# taz.de -- Verhandlung des Verfassungsgerichts: Regierung mauert bei Geheimdie… | |
> Ein FDP-Abgeordneter klagt auf mehr Auskunft zu Auslandseinsätzen von | |
> Verfassungsschützern. Die Regierung geht nun selbst in die Offensive. | |
Bild: Nicht überzeugt von den Regierungsargumenten: Der Zweite Senat des Bunde… | |
KARLSRUHE taz | Die Bundesregierung will Informationen über | |
Nachrichtendienste nur noch einem kleinen Kreis von Abgeordneten geben. Das | |
zeichnete sich an diesem Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht ab. | |
Verhandelt wurde über eine Klage des FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle, dem | |
Informationen über Auslandseinsätze des Verfassungsschutzes verweigert | |
wurden. | |
Eigentlich ist es ein Streit innerhalb der Ampel-Regierung. Das | |
Bundesinnenministerium wird von der SPD-Frau Nancy Faeser geführt. Und der | |
FDP-Innenpolitiker Kuhle ist seit einigen Monaten ein Aktivposten der | |
Ampel-Koalition. Doch von Gemeinsamkeiten war nichts zu spüren. Faesers | |
Delegation agierte, als ob das Ministerium noch wie [1][unter ihrem | |
Vorgänger Horst Seehofer] in CSU-Hand wäre. Und Kuhle zeigte sich standhaft | |
wie ein Oppositionspolitiker. | |
So hatte der Streit einst auch begonnen. Als Oppositions-Mann fragte Kuhle | |
im Dezember 2020 Innenminister Seehofer, wieviele Mitarbeiter:innen | |
des Bundesamts für Verfassungsschutz in den letzten fünf Jahren im Ausland | |
aktiv waren. Antwort der Bundesregierung: Das könne man nicht beantworten, | |
weil sonst das „Staatswohl“ gefährdet wäre. | |
Für die Bundesregierung begründete dies in Karlsruhe nun der neue | |
Innen-Staatsekretär Mahmut Özdemir (SPD). Es müsse verhindert werden, dass | |
ausländische Nachrichtendienste Informationen über Aktivitäten, Fähigkeiten | |
und Schwerpunkte des deutschen Verfassungsschutzes erhalten. Viele an sich | |
unscheinbare Information könnten „ein Potenzial als Mosaikstein“ in einem | |
größeren Bild haben. | |
Es sei ausreichend, so Özdemir, wenn solche Informationen [2][im | |
Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr)] gegeben werden, wo nur neun | |
besonders zuverlässige Abgeordnete sitzen. Selbst eine Information über die | |
Geheimschutzstelle des Bundestags wäre zu gefährlich, weil dort eine | |
vierstellige Zahl von Abgeordneten und Mitarbeiter:innen Zugang hätte. | |
## Angriff statt Verteidigung | |
Es wurde schnell deutlich, dass sich die Bundesregierung hier nicht | |
verteidigt, sondern dass sie angreift. Ihr Ziel ist eine massive | |
Beschränkung der parlamentarischen Auskunftsrechte über | |
Geheimdienst-Angelegenheiten. Das Bundesverfassungsgericht soll Fallgruppen | |
festlegen, bei denen die Bundesregierung generell den Abgeordneten keine | |
Auskunft mehr geben muss, etwa wenn es um V-Leute geht, um Methoden der | |
Nachrichtendienste oder Angaben zum Personal. „Wir müssten dann nur noch | |
plausibel machen, dass die Frage eine der Fallgruppen betrifft“, erläuterte | |
der konservative Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz, der die | |
Bundesregierung in Karlsruhe vertrat. | |
Diese Blockade-Haltung solle natürlich eine Ausnahme sein und sich auf | |
Fragen der Nachrichtendienste beschränken, betonte Gärditz. In der Regel | |
antworte die Bundesregierung gerne auf Fragen der Abgeordneten. „Selbst im | |
Bereich der Inneren Sicherheit wurden 98 Prozent der parlamentarischen | |
Fragen ganz offen beantwortet“, betonte der Professor. | |
## FDP fürchtet ineffiziente Doppelarbeit | |
FDP-Mann Kuhle sitzt nicht im PKGR, will als Innenpolitiker aber auf die | |
von ihm abgefragten Informationen nicht verzichten. „Der Verfassungsschutz | |
ist doch eigentlich ein Inlands-Geheimdienst, aber immer häufiger im | |
Ausland unterwegs“, so Kuhle. Es bestehe die Gefahr, dass der | |
Verfassungsschutz dem eigentlichen Auslandsgeheimdienst, dem | |
Bundesnachrichtendienst (BND) Konkurrenz mache und es ineffiziente | |
Doppelarbeit gibt, „deshalb muss ich als Abgeordneter diese Zahlen kennen, | |
wenn wir in dieser Wahlperiode eine Reform der Nachrichtendienste planen.“ | |
Vermutlich wird er die Zahlen bald bekommen, denn die | |
Verfassungsrichter:innen deuteten an, dass sie das Manöver der | |
Bundesregierung nicht mittragen werden. „Es war doch immer klar, dass das | |
Parlamentarische Kontrollgremium die Rechte der Abgeordneten ergänzen und | |
nicht ersetzen soll“, betonte der federführende Richter Peter Müller | |
([3][einst CDU-Ministerpräsident] im [4][Saarland]). „Es kann keine zwei | |
Klassen von Abgeordneten geben“, betonte sein Kollege Peter M. Huber, „alle | |
Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes“. | |
Doch Gärditz widersprach den Richter:innen: „Es kann doch nicht sein, dass | |
ein normaler Abgeordneter genauso viel Informationen bekommt wie die | |
handverlesenen Mitglieder des PKGr“, immerhin sei das Parlamentarische | |
Kontrollgremium ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt, in Artikel 45d. | |
Verfassungsrichterin Christine Langenfeld ließ das aber nicht gelten: „Im | |
Grundgesetz steht nur, dass es das Gremium geben soll. Dort steht nicht, | |
dass andere Abgeordnete keine Kontrollrechte mehr haben.“ | |
Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet. | |
22 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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