# taz.de -- Katastrophenbewältigung im Wahlkampf: KandidatInnen kriegen die Kr… | |
> CDU-Kandidat Laschet patzt. Die angeschlagene Grüne Baerbock bleibt | |
> vorsichtig. Eine Chance für die SPD. | |
Bild: SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Scholz in Bad Neuenahr-Ahrweiler | |
Annalena Baerbock hat im ARD-Morgenmagazin die Hände auf den Tresen gelegt. | |
Sie wirkt aufgeräumt, bevor sie über die Flutkatastrophe spricht. Im | |
Hintergrund ist die träge Spree im Berliner Regierungsviertel zu sehen. | |
Kein Hochwasser, keine Schlammlawine, keine Gummistiefel. Es ist einer | |
ihrer ersten Fernsehauftritte nach der Flut. Politikberater haben der | |
Ökopartei empfohlen, große Bilder im US-Stil zu kreieren. Baerbock im | |
Hochwasser, die vor den Folgen der Klimakrise warnt. Es ist ja das | |
Kernthema der Grünen. | |
Doch die grüne Kanzlerkandidatin war ohne Presse und Kamera in den | |
Hochwassergebieten. „Es ging mir darum, wirklich zuhören und auch trösten | |
zu können. Da macht es einen Unterschied, ob Kameras laufen oder nicht“ | |
[1][sagte sie dem Spiegel]. Keine Bilder vor zerstörten Landstrichen. Wohl | |
auch, damit ihr niemand vorwerfen kann, dass sie bloß Punkte machen wolle. | |
Baerbock hat als Oppositionspolitikerin keine Gestaltungsmacht, Krisen sind | |
Zeiten der Exekutive. Und natürlich ist der noble, mehrfach betonte | |
Verzicht der Grünen auf Bilder und Inszenierung auch eine Inszenierung. | |
Die Grünen wollen einfühlsam und lösungsorientiert wirken. Und auf keinen | |
Fall besserwisserisch daherkommen. In Baerbocks erster Stellungnahme nach | |
der Katastrophe kam das Wort Klimakrise nicht einmal vor – während die | |
politische Konkurrenz nicht davor zurückscheute, mehr Klimaschutz zu | |
fordern. Die Grünen sind vorsichtig, wollen nach den Plagiatsdebatten um | |
Baerbock bloß nichts falsch machen. | |
## Schnell droht ein PR-Desaster | |
Wenn es an Vorsicht fehlt, passieren schnell PR-Desaster. Das zeigte der | |
Auftritt von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Während Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier in Erftstadt redete, [2][amüsierte sich der | |
NRW-Ministerpräsident] im Hintergrund köstlich und bog sich fast vor | |
Lachen. Bei 170 Toten kein günstiges Bild. Zuvor hatte der Kanzlerkandidat | |
der Union bei seinem ersten Besuch im Katastrophengebiet den Krisenstab in | |
Hagen eineinhalb Stunden warten lassen. Er wollte lieber Bild-TV noch ein | |
Exklusiv-Interview geben. | |
Am Dienstag versuchte Laschet dann sein ramponiertes Image aufzubessern. An | |
der Seite der Kanzlerin lief er durch die zerstörte Altstadt von Bad | |
Münstereifel. Doch eine gute Figur als Krisenmanager macht er auch da | |
nicht. Laschet trägt glänzende Lederschuhe und ein blütenweißes Hemd – und | |
wirkt neben den schlammverschmierten Helfern wie im falschen Film. Die | |
krisenfeste Kanzlerin hält, in Wanderschuhen, eine knappe Ansprache, | |
betrauert die Opfer und würdigt die überwältigende Solidarität. Das | |
Publikum applaudiert. Laschet hingegen lobt vor allem seinen eigenen | |
Beitrag zur Katastrophenbewältigung – der Beifall bleibt aus. Dass ein | |
Anwohner Merkel auch auffordert, doch bitte nochmal als Kanzlerin | |
anzutreten, so der Spiegel, komplettiert das Bild: Laschet kann es nicht. | |
Dabei wäre die Flutkatastrophe eine ideale Gelegenheit gewesen, sich | |
endlich mal als verlässlicher Macher ins Bild zu rücken. So wie Helmut | |
Schmidt 1962. Oder Gerhard Schröder 2003. Zumal Krisenbewältigung in der | |
Ära Merkel zur Kernkompetenz der Union geworden ist. Umso schlimmer wirken | |
Laschets Auftritte: Kaum passiert etwas Unvorhergesehenes, stolpert der | |
CDU-Chef durch die Szenerie. | |
Auch ohne diese Flops bringt die Flut das Wahlkampfkonzept der Union | |
kräftig durcheinander. Man wollte mit unkonkreten Wohlfühlbotschaften | |
punkten. Doch dass alles bleiben kann wie es ist, wirkt angesichts der | |
Katastrophe deplatziert. Laschet sagt in Bad Münstereifel darum, man müsse | |
nun „alles gegen den Klimawandel tun“. Doch das Kostüm des entschlossenen | |
Klimaschützers passt ihm nicht. Der Kohleausstieg, den er als seinen Erfolg | |
verkaufen will, wurde gegen seinen Widerstand durchgesetzt. Seine Regierung | |
behindert in NRW den weiteren Ausbau der Windenergie massiv. Klimapolitisch | |
hat die Union bislang auf der Bremse gestanden. Und in ihrem Wahlprogramm | |
steht zwar das Ziel, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll. Wie, | |
bleibt allerdings offen, denn zu allen konkreten Maßnahmen sagt die Union | |
nein. | |
„Mit dieser Katastrophe ist für alle Parteien die Ernsthaftigkeit in den | |
Wahlkampf zurückgekehrt“, sagt der Grüne Jürgen Trittin zur taz am | |
wochenende. „Die CDU will die oberen 10 Prozent entlasten, die FDP geht | |
noch weiter. Vor dem Hintergrund der Investitionen, die auf uns zukommen, | |
ist das völlig unseriös.“ | |
Trittin war bei der Hochwasserkatastrophe 2002 Bundesumweltminister. Er | |
weiß, welche Konflikte es geben wird. 2005 hatte Rot-Grün per Gesetz ein | |
weitgehendes Bauverbot für Gegenden verfügt, die einmal in 100 Jahren von | |
Hochwassern heimgesucht werden. Die Karte der Überschwemmungsgebiete müsste | |
nun neu gezeichnet werden, was zu Konflikten führen könne, denn manche | |
Häuser, die weggespült wurden, „werden nicht wieder aufgebaut werden, weil | |
wir mehr Überschwemmungsflächen brauchen“, so Trittins Prognose. Um | |
ähnliche Katastrophen zu vermeiden, müsse man mehr gegen die globale | |
Erhitzung und für Klimaanpassung tun. Und das kostet. | |
Die Idee der Grünen: Die Kommunen brauchen Risiko- und | |
Klimaanpassungspläne. Das Geld dafür soll aus einem vom Bund finanzierten | |
Vorsorgefonds kommen. Die Pläne reichen vom Umbau der Kanalisation bis zur | |
digitalen Überwachung von Pegelständen bei Bächen. Klar ist, dass die | |
Städte hochwassertauglicher werden müssen und die zunehmende | |
Flächenversiegelung gestoppt werden muss. | |
Auch SPD-Vize Kevin Kühnert ist überzeugt, dass die Flut neue Antworten | |
erfordert – und plädiert für einen Fonds, um unvermeidliche Schäden zu | |
kompensieren. „Wenn die Ahr acht Meter Hochwasser führt, dann ist das eine | |
Größenordnung, gegen die konventionelle Schutzmaßnahmen kaum mehr helfen. | |
Wenn es mehr Katastrophen gibt, werden wir von Härtefallfonds zu | |
institutionalisierten Infrastrukturfonds übergehen müssen“, so Kühnert. | |
Auch die Union findet, dass etwas geschehen muss. So fordert Laschet in Bad | |
Münstereifel: „Wir müssen Vorsorge treffen für all diese Starkwetterkrisen | |
und -katastrophen“. Doch was das konkret heißen soll, bleibt mal wieder | |
unklar. | |
Olaf Scholz stapft am Sonntagnachmittag mit Regenjacke, Jeans und | |
Wanderschuhen eine verdreckte Straße hinauf. In Schönau bei Berchtesgaden | |
hat eine Schlammlawine Häuser weggerissen. Scholz besichtigt mit Bayerns | |
CSU-Ministerpräsident Markus Söder die Schäden. Eine Frau, deren Haus durch | |
die Katastrophe verschwunden ist, weint und scheint nahe am | |
Nervenzusammenbruch. Söder legt die Hand auf ihre Schulter und sagt „Wir | |
lassen Sie nicht allein“. Scholz steht etwas ratlos daneben und kündigt | |
rasche Hilfe an. „Das ganze Land muss helfen“, sagt er später in die | |
Kameras. | |
Scholz war zweimal an Orten der Katastrophe. In Bayern und mit | |
SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Ahrweiler. Am Mittwoch sitzt er | |
neben Horst Seehofer in der Bundespressekonferenz und sagt: „Vor Ort zu | |
sein ist anders als nur die Bilder im TV zu sehen“. Der Bund hat 200 | |
Millionen Euro Soforthilfe zu Verfügung gestellt. „Aber wenn es mehr wird, | |
dann ist das so“, so der SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister. Betroffene | |
trösten ist nicht sein Metier, Geld locker machen und unbürokratisch Hilfe | |
versprechen schon eher. „Wir tun, was nötig ist“, sagt Scholz, der sonst | |
oft zu unübersichtlichen Sätzen mit Substantivierungen neigt. Er will als | |
solider Macher wahrgenommen werden. | |
Kevin Kühnert früher mal Scholz' Gegenspieler in der Partei, lobt die | |
Performance des Kandidaten – was sonst. „Scholz ist dezent und der Lage | |
angemessen aufgetreten.“ Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans findet, dass | |
„Scholz ausstrahlt, dass er es ernst meint.“ Aber müssen Politiker | |
eigentlich unbedingt bei den Aufräumarbeiten dabei sein? „Sie müssen keine | |
Schippe in die Hand nehmen. Ihr Job ist es, als Repräsentanten des Staates | |
Solidarität zum Ausdruck zu bringen“, so Kühnert recht staatstragend zur | |
taz am wochenende. | |
Die Grünen sind auffällig vorsichtig mit Laschets Lacher-Auftritt | |
umgegangen. Wohl um den künftigen Koalitionspartner nicht zu provozieren. | |
Die SPD hingegen hat kräftig ausgeholt. Walter-Borjans hält Laschet für | |
„oberflächlich“. Die Szene in Erftstadt, so der SPD-Chef, habe dessen | |
„Charakterschwächen deutlich“ gemacht. Auch Kühnert kritisiert, der | |
CDU-Chef müsse doch wissen „wie soziale Medien funktionieren und sich unter | |
Kontrolle haben“. Die Botschaft der SPD ist klar: Scholz hat sich unter | |
Kontrolle und tut das Nötige. Laschet, unstet und überfordert, ist da die | |
Kontrastfolie. | |
Für die SPD ist die Flut eine Gelegenheit. Baerbock ist noch immer | |
angeschlagen, Laschet blamiert. Nur Scholz ist immer Scholz. Verlässlich, | |
langweilig, mittig. Die Fortsetzung von Merkel, wenn auch nicht so nett. | |
Die SPD kam in den Plänen, wie es nach dem 26. September weitergeht, kaum | |
noch vor. Vielleicht hat sie jetzt doch wieder eine Chance mitzuspielen. Es | |
ist ihre letzte. | |
23 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/annalena-baerbock-zur-flutkatast… | |
[2] /PolitikerInnen-im-Fluteinsatz/!5781625 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Jasmin Kalarickal | |
Malte Kreutzfeldt | |
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