# taz.de -- Niedrige Impfquote in Rosenheim: Hier gibt's koa Pandemie | |
> Markus Reum pflegt im bayerischen Rosenheim Covidpatienten. Er hat | |
> Menschen erlebt, die noch schwer erkrankt die Coronapandemie leugnen. | |
Bild: Hilferuf: Ende November schalten die Pflegekräfte beim Schichtwechsel di… | |
ROSENHEIM taz | Markus Reum kann sich noch gut erinnern. Es war ziemlich am | |
Anfang der Pandemie und er befand sich in dem Glauben, man könne doch mit | |
allen Menschen reden. An einem Samstag war er mit seinen beiden Kindern in | |
der Rosenheimer Innenstadt beim Einkaufen, als er an einer dieser | |
wöchentlichen Demonstrationen vorbeikam, Coronaleugner, Querdenker, | |
Impfgegner, so genau weiß er es auch nicht mehr, jedenfalls waren sie | |
dagegen. Gegen den vermeintlichen Mainstream, der sich in blindem Vertrauen | |
in die Regierenden und die von ihnen kontrollierte Presse für deren | |
Experimente einspannen lässt. Gegen Bill Gates, gegen Angela Merkel. Das | |
Übliche halt. | |
Reum setzte seine Kinder schnell ins Auto und ging noch mal zurück. „Ich | |
hatte damals noch so viel Motivation, dass ich das Gespräch gesucht habe.“ | |
Umsonst. „Ich bin auf so viel aggressive Gegenwehr gestoßen. Die haben mich | |
gar nicht wirklich zu Wort kommen lassen, sondern mehr oder weniger | |
ausgelacht.“ Eine neue Situation für Reum. Er halte sich ja schon für | |
ziemlich weltoffen, aber die Ansichten dieser Menschen seien so völlig | |
konträr zu seinen gewesen – und sie hätten so gar keine | |
Gesprächsbereitschaft gezeigt. „Das war schon ein bleibendes Erlebnis.“ | |
Nun ist Markus Reum keiner, der nicht wüsste, wovon er redet, wenn es um | |
die Gefahr geht, die von Corona ausgeht. Was in Rosenheim los ist – | |
pandemisch gesehen – bekommt er Tag für Tag hautnah mit. Reum ist | |
Krankenpfleger, arbeitet seit 2003 am [1][Klinikum in Rosenheim], dem | |
größten Krankenhaus im regionalen Klinikverbund RoMed, seit zwei Jahren ist | |
er Stationsleiter auf der internistischen Intensivstation. | |
Seit dieser Begegnung in der Innenstadt, so erzählt Reum, habe er für sich | |
entschieden: Auf solche Diskussionen wird er sich nicht mehr einlassen. | |
Mögen sie doch reden und denken, was sie wollen, mit Argumenten seien diese | |
Menschen ohnehin nicht mehr zu erreichen. Davon ist Reum mittlerweile | |
überzeugt. Seine Lebenszeit ist ihm für solche Auseinandersetzungen zu | |
wertvoll. Und seine Nerven sind an anderer Stelle gefragt. | |
## Arbeit auf der Intensivstation | |
41 Jahre ist der gebürtige Chemnitzer alt, groß gewachsen, Glatze, Ohrring, | |
hinter der Maske macht sich ein blonder Vollbart bemerkbar. Reum sitzt in | |
einem Konferenzsaal im Verwaltungsgebäude des Klinikums. Ein langgezogener | |
Konferenztisch zu Füßen eines riesigen Bildschirms. Hier lässt es sich mit | |
ausreichend Abstand sitzen. Reum hat sich an diesem Vormittag kurz mal aus | |
der Station abgeseilt, er trägt die blaue Klinikkleidung. Die | |
Sieben-Tage-Inzidenz der Stadt liegt an diesem Tag bei 483, Tendenz | |
fallend. Es ist noch nicht lange her, da lagen Stadt und Landkreis | |
Rosenheim noch deutlich über 1.000 und standen gemeinsam mit ein paar | |
anderen Landkreisen an der unrühmlichen Spitze der Corona-Hitliste. | |
Momentan liegen drüben auf Reums Station sechs Coronapatienten, eine Etage | |
drüber in der operativen Intensivstation sind es noch einmal so viele, im | |
gesamten Haus werden derzeit 47 Covidpatientinnen und -patienten behandelt. | |
Natürlich sind darunter auch Impfdurchbrüche, doch der Großteil von ihnen | |
ist ungeimpft; genaue Angaben hierzu macht das Klinikum nicht. | |
Auf der RoMed-Facebook-Seite versucht man, etwas Adventsstimmung zu | |
versprühen, etwas Normalität. Einen schönen Advent wünscht man den | |
Leserinnen und Lesern, gibt sich betont locker. „Habt ihr schon eure | |
Stiefel geputzt?“, heißt es in einem Beitrag zuvor: „Wer vom Nikolaus heute | |
ein kleines Geschenk oder Süßigkeiten haben möchte, der war dieses Jahr | |
hoffentlich auch schön brav. Nicht, dass der Kramperl noch die Rute zückt | |
…“ Doch natürlich ist der Kramperl – sprich: der Krampus, dieser im | |
Alpenraum gefürchtete Begleiter des Nikolaus – aktuell die kleinste Sorge | |
der hier Beschäftigten. | |
Die Belastung für das Personal ist enorm. „Man steht im Dauerfeuer“, | |
erzählt Markus Reum. „Wie es jetzt in den letzten zwei Jahren gelaufen ist, | |
das nagt einfach an uns allen.“ Es fange ja schon bei der Hygiene an. Etwa | |
die Hälfte der internistischen Intensivstation ist Covid-Bereich, | |
gewissermaßen ein hygienischer Hochsicherheitstrakt. Wer hier arbeitet, | |
muss sich erst in die entsprechende Montur werfen. Ganzkörperanzug mit | |
Kapuze, Handschuhe, in der Regel zwei übereinander, dazu die wenig | |
atmungsfreundliche FFP3-Maske und darüber das Visier. „Da stehst du in | |
deinem eigenen Schweiß und hast Durst, kannst schlecht atmen und pflegst | |
Patienten. Das ist körperlich schon extrem beanspruchend.“ | |
## Acht Stunden ohne Wasser und Toilettengang | |
Denn bis auf eine kurze Pause verbringt das Pflegepersonal die gesamte | |
knapp achtstündige Schicht im Covid-Bereich und in dieser Kleidung. „Ich | |
bin da drin gefangen“, sagt Reum. Mal kurz auf die Toilette? Fehlanzeige. | |
Einen Schluck Wasser trinken? Ist nicht. Mal kurz am offenen Fenster die | |
Maske abnehmen und tief durchatmen? Keine Chance. „Wir haben schon auch | |
Kollegen gehabt, die dann kollabiert sind.“ Selbst ein kleiner Juckreiz | |
kann zur Tortur werden, wenn man weiß, dass es noch Stunden dauert, bis man | |
sich hinterm Ohr kratzen kann. | |
Und dazu kommt die Belastung durch die eigentliche Arbeit. Zu Beginn der | |
vierten Welle wussten sie zum Teil nicht mehr, wohin mit den Kranken. | |
Operationen, sofern nicht akut und unbedingt notwendig, waren ohnehin alle | |
abgesagt, sind es bis heute. Patienten wurden verlegt, weil für sie einfach | |
kein Platz mehr da war. Sie kamen dann in andere Krankenhäuser in der | |
Region, aber auch nach Lübeck wurden sie ausgeflogen. | |
Ende November sandte man dann aus den Intensivstationen in Rosenheim einen | |
Hilferuf: Abends zum Schichtwechsel schalteten die Pflegekräfte die | |
LED-Beleuchtung in den Zimmern der Stationen für ein paar Minuten auf Rot. | |
Wer unten auf der Straße vorbeiging, dem bot sich ein beeindruckendes Bild. | |
„Wir wollten damit zeigen: Auch wenn die Krankenhaus-Ampel auf Grün steht, | |
bei uns ist sie gefühlt auf Rot“, erklärt Markus Reum. | |
Und er selbst? Ist er bereits am Limit? „Ich weiß ehrlich gesagt nicht so | |
genau, wo mein Limit ist. Aber ich weiß, dass es Phasen gab, in denen sich | |
80 Prozent meiner Gedanken um die Arbeit gedreht haben und in denen ich | |
viele andere Dinge habe schleifen lassen.“ Ein Fernstudium hatte Markus | |
Reum vor Corona begonnen. BWL. Das hat er bald abgebrochen. Auch für die | |
Familie würde er sich mehr Zeit wünschen. Immerhin: Erklären muss er zu | |
Hause nichts. Seine Frau arbeitet selbst als Krankenschwester, kennt die | |
Situation. Dass sie das letzte Mal so richtig loslassen, entspannen | |
konnten, ist schon eine ganze Weile her. Markus Reum weiß noch genau, wann | |
das war: im Juni. Da haben sie am Gardasee Urlaub gemacht. | |
Inzwischen fällt die Inzidenz. Mit entsprechender Verzögerung bemerkt Reum | |
seit ein, zwei Tagen auch eine leichte Entspannung auf seiner Station. | |
Aktuell sind sogar zwei Betten im Covid-Bereich frei. Doch über | |
Weihnachten, befürchtet der Pfleger, könnten die Zahlen wieder ansteigen – | |
erst die Inzidenz, dann – zwei, drei Wochen später – die der belegten | |
Intensivbetten. [2][Omikron] wird die Station füllen. Und mit der | |
Befürchtung ist er nicht allein. Im Nachbarlandkreis Miesbach hat das | |
Landratsamt vorsorglich eine Leichensammelstelle eingerichtet, um notfalls | |
Krematorien und Bestattungsinstitute zu entlasten. | |
## 60 Prozent Geimpfte | |
Die hohe Sieben-Tage-Inzidenz im Süden Bayerns korreliert direkt mit einer | |
anderen Zahl – der der Ungeimpften. Nur rund 60 Prozent der Bevölkerung in | |
der Region Rosenheim sind laut Wolfgang Hierl, dem Leiter des | |
Gesundheitsamts Rosenheim, geimpft. Und die wöchentlichen Zuwächse seien | |
minimal, klagte er vor wenigen Tagen im [3][Oberbayerischen Volksblatt]. | |
„Das ist für einen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen viel | |
zu gering.“ Weiterhin steckten sich täglich bis zu 450 Menschen mit dem | |
Virus an. | |
60 Prozent. Das ist nicht viel, der Bundesdurchschnitt liegt bei 70, in | |
Bremen sind es sogar über 80 Prozent. Bleibt also immer wieder die Frage: | |
Warum? Warum verweigern sich just hier so viele Menschen dem schützenden | |
Vakzin? Warum flog jüngst ausgerechnet auf einem Bauernhof keine zehn | |
Kilometer nördlich von Rosenheim eine illegale Schule auf, die dem | |
Querdenker-Milieu zugeordnet wird? | |
[4][Michael Blume] hätte da eine Antwort: Die Berge sind schuld. Okay, | |
Blume formuliert es nicht ganz so schlicht. Er sagt stattdessen: „In | |
Gebirgsregionen organisieren sich Menschen über ihre jeweiligen Sprachen | |
selbst. Sie werden skeptisch gegenüber Obrigkeiten und Wissenschaften, und | |
das ist eine sehr positive Sache, die aber leider oft auch umschlagen kann | |
in Verschwörungsglauben.“ | |
## Die Bergbewohner und die Pandemie | |
Die „Alpenraum-Medien-These“ nennt sich der Ansatz, ein ganzes Seminar am | |
Karlsruher Institut für Technologie bestreitet der Politik- und | |
Religionswissenschaftler mit dem Thema. Die Berge – oder vielleicht sollte | |
man eher sagen: die Täler – haben demzufolge die Kommunikation der Menschen | |
über Jahrtausende nach innen fokussiert. „Das heißt“, erklärt Blume am | |
Telefon, „die Leute haben sich auf der Basis von Sprache selbst organisiert | |
und verwaltet und dabei ein föderales, aber eben nicht unbedingt liberales | |
Gesellschaftsverständnis entwickelt.“ | |
Nirgends auf der Welt seien staatliche Einheiten so klein wie im | |
[5][Alpenraum], wo 80 Millionen Menschen in 48 Regionen, Bundesländern und | |
Kantonen mit eigenen Parlamenten lebten. „Das sind natürlich, wenn wir das | |
Erzgebirge noch dazunehmen, genau die Regionen, wo wir heute auf die | |
niedrigen Impfquoten kommen.“ | |
In dem sehr eigenen Gesellschaftsverständnis dieser Regionen sieht Blume | |
die Skepsis gegenüber den Vorschriften, die von außen kommen, begründet. | |
„Da kommt hier die Staatlichkeit mit ihren Gesetzen, dort die Wissenschaft | |
mit ihren Ansprüchen, die Medizin. Und jetzt auch noch die | |
Hauptstadtpresse.“ Die prompte Reaktion: Wir lassen uns von denen doch | |
nichts vorschreiben. | |
Für Michael Blume, der auch Antisemitismus-Beauftragter des Landes | |
Baden-Württemberg ist, erklärt die These eine ganze Reihe von Phänomen, die | |
im Alpenraum eine besondere Ausprägung erfahren haben und die sich jetzt in | |
einer Melange mit Querdenkertum, kruden Verschwörungstheorien und | |
Impfablehnung wiederfinden: Naturromantik, Esoterik, Anthroposophie bis hin | |
zu rechtsradikalem und antisemitischem Gedankengut. | |
So gehört der [6][Austrofaschismus] ebenso dazu wie die Kinderromanfigur | |
Heidi, deren Mythos Michael Blume besonders bezeichnend findet: „Auf den | |
Bergen ist die Gesundheit, und nicht nur Heidi, die mit der Natur eng | |
verbunden ist, wird dort ganz gesund, sondern auch die Romanfigur Klara | |
Sesemann, die in Frankfurt noch an den Rollstuhl gefesselt ist und von | |
Schulmedizinern erfolglos behandelt wird, lernt dort wieder zu laufen.“ | |
Etwas Bergluft, mehr braucht es nicht, die Natur wird’s schon richten. | |
Ansichten, denen auch Impfgegner nachhängen. | |
Klingt natürlich hart. Als seien die Bewohner des Alpenraums allesamt etwas | |
zurückgebliebene Bergbewohner, die noch nie den Blick über den eigenen | |
Talrand gewagt hätten. Aber genau das wäre eine Interpretation – Blume | |
nennt sie die „Hinterwäldlerthese“ –, gegen die sich der Wissenschaftler | |
ausdrücklich verwahrt. „Es geht nicht darum, dass die Leute rückständig | |
wären oder nichts mitbekommen von der Welt. Im Gegenteil: Sie sind Händler. | |
Sie haben mit der ganzen Welt zu tun. Sie bestehen jedoch auf föderale | |
Selbstverwaltung, das kann eine sehr liberale Ausprägung haben. Daneben | |
gibt es aber leider auch ganz starke verschwörungsmythologische | |
Strömungen.“ Kurz: Auf den Bergen wohnt die Freiheit, wie der Bayer singt. | |
Aber eben auch der Wahnsinn. | |
So habe er festgestellt, erzählt Blume, dass allein die Tatsache, dass der | |
Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité komme und Hochdeutsch | |
spreche, es schwierig mache, mit seiner Expertise zu vielen Leuten in den | |
Gebirgsregionen durchzudringen. „Da heißt es dann, die aus der Hauptstadt, | |
die wollen uns jetzt auch noch vorschreiben, wie unser Immunsystem | |
funktioniert.“ Monatelang habe dann im Ranking der Suchanfragen „Christian | |
Drosten Jude“ weit oben gestanden. Was wiederum zur jüngsten | |
Pressemitteilung der [7][Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus | |
Bayern] passt, die allein in den ersten beiden Dezemberwochen 15 | |
antisemitische Vorfälle mit Coronabezug gezählt hat. | |
## Jeden Mittwoch demonstrieren die Impfgegner | |
Würde Krankenpfleger Markus Reum jetzt aufstehen, das Zimmer verlassen, den | |
Gang des Verwaltungsgebäudes bis zum Ende gehen, zur Tür raus und einmal | |
kurz um die Ecke, stünde er auf dem Rosenheimer Ichikawa-Platz. Keine halbe | |
Minute bräuchte er dazu. Die Sonne kämpft sich hier gerade durch den Nebel, | |
wirft ihre Strahlen auf die kargen Silhouetten der Kirschbäume, die auf dem | |
ansonsten gepflasterten Platz gepflanzt wurden und die längst ihr Laub | |
haben fallen lassen. Ein Mann kreuzt mit seinem Hund den Platz, sonst ist | |
hier an diesem Morgen nichts los. | |
Es ist ein Platz der Freundschaft, benannt nach der japanischen | |
Partnerstadt von Rosenheim. Seit Wochen ist es allerdings vor allem der | |
Platz der Querdenker und Impfgegner. Jeden Mittwochabend treffen sie sich | |
hier, mitunter zu Hunderten, und demonstrieren gegen ihre Feindbilder – die | |
Politik, die Medizin, die „Lügenpresse“. | |
Als er das erste Mal auf dem Heimweg von der Arbeit an der sogenannten | |
Mahnwache vorbeigefahren sei, sei er schon ziemlich erschrocken, erzählt | |
Reum. Wie diese Menschen da im Dunkeln mit ihren Fackeln gestanden hätten, | |
das habe schon etwas einen Ku-Klux-Klan-Charakter gehabt und auf den ersten | |
Blick sehr beängstigend gewirkt. Gleichzeitig macht ihn die Veranstaltung | |
allerdings auch wütend. „Am liebsten“, sagt er, „würde man da schon mal | |
einen packen, auf die Station mitnehmen und sagen: ‚Schau’s dir an!‘ Geht | |
halt nicht.“ | |
Geht nicht. Und bliebe vielleicht auch ohne Wirkung. Denn es gibt sie ja, | |
die Impfgegner, die sich die Intensivstation von innen ansehen – als | |
Covidpatienten. Manche von ihnen hätten zwar nach ihrer Genesung eine neue | |
Sicht auf die Dinge, doch das sei keineswegs der Normalfall. Gerade zu | |
Beginn der vierten Welle, erzählt Reum, seien Aggression und Mangel an | |
Einsicht besonders groß gewesen. „Unsere Oberärztin kommt dann immer wieder | |
kopfschüttelnd aus den Krankenzimmern und sagt: Ich weiß gar nicht mehr, | |
was ich denen noch erzählen soll, die glauben mir einfach nicht.“ | |
## Leugnen bis kurz vor dem Tod | |
Einmal habe ein junger, schwer erkrankter Coronapatient sogar Pflegekräfte | |
bedroht und versucht, aus der Station zu flüchten. In seinem Zustand sei er | |
zwar nicht weit gekommen; bevor er zusammengebrochen sei, habe er aber noch | |
einem Pfleger ins Gesicht gespuckt und zwei Kolleginnen mit Tritten | |
verletzt. Man kann nur mutmaßen, wie viel Professionalität nötig ist, um in | |
einem solchen Fall ruhig zu bleiben. „Wir haben immer den Patienten im | |
Blick“, erklärt Reum. „Da ist ein Mensch, und der braucht jetzt unsere | |
Hilfe – und sei er auch noch so quer im Kopf.“ | |
Von Schwierigkeiten mit teils radikalen Impfgegnern berichtet auch der | |
Rosenheimer Arzt Martin Schmid. Er hat einen Bericht über die örtlichen | |
Impfbemühungen verfasst und ihn sogar als 47 Seiten starkes Büchlein | |
herausgebracht. Darin beschreibt er, wie viel Mut und Kraft es erfordere, | |
trotz dieses Widerstands die Impfkampagne weiter energisch voranzutreiben. | |
## Die weisen Aufzeichnungen des Martin Schmid | |
Mit Martin Schmid hat es dabei eine ganz besondere Bewandtnis: Der Mann ist | |
schon lange tot. Seine Zeilen brachte er vor über 200 Jahren zu Papier. | |
„[8][Bericht über die Schutzpocken-Impfung im Physikatsdistrikte | |
Rosenheim]“ nannte er das Bändchen. Passagenweise sind es nur die heute | |
nicht mehr gebräuchlichen Wendungen oder die nicht mehr gängige | |
Orthografie, die auf das Alter der Schrift hinweisen: „Diese wohlthätige | |
Entdeckung“, schreibt Schmid über die damals noch neue Impfmöglichkeit | |
gegen die Pocken, „theilte das Schicksal alles Neuen, das man blos darum, | |
weil es neu ist, verächtlich von sich weiset; ja man wollte sogar bemerken, | |
daß der Vortheil, wenn sich welcher gäbe, vom Nachtheil, der daraus | |
entstünde, verschlungen werde.“ | |
Für die Gegenwehr macht er den „Geist des Volkes“ verantwortlich, „der e… | |
schnelle Metamorphose selten zu ertragen pflegt“. Im Einzelnen führt er | |
unter anderem folgende Hindernisse für die Impfung auf: die „Abneigung | |
gegen alles, was neu ist“, den „religiösen Irrwahn, als würde der Vorsehu… | |
und Anordnung Gottes vorgegriffen“, den „Starrsinn der Eltern, und absurde | |
Vorstellung von dem Akte des Impfens“ sowie die „Bosheit übelgesinnter | |
Menschen, die die abgeschmacktesten Berichte von entstanden Unglücksfällen | |
ausstreuten“. Kommt einem nicht ganz unbekannt vor. | |
Am 26. August 1807 wurde die Pockenschutzimpfung qua königlicher Verordnung | |
für Kinder ab drei Jahren verpflichtend. Bayern war damit das erste Land | |
weltweit, das eine Impfpflicht einführte. „Diese königliche Verordnung“, … | |
der Arzt in Rosenheim, „machte tiefen Eindruck auf die Gemüther, | |
überraschte den Starrsinnigen, und überzeugte den Vernünftigen.“ | |
Eine Erfahrung, aus der man nach Ansicht von Alpenraum-Kenner Michael Blume | |
durchaus lernen kann. Wer jetzt noch seinen Verschwörungstheorien | |
nachhänge, dürfte rational kaum noch zu erreichen sein, meint Blume. | |
Deshalb sei es jetzt angezeigt, eine Impfpflicht durchzukämpfen. „Das wird | |
erst mal heftig, aber dann befriedet es auch.“ | |
Bis dahin werden sich Markus Reum und seine Kolleginnen und Kollegen wohl | |
damit abfinden müssen, dass vor der Klinik Coronaleugner ihre Fackeln | |
entzünden, während sie selbst drinnen versuchen, das Leben der Infizierten | |
zu retten. | |
An diesem Abend jedoch werden es andere Menschen sein, die auf den | |
Ichikawa-Platz kommen. Eine Vereinigung mit dem Namen „Rückenwind | |
Gesundheitspersonal“ hat zu einer Solidaritätskundgebung aufgerufen, will | |
dem Protest der lautstarken Minderheit endlich etwas entgegensetzen. | |
Markus Reum und seine Frau haben für den Abend bereits einen Babysitter | |
organisiert. | |
21 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.romed-kliniken.de/ | |
[2] /Virologin-ueber-Omikron-Variante/!5820738 | |
[3] https://www.ovb-online.de/ | |
[4] /Michael-Blume-ueber-Querdenker-Demos/!5737207 | |
[5] https://www.argealp.org/de/arge-alp/eu-alpenraumstrategie-eusalp | |
[6] http://www.demokratiezentrum.org/bildung/ressourcen/lexikon/austrofaschismu… | |
[7] https://report-antisemitism.de/rias-bayern/ | |
[8] https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-MDZ-00000BSB10371307?cq=T%C3%B6rwan… | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Verschwörungsmythen und Corona | |
GNS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Coronaleugner | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anthroposophisches Krankenhaus Havelhöhe: Alternativer Umgang mit Corona | |
Ein schwurbelnder Chef und Tricksereien bei der Impfpflicht: eine | |
taz-Recherche in der Klinik Havelhöhe in Berlin. | |
Anthroposophische Klinik in Berlin: Coronamissstände in Havelhöhe | |
Schutzmaßnahmen werden nicht richtig umgesetzt und Mitarbeitende bekommen | |
eine offenbar ungültige Impfmethode empfohlen. Das zeigen taz-Recherchen. | |
Krankenkassen-Malus für Ungeimpfte: Populistisch und unethisch | |
Bayerns Gesundheitsminister Holetschek will, dass Ungeimpfte mehr für das | |
Gesundheitssystem zahlen. Das würde zu konformem Verhalten erziehen. | |
Autor über Wissenschaftsskepsis: „Da geht es um Systemisches“ | |
Autor Philipp Kohlhöfer hat ein Buch über Viren und Wissenschaft generell | |
geschrieben. Ein Gespräch über Fortschritt, Verschwörung und Heulsusigkeit. | |
Beschlüsse der Bund-Länder-Runde: Pandemiebekämpfung nach Weihnachten | |
Die Ministerpräsident:innen und der Kanzler einigen sich auf scharfe | |
Maßnahmen ab dem 28. Dezember. Weitergehende Forderung des RKI findet kein | |
Gehör. | |
Deutschland in der Pandemie: Neun Kliniken geschlossen | |
Das Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass trotz Pandemie Krankenhäuser | |
geschlossen werden. Es werde immer noch vor allem wirtschaftlich gedacht. | |
Tipp an Senioren in Bad Bramstedt: Impfpässe im Darknet kaufen | |
In der schleswig-holsteinischen Gemeinde gibt es mehr Coronafälle als | |
anderswo. Der Seniorenbeirat empfiehlt gefälschte Impfausweise. | |
Hochrangiger Polizist suspendiert: Falscher Applaus | |
Der Leiter eines Polizeireviers in Sachsen-Anhalt soll den | |
Teilnehmer*innen einer Coronademo applaudiert haben. Nun wurde er | |
freigestellt. | |
Kampf gegen Omikron-Ausbreitung: Obergrenze auch für Geimpfte | |
Bund und Länder wollen weitere Beschränkungen beschließen. Erste Studien | |
legen nahe, dass der Impfschutz gegen Omikron rasch nachlässt. | |
Virologin über Omikron-Variante: „Wir stehen vor einer Wand“ | |
Die neu entdeckte Variante des Coronavirus breitet sich global rasant aus. | |
Wie gefährlich Omikron ist, erklärt die Virologin Isabella Eckerle. |