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# taz.de -- Unterdrückung in Russland: Protest zwischen den Nudelpackungen
> Auf das Hochhalten von Tolstois „Krieg und Frieden“ folgt Anzeige, bei
> offener Kritik am Krieg droht Haft. In Russland verschärft sich die
> Repression.
Bild: Das „Ja zum Frieden“ wird übermalt: Sankt Petersburg am 18. März 20…
Moskau taz | „Perekrjostok“ heißt Kreuzung auf Russisch. Supermärkte quer
durch Russland tragen diesen Namen. Sie sind nicht teuer, nicht billig und
finden sich an vielen Ecken russischer Städte. Weiß sind die Preisschilder,
manchmal auch gelb, wenn die Waren reduziert sind. An einem Abend im März
fanden sich in einem Perekrjostok in Sankt Petersburg statt Preisschildern
kleine Handzettel – über den Krieg in der Ukraine. Über den Beschuss des
Theaters in Mariupol und den Tod von Zivilist*innen. Es war ein Protest
zwischen Buchweizen und Nudelpackungen. Kaum sichtbar und doch offenbar so
wirkungsvoll, dass Ermittler*innen der Sankt Petersburger Polizei eine
Soko einrichteten, um die „Übeltäterin“ wochenlang zu suchen.
Alexandra Skotschilenko, eine junge Künstlerin und Aktivistin, hatte die
Preisschilder ausgetauscht. Seit einigen Tagen sitzt die Petersburgerin in
Untersuchungshaft, ihr drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe – wegen
„öffentlicher Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die
Handlungen der russischen Streitkräfte“. Es ist einer von mittlerweile 38
Straffällen, in denen wegen des neuen, erst im März eingeführten
Zensurgesetzes ermittelt wird. Rund 1.300 Menschen in Russland bekamen
wegen der „Diskreditierung der Armee“ bereits Ordnungsstrafen.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine muss in Russland „militärische
Spezialoperation“ genannt werden. Was im Nachbarland passiert, wird
verklärt und verleugnet. Alle, die sich nicht an der [1][staatlich
verordneten Verherrlichung] beteiligen und das auch noch öffentlich
kundtun, gelten dagegen als Verräter, von denen Russland „gesäubert“ werd…
müsse, wie der russische Präsident Wladimir Putin vor einigen Wochen
erklärte.
Das [2][Leben vieler wird unerträglich]. Die einen gehen ins Exil, die
anderen wehren sich, indem sie grüne Bändchen als Zeichen des Protests an
Bäume in den städtischen Parks hängen. Einem Mann, der das Buch „Krieg und
Frieden“ von Leo Tolstoi an der Kreml-Mauer hochhielt, drohen 20.000 Rubel
(etwa 250 Euro) Strafzahlung.
## Telefonate über die Ukraine sind schon verdächtig
Laut Richterin hat auch Alexandra Skotschilenko mit dem Austauschen der
Preisschilder eine „schwerwiegende Handlung gegen die öffentliche Ordnung“
begangen. Die 31-Jährige habe zudem auch noch eine nahe Verwandte in
Frankreich und Freunde in der Ukraine, heißt es in der Anklage. Die
Vorwürfe sind absurd, zeigen aber die Haltung des Regimes, dass jeder
Andersdenkende als „Fremder“ und „von außen Beeinflusster“ zerstört w…
müsse.
Das Hinterfragen offizieller Positionen wird kaum noch geduldet. Selbst mit
Unterhaltungen am Telefon über den Krieg in der Ukraine machen die Menschen
sich verdächtig. Schüler*innen denunzieren ihre Lehrer*innen,
Supermarktbesucher*innen andere Supermarktbesucher*innen.
Der prominenteste – und politischste – Fall der neuen Gesetzgebung betrifft
eine bekannte Figur der russischen Opposition: Wladimir Kara-Mursa. Der
40-Jährige koordinierte seit den 2000er Jahren im Hintergrund
oppositionelle Gruppen und lobbyierte für deren Anliegen im Ausland.
Jahrelang setzte er sich außerdem in Europa und den USA für Sanktionen
gegen russische Funktionäre ein. Er arbeitete an der Seite des vergifteten
und [3][inhaftierten Oppositionspolitikers Alexei Nawalny].
Auch er selbst wurde zweimal vergiftet, und zwar von derselben Gruppe des
russischen Geheimdienstes wie auch Nawalny, wie russische und
internationale Recherchen im Nachhinein zeigten. Er überlebte die
schweren Anschläge. Seine Frau und Kinder leben aus Sicherheitsgründen im
Ausland, Kara-Mursa pendelte immer wieder zwischen den USA und Russland.
Bis vor knapp zwei Wochen. Seitdem sitzt er in Haft. Ihm wird ein Auftritt
vor den Abgeordneten im Repräsentantenhaus in Arizona vorgeworfen. Dabei
soll er „Falschnachrichten“ verbreitet und „politischen Hass“ gesät ha…
## Überall „ausländische Agenten“
Die Zensurgesetze sind den Behörden allerdings nicht genug. Nun soll die
Generalstaatsanwaltschaft auch das Recht bekommen, Redaktionen die Lizenz
und Journalist*innen die Akkreditierung zu entziehen. Selbst Büros
ausländischer Medien sollen sie dann ohne richterlichen Beschluss schließen
dürfen.
Zum „ausländischen Agenten“ kann zudem jeder werden, der „von außen
beeinflusst“ werde. Worin diese „Beeinflussung“ besteht, wird nicht
erklärt. Auch Verwandte eines „Agenten“ können gebrandmarkt werden, die
Sippenhaft kehrt damit offiziell zurück. Firmen und Ausländer*innen
können ebenfalls zu „Agenten“ werden. Der Nachweis ausländischer
Finanzierung, wie das schwammig formulierte Gesetz bislang gefordert hatte,
fällt weg. Damit wird die Hetzjagd auf kritische Geister noch leichter.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] /Kriegspropaganda-fuer-Kinder-in-Russland/!5850151
[2] /Russische-Propaganda-im-Ukrainekrieg/!5846449
[3] /Neun-weitere-Jahre-Haft-fuer-Nawalny/!5839113
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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