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# taz.de -- Russische Botschaften im Ausland: Ohne Vertretung in Estland
> Im fremden Land bietet die Botschaft Hilfe und Unterstützung. Anders ist
> es, wenn sie den Staat vertritt, den man aus politischen Gründen
> verlassen hat.
Bild: Die Botschaft der Russischen Föderation im estnischen Tallinn
Früher konnte man auf Demos in Moskau und St. Petersburg oft diese Parole
hören: „Sie vertreten uns nicht mal.“ Menschen mit demokratischen Ansichten
in meinem Alter, also um die 30 Jahre und jünger, hatten den Machthabern in
Russland nie ihre Stimme gegeben. Vereinzelt brachten sie progressive
Stimmen in die Regionalparlamente, auf kommunaler Ebene bildeten sie
zeitweise sogar die Mehrheit. [1][Aber für höhere Positionen gibt es in
Russland eine eiserne Schranke] aus Putin’schen Sicherheitsbeamten,
Gerichten und Wahlkommissionen.
Ich lernte die Parole erneut schätzen, nachdem ich St. Petersburg Richtung
Tallinn verlassen hatte. Meine Freunde, Kollegen und ich, alle die nicht
das Glück haben, eine weitere Staatsangehörigkeit neben der russischen zu
haben, sind über ein Dutzend Länder verstreut. Keines davon hat eine uns
freundlich gesonnene Vertretung. Die russische Botschaft, die mir formell
in schwierigen Situationen helfen sollte, vertritt alles, vor dem ich
geflohen bin.
In der Pikk-Gasse in Tallinn steht ein Gebäude, das an eine Torte erinnert.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es vom Architekten Jacques Rosenbaum
gebaut, der später auch für die NS-Bautruppe Todt gearbeitet hatte. Auf dem
Haus weht eine Trikolore – es ist die Botschaft der Russischen Föderation
in Estland.
Ich weiß, dass ich irgendwann einmal durch die Tür dieser Einrichtung gehen
muss, für eine Bescheinigung, eine notariell beglaubigte Übersetzung oder
einen neuen Pass. Selbst um meine Staatsbürgerschaft abzugeben, braucht es
den guten Willen russischer Diplomaten. So einfach lässt einen die Heimat
nicht gehen. Jeder russische Staatsbürger wird von der Machtvertikale als
Subjekt wahrgenommen. Ich weiß, dass ich in der Botschaft nicht auf
Wohlwollen zählen kann. Im besten Fall werde ich dort mit der
gesamtrussischen Unhöflichkeit und mit Unbehagen konfrontiert, im
schlechtesten mit Willkür und direkter Rechtsverletzung.
Am 13. Januar [2][hatte das estnische Außenministerium eine weitere Gruppe
russischer Diplomaten aus Tallinn ausgewiesen] – um eine personelle Parität
mit der Botschaft der Republik Estland in Moskau zu erreichen. Die Gefühle
dazu sind gemischt. Einerseits ist es schwierig, diese Idee nicht zu
unterstützen – denn die Botschaft der Russischen Föderation ist quasi das
Sprachrohr des Krieges.
Gleich auf der ersten Seite ihrer Internetpräsenz steht ein Banner, das
dazu einlädt, die russische Version von [3][„Nachrichten zur
Spezialoperation“] zu lesen. Andererseits verringern sich die Möglichkeiten
der konsularischen Hilfe für mehr als 80.000 russische Staatsbürger in
Estland noch mehr und alles hängt noch mehr vom guten Willen der
verbliebenen Diplomaten ab.
„An einer Kette zusammenhängen“, schrieb der Lyriker Iwan Kormilzew 1984
über Sowjetbürger. Fast 40 Jahre später spüre ich als Russe sogar in der
Emigration das Gewicht dieser Kette.
Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey]
Finanziert von der [5][taz Panter Stiftung]
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der [6][Verlag edition.fotoTAPETA]
im September 2022 herausgebracht.
4 Feb 2023
## LINKS
[1] /Estland-und-Russlands-Krieg/!5911307
[2] /Estland-und-Russlands-Krieg/!5911307
[3] /Russische-Propaganda/!5908628
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[5] /Journalismus-in-Osteuropa/!vn5881840
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Alexey Schischkin
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Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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