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# taz.de -- Berlins Finanzsenator über Krisen: „Sorgenfrei ist man in dem Jo…
> Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) muss mit den Kosten der Pandemie und
> den Folgen des Ukrainekriegs umgehen. Wie steht Berlin finanziell da?
Bild: „Wir sind finanziell ganz gut durch die bisherige Coronakrise gekommen�…
taz: Herr Wesener, wo steht Berlin finanziell derzeit auf einer Skala von 1
bis 10, quasi von „knietief im Dispo“ bis „sorgenfreies Leben“?
Daniel Wesener: Für 3,7 Millionen Menschen wage ich das nicht zu sagen. Was
den Finanzsenator angeht, also mich: Sorgenfrei ist man in meinem Job nie,
aber ich habe keinen Grund für schlaflose Nächte.
Und bezogen auf die Skala?
Da sehe ich uns bei 5. Wir leben in Zeiten, in denen Planung insgesamt –
und eben auch Haushaltsplanung – aus naheliegenden Gründen nicht ganz
einfach ist.
Wie sieht es mit den finanziellen Spielräumen [1][im Landeshaushalt aus,
den Sie am Donnerstag im Abgeordnetenhaus] vorstellen?
Wir können von Glück sagen, dass wir finanziell ganz gut durch die
bisherige Coronakrise gekommen sind – nicht nur im Vergleich zu vielen
Weltregionen, sondern auch zum einen oder anderen Bundesland. Viele Daten
deuten darauf hin, dass die Erholung des Landeshaushalts sehr viel
schneller vonstattengeht als vor einem halben Jahr erwartet. Aber die
Pandemie ist noch nicht vorbei. Und seit Russlands [2][Angriff auf die
Ukraine] am 24. Februar haben wir es mit einem Krieg in Europa zu tun mit
völlig unabsehbaren Folgen.
Im Vergleich dazu hatte die damalige rot-rot-grüne Koalition bei ihrem
Start 2016 traumhafte Zustände – für fast alles schien Geld da zu sein.
Nein. Wir sind damals von einer deutlich schlechteren Einnahmeentwicklung
ausgegangen. Wir haben den Haushalt 2017 weniger gesteigert, als es jetzt
der Fall ist. Das klingt paradox, ist aber so. Zudem muss man
ehrlicherweise sagen: Was wir haushaltspolitisch bis zum Ende dieser
Legislaturperiode hinbekommen müssen, hat nur zum Teil mit den aktuellen
Krisen zu tun. Wir waren 2016 mit den bitteren Folgen jahrelanger
Sparpolitik konfrontiert. Viele Fehlentwicklungen konnten wir korrigieren –
und doch gilt: Berlin hat viel aufzuholen, und dafür braucht es mehr Geld
und weitere Investitionen in die Stadt. Wir werden aber die eine oder
andere Ausgabenkurve abflachen müssen.
Viele würden wohl sagen, dass von diesem Aufholprozess nicht viel in der
Praxis angekommen ist. Wer einen Termin auf dem Bürgeramt braucht, wartete
darauf zwei Monate und mehr.
Die Klagen sind bekannt und teilweise berechtigt. Aber ich glaube, dass bei
allen Problemen, die es zweifelsohne gibt, in den letzten fünf Jahren
einiges passiert ist. Wir haben die Personalmittel für die Bezirke um etwa
20 Prozent gesteigert und erhöhen sie nun um zusätzliche 200 Stellen pro
Jahr.
Was heißt es genau, wenn Sie sagen, Sie müssten „die eine oder andere
Ausgabenkurve abflachen“: Ist das nicht nur eine Beschönigung fürs Kürzen?
Nein, ich habe ja nicht von Kürzungen gesprochen.
Abflachen heißt doch, weniger ausgeben als geplant, also gegenüber der
Planung kürzen.
Auch das ist nicht der Fall. Alle Vergleichszahlen zeigen, dass der
Landeshaushalt nicht gekürzt wird. Dieser Haushalt wächst in diesem und im
nächsten Jahr, und zwar erheblich. Wir sind jetzt bei bereinigten
jährlichen Ausgaben von etwa 36,5 Milliarden Euro. Im letzten
vorpandemischen „Normaljahr“, also 2019, lagen wir knapp über 30 Milliarden
Euro.
Was verstehen Sie dann unter abflachen?
Die Mehrausgaben fallen geringer aus als zuletzt. Aber für jeden Bereich
und für jedes Politikfeld, in jedem Fachressort und [3][auch bei den
Bezirken gibt es insgesamt mehr Geld]. Übrigens auch für die Bildung,
anders als zuletzt behauptet. Die Frage ist immer, ob das aus Sicht der
jeweils Betroffenen ausreicht. Da wird es wohl immer unterschiedliche
Einschätzungen geben.
Dieser Haushalt, der nun ins Parlament geht – wie lässt sich so ein
möglichst konkretes Zahlenwerk unter den aktuellen sehr volatilen
Rahmenbedingungen aufstellen?
Grundsätzlich: Es geht.
Sonst läge der Entwurf ja nicht im Parlament!
Auch jenseits einer Pandemie und von Kriegen entwickeln sich die
öffentlichen Einnahmen und Ausgaben dynamisch: Es gibt eine allgemeine
Konjunktur- und Wirtschaftsentwicklung, es gibt eine Bundesebene, die
eigene steuerpolitische Ideen hat und deren Kosten die Länder mittragen
müssen – was immer wir im Einzelfall davon halten. Berlin ist auch für
unvorhergesehene Entwicklungen aufgestellt und kann darauf reagieren. Dafür
bilden wir regelmäßig Rücklagen, auch in diesem Haushalt.
Reichen die denn?
Ich sehe nicht, dass uns etwa für die Unterbringung von Geflüchteten aus
der Ukraine in diesem Jahr kurzfristig das Geld ausgehen könnte. Es ist
aber wie schon bei der Fluchtbewegung 2015 völlig klar, dass Länder und
Kommunen die finanzielle Last nicht alleine tragen können. Deshalb haben
wir gerade eine Debatte, inwieweit der Bund seinen Teil der Verantwortung
übernimmt.
Wie hoch sollte dieser Anteil, den Sie vom Bund fordern, in Prozent sein?
Es geht weniger um Prozente, sondern um die Finanzierungsweise und die
jeweiligen Zuständigkeiten für Hilfen für geflüchtete Menschen. Wir
erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich zu einer Übernahme der
Kosten für Unterkunft, Unterhalt und medizinische Versorgung im Rahmen der
Grundsicherung verpflichtet.
Da ist ja Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) schon in der Spur,
Druck auf den Bund zu machen.
Da sind wir im Senat und als Bundesländer alle in der Spur. Ohne die Hilfe
etwa der Jobcenter wird es aus meiner Sicht sehr schwierig werden, nicht
nur für die Berliner Sozialämter, sondern bundesweit.
Sie haben mehrfach von Rücklagen gesprochen. Sie sind nicht irgendwie
erwirtschaftet oder Verdienst guter Politik, sondern Folge
milliardenschwerer Kredite zur Coronahilfe in den vergangenen beiden
Jahren.
Nicht alle diese Rücklagen resultieren aus der Kreditaufnahme. Wir haben in
den vergangenen Jahren Überschüsse zurückgelegt, als allgemeine
Haushaltsrücklage, für den Konjunkturausgleich oder den Schulbau. Und nun
bilden wir eine Resilienz-Rücklage.
Resilienz? In anderen Worten: um Land und Gesellschaft widerstandsfähig für
schwierige Situationen zu machen?
Ja. Mit den 750 Millionen Euro treffen wir Vorsorge für weitere
Auswirkungen der Pandemie. Werden die Corona-Notfallkredite nicht in Gänze
dafür benötigt, wird Berlin übrigens auch frühzeitig Schulden tilgen. Im
nächsten Jahr kann das nach heutigem Stand dreimal so viel sein wie
ursprünglich geplant: 810 statt 270 Millionen Euro.
Sie wollen sich als Sparsenator profilieren.
Nein, was sollte ich damit beweisen? Eine Finanzplanung gilt nicht nur für
zwei, sondern mindestens für fünf Jahre. Wenn wir künftig weiter
investieren und Ausgaben steigern wollen, dann ist es klug, antizyklische
Finanzpolitik zu betreiben. Wenn wir es uns 2023 leisten können, Schulden
abzubauen, entlastet das auch den Landeshaushalt in den beiden Folgejahren.
Von den erwähnten 7,3 Milliarden Euro Krediten für die Coronapandemie wurde
bisher nur ein kleiner Teil gebraucht. Mehr als 5 Milliarden Euro sind noch
nicht ausgegeben. Warum hat man sich so verschätzt?
Noch ist ja nicht klar, ob wir uns verschätzt haben. Die Pandemie ist nicht
vorüber. Noch sind nicht alle Kosten abgerechnet – etwa die Verluste der
Landesunternehmen. So oder so reden wir von Notfallkrediten. Die kann man
laut Schuldenbremse nicht einfach auf die hohe Kante legen oder für etwas
anderes verwenden.
Außer man heißt Christian Lindner, der FDP-Bundesfinanzminister, der
Kredite über 60 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Klimakrise
verwenden will.
Das wird wohl das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben. Wobei man
dem Bund eines attestieren muss: Er hat 2021 im Gegensatz zu den
Bundesländern 210 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht und weist
ein erhebliches Haushaltsdefizit auf. Berlin hatte einen nahezu
ausgeglichenen Jahresabschluss und musste keine weiteren Schulden
aufnehmen.
Weil die Kredite im Jahr davor aufgenommen wurden!
Vor allem, weil der Bund finanziell die Hauptlast der Pandemie trägt, was
ihm laut Grundgesetz auch zufällt. Aber was Berlin die Coronakrise auch
mittel- und langfristig kosten wird, ist noch überhaupt nicht klar. Es ist
also sinnvoll, einen Teil des Geldes dafür weiter vorzuhalten.
Zum Beispiel für die Flughafengesellschaft, sprich den BER, der dem Land zu
etwas mehr als einem Drittel gehört. Durch die Pandemie gibt es viel
weniger Flüge – was vielleicht ja auch im Interesse eines grünen Senators
ist. Stichwort: Klimaschutz.
Es gibt zumindest einen Lichtblick, was den BER betrifft: Wir wissen
inzwischen, wie hoch der Defizitausgleich ist, den die EU erlaubt. Das war
lange unklar. Es geht hier um bis zu 1,72 Milliarden Euro, welche die drei
Anteilseigner …
… neben Berlin das Land Brandenburg und der Bund …
… als Beihilfe gewähren können. Für eine nachhaltige Finanzierung der
Flughafengesellschaft, die auch eine Teilentschuldung vorsieht, werden in
den nächsten fünf Jahren wohl bis zu 2,4 Milliarden Euro fällig. Am Ende
braucht es eine Gesellschaft, die sich wirtschaftlich selbst trägt.
Was den BER angeht, heißt das aber: Er bleibt ein Klimakiller.
Wir brauchen, am besten europaweit, Entgelte und sonstige Anreize, mit
denen besonders CO2-intensives Fliegen monetär bestraft wird und umgekehrt.
Am BER wollen wir zudem gerade eine Demonstrationsanlage für Kerosinersatz
aufbauen. Damit wird Fliegen morgen nicht per se grün und CO2-neutral sein.
Aber es kann ein Beitrag sein, um Emissionen zu senken.
Sie waren bis 2016 Parteichef der Berliner Grünen, danach Parlamentarischer
Geschäftsführer der Fraktion im Abgeordnetenhaus, jetzt Senator. Was ist
schwieriger zu führen: eine grüne Partei, die Fraktion oder eine Verwaltung
mit 8.000 Mitarbeitern?
Was schwieriger ist, kann ich gar nicht sagen. Aber es gibt für mich einen
Unterschied, was meine persönliche Verantwortung angeht: ob man gewählter
Vertreter einer politischen Partei ist oder Dienstherr von über 8.000
Menschen. Ich stehe denen gegenüber viel unmittelbarer in der Pflicht.
Ist es leichter, eine Verwaltung zu führen, weil sie viel hierarchischer
strukturiert ist als die Grünen?
Klar gibt es deutliche Unterschiede. Aber am Ende geht es auch hier um
Motivation und Arbeitszufriedenheit.
Da gibt es Luft nach oben, wenn es nach dem Ruf der Berliner Verwaltung
geht.
Ich kenne die Berliner Verwaltung durch meine politische Arbeit ziemlich
lange. Ihren schlechten Ruf zu beschwören ist fast schon ein Ritual. Aber
ich habe in den letzten 20 Jahren auch viele überdurchschnittlich
engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebt. Das zeigt sich auch
jetzt in der aktuellen Krisensituation: Da machen die wenigsten Dienst nach
Vorschrift, wenn es um die Akquise und Vermittlung von Unterkünften für
Geflüchtete geht.
Manchmal drückt sich Motivation auch im Outfit aus. Bei Ihnen sieht es ganz
danach aus. Bisher sah man Sie selten im Anzug. Wie viele neue haben Sie
sich gekauft?
Ich glaube, es waren drei. Könnten auch vier sein.
Als Finanzsenator weiß man, jede Zahl funktioniert nur in Relation: Also
vier von insgesamt … ?
Ich meine, es sind sieben. Ich bin in der Tat einkaufen gegangen, nachdem
mein neues Amt feststand. Und weil ich nicht sonderlich kompetent bin, was
Mode angeht, habe ich mir vorgenommen: so seriös wie nötig, so wenig
spießig wie möglich.
Warum keine Ringelpullis und Jeans mehr?
Für mich ist das im Wesentlichen eine Frage des Respekts gegenüber den
Mitarbeitenden in meiner Verwaltung. Die dürfen andere Erwartungen an ihren
Senator haben als die Berliner Grünen. Und ein Hemd anzuziehen tut mir
persönlich nicht weh.
23 Mar 2022
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Bert Schulz
Stefan Alberti
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