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# taz.de -- Virologin über Omikron-Variante: „Wir stehen vor einer Wand“
> Die neu entdeckte Variante des Coronavirus breitet sich global rasant
> aus. Wie gefährlich Omikron ist, erklärt die Virologin Isabella Eckerle.
Bild: Katastrophenalarm in London: Pendler:innen am 18. Dezember
taz: Frau Eckerle, aktuell geht die Zahl der [1][Neuinfektionen leicht
zurück], es wird so viel geimpft wie nie zuvor. Zugleich hält wohl auch die
noch sehr viel ansteckendere Omikron-Variante Einzug in Deutschland. Wo
genau stehen wir derzeit?
Isabella Eckerle: Wir haben in Deutschland nicht so einen guten Überblick
über die zirkulierenden Varianten wie etwa Großbritannien oder Dänemark,
die insgesamt viel mehr sequenzieren (also die Proben genetisch
untersuchen, Anm. der Red). Hinzu kommt, dass die Daten dazu vom
Robert-Koch-Institut recht zeitverzögert veröffentlicht werden. Wir wissen
also nicht genau, wie viel Prozent der Infizierten sich bereits mit der
Omikron-Variante angesteckt haben.
Die neuesten Daten sind etwa zwei Wochen alt. Da lag der Anteil noch bei
0,5 Prozent. Von Großbritannien und Dänemark wissen wir, dass sich der
Anteil der Omikron-Infizierten alle zwei bis drei Tage verdoppelt. In
London etwa liegt der Anteil bereits bei etwa 70 Prozent. Diese Entwicklung
auf Deutschland übertragen bedeutet, dass der Omikron-Anteil wahrscheinlich
schon bei 10 bis 20 Prozent liegt, in einigen Regionen vielleicht sogar
noch mehr, und Omikron an Weihnachten dominant sein dürfte.
Und Delta ist noch gar nicht überstanden.
Was wir im Moment sehen, ist wahrscheinlich eine leichte Stabilisierung der
Delta-Daten. Das zeigt: Die kürzlich ergriffenen Maßnahmen wirken. Das ist
schon mal eine gute Nachricht. Wobei: Um wirklich wieder Luft holen zu
können, reicht es nicht aus, die Inzidenz lediglich zu stabilisieren. Sie
ist immer noch zu hoch, und die Situation in den Kliniken bleibt
angespannt. Ohne Omikron hätten wir aber den Peak dieser vierten Welle
wahrscheinlich überstanden.
Bis in den Herbst hinein [2][schien Dänemark sehr gut durch die Pandemie zu
kommen]. Die Impfquote dort ist hoch. Mit Omikron schießen die Zahlen bei
unserem nördlichen Nachbarn in die Höhe. Dort ist nicht mehr nur von einer
Welle die Rede, sondern angesichts der steilen Kurve nach oben von einer
Wand.
Mir fällt kein Grund ein, warum sich das Virus in Deutschland anders
verhalten sollte als in Dänemark oder in England. Genau vor einer solchen
Wand stehen wir also auch. Welche Krankheitsschwere Omikron hervorruft,
kann man allerdings noch nicht präzise sagen. Es gibt zwar Daten aus
Südafrika, die darauf hinweisen, dass der Krankheitsverlauf bei Omikron
milder ist. Das wäre natürlich erfreulich. Doch darauf setzen würde ich
nicht.
Warum nicht?
Südafrika hat eine viel jüngere Population und sehr viel mehr Menschen dort
waren auch schon mit früheren Varianten infiziert. In England sehen wir
aktuell schon einen Anstieg der Krankenhausaufnahmen, das spricht nicht
gerade für einen besonders milden Verlauf. Viel erschreckender aber ist die
extrem hohe Übertragbarkeit bei Omikron. Schon bei Delta haben wir gedacht:
Biologisch hat das Virus alles ausgereizt, was es auf Lager hat. Diese hohe
Ansteckungspotenzial lässt sich nicht noch mehr steigern.
Nun kommt die Omikron-Variante um die Ecke, die plötzlich ganz viele
unbekannte Mutationen hat und so viel ansteckender ist. Wie ein Virus in
der Lage ist, so schnell so viele Menschen anzustecken, ist schon sehr
furchteinflößend und hat auch mich und viele meiner Kollegen erstaunt.
Auch Virologe Christian Drosten, der auf Corona spezialisiert ist, meinte
im Sommer: Viel schlimmer als mit Delta kommt es nicht. Eine
Fehleinschätzung der Wissenschaft?
Das ganze erste Jahr über hatten wir den Eindruck, das Virus sei schon
ziemlich gut an den Menschen adaptiert. Es gab zwar eine Veränderungen am
Spike, also dem Stachel auf dem Virus, aber viel passiert ist sonst nicht.
Und dann hat man eben gedacht, dass sich das Virus wie andere Coronaviren
verhält, die anders als etwa die Influenza, die sich jedes Jahr verändert,
genetisch ebenfalls relativ stabil sind.
Doch Ende 2020 ging es dann plötzlich los mit den Varianten. Die
Alpha-Variante machte schon eine etwa zehnmal höhere Viruslast als der
Wildtyp. Beta und Gamma kamen auf einmal auf, die ja schon eine Immunflucht
machen konnten …
… also den Schutz von Geimpften und Genesenen umgingen …
Ja. Beta und Gamma verschwanden wieder. Und dann tauchte Delta auf. Wir
hatten alle gedacht, die nächste Variante würde wahrscheinlich eine
Unterlinie von Delta sein, ansteckender, vielleicht mit etwas mehr
Immunflucht, aber nicht komplett anders. Was an Omikron so ungewöhnlich
ist: Dieses Virus hat sich nicht aus einer der anderen Varianten
entwickelt, sondern geht wahrscheinlich auf ein ursprünglicheres Virus aus
Mitte 2020 zurück.
Diese Möglichkeit hatten glaube ich nicht viele auf dem Schirm. Wobei schon
Wissenschaftler darauf hinwiesen, dass noch einmal was ganz anderes um die
Ecke kommen könnte. Etwas, was die bisherige Immunität austricksen kann.
Das Problem dieser Pandemie ist ja auch: Wir haben keine Erfahrungswerte,
auf die wir zurückgreifen können. Wir verstehen zwar schon ein bisschen was
von Virusevolution, aber das heißt nicht, dass wir alle diese jetzt
auftretenden Entwicklungen vorhersagen oder erklären können.
Was sollte jetzt passieren?
Wenn es eine gute Nachricht gibt, dann diese: Wir wissen, was an
nicht-pharmazeutischen Maßnahmen funktioniert. Es sind im Prinzip die
gleichen wie bisher und wirksam gegen alle aerosolübertragenen Viren:
Kontaktreduktion, FFP2-Masken, lüften. Je ansteckender das Virus ist, desto
konsequenter muss man sie natürlich anwenden. Das Problem ist halt, die
Maßnahmen, die gut schützen, sind so wenig mit unserem Leben kompatibel.
Kontaktreduktion würde den Omikron-Ausbruch nur verzögern. [3][100 Tage
dauert es], laut Hersteller, bis der Impfstoff gegen Omikron angepasst ist.
Drei lange Monate.
Ja, das ist richtig. Dennoch ist Zeit zu gewinnen auch bei Omikron extrem
wichtig. Gesellschaftlich gibt es ein Problem, wenn sehr viele Menschen
gleichzeitig krank werden. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass der
Krankheitsverlauf bei Omikron etwas milder ist als bei Delta, wird dies an
der Gesamtdynamik nicht viel ändern.
Wenn zeitgleich viele Menschen auch nur einen fieberhaften Infekt haben
oder in Quarantäne müssen, fallen sie aus. Nicht nur Intensivstationen
werden überfordert sein, sondern auch Arztpraxen, Schulen, Arbeitsstätten.
Dann werden auch Busfahrer, Polizisten und die Müllabfuhr nicht arbeiten
können. Die Auswirkungen werden überall zu spüren sein.
Sie schildern, wie dramatisch Omikron werden könnte – [4][gleichzeitig
twittern Sie], dass sie der Ausweg aus der Pandemie sein könnte.
So ansteckend wie Omikron ist, ist es wahrscheinlich, dass früher oder
später jeder von uns infiziert wird, auch die Geimpften. Wenn das Virus in
den kommenden Wochen sämtliche Immunitätslücken schließt, kann ich mir
vorstellen, dass sich das Infektionsgeschehen danach auf einem endemischen
Level einpendelt, weil wir dann einfach keine Immunnaiven mehr haben
werden, also Personen ohne Abwehrkräfte. Jede Kurve, die steigt, geht auch
wieder runter.
Das geht natürlich einher mit einem hohen Preis. Es wird heißen, dass auf
dem Weg dahin sehr viele krank und viele auch sterben werden, weil die
Infektionen innerhalb ganz kurzer Zeit akkumulieren. Was ich da beschreibe,
liegt in der Biologie des Virus, in seiner hohen Ansteckungsfähigkeit. Es
handelt sich für uns aber nicht um eine gute Nachricht.
Die Strategie der neuen Ampelregierung unter Gesundheitsminister [5][Karl
Lauterbach lautet: Impfen,] boostern, impfen. Wird das reichen?
Impfen ist auf jeden Fall total wichtig. Denn obwohl es schon bei Delta zu
Impfdurchbrüchen kam, verpufft die Wirksamkeit der Impfung wohl auch bei
Omikron nicht völlig. Die Antikörperantwort ist wahrscheinlich bei Omikron
weniger wirksam, aber niemand geht davon aus, dass wir wieder bei null
beginnen. Und die Immunantwort besteht ja nicht nur aus Antikörpern: Erste
Studien zu T-Zellen belegen, dass sie weniger wählerisch dabei sind, ob sie
Delta oder Omikron bekämpfen.
Aber selbst wenn sich morgen alle impfen und boostern lassen, käme der
Schutz zu spät.
Ich würde es dennoch jedem empfehlen. Aber ja, Sie haben recht. Nur impfen
wird nicht reichen.
Was dann? Wir haben doch schon fast überall 2G …
2G, 3G ist meines Erachtens bei Omikron weitgehend hinfällig. In Norwegen
gab es eine Weihnachtsfeier, bei der sich trotz Impfung und negativer Tests
vor Beginn über 70 Prozent der Anwesenden an einem einzigen Infizierten
angesteckt haben. Das ist Wahnsinn. Ich denke, um die Welle zu brechen,
werden wir um massive Kontakteinschränkungen nicht herumkommen. Das sehen
wir bereits in anderen Ländern, die keine andere Möglichkeit mehr sehen als
einen Lockdown.
Das sagen Sie kurz vor Weihnachten!
Einen schlechteren Zeitpunkt gibt es sicherlich nicht. Ich will und kann
hier keine politischen Empfehlungen geben. Aber aus virologischer Sicht
kann ich nur sagen: So ansteckend wie diese Variante ist, sollte jeder
überprüfen, welches persönliche Treffen, welcher Restaurantbesuch, welche
Urlaubsreise jetzt wirklich unbedingt notwendig ist.
19 Dec 2021
## LINKS
[1] /Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5822930
[2] /Coronavirus-in-Daenemark/!5809597
[3] https://www.fr.de/panorama/corona-omikron-variante-impfung-neuer-impfstoff-…
[4] https://twitter.com/EckerleIsabella/status/1469458946800988165?s=20
[5] /Warnung-vor-der-fuenften-Welle/!5822850
## AUTOREN
Felix Lee
Manuela Heim
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