| # taz.de -- Russische Sprache in Riga: Nicht mehr als ein Koffer | |
| > In Riga sprechen viele Menschen neben Lettisch fließend Russisch. | |
| > Eigentlich ideal für russische Migranten. Aber es fühlt sich trotzdem | |
| > falsch an. | |
| Bild: Stadtansicht von Riga, in Lettlands Hauptstadt sprechen viele Menschen Ru… | |
| Ich war sicher schon zwanzigmal in Riga – in meinem früheren Leben. Und | |
| hätte mir nie vorstellen können, dass ich aus Moskau ausgerechnet hierher | |
| kommen würde. Ohne Rückfahrkarte. Ich hätte mir übrigens einiges nicht | |
| vorstellen können: dass dieser Krieg tatsächlich stattfinden würde, dass | |
| ich wirklich gezwungen sein würde, [1][mein Land zu verlassen], und auch | |
| nicht, dass das so abrupt passieren würde, mit nicht mehr als einem Koffer. | |
| Dieses Riga, das ich bis dahin kannte – eine kleine, gemütliche, im | |
| Vergleich zu Moskau fast dörfliche Stadt, in die man übers Wochenende fuhr | |
| –, musste ich vergessen. Und stattdessen ein neues Riga für mich entdecken | |
| – meine neue (temporäre?) Heimat. Schön, sonnig, friedlich, mit Freunden, | |
| die mir sehr geholfen haben. Aber gleichzeitig total fremd: Ich sollte hier | |
| nicht sein. | |
| Dabei ist Riga gerade für eine solche erzwungene Emigration ideal. Unter | |
| den drei baltischen Staaten ist Lettland das Land, wo noch am meisten | |
| Russisch gesprochen wird. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte | |
| Lettland am 4. Mai 1990 seine Unabhängigkeit und machte sich sofort | |
| zielstrebig auf den Weg zurück nach Europa. Ein Teil der russischsprachigen | |
| Bevölkerung aber blieb im Land. | |
| Daher hört man sogar noch jetzt – obwohl die Staatssprache natürlich | |
| Lettisch ist – überall Russisch. Aushänge und Inserate gibt es oft auch in | |
| zwei Sprachen, in Geschäften, Cafés und Polikliniken spricht das Personal | |
| neben Lettisch auch Russisch. Eine Ausnahme sind vielleicht Bars mit | |
| überwiegend jugendlichem Publikum. | |
| Mir war es auch früher schon unangenehm, hier Russisch zu sprechen. Dabei | |
| dachte in nicht in der Kategorie „imperiales Bewusstsein“. Ich hatte | |
| vielmehr das Gefühl, es sei nicht gut zu meinen, dass in einem fremden Land | |
| alle Russisch sprechen müssten. Deshalb sprach ich Englisch, wie auch sonst | |
| im Ausland. | |
| Aber jetzt war es mir wirklich peinlich, überhaupt den Mund aufzumachen. In | |
| meinen ersten Wochen in Riga haben ich draußen ausschließlich Englisch | |
| gesprochen. Aber dann wechselten etwa Kassiererinnen einfach ins Russische, | |
| wenn sie hörten, wie wir untereinander sprachen. Irgendwann hörte ich dann | |
| auf, mir wegen der Sprache Sorgen zu machen. | |
| Ich hatte angenommen, dass ich hier [2][auf eine Art Feindseligkeit | |
| gegenüber den Russen stoßen würde]. Aber das war absolut nicht der Fall. | |
| Zwar hängen überall ukrainische Flaggen, Sticker, auf denen steht „PTN FCK�… | |
| und „Russisches Kriegsschiff- f*ck dich“. Und gegenüber der russischen | |
| Botschaft hängt ein riesiges Plakat mit einem Schwarzweißporträt von Putin, | |
| auf dem sein Gesicht wie ein Schädel aussieht. Aber das beleidigt nicht | |
| mich als Menschen aus Russland. | |
| Mein Land hat nur noch wenig Ähnlichkeit mit einem Staat. Ich würde auch in | |
| Moskau eine ukrainische Flagge aufhängen und den Satz über das russische | |
| Kriegsschiff stickern, aber dafür gibt es dort jetzt keine Geldstrafen | |
| mehr. Man kann dafür gleich in den Knast kommen. [3][Sogar Leute, die nur | |
| Zettel mit Aufschriften wie „Frieden für die Welt“, „Kein Krieg“ oder … | |
| sollst nicht töten“ hochhalten, kommen hinter Gitter]. | |
| Riga ist sehr ruhig und freundlich. Zu allen, unabhängig von Nationalität | |
| und Staatsangehörigkeit. Aber nur, solange man keine Kriegsverbrecher | |
| unterstützt. | |
| Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] | |
| Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA | |
| im September als Dokumentation heraus. | |
| Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. | |
| 1 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Maria Bobyleva | |
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