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# taz.de -- BVerfG zu Verfassungsschutzgesetz: Viel zu viel Überwachung
> Bayerns Verfassungsschutz hat bisher weitreichende
> Ermittlungsmöglichkeiten. Doch die verstoßen teils gegen das Grundgesetz,
> entschied nun das BVerfG.
Bild: Bayerisches Wappen vor dem Landesamt für Verfassungsschutz in München
Karlsruhe taz | Weite Teile des 2016 novellierten Gesetzes über den
bayerischen Verfassungsschutz verstoßen gegen das Grundgesetz. Dies [1][hat
das Bundesverfassungsgericht festgestellt.] Allerdings bleiben fast alle
beanstandeten Paragrafen bis Juli 2023 in Kraft und können bis dahin vom
Münchener Landtag nachgebessert werden. Insgesamt beanstandeten die
Verfassungsrichter:innen 16 Normen des bayerischen Gesetzes.
Der Verfassungsschutz hat als Inlands-Geheimdienst die Aufgabe,
[2][Bestrebungen gegen die freiheitliche Demokratie] frühzeitig zu
entdecken und öffentlich anzuprangern. Es gibt eigene
Verfassungsschutzbehörden auf Bundesebene und in jedem Bundesland. Der
Bayerische Verfassungsschutz hatte seit einer Reform 2016 besonders
weitgehende Befugnisse, etwa das Recht, Wohnungen mithilfe von Wanzen zu
überwachen.
Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) klagten
[3][drei bayerische Linke] gegen alle Bestimmungen der Reform von 2016. Der
Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts nahm die Klage dankbar zum
Anlass, um ein 132-seitiges Grundsatzurteil über heimliche
Ermittlungsmaßnahmen der Verfassungsschutzbehörden zu verfassen. Ein
ähnliches Urteil für die Polizeibehörden gab es bereits 2016 mit der
Karlsruher Entscheidung zum BKA-Gesetz.
Die Richter:innen stellten nun klar, dass für den Verfassungsschutz
andere Anforderungen gelten als für die Polizei. Während die Polizei in der
Regel erst bei einer konkreten Gefahr in Grundrechte eingreifen darf, ist
die Schwelle beim Verfassungsschutz niedriger, da dieser weniger handfeste
Befugnisse hat. So darf der Verfassungsschutz weder Wohnungen durchsuchen,
noch Personen festnehmen.
## Künftig strengere Voraussetzungen
Für heimliche Ermittlungsmaßnahmen ist nun statt einer Gefahr nur ein
„hinreichender verfassungsschutzspezifischer Aufklärungsbedarf“
erforderlich, so die Richter:innen. Was das konkret ist, wird in den
kommenden Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Doktorarbeiten sein.
Nur Maßnahmen, „die zu einer weitestgehenden Erfassung der Persönlichkeit
führen können“, sollen auf die Abwehr konkreter Gefahren beschränkt sein.
Konkret beanstandeten die Richter deshalb die Befugnisse des bayerischen
Verfassungsschutzes zum Großen Lauschangriff (also zur Überwachung von
Wohnraum mittels versteckten Mikrofonen) und zur Online-Durchsuchung (das
heißt zur heimlichen Ausspähung von Computerfestplatten mittels
Trojaner-Software). Der Verfassungsschutz darf solche Maßnahmen auch nur
nutzen, wenn die Polizei mit eigenen Maßnahmen zu spät käme.
Bei mehreren anderen Befugnissen verlangten die Richter:innen ebenfalls
strengere Eingriffs-Voraussetzungen als bisher im bayerischen Gesetz
vorgesehen sind. Konkret ging es um die Ortung von Mobiltelefonen, die
längerfristige Observation außerhalb der Wohnung sowie den Einsatz von
verdeckten Ermittler:innen und V-Leuten. Bei all diesen Maßnahmen
verlangten die Richter:innen zudem eine „Vorabkontrolle“ durch eine
unabhängige Einrichtung. Dies kann ein Gericht, eine unabhängige Behörde
oder ein parlamentarisches Gremium sein.
Deutlich strengere Anforderungen sollen künftig auch für die Übermittlung
von Daten durch den Verfassungsschutz gelten. Dieser darf heimlich
beschaffte Daten nur dann an andere Behörden wie die Polizei weitergeben,
wenn diese sich die Daten auf gleichem Wege auch selbst hätten beschaffen
dürfen.
Die Innenminister:innen von Bund und Ländern müssen nun genau prüfen,
welche Auswirkungen das Urteil auf ihre jeweiligen Verfassungsschutzgesetze
hat.
26 Apr 2022
## LINKS
[1] /Bayrisches-Verfassungsschutzgesetz/!5851061
[2] /Empoerung-ueber-Verfassungsschutz/!5709624
[3] /Bayerisches-Verfassungsschutzgesetz/!5822382
## AUTOREN
Christian Rath
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Schwerpunkt Überwachung
Verfassungsschutz
Bayern
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Hamburg
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