sagt M.
Zefanias M. hat überlebt. Dafür muss er sich nun vor Gericht wegen
tätlichen Angriffs, Körperverletzung und Beleidigung gegen
Vollstreckungsbeamte verantworten. „Polizisten dürfen dich schlagen und
quälen, aber wehe, du beleidigst sie“, sagt M. resigniert. Auch er hat
Anzeige gestellt gegen die Beamt*innen, wegen Körperverletzung im Amt und
Freiheitsberaubung. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Als Zefanias M.
Beschwerde dagegen einlegte, wurde es zwar wieder aufgenommen, aber so
lange zurückgestellt, bis über die Vorwürfe gegen ihn entschieden ist.
Drei Jahre ist der Vorfall mittlerweile her, da war George Floyd noch am
Leben und es gab auch noch keine [2][weltweite Protestwelle gegen
rassistische Polizeigewalt] im Allgemeinen und die potenziell tödliche
Polizeipraktik im Speziellen.
In der Nacht des 4. Novembers 2019 stieg Zefanias M. gegen halb eins an der
Hermannstraße aus der U-Bahn. Als er sah, wie BVG-Securities einen
obdachlosen Mann gewaltsam rauswerfen wollten, mischte er sich ein. „Sie
haben direkt ihre Handschuhe angezogen und mich geschlagen“, sagt der
gebürtige Berliner.
## Entscheidende Videoaufnahmen sind verschwunden
Was danach passiert, ist auf einem Überwachungsvideo der BVG festgehalten,
das am Mittwoch im Gerichtsaal gezeigt wird. Man sieht Zefanias M., der auf
dem Bahnsteig auf einer Bank sitzt und mit den herbeigerufenen Polizisten
diskutiert. Als er aufsteht, wird er von den Beamten auf die Bank gedrückt
und anschließend in einer Ecke gewaltsam fixiert und zu Boden geworfen. Was
man nicht sieht, ist, dass der junge Mann einem der Polizisten ins Gesicht
schlägt, wie die Einsatzkräfte behaupten. „Eine glatte Lüge“, konstatiert
Anwalt Armin Grimm.
Ebenfalls nicht zu sehen sind die 15 Minuten, in denen einer der Polizisten
dem auf der Bank fixierten Zefanias M. das Knie in den Nacken gepresst
haben soll. „Genau die Aufnahmen, auf denen ich gequält wurde, sind
plötzlich verschwunden“, sagt der 29-Jährige. Dass die entscheidenden
Beweise fehlen, überrascht Anwalt Grimm nicht. „[3][Wir brauchen
unabhängige Institutionen], die solche Videos anfordern und sichern“,
fordert er. „Wenn Polizeibeamte gegen sich selbst ermitteln, bringt das
nichts.“
„Die Staatsanwaltschaft ist nicht neutral. Sie stellt sich immer schützend
vor die Polizei“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer
Polizeigewalt (KOP), die M. in dem Prozess unterstützt. Ohne Konsequenzen
für rassistisches Verhalten würden Polizist*innen jedoch einfach so
weitermachen. „Du kannst oft nichts gegen die Polizei machen, das führt zu
noch mehr Problemen“, sagt Basu, der selbst unlängst [4][wegen Racial
Profiling bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte] (EGMR)
gezogen war – mit Erfolg.
## Rassistische Polizeigewalt kein Einzelfall
Es ist nicht das erste Mal, dass in diesem Prozess die Überwachungsvideos
gezeigt werden, die Zefanias M. entlasten. Seit September wird der Fall
bereits vor dem Kriminalgericht in Moabit verhandelt. Nach der ersten
Durchsicht habe die Richterin vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen,
doch die Staatsanwältin habe auf ihrer Anklage bestanden, sagt Anwalt
Grimm. Nach der erneuten Durchsicht am Mittwoch wird zumindest der Vorwurf
des Widerstandes fallen gelassen. Zu einem Urteil kommt es allerdings
nicht, stattdessen wird der Prozess auf Mitte November vertagt.
Zefanias M. hofft auf einen Freispruch, auch wenn er nicht so recht daran
glaubt. Sollte er verurteilt werden, will er in Berufung gehen. Dass nicht
die Polizisten, die ihn geschlagen und gewürgt haben, sondern er vor
Gericht steht, findet er „unfair“. Das Verhalten der Beamten ist in seinen
Augen nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch rassistisch.
In Berlin kommt es immer wieder zu [5][Beschwerden wegen rassistischer
Polizeigewalt]. Seit der Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes
(LADG) im Juni 2020 können Betroffene gegen staatliche Diskriminierung
vorgehen. Seitdem sind bei der Ombudsstelle 109 Beschwerden gegen die
Polizei eingegangen, davon mit 68 mehr als die Hälfte wegen rassistischer
Diskriminierung. Demnach sei dabei „auffällig“, dass die Schilderungen der
Betroffenen und der Polizei „stark voneinander abweichen“. Aus Sicht der
LADG-Ombudsstelle zeigen sich hier „eindeutige Indizien für eine
verbesserungswürdige Fehlerkultur bei der Polizei“.
2 Nov 2022
## LINKS
[1] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5688834
[2] /Black-Lives-Matter-Protest-in-Deutschland/!5687873
[3] /Neuer-Polizeibeauftragter-in-der-Hauptstadt/!5874200
[4] /Kampf-gegen-Racial-Profiling/!5885625
[5] /Racial-Profiling-im-Goerlitzer-Park/!5885773
## AUTOREN
Marie Frank
## TAGS
Polizei Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Diskriminierung
Polizeigewalt
Justiz
Schwerpunkt Rassismus
Polizei Berlin
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Black Lives Matter
Mannheim
Schwerpunkt Rassismus
Wochenkommentar
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizei Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess um Polizeigewalt: Halber Erfolg nach Kniefixierung
Im Prozess Zefanias M. gegen das Land Berlin urteilt das Gericht auf
teilweise schuldig. Die Kniefixierung trotz Handschellen verletze die
Amtspflicht.
Rassistische Polizeigewalt: „Hauptsache bei der taz heulen, wie schlimm das a…
Der Prozess von Zefanias M. gegen das Land Berlin zieht sich. Er verklagt
Berlin, weil ein Polizist neun Minuten auf seinem Nacken kniete.
Rassistische Polizeigewalt: Land Berlin wegen Kniefixierung vor Gericht
Vor dem Landgericht wird ein Fall von Polizeigewalt verhandelt. Der Fall
Zefanias M. erinnert an den Mord an George Floyd im Mai 2020.
Aktivist Biplab Basu ist tot: Unermüdlich und leidenschaftlich
Zeit seines Lebens hat sich der Menschenrechtsaktivist gegen rassistische
Polizeigewalt engagiert. Nun ist der Mitbegründer von Reachout gestorben.
Debatte über tödliche Polizeigewalt: „Ich kriege keine Luft!“
Regelmäßig ersticken Menschen, weil sie von der Polizei bäuchlings auf dem
Boden liegend fixiert werden. KOP fordert ein Verbot dieser Praxis.
Polizeigewalt in den USA: Trauerfeier für Tyre Nichols
Hunderte haben Abschied von dem von Polizisten zu Tode geprügelten
Afroamerikaner genommen. Vizepräsidentin Kamala Harris fordert ein Gesetz
gegen Polizeigewalt.
Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim: Zwei Polizisten werden angeklagt
Die Staatsanwaltschaft bringt zwei Polizisten vor Gericht. Einer sei mit
überzogener Härte gegen den psychisch Kranken vorgegangen, der beim Einsatz
ums Leben kam.
Baden-Württembergs Beamte blocken: Landespolizei boykottiert Studie
Baden-Württembergs Beamte werden nicht an der bundesweiten Polizeistudie
teilnehmen. Eine alternative Untersuchung soll Ergebnisse bringen.
Straßburger Urteil zu Racial Profiling: Von wegen geringfügig!
Klare Ansage: Deutsche Gerichte müssen prüfen, wenn der Polizei vorgeworfen
wird, dass sie Passant:innen nur wegen der Hautfarbe kontrolliert. ​
Kampf gegen Racial Profiling: Anwalt der Entrechteten
Biplab Basu kämpft gegen rassistische Diskriminierung. Nun hat der
Mitbegründer der Beratungsstelle ReachOut ein bemerkenswertes Urteil
erstritten.
Racial Profiling im Görlitzer Park: Rassismus in Uniform
Ein Strafbefehl gegen einen Schwarzen wegen unerlaubten Aufenthalts im
Görli stellt sich als rassistische Polizeikontrolle heraus. Kein
Einzelfall.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.