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# taz.de -- Emigration aus Russland: Die Brücke nach Estland
> Für russische Staatsbürger ist es schwierig, in die EU auszureisen. Man
> muss Gründe dafür haben. Zum Beispiel den, verfolgter Journalist zu sein.
Bild: Der Fluss Narva ist die Grenze zwischen Russland und Estland
„Danke für eure ehrliche Arbeit“, sagt der Grenzer, als er uns im Rathaus
von Narva absetzt. Die [1][drittgrößte Stadt Estlands] ist vom russischen
Sankt Petersburg 150 Kilometer entfernt, der Fluss Narva ist die Grenze
zwischen beiden Staaten. In der sowjetischen Zeit hatten das estnische
Narva auf der einen und das russischen Iwangorod auf der anderen Seite des
Flusses sogar eine gemeinsame Wasserversorgung und ein gemeinsames
Stromnetz.
Aktuell kommen Ukrainer und Russen über die Grenze nach Estland.
[2][Darunter auch Journalisten, politische und zivilgesellschaftliche
Aktivisten und überhaupt Leute, die nicht bereit sind, in einem
Schurkenstaat zu leben], der gerade einen Angriffskrieg führt. Über die
Narva zu kommen ist ein Privileg. Man braucht ein Visum, und sei es nur
eines für Touristen, „Gründe“ für das Verlassen Russlands. Diese Regel
wurde während der Pandemie eingeführt und erwies sich als bequeme
Möglichkeit für Russland, die Grenzen zu kontrollieren. Ausreisen können
russische Staatsbürger nur, wenn sie in der EU arbeiten, nahe Angehörige
besuchen oder eine medizinische Behandlung im Ausland ansteht.
Dieses letzte Schlupfloch nutze ich mit meiner Freundin. Wie Hunderte
andere Russen buchen wir uns im Spa-Hotel in Narva „mit medizinischen
Anwendungen“ ein. Zahlen können wir mit der Geldkarte estnischer Freunde,
unsere russischen werden nicht mehr anerkannt aufgrund der Aussetzung der
Visa- und Mastercard-Systeme in der Russischen Föderation.
Zur Ausreise entschließen wir uns, nachdem die Website [3][Bumaga],
beziehungsweise deren Petersburger Zweig, für den ich arbeite, wegen der
Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine gesperrt wird. Kurz darauf
erlitt der alternative Zerkalo das gleiche Schicksal, und einige Tage
später wurden auch deren [4][Konten in den russischen sozialen Netzwerken
gelöscht]. Wir liefen mit unseren Koffern vom russischen Grenzübergang
Parusnika nach Narva-2 im Narvaer Industriegebiet.
## Die einzige Frage ist die nach dem Sternzeichen
Auf der russischen Seite stellen sie nur eine einzige Frage, und zwar nicht
mir, sondern meiner Freundin: „Was haben Sie für ein Sternzeichen?“ Später
erfahren wir, dass man so an der Grenze überprüft, ob man wirklich mit
seinem eigenen Pass unterwegs ist. Auf der estnischen Seite warten wir
lange, bis die Polizei von der Grenzübergangsstelle Narva-1 eintrifft.
Diese Stellen hatten wir extra vermieden, weil wir gehört hatten, dass man
dort bis zu fünf Stunden in der Ausreiseschlange wartet. Und auch, weil
dort die Kontrolle durch die russische Seite strenger ist.
Etwa anderthalb Stunden kontrollierten die estnischen Zöllner unser Gepäck,
detailliert fragten sie nach unseren Plänen für Estland. Das endgültige
Argument dafür, dass sie uns in die EU ließen, war das Diplomzeugnis der
Petersburger Fakultät für Journalisten am Boden meines Koffers und der
Kasten „Am 12. März gesperrt von Roskomnadsor“, von der russischen
Zensurbehörde also, auf der Website von Bumaga.
Nachdem sie unsere Pässe gestempelt hatten, boten die Grenzer an, uns bis
ins Stadtzentrum zu bringen. Freiwillig in ein Polizeiauto einsteigen?
Ziemlich ungewöhnliche Erfahrung nach unseren Erlebnissen in Russland. Aber
wir steigen ein.
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [6][taz Panter Stiftung].
29 Apr 2022
## LINKS
[1] /Estland-und-sein-grosser-Nachbar/!5831100
[2] /Russische-Emigrationswelle/!5845824
[3] https://paperpaper.ru/
[4] /Unterdrueckung-in-Russland/!5851217
[5] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[6] /!p4550/
## AUTOREN
Alexey Schischkin
## TAGS
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