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# taz.de -- Pressefreiheit im Baltikum: „Das Wort ist frei“
> In Estland will die Verbraucherschutzbehörde die Arbeit ausländischer
> Medien regulieren. Damit soll russische Staatspropaganda verhindert
> werden.
Bild: Fernsehturm in Tallinn, Estland
Als ich vor anderthalb Jahren nach Estland kam, wurde ich Mitarbeiter der
Tallinner Zeitung Delowye Wedomosti. Vieles an meinem neuen Arbeitsplatz
fand ich ungewöhnlich, darunter vor allem die Offenheit: Gesprächspartner
haben keine Angst, mit Medienvertretern zu sprechen. Dazu wird in der
Medienlandschaft der Versuch, Druck auf die Presse auszuüben, ernst
genommen. Am Eingang unserer Redaktion hängt ein T-Shirt mit dem Aufdruck
„Das Wort ist frei“ hinter Glas. Jedes Mal, wenn mein Blick darauf fällt,
freue ich mich.
Anfang Juli hat die estnische Verbraucherschutzbehörde TTJA eine Initiative
gestartet. Sie will eine Verpflichtung im Gesetz festschreiben lassen, dass
Medien nur „wahrheitsgemäße und unparteiische Meinungen“ veröffentlichen
dürfen. „Unter dem Deckmantel der Medienfreiheit können einige andere
Aktivitäten durchgeführt werden“, sagte Helen Rohtla, Leiterin der
Abteilung für Informationsgesellschaften in der Behörde.
Alarmierend war in diesem Zusammenhang, dass die TTJA das Beispiel
Lettlands anführte. Das südliche Nachbarland, in dem die Behörden mehr
Möglichkeiten zur Regulierung der Medienlandschaft haben. [1][Gleichzeitig
liegt Lettland in der jährlichen Rangliste für Pressefreiheit 8 Plätze
hinter Estland.]
[2][Lettland wird regelmäßig von Skandalen heimgesucht] – so verhängte der
lettische Nationale Rat für elektronische Medien im Mai eine Geldstrafe von
8.500 Euro gegen den Fernsehsender tvnet.lv. Grund dafür war die Verwendung
des Wortes „Deportation“ in einem Kontext, der den Beamten unangemessen
erschien, und zwar nicht einmal von der Moderatorin, sondern von einem Gast
in der Sendung.
Aus den Erklärungen der estnischen Behörde wurde klar, dass es ihnen in
erster Linie darum geht, die Arbeit ausländischer Medien in Estland zu
regulieren. Dabei scheint den Beamten wichtig zu sein, nicht nur
redaktionelle Inhalte ausländischer Medien blockieren zu können, sondern
auch zu verhindern, dass etwa [3][die Propaganda russischer Staatsmedien
Eingang in die nationalen Medien findet].
Letztendlich ist es in Estland trotzdem nicht gelungen, die russischen
Fernsehkanäle vollständig zu blockieren. Estnische Medienunternehmen
sprechen sich dagegen aus, den Behörden neue Instrumente zur Regulierung an
die Hand zu geben.
Als Journalist aus Russland, der jetzt im Exil lebt und weiß, was die
zunehmende staatliche Repression bedeutet, bin ich alarmiert. Obwohl ich
auch weiß, dass das Vertrauen zwischen der Gesellschaft und dem Staat in
Estland viel größer ist und das System der gegenseitigen Kontrolle
funktioniert. Außerdem befürchte ich auch, dass Journalisten angesichts
dieser geplanten Vorschriften beginnen, sich selbst zu zensieren. Reporter
ohne Grenzen sieht darin übrigens die größte Bedrohung für die Medien in
Estland, das im Jahr 2023 vier Plätze in der Rangliste der Pressefreiheit
verloren hat.
Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung].
Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im Verlag [6][edition.fotoTAPETA]
erschienen
23 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglist…
[2] /Pressefreiheit-in-Lettland/!5925429
[3] /Russische-Minderheit-im-Baltikum/!5889720
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[5] /Panter-Stiftung/Projekte/Internationale-Projekte/Osteuropa/!p5113/
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Alexey Schischkin
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