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# taz.de -- Ursprünge der Impfskepsis: Eine deutsche Besonderheit
> In deutschsprachigen Ländern herrscht Misstrauen gegenüber der Impfung.
> Das ist auf die Romantik zurückzuführen – aber auch auf Politikversagen.
Ende November schrieb der Verschwörungstheoretiker und AfD-Unterstützer
Oliver Janich, was die Notwehr angesichts der drohenden Impfpflicht seiner
Meinung nach gebiete: „Jeder Mensch hat das Recht, einen Polizisten über
den Haufen zu schießen, der einen zur Zwangsimpfung schleppt.“ Dazu postete
er das Foto einer Pistole. Schließlich gehe es hier „um den größten
Massenmord in der Geschichte der Menschheit“.
Janichs Telegram-Nachrichten abonnieren 160.000 Menschen, die
Coronaproteste haben die Followerzahlen von Hetzern wie ihm explodieren
lassen. Trotz der teils enormen Reichweite sind Menschen wie Janich auch
unter den „Querdenkern“ eine Minderheit. Doch der Resonanzraum für
Impfangst, die zu befeuern sie sich zum Geschäftsmodell machen, ist groß.
Und in deutschsprachigen Ländern ist dieser Raum größer als anderswo.
Beim Impfen stehen diese Länder weit hinten. Unter den 17 westeuropäischen
Staaten waren Deutschland, Österreich und die Schweiz am 9. Dezember bei
den zweitgeimpften Volljährigen auf den Plätzen 13, 16 und 17. Das Virus
breitete sich hier zuletzt aus wie in nur wenigen anderen Regionen der
Welt.
Woran liegt das? Gibt es etwas spezifisch Deutsches, das die Angst vor der
Spritze erklärt? Als sich im November zeigte, dass die niedrige Impfrate
mit einer besonders heftigen vierten Welle einhergeht, schrieb der
Spiegel-Journalist Mathieu von Rohr, dies seien die „Spätfolgen der
deutschen Romantik: Anthroposophie, Homöopathie, Impfgegnertum“. Eine
Hochburg der Schwurbelei also, wo Spitzenforschung und Antirationalismus
eng beieinander sind? Oder sind die Gründe banaler? Hat schlechtes
politisches Handwerk der Impfkampagne den mageren Erfolg beschert?
Mit dem Falter in Wien und der WOZ in Zürich ist die taz der Frage
nachgegangen, ob die Impfskepsis eine Folge der deutschen Geistesgeschichte
ist. Die Antworten von Fachleuten aus Geschichtswissenschaft, Soziologie,
Gesundheitspsychologie und Demoskopie zeigen: Den einen Grund für
Impfskepsis gibt es nicht – ebenso wenig, wie es eine homogene Gruppe von
Skeptikern gibt. Nicht alle Anthroposophen sind gegen die Impfung, nicht
alle Impfgegner sind Esoteriker oder Rechtsextreme – auch wenn diese
Gruppen die Proteste maßgeblich organisieren. Und: Neben
historisch-kulturellen Faktoren sind auch ganz handfeste Gründe für die
Impfmisere verantwortlich.
Der Journalist Andreas Speit, der auch für die taz schreibt, hat jüngst das
Buch [1][„Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen
Milieus“] herausgebracht. Es trifft einen Nerv: „Ich halte gerade ungefähr
einen Vortrag pro Tag.“ Speit pflichtet von Rohrs These bei. Es gebe im
deutschsprachigen Raum eine „klare geistesgeschichtliche Linie zwischen der
Romantik und der Impfskepsis heute“, sagt er. In der romantischen Literatur
sei „das Natürliche unglaublich verklärt und verabsolutiert“ worden. Bei
Schiller etwa heißt es: „Selig muß ich ihn preisen, der in der Stille der
ländlichen Flur, fern von des Lebens verworrenen Kreisen, kindlich liegt an
der Brust der Natur.“ Der Dichter Novalis schrieb: „Der Poet versteht die
Natur besser wie der wissenschaftliche Kopf.“
Das sind harmlose Sätze, keine Frage. Doch die Romantik habe – anders als
in anderen Ländern – im deutschsprachigen Raum politischen Einfluss
bekommen, sagt Speit. Sie beförderte eine Mystifizierung der Natur und
Respiritualisierung des Denkens, die eine Distanz zur vermeintlich kalten
Wissenschaft und sogenannten schulischen Medizin bewirken kann. Diese
Position spitzte sich in der modernisierungskritischen Lebensreformbewegung
Anfang des 20. Jahrhunderts zu. Einer ihrer bekanntesten Vertreter: der
österreichische Begründer der Anthroposophie und der Waldorf-Pädagogik,
Rudolf Steiner.
Die Lebensreformer sehnten sich nach der Wiederherstellung eines Einklangs
mit der Natur. Diese antimoderne Bewegung habe laut Speit „zu Recht die
Moderne in ihren Auswüchsen kritisiert. Denn die wirkte sich damals ja
tatsächlich dramatisch aus, etwa in Form des Börsencrashs und der
Umweltzerstörung“. Doch eine Folge war eine „radikale Abkehr von der
Aufklärung“.
Ein Antimodernismus also, für den die Entzweiung von Mensch und Natur nur
als Werk eines äußeren Feindes vorstellbar ist. Bis heute werde das
Versprechen der Moderne, mit Rationalität und Logik eine bessere Welt
aufzubauen, deshalb „von der Rechten bekämpft“, sagt Speit. Sie halte
gleichsam an der Vorstellung einer zu verteidigenden ursprünglichen Einheit
von Volk und Natur fest.
Wie aber konnten Ideen aus dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
überdauern? Und sind sie mitverantwortlich dafür, dass in Thüringen heute
„Gib Gates keine Chance“-Schilder an der Straße stehen, als wollten die
Anwohner böse Geister vertreiben?
Die ehemalige Grünen-Politikerin und Soziologin Jutta Ditfurth erforscht
die deutschen Esoteriker seit Jahrzehnten. Dass die Romantik hier politisch
wirksam werden konnte, habe mit der Abwehr der aus Frankreich kommenden
Aufklärung zu tun, sagt sie: „Die Aufklärung kam aus Frankreich und hatte
große Mühe in Deutschland.“ Im 19. Jahrhundert sei das Land rückschrittlich
und durch die Agrarwirtschaft geprägt gewesen. „Es ist heute schwer
vorstellbar, wie sehr deutsche Eliten im ländlichen Raum die Aufklärung und
die französische Revolution hassten.“
Zu diesen Eliten zählt auch Ditfurths eigene Verwandtschaft –
großgrundbesitzender Adel aus Preußen. „Wenn ich Briefe meiner Verwandten
aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert lese, dann war ihr Schreckgespenst
eine Revolution wie die französische, der Albtraum, als herrschende Klasse
zu stürzen“, sagt Ditfurth. Diese Eliten hätten Deutschlands intellektuelle
Entwicklung lange aufgehalten, auch wegen ihres Antisemitismus. So sei ein
geistiges Klima entstanden, das auch die Wandervogel- und
Lebensreformbewegung erfasst habe mit Wissenschaftsfeindlichkeit, Eugenik,
Naturreligiosität, völkischem Denken. Ditfurth sagt, dass Mystizismus,
Irrationalismus und Antisemitismus als reaktionären Anteile alternativen
Denkens bis heute fortwirken. „Auch so kommt es zur Weitergabe von
antisemitischen Bildern, die man tief im Mittelalter vergraben glaubte.“
Auch Speit verweist darauf, dass die Kritiker der Moderne diese schon sehr
früh als „jüdisch“ begriffen und sich deshalb auch gegen die moderne,
angeblich „jüdische“ Schulmedizin stellten. Der österreichische Publizist
Christian Kreil führt den Begriff auf Samuel Hahnemann, den Begründer der
Homöopathie, zurück.
Die Nazis hatten in der Tat großes, auch wirtschaftlich bedingtes Interesse
an Alternativmedizin. Reichsärzteführer Gerhard Wagner betonte 1933 die
„Überlegenheit“ der Alternativmedizin gegenüber der „verjudeten
Schulmedizin“. Um dieser die Homöopathie entgegenzusetzen, gründeten die
Nazis 1935 die „Reichsarbeitsgemeinschaft Neue Deutsche Heilkunde“. Deren
Mitglieder waren unter anderem der „Deutsche Zentralverein homöopathischer
Ärzte“, der „Reichsverband der Naturärzte“ und die „Vereinigung
anthroposophischer Ärzte“. 1933 zeigt das NS-Propagandablatt Der Stürmer
die Karikatur einer blonden Mutter mit Baby im Arm. Daneben steht ein
„naturferner und verirrter Mediziner“ mit einer Spritze in der Hand. Mit
der Hakennase des Arztes erfüllt die Karikatur klar antisemitische
Klischees. Skeptisch blickt die Mutter auf den Mediziner: „Es ist mir
sonderbar zumut, denn Gift und Jud’ tut selten gut.“
Im Zusammenhang mit Impfungen habe der Antisemitismus eine lange
Geschichte, sagt der Medizinhistoriker Malte Thießen, der am Institut für
Regionalgeschichte Münster und an der Universität Oldenburg forscht. Das
Impfen werde teils als „Verschwörung einer Elite“ begriffen, die in den
Körper eingreift.
Die bis heute anhaltende Ablehnung der „Schulmedizin“ sei „eine deutsche
Besonderheit, die klar auf die Romantik zurückzuführen ist“, sagt Andreas
Speit. Man sehe dies etwa daran, dass es Heilpraktiker als staatlich
geregeltes Berufsbild nur in Deutschland (NS-Heilpraktikergesetz von 1939)
und Teilen der Schweiz gibt. Die alte Bundesregierung erwog die Abschaffung
des Berufs, die Querdenker-Partei „Die Basis“ behauptet, die einzige Partei
zu sein, die sich gegen die Abschaffung einsetze. „Die Menschen möchten
frei entscheiden, welchen Therapeuten sie aufsuchen. Sie wünschen sich ein
Miteinander von traditionellen und konventionellen, schulmedizinischen
Therapien“, heißt es auf ihrer Website.
Jutta Ditfurth schrieb 1996 in ihrem Buch „Entspannt in die Barbarei“, die
Esoteriker würden „ein Teil der Massenbasis künftiger faschistischer
Bewegungen sein“. Damals hätten ihr alle gesagt: „ ‚Übertreib nicht.‘…
Heute zeige sich die geistige Nähe. Waldorf-Pädagogen treten als Redner auf
Querdenker-Demos auf. Der ehemalige Waldorf-Ausbilder Christoph Hueck etwa
gilt als Vordenker der Szene. Der Bund der Freien Waldorfschulen allerdings
distanziert sich ausdrücklich von ihm. Der Ulmer Waldorf-Lehrer Wilfried
Kessler verglich als Demo-Redner Querdenker mit NS-Widerständlern.
Anthroposophen seien heute eine „tragende Größe in der Corona-Querfront“,
sagt Ditfurth.
Ist also eine jahrhundertealte ideologisch abgedriftete Liebe der Deutschen
zum Wald daran schuld, dass heute Millionen lieber eine lebensgefährliche
Covid-19-Erkrankung riskieren, als sich impfen zu lassen? So einfach sei es
natürlich nicht, sagt der Medizinhistoriker Thießen. „Man neigt dazu, in
Schwarz-Weiß-Muster zu fallen: Impfskeptiker werden schnell als rechte
Aluhut-Spinner abgetan.“ Es gebe aber noch andere Motive.
Thießen unterscheidet elf Arten von Impfskepsis. Bei Weitem nicht alle
ließen sich auf die Romantik zurückführen. Eine Rolle spiele etwa auch die
starke liberale Tradition in Deutschland, wegen der in Preußen bis 1874
eine Impfpflicht abgelehnt wurde. „Es geht da auch um die Frage, in welcher
Gesellschaft wir leben wollen: Wer bestimmt über den Körper?“, sagt
Thießen.
Die Soziologin Nadine Frei von der Universität Basel hat mit ihrem Kollegen
Oliver Nachtwey die Coronaproteste für die Böll-Stiftung untersucht. Frei
spricht – ähnlich wie Thießen – von einem „libertären Freiheitsverstä…
der Impfgegner. Dieses hätten solche mit einem anthroposophischen
Hintergrund ebenso wie ein bildungsbürgerliches Milieu, in dem
Eigenverantwortung und Selbstbestimmung „fast schon absolut gesetzt“ werde.
An Waldorfschulen würde häufig gar nicht anthroposophisch argumentiert.
Stattdessen heiße es: „Der Staat hat hier nichts zu suchen, das ist der
Ort, den ich hier gestalte“, sagt Frei. „Das ist auch eine Motivation von
Eltern, die ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken: die selbstbestimmte
Struktur.“ Die dominierende Einstellung, „der Staat habe einem nichts zu
sagen“, könne sich vor allem die Mittelschicht leisten: „Wenn ich schön in
meinem Homeoffice sitze und keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt
bin, ist es schön und gut, wenn ich sage, ich kann mich einfach gesund
ernähren und Corona macht mir nichts aus.“ Frei kommt zu dem Schluss, dass
die Coronademos in Westdeutschland ein „akademischer Mittelschichtsprotest“
seien – getragen von „anthroposophisch-esoterischer Ablehnung von
Impfungen“. Eine „monokausale“ Erklärung gebe es aber nicht.
Zu den Protesten in Ostdeutschland gebe es grundlegende Unterschiede, heißt
es in ihrer Studie. Dort seien die Proteste „stärker von der extremen
Rechten geprägt und tragen deutlich weniger esoterische und
anthroposophische Züge“.
Die AfD habe im Osten die mitunter starke Entfremdung vom politischen
System erfolgreich mit einer Impfskepsis verbinden können. „Somit hat sich
aus unterschiedlichen soziokulturellen Quellen in Baden-Württemberg und den
neuen Bundesländern eine ähnliche Dissidenz gegenüber der Pandemiepolitik
herausgebildet.“
Der Medizinhistoriker Thießen nennt die Impfbereitschaft ein „Maß des
Vertrauens in den Staat“. Mit dem Impfen lasse sich eine schon bestehende
Unzufriedenheit mobilisieren. Die Impfakzeptanz in Ostdeutschland sei
normalerweise größer – außer eben bei der Corona-Impfung. „Die allgemeine
Unzufriedenheit wird hier am Impfen festgemacht“, sagt Thießen.
Ist der Osten also durch die DDR-Geschichte esoterikfrei? Andreas Speit
sagt: Nein. „Es gab im Osten sehr wohl auch eine alternative Szene, die in
Teilen später eine starke Hinwendung zur Esoterik vollzogen hat.“ Führende
Figuren der einstigen Ost-Ökobewegung wie etwa der Autor Michael Beleites
finden sich heute im Umfeld des extrem rechten Instituts für Staatspolitik
in Schnellroda. „Deshalb kann man nicht so idealtypisch von einer
Ost-West-Unterscheidung sprechen“, sagt Speit. Ditfurth sieht das ähnlich:
„Die Romantik war im Herzen des staatstragenden Kulturverständnisses in der
DDR.“ So sei es nur schlüssig, dass sich ein „extrem rechter schwäbischer
Guru“ wie der IfS-Gründer Götz Kubitschek im Osten niederlässt und „eine
Geistesgeschichte wiederkäut, die immer schon da war“.
Wie sieht es in den Nachbarstaaten aus? In Österreich demonstrieren seit
Wochen trotz explodierender Infektionszahlen Neonazis und Coronagegner; in
der Schweiz stimmten zuletzt rund 60 Prozent in einem Referendum für die
Beibehaltung eines „Covid-Zertifikats“ als Voraussetzung für den Zugang zu
öffentlichen Gebäuden, Restaurants und Veranstaltungen.
In der Schweiz sei unter den Impfskeptikern „die Esoterik schwächer, aber
der Konservatismus stärker“, sagt der Medizinhistoriker und
Grünen-Politiker Jo Lang. Ein extremer Individualismus spiele eine große
Rolle. Da gibt es Gruppen wie die „Freiheitstrychler“ – eine Art
schweizerischer Querdenker, die an apokalyptische Zustände glauben, die nur
„ureidgenössische“ Gegenwehr verhindern könne. Sie und die ähnlich
gesinnten „Freunde der Verfassung“ würden die Schweiz in einem
alteidgenössischen Sinn denken, sagt Lang. Sie agierten nicht als Citoyens,
die dem Gemeinwesen gegenüber verpflichtet seien. Viele seien „Einzelgänger
und Selbstständige“ – und lehnten die Impfung entsprechend ab.
Der Lausanner Politologe und Föderalismusforscher Sean Müller befindet: „Es
ist vor allem die ländliche Deutschschweiz, die sich nicht impfen lässt.“
Wie Lang sieht auch Müller die Gründe dafür in der politischen Kultur: Man
wolle sich nicht reinreden lassen, schon gar nicht bei der Gesundheit:
„Jeder für sich, sonst die Gemeinde, irgendwann der Kanton, aber sicher
nicht der Bund und schon gar nicht die WHO.“
Auch in Österreich hat der Widerstand gegen Impfungen eine lange Tradition.
Schon der Tiroler Volksaufstand von 1809 richtete sich auch gegen die von
den bayerischen Besatzern eingeführte Pockenimpfung. Die Tiroler
fürchteten, dass diese den „Tiroler Seelen bayerisches Denken“ einimpfen
solle.
Heute sind esoterische Ideen in Österreich nur ein Faktor unter vielen.
Christoph Hofinger ist Gründer des Wiener Sora-Instituts und einer der
führenden Meinungsforscher Österreichs. Er hat die Impfablehnung im Land
eingehend untersucht. Diese sei „unter Akademikern nur halb so hoch wie
unter der Durchschnittsbevölkerung“, sagt Hofinger. „Natürlich gibt es au…
die Gruppe der gebildeten Esoteriker, die sich nicht impfen lassen
wollen.“ Aber das seien vergleichsweise wenige.
Der wichtigste Faktor sei der Zweifel, ob die Impfung wirklich hilft, sagt
Hofinger. Diesen Zweifel bestärkten Meldungen, dass auch Geimpfte auf den
Intensivstationen liegen. Hinzu komme der Glaube an Verschwörungstheorien.
„Für manche Menschen gehört auch die Wissenschaft zu dieser Verschwörung�…
sagt Hofinger. Viele seien überzeugt, dass Forscher „mit den Eliten
gemeinsame Sache machen“. Schließlich sei die Furcht vor Nebenwirkungen
verbreitet. 34 Prozent der Nichtgeimpften in Österreich gaben im November
2021 an, auf die Zulassung eines „Totimpfstoffs“ zu warten. „Es ist ein M…
aus Elitenskepsis und der Pseudosicherheit, dass einem selbst schon nichts
passieren wird“, sagt Hofinger.
Die Gesundheitspsychologin Nina Knoll von der FU Berlin sagt, dass
Ungeimpften mit niedriger Impfbereitschaft vor allem das Vertrauen in die
Sicherheit fehlt. Zudem sehen sie eine weniger große Bedrohung durch
Corona. „Man müsste Fakten ganz klar und transparent machen, aber auch die
Risiken einer Ansteckung mit Covid-19. Und diese Risikoabwägung mit den
Menschen gegebenenfalls durcharbeiten.“
Die Impfbereitschaft hängt also von der Güte der Kommunikation der
Impfkampagne ab. Bremen bestätigt Knolls Befund: Die Zweitimpfungsquote
liegt hier bei 81 Prozent – bundesweite Spitze. Gesundheitssenatorin
Claudia Bernhard (Linke) erklärt dies so: „Wir haben Daten erhoben, wo die
Inzidenzen besonders hoch sind: Dort, wo die Arbeits- und Wohnverhältnisse
prekärer sind. Und für uns war klar, hier muss man unterstützen, aufklären
und Angebote schaffen.“ Dafür habe man mit Menschen zusammengearbeitet, die
Kontakte in die Communitys hätten, an Stadtteilprogramme angedockt. „Dieses
Vertrauen lässt sich nicht in zwei, drei Tagen herstellen, das muss man
langfristig aufbauen. Aber wenn Vertrauen da ist, werden die Angebote auch
wahrgenommen“, so Bernhard.
In Portugal und Spanien, wo die Impfquote bei fast 100 Prozent liegt, haben
die Behörden an Haustüren geklopft, SMS mit einer Impfaufforderung
verschickt, die Impfung auch in Zahnarztpraxen oder Supermärkten
ermöglicht. „Man hat Solidarität nicht bloß eingefordert, sondern auch
erklärt, warum diese wichtig ist“, sagt Suzanne Suggs,
Kommunikationswissenschaftlerin in Lugano. Dabei habe sich die lange
Tradition „communitybasierter“ Handlungen in diesen Ländern ausgezahlt. In
der Schweiz hingegen gelte die Impfung als individueller Entscheid. Auch
hätten die Behörden nicht berücksichtigt, dass effektive Kommunikation
individuelle Ansprache erfordere. „Wenn man versucht, alle auf die gleiche
Weise zu erreichen, erreicht man letztlich niemanden“, sagt Suggs. In der
Schweiz werde ab einem gewissen Alter jede Frau zur Krebsvorsorge
aufgefordert. Das sei erfolgreich und zeige, dass spezifische Kommunikation
funktioniere. „Die Pandemie wurde nicht mit derselben Dringlichkeit
behandelt“, glaubt Suggs.
Die Beispiele Bremen sowie Spanien und Portugal zeigen: Neben historischen
Faktoren ist die Kampagne entscheidend – und die ließ vielfach zu wünschen
übrig. Politische Einstellungen und historische Prägungen lassen sich nicht
von einem Tag auf den anderen ändern. Die Kommunikationswissenschaftlerin
Suggs, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst, sagt, man müsse
Impfgegnern erklären, dass sie zwar auf den Piks verzichten können,
dafür aber andere Maßnahmen einhalten müssten. Skeptiker gelte es zu
überzeugen – und man müsse jenen helfen, die ihre Meinung geändert hätten.
„Diese Leute haben Angst, in ihrem Umfeld als Verräter zu gelten.“ Indem
man Impfungen an unkonventionellen Orten wie der Post oder dem Friseursalon
anbiete, ermögliche man ihnen, sich immunisieren zu lassen, ohne ihr
Gesicht zu verlieren.
Dieser Text ist in Kooperation mit dem „Falter“ und der „WOZ“ entstande…
Mitarbeit: Nina Horaczek, Anna Jikhareva, Lisa Schneider
20 Dec 2021
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Christian Jakob
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