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# taz.de -- Belarussen im Exil: Ohne Zuhause, Veränderung ungewiss
> Unser belarussischer Autor lebt in Lettland im Exil. Die Alltagsprobleme
> sind groß, ebenso der politische Druck aus der Heimat.
Bild: Exil vieler belarussischer Oppositioneller: die lettische Hauptstadt Riga
Ich bin ein ganz gewöhnlicher belarussischer Journalist, der wie ein
Papierschiffchen vom Regen der Gerechtigkeit in einen Fluss der Gewalt, der
Gemeinheit, des Bösen geraten ist und dann Hunderte Kilometer von zu Hause
entfernt wieder an Land gespült wurde. Ich versuche, zu trocknen und wieder
zu Kräften zu kommen.
Wie ist es heute wirklich in Belarus? Im Alltag sieht es zum Beispiel so
aus: Für ein „Like“ oder einen Kommentar auf dem Instagram-Account eines
unabhängigen Nachrichtenportals kommen Menschen in Belarus für bis zu zehn
Jahre in den Knast. [1][Dreiunddreißig Journalisten sitzen einzig wegen der
Ausübung ihrer Arbeit hinter Gittern.] Fast alle Redaktionen unabhängiger
Medien sind im Exil. Ich habe Glück gehabt, ich konnte fliehen.
## Die Angst bleibt – auch im Exil
Meine Familie und ich leben jetzt im Baltikum. Aber wenn man in seinem
eigenen Land nicht weiß, wie man seine Rechte schützen soll, weil sie dort
missachtet werden, dann verschwindet die Angst auch in einer neuen Umgebung
nicht. Glauben Sir mir, Emigranten sind völlig schutzlos. Nächten Monat
läuft mein nationales Visum aus und wir wissen nicht, wo wir mit unserer
sechsjährigen Tochter in diesem Jahr Silvester verbringen werden. Sie
werden zustimmen, dass ein solcher Planungshorizont bescheiden ist.
Klar, viele können schreiben, dass man immer eine Aufenthaltsbewilligung
bekommen kann, aber glauben Sie mir, dass sogar Geflüchtete aus der Ukraine
weltweit weniger Unterstützung bekommen, einschließlich juristischem
Beistand. Und das sind Menschen, die vor pfeifenden Kugeln und
Luftangriffen geflohen sind.
## Belarus – von der Welt vergessen?
Leider hat die Weltgemeinschaft die Belarussen mit ihren Problemen und
Diktator Lukaschenko, ja, vielleicht nicht gerade vergessen, aber doch den
Gedanken an uns auf bessere Zeiten verschoben. Und ebendieser Diktator
lässt wirklich nichts aus. In dem einen Jahr, seitdem ich im Exil bin, hat
er es sogar geschafft, taktische Atomwaffen im Land zu stationieren!
Auch der Beamtenapparat, der in Belarus die Macht innehat, sitzt nicht
untätig herum: Erst vor kurzem haben sie die Ausstellung von Pässen in den
diplomatischen Auslandsvertretungen von Belarus verboten. Das heißt, wenn
ein Pass abläuft, muss man nach Belarus zurück, um ihn verlängern zu
lassen. Sie erinnern sich noch an die Geschichte mit den Likes auf
Instagram weiter oben?
Der Pass meiner Tochter ist noch zwei Jahre gültig. Was wir dann tun,
wissen wir nicht, bislang erholen wir uns noch vom ersten Schock. Moralisch
bedrückend ist auch, dass die lettische Regierung erst kürzlich einen von
zwei Grenzübergängen zu Belarus geschlossen hat. Litauen und Polen hatten
dies bereits vorher getan.
Aber das Leben geht weiter und es war ein toller Sommer! Das Jahr verging
mit einer Reihe zu lösender Alltagsprobleme, leider wurde die Liste nie
kürzer.
## Schwerer Neuanfang
Die juristischen Feinheiten werden eher mehr: Die aktuellste Nachricht ist,
dass die lettische Regierung beschlossen hat, Autos mit belarussischen
Nummernschildern zu konfiszieren, wenn diese Schilder nicht innerhalb von
drei Monaten gegen lettische ausgewechselt werden, [2][nachdem die Autos
die Grenze nach Lettland überquert haben]. Das offizielle Vilnius
annulliert sogar die Aufenthaltsgenehmigungen für diejenigen Belarussen,
die früher in der Armee gedient haben oder bei der Feuerwehr gewesen sind.
Es gibt natürlich noch Dutzende weiterer Probleme, mit medizinischer
Versorgung, Vorschule, Arbeit, Steuern – ja, eigentlich mit allem.
Mit 35 Jahren wieder ganz von vorne anzufangen ist schwer. Es ist wie ein
täglicher Wettlauf, bei dem verlieren bedeutet, in die Fänge der
belarussischen Staatsmacht zu gelangen. Und die, die verlieren, werfen sie
dann in eine Zelle – und das war's dann.
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung].
Ein Band mit den Texten erschien bei [5][edition.fotoTAPETA].
23 Oct 2023
## LINKS
[1] /Medien-in-Belarus/!5748143
[2] /Sanktionen-gegen-Russland/!5960322
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[4] /!vn5941022/
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Egor Parfenenko
## TAGS
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Belarus
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Migration
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Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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