| # taz.de -- Anthroposophisches Krankenhaus Havelhöhe: Alternativer Umgang mit … | |
| > Ein schwurbelnder Chef und Tricksereien bei der Impfpflicht: eine | |
| > taz-Recherche in der Klinik Havelhöhe in Berlin. | |
| Bild: Ein Gebäude des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Berlin | |
| Nach zwei Jahren Pandemie stellt Prof. Dr. Harald Matthes seinem Haus ein | |
| hervorragendes Zeugnis aus: „Gemessen an den Betten, an der Größe des | |
| Krankenhauses haben wir eine überdurchschnittliche Versorgung | |
| durchgeführt“, sagt er. Das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu anderen | |
| Schwerpunktkrankenhäusern. Und im hauseigenen Impfzentrum hätten sie | |
| zeitweise mehr Impfungen durchgeführt als die großen Zentren der Stadt. | |
| Matthes ist der Ärztliche Leiter des Krankenhauses im Berliner Südwesten, | |
| gerade ist er im Urlaub, eine Woche Ski fahren, und nimmt sich trotzdem | |
| Zeit für ein Gespräch. Matthes sitzt vor seinem Laptop in einem modernen | |
| Hotelzimmer in Österreich und hält einen Monolog. Der Berliner Senat, die | |
| Nachbarschaft, ganz Westberlin habe sich bei der Havelhöhe für die Arbeit | |
| während der Pandemie bedankt. | |
| Als im Herbst die Booster-Termine knapp wurden, konnte man in Havelhöhe | |
| problemlos geimpft werden. Das sprach sich herum. Havelhöhe wurde in Berlin | |
| zum Place to Booster. Ausgerechnet ein Krankenhaus der Anthroposophie, die | |
| in der Pandemie [1][besonders in der Kritik stand und für die niedrige | |
| Impfquote in Deutschland verantwortlich gemacht wurde]. | |
| Das Krankenhaus ist in der Pandemie in den Medien sehr präsent. TV-Teams | |
| filmten auf der Intensivstation, Patient:innen wurden für | |
| Zeitungsreportagen begleitet, Ärzt:innen auf Krankenhausfluren | |
| interviewt. Man sei beim Zutritt nicht so streng gewesen wie andere Häuser, | |
| gibt Matthes zu. Und so sind nun oft Bilder aus Havelhöhe zu sehen, wenn es | |
| um Corona im Krankenhaus geht. | |
| ## Keine Kontrollen | |
| Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe mit seinen 400 Betten hat eine | |
| Doppelfunktion: Es ist ein gewöhnliches Akutkrankenhaus für die Menschen | |
| der Gegend und zugleich eine von drei großen anthroposophischen Kliniken in | |
| Deutschland. Besonders beliebt ist es bei Berliner Eltern, die ihren | |
| Nachwuchs in einer angenehmen Atmosphäre zur Welt bringen möchten und dafür | |
| weite Wege auf sich nehmen. Und jetzt wurde über Havelhöhe bundesweit | |
| berichtet, als ein Ort, an dem die Coronapandemie besonders intensiv | |
| bekämpft wird. | |
| Ob das Krankenhaus Havelhöhe tatsächlich mehr geleistet hat als andere, | |
| lässt sich nicht nachvollziehen, laut der Senatsverwaltung für Gesundheit | |
| gibt es da keine Statistik. Der Umgang mit der Pandemie ist in dem | |
| Krankenhaus jedenfalls längst nicht so vorbildlich, wie es bislang den | |
| Anschein hatte. Mehrere Krankenhausmitarbeitende haben sich unabhängig | |
| voneinander bei der taz gemeldet und gesagt: Hier läuft etwas schief. Sie | |
| berichten von leitenden Ärzt:innen, die als [2][Impfgegner:innen] | |
| auffallen, und einem schludrigen Umgang mit Coronaschutzmaßnahmen. Und von | |
| einem Chef, der bei seinen Wutausbrüchen gegen die Politik fragwürdige | |
| Vergleiche macht. | |
| Wir haben in den vergangenen Wochen mit vielen weiteren aktuellen und | |
| ehemaligen Mitarbeitenden des Krankenhauses – unter anderem Ärzt:innen | |
| und Pflegepersonal – und Patient:innen gesprochen. Wir haben frei | |
| verfügbare und interne Dokumente ausgewertet, an Veranstaltungen | |
| teilgenommen und das Krankenhaus besucht. Die Recherche zeigt, dass der | |
| Umgang mit Corona auch in der Klinik selbst auf Unverständnis stößt. Und es | |
| wird ein systematisches Problem deutlich: Um die Einhaltung von zentralen | |
| Schutzvorschriften muss sich jedes Krankenhaus selbst kümmern. Doch wenn | |
| die Leitung eines Hauses offenbar manche Dinge für unwichtig erachtet, | |
| scheint auch die zuständige Gesundheitsbehörde machtlos zu sein. | |
| Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe liegt in Berlin-Kladow, am Rand der | |
| Hauptstadt. Golfclub, Felder, eine Kaserne – gefühlt ist man schon in | |
| Brandenburg. Ein weitläufiges Gelände direkt oberhalb des Steilufers der | |
| Havel, viele Bäume, Parkplätze. In der NS-Zeit war in den Gebäuden eine | |
| Luftwaffenakademie untergebracht. | |
| Das Krankenhausgelände kann man einfach durch den Haupteingang betreten, es | |
| gibt keine Kontrolle, niemand fragt nach einem Besuchsgrund oder einem | |
| Coronatest. Direkt am Eingang sind die „HavelWolle“, ein Kleidungsgeschäft, | |
| und ein Demeter-Hofladen samt Café. Auch eine kleine Buchhandlung gibt es | |
| hier. Die Verkäuferin, die gerade mit einer Kundin spricht, hat keine Maske | |
| auf, die Kundin auch nicht. Die beiden unterhalten sich über die Tochter | |
| der Verkäuferin, ungeimpft, 11. Klasse, die nun in Quarantäne müsse, weil | |
| jemand aus der Klasse infiziert war. „Was ein Zirkus.“ | |
| In der Buchhandlung stehen neben Pippi Langstrumpf und aktuellen | |
| Bestsellern auch Bücher zur Coronapandemie im Regal. Etwa das schmale Werk | |
| einer Anthroposophin, die behauptet, die Wundmale Jesu Christi zu tragen | |
| und jahrelang keine Nahrung zu sich genommen zu haben. Ein Kapitel ihres | |
| Buches heißt: „Die Impfungen gegen Sars-CoV-2 und der Plan der Schwarzen | |
| Logen“. | |
| In der Theorie gelten auch in Havelhöhe strenge Regeln: Besucher:innen | |
| müssen eine FFP2-Maske tragen und einen tagesaktuellen Test vorweisen, | |
| unabhängig vom Impfstatus. Maximal eine Stunde Besuch am Tag ist erlaubt. | |
| Bei unserem nicht angekündigten Besuch im Krankenhaus Mitte Januar können | |
| wir aber überall herumlaufen. In Haus 11, 1. Stock, Gynäkologie, sitzt eine | |
| Frau ohne Maske am Empfang, dabei steht keine Plexiglasscheibe zwischen ihr | |
| und den Besucher:innen. Auch in Haus 12 tragen die Frauen am Empfang keine | |
| Maske, sie schauen nicht mal. Wir können durch die Gänge laufen, könnten | |
| Patient:innenzimmer betreten. Eine Pflegerin eilt den Flur entlang | |
| und verschwindet durch die nächste Tür. Wir können – in einem anderen Haus | |
| – einfach so in die Station 15 laufen, die Entgiftungsstation. Hier bilden | |
| die Patient:innen eine sogenannte Kohorte, müssen untereinander also | |
| nicht auf Abstand achten oder Maske tragen und dürfen deshalb im Gebäude | |
| gar keinen Besuch empfangen. | |
| Beim Rundgang hält uns niemand auf. Niemand bittet uns, Daten in eine | |
| Besuchsliste einzutragen. Niemand will einen Test oder Impfstatus sehen. | |
| Dass man einfach so in ein Krankenhaus reinlaufen kann: „Das geht gar | |
| nicht“, sagt Gudrun Widders, die Leiterin des zuständigen Gesundheitsamtes | |
| Berlin-Spandau. | |
| Krankenhauschef Harald Matthes versucht, sich rauszureden: Der freie Zugang | |
| zu den Häusern sei nötig, weil es dort auch ambulante Praxen gebe. Drinnen | |
| werde dann schon kontrolliert, von den Pflegenden oder Ärzt:innen. Das | |
| passiert allerdings, wenn überhaupt, nur teilweise und sehr oberflächlich. | |
| Eine Pflegekraft berichtet, es gebe von der Krankenhausleitung die | |
| Anweisung, die Testergebnisse der Besucher:innen sporadisch zu | |
| kontrollieren. Aber faktisch sei dafür gar keine Zeit. | |
| Nicht nur bei den Zugangsregeln, auch bei der Behandlung von Covid-19 haben | |
| sie in Havelhöhe eigene Vorstellungen. Zusätzlich zur normalen Behandlung | |
| werden anthroposophische Mittel eingesetzt. In einem Behandlungskonzept | |
| werden warme Ingwer- oder Senfwickel erwähnt. Und für | |
| Risikopatient:innen wird als Therapie die Injektion von Meteorischem | |
| Eisen in Kombination mit einem Präparat empfohlen, das Eisenphosphat und | |
| Rinderlunge enthält – extrem verdünnt. | |
| Einen wissenschaftlichen Beleg, dass diese Mittel helfen, gibt es nicht. | |
| Die Anthroposophen berufen sich auf das, was der Esoteriker Rudolf Steiner | |
| sich Anfang des 20. Jahrhunderts ausgedacht hat. | |
| Harald Matthes behauptet in Interviews, dass man auch wegen der | |
| anthroposophischen Methoden solche Erfolge bei der Coronabekämpfung zu | |
| verzeichnen habe. Aber sollte es im Krankenhaus Havelhöhe wirklich besser | |
| laufen, dürfte das daran liegen, dass hier weniger schwere Fälle landen als | |
| etwa in der Charité. | |
| Matthes, Jahrgang 1961, hat das Krankenhaus 1995 mit gegründet. Inzwischen | |
| ist der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie auch Professor, | |
| an der Charité bekleidet er eine Stiftungsprofessur für Anthroposophische | |
| und Integrative Medizin. Manche halten ihn für einen Visionär. | |
| Nicht wenige auf der Havelhöhe sind der Meinung: Matthes ist ein Despot. Er | |
| sei überheblich, cholerisch und persönlich beleidigend. Auch Mitarbeitende, | |
| die ihn sehr schätzen, sagen: Der Chef polarisiert. Besonders mit den | |
| Assistenzärzt:innen hat es immer wieder Ärger gegeben. | |
| Dass Matthes gerne einmal mit Verve seine Meinung äußert, zeigt sich [3][in | |
| einem Mitarbeiterrundbrief aus dem November 2021]. Darin lässt er sich | |
| über angebliches Medienbashing aus und macht einen Vergleich mit der | |
| NS-Zeit auf: „Die Projektion eigenen Versagens und Defizite auf elitäre | |
| gesellschaftliche Gruppen hat in Deutschland Tradition und darf uns daher | |
| als Anthroposoph*innen nicht verwundern.“ Die Coronamaßnahmen hat er | |
| schon mehrfach öffentlich als überzogen bezeichnet. Im Brief kritisiert er | |
| nun die Politik, die bei der Pandemiebekämpfung nur auf die Impfung setze | |
| und alle Schuld bei den Impfverweigerern sehe. „Mit in der | |
| Nachkriegsgeschichte nie gelebter Brutalität“, schreibt Matthes, „wird der | |
| Frust der Gesellschaft auf eine Gruppe gelenkt, die nun für alles Leid | |
| stehen soll. Diskriminierung in einer Deutlichkeit, die bei Gender- und | |
| Ethnienfragen undenkbar wäre.“ | |
| In der Belegschaft kam dieser Rundbrief bei manchen nicht gut an. „Das war | |
| ein Schlag ins Gesicht“, sagt eine Ärztin, die aus Angst vor beruflichen | |
| Folgen wie auch andere Krankenhausbeschäftigte anonym bleiben möchte. | |
| Es gibt eine Konfliktlinie im Krankenhaus. Die Leitungsebene besteht vor | |
| allem aus überzeugten Anthroposoph:innen, aber weiter unten in der | |
| Hierarchie arbeiten viele, für die es ein normaler Job ist, die mit der | |
| Anthroposophie fremdeln. Diese Konfliktlinie war wohl noch nie so deutlich | |
| wie jetzt, in der Pandemie. „Wir reißen uns den Arsch auf, und dann gibt es | |
| eben viele Ärzte auf der Leitungsebene, die schwurbeln und sich nicht | |
| impfen lassen“, sagt die Ärztin. Die Chef:innen würden ihrer | |
| Vorbildfunktion nicht gerecht. | |
| Matthes sagt, ihm sei nur ein leitender Arzt bekannt, der nicht geimpft | |
| sei, der sei aber genesen. Dann sagt er aber auch, dass es noch nicht von | |
| allen eine Rückmeldung gebe. | |
| Er selbst sei geimpft und kein Impfverweigerer, sagt er, aber er hält eine | |
| Impfung in vielen Fällen nicht für nötig. Bei Kindern, Jugendlichen und | |
| jungen Erwachsenen spricht er sich im Prinzip für eine Durchseuchung aus. | |
| Und es klingt auch etwas widerwillig, wie er in einer Mail seinem Personal | |
| im Herbst eine Boosterimpfung ermöglicht. | |
| Dass sich überzeugte Anthroposoph:innen impfkritisch äußern, | |
| überrascht nicht. Es basiert auf der anthroposophischen Heilslehre: | |
| Krankheiten soll man durchmachen, das ist wichtig für Körper und Seele, | |
| weil dabei das Karma von Verfehlungen im vorherigen Leben gereinigt wird. | |
| Dass ausgerechnet die anthroposophische Klinik Havelhöhe für ihr | |
| Impfzentrum bekannt wurde, ist vor diesem Hintergrund überraschend. Matthes | |
| betont, „dass die Impfung für Risikogruppen ganz klar eine positive | |
| Wirksamkeit hat“. Insider vermuten, das Impfzentrum sei auch eine PR-Aktion | |
| gewesen. Und eine willkommene Einnahmequelle. Inzwischen ist das | |
| Impfzentrum geschlossen. | |
| Nun wird die Frage, ob das Klinikpersonal selbst geimpft ist, drängend. Sie | |
| hat Auswirkungen auf den Arbeitsalltag – und womöglich auf die | |
| Arbeitsfähigkeit des Krankenhauses. Der Bundestag hat Ende vergangenen | |
| Jahres eine [4][einrichtungsbezogene Impfpflicht] beschlossen. Alle | |
| Beschäftigten in Pflegeheimen und Krankenhäusern müssen ab Mitte März gegen | |
| Corona geimpft sein – sonst dürfen sie dort nicht mehr arbeiten. | |
| Nur wollen sich aber nicht alle in Havelhöhe impfen lassen. Das betrifft | |
| auch andere Kliniken, aber hier ist alles etwas komplizierter, weil eben | |
| auch der Chef kein Impffan ist. Eine Impfpflicht lehnt er ab, auch die für | |
| sein Personal. | |
| Am 15. Januar erinnert Matthes seine Belegschaft in einer Rundmail, dass | |
| das Krankenhaus den Impfstatus aller Beschäftigten erheben müsse, insgesamt | |
| sind das gut 900 Personen. „Leider fehlen noch ca. 300 Meldungen, so dass | |
| wir dringend bitten, dieses in den nächsten Tagen schnellstens | |
| nachzuholen.“ Er bedankt sich für das Engagement und appelliert an aller | |
| Solidarität. | |
| Was er nicht schreibt: Lassen Sie sich halt bitte impfen. | |
| Dafür lädt er zu einer Versammlung ein, die ausdrücklich jenen | |
| Mitarbeitenden vorbehalten ist, die keinen Impf- oder Genesenennachweis | |
| vorlegen können. Man wolle sich austauschen, „über die verschiedenen | |
| Handlungsstränge, die in den nächsten Wochen möglich sind und welche | |
| Konsequenzen diese jeweils haben“. Es sei das Anliegen der | |
| Krankenhausleitung, keine Mitarbeitenden zu verlieren, man sei deshalb sehr | |
| bemüht, „Lösungswege für jede/n Mitarbeiter:in auch in Einzelgesprächen | |
| zu erreichen“. | |
| Was soll das heißen? | |
| Am 19. Januar kommen nach Schilderung von Teilnehmenden an die 80 Personen | |
| in den großen Saal im Haus 28, direkt neben der Cafeteria. Es sind in der | |
| Havelhöhe nicht unbedingt weniger Mitarbeitende geimpft als in anderen | |
| Krankenhäusern; auch anderswo gibt es solche Versammlungen. Die Frage ist, | |
| was sie erzählt bekommen. Statt, wie in anderen Krankenhäusern, die | |
| ungeimpften Mitarbeiter:innen vom Nutzen der Impfung zu überzeugen, | |
| gibt es hier einen anderen Fokus: Es gibt Möglichkeiten, der Impfung erst | |
| mal aus dem Weg zu gehen, Pflicht hin oder her. | |
| Der taz liegt die Präsentation vor, die Matthes an diesem Tag hält. Auf 33 | |
| Folien gibt er einen Überblick über die rechtliche Grundlage der | |
| einrichtungsbezogenen Impfpflicht und „Handlungsoptionen“. Von Pflegenden | |
| wird er gefragt, wann sie denn kündigen müssten, um nicht von der | |
| Impfpflicht betroffen zu sein. | |
| Matthes nennt die Impfung nur als eine Möglichkeit von mehreren, etwa mit | |
| dem neu zugelassenen Novavax-Impfstoff. Und er stellt die Option einer | |
| „besonderen Impfung“ vor. Das könne ein „Dosissplitting mit | |
| Frequenzerhöhung“ sein; es soll also weniger Wirkstoff geimpft werden, | |
| dafür öfter. | |
| Matthes behauptet im taz-Gespräch, das sei ein normales Vorgehen, er habe | |
| das auch mit der Leiterin des Gesundheitsamtes besprochen. Gudrun Widders, | |
| die auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist, bestreitet das. | |
| „Es gibt keinen Impfstoff, der dafür zugelassen ist, und es entspricht in | |
| keiner Weise der Stiko-Empfehlung“, sagt sie. „Mir sträuben sich die Haare, | |
| wenn ich das höre.“ | |
| Es passiert nicht das erste Mal, dass sie sich auf der Havelhöhe offenbar | |
| ihr eigenes Impfschema ausdenken. Einem auswärtigen Arzt war aufgefallen, | |
| dass einem 15-Jährigen dort nur die halbe Menge der zugelassenen Dosis | |
| geimpft wurde. Darüber hatte im Oktober [5][die Berliner Zeitung | |
| berichtet]. Solche Off-Label-Impfungen sind prinzipiell möglich, aber nur | |
| mit ausdrücklicher Einwilligung der Eltern. Die gab es hier offenbar nicht. | |
| Die Havelhöhe entgegnet, dass keine Minderjährigen ohne Einverständnis der | |
| Erziehungsberechtigten mit reduzierter Dosis geimpft worden seien. Es habe | |
| stets einen medizinischen Grund gegeben. | |
| Matthes stellt bei der Versammlung noch andere Optionen vor: Es sei | |
| möglich, einen Genesenenstatus zu erlangen oder gegen die Impfpflicht zu | |
| klagen, diesen Weg erklärt er ausführlich. Es gebe mit dem Beginn der | |
| Impfpflicht im Krankenhaus auch kein automatisches Betretungs- oder | |
| Tätigkeitsverbot für die Beschäftigten. Da müsse sich erst mal das | |
| Gesundheitsamt melden. | |
| Eine weitere Möglichkeit: ein Attest als Bescheinigung, dass man gegen | |
| einen der Hilfsstoffe der Vakzine allergisch sei, sich deshalb nicht | |
| impfen lassen könne und somit weiter beschäftigt werden dürfe. Ein | |
| einfaches Attest ohne Verweis auf eine anerkannte Kontraindikation reiche | |
| aber nicht aus, heißt es in der Präsentation, gleichsam als Warnung. Und: | |
| Die Atteste würden vom Gesundheitsamt geprüft. | |
| Es lässt sich anhand der schriftlichen Präsentation nicht schildern, was | |
| genau bei der Versammlung gesagt wurde. Der Berliner Kinder- und | |
| Jugendmediziner Martin Terhardt, der auch Mitglied der Stiko ist, hat sich | |
| die fraglichen Folien angeschaut und meint: „Ich habe einige Zweifel, dass | |
| Ungeimpfte korrekt informiert wurden.“ | |
| Derzeit hat das Krankenhaus Havelhöhe das Problem, dass in der aktuellen | |
| Omikron-Welle viele Mitarbeitende von Corona betroffen sind. Ende Januar | |
| waren bereits gut ein Viertel der Pflegekräfte in Quarantäne, wie die | |
| Klinik mitteilte. Es mussten schon Betten auf verschiedenen Stationen | |
| geschlossen werden. „Wenn die Impflicht kommt, haben wir akuten | |
| Personalmangel“, sagt ein Oberarzt. Seine Station musste schon 2020 wegen | |
| eines Corona-Ausbruchs geschlossen werden. Er wisse von vier oder fünf | |
| Pfleger:innen auf seiner Station, die sich nicht impfen lassen wollten. | |
| Wie sollten sie dann bitte schön noch arbeiten? Jetzt schon könnten sie nur | |
| 18 von 30 Betten belegen, sagt er. | |
| In den vergangenen zwei Pandemiejahren wurden in der Klinik immer wieder | |
| Stationen wegen Corona-Ausbrüchen geschlossen, zuletzt wohl im Herbst. | |
| Stationsschließungen gab es auch in anderen Krankenhäusern. In Havelhöhe | |
| sehen manche Mitarbeitende als Grund für die Schließungen, dass die | |
| Coronaschutzregeln nicht eingehalten wurden. So hätten etwa viele | |
| Mitarbeitende einen eher laxen Umgang mit Masken, besonders wenn sie in | |
| Pausen in engen Räumen zusammensäßen. | |
| Eine Pflegefachkraft hat nach eigenen Angaben schon vor Monaten telefonisch | |
| das Gesundheitsamt über die Zustände informiert, nachdem sie bei ihren | |
| Vorgesetzten kein Gehör gefunden habe. Krankenhaus-Chef Matthes sagt: „Ich | |
| kann nur etwas sagen, wenn ich jemanden sehe. Und ich sehe keinen bei mir | |
| im Krankenhaus, der ohne Maske rumläuft.“ | |
| Andere Krankenhäuser in Berlin, etwa die Charité oder das Virchow-Klinikum, | |
| nehmen die Sache ernster. Auch hier machen wir einen Testbesuch. Viele | |
| Eingänge sind geschlossen, um die Zugangsmöglichkeiten übersichtlich zu | |
| halten. An jedem einzelnen Hauseingang steht Sicherheitspersonal. Die | |
| Charité hat zuletzt ein komplettes Besuchsverbot verhängt, das sogar im | |
| Freien gilt. | |
| Im Krankenhaus Havelhöhe hingegen: Livemusik. An einem Sonntagmorgen im | |
| Januar findet ein Neujahrskonzert statt. Spanische Klassik und | |
| argentinischer Tango. Patient:innen sind gekommen und auch | |
| Besucher:innen von außerhalb. Bei der Sieben-Tage-Inzidenz gibt es fast | |
| täglich neue Rekorde, in Berlin liegt sie gerade bei 1.024. Seit dem Vortag | |
| gelten daher strengere Maßnahmen: Bei Veranstaltungen ab zehn Personen im | |
| Innenraum gilt 2G+ und Maskenpflicht – auch am Platz. | |
| Mit flüchtigem Blick überprüfen drei ältere Damen am Eingang des Saals die | |
| negativen Testergebnisse. Sie sind dabei nicht ganz so streng und erlauben | |
| auch einer ungetesteten Frau, sich an den Rand zu setzen. Bei der Begrüßung | |
| teilte die Organisatorin des Konzerts mit, dass die Masken am Platz gerne | |
| abgenommen werden dürfen. Eine Stunde lang spielen die zwei Musiker:innen, | |
| Geige und Flamencogitarre. Von den 33 Anwesenden tragen nur drei ihre | |
| Maske während des Konzerts über Mund und Nase. | |
| Zur Erinnerung: Wir sind in einem Krankenhaus, in dem sich viele Menschen | |
| aufhalten, für die eine Covid-19-Erkrankung besonders schwere Folgen hätte. | |
| Gudrun Widders ans Telefon zu bekommen ist in diesen Tagen nicht leicht. | |
| Aber dann erklärt die Leiterin des Gesundheitsamts Spandau gerne | |
| ausführlich, dass sie gerade völlig überlastet sind. | |
| Zu der Beschwerde der Pflegekraft gebe es keinen schriftlichen Vorgang. Das | |
| sei bei telefonischen Hinweisen auch nicht üblich. Ihnen werde aber stets | |
| nachgegangen, sagt Widders. Überhaupt sei erst mal der Krankenhausbetreiber | |
| verantwortlich. Für die täglichen Tests des Personals etwa seien die | |
| Vorgesetzten zuständig, da werde nichts an das Gesundheitsamt gemeldet. | |
| Auch bei der kommenden Impfpflicht für Krankenhauspersonal sei zunächst der | |
| Arbeitgeber in der Verpflichtung. Ungeimpfte Personen sollen ans | |
| Gesundheitsamt gemeldet werden, dort soll das dann überprüft werden. Es | |
| wird auf die Ämter abgewälzt, so sieht es Widders. Sie hätten gar keine | |
| Kapazitäten dafür. | |
| Im Herbst, berichtet Widders, hätten sie nach einem Jahr pandemiebedingter | |
| Pause endlich wieder die jährliche Krankenhausbegehung in Havelhöhe machen | |
| können. Zwei bis drei Mitarbeitende aus dem Gesundheitsamt, der Ärztliche | |
| Leiter, Vertreter:innen der Krankenhaushygiene. Es ging nicht speziell | |
| um Corona, sondern allgemein um die Frage: Werden hier alle Vorschriften | |
| eingehalten? Sie seien drei Tage vor Ort gewesen und hätten sich alles | |
| zeigen lassen, sagt Widders. Es habe keine gravierenden Beanstandungen | |
| gegeben. | |
| 4 Feb 2022 | |
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| [4] /Gesundheitsaemter-an-der-Belastungsgrenze/!5829689 | |
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