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# taz.de -- Nadine Conti Provinzhauptstadt: Die Aura des Gummistiefels
> Weil Hochwasser zu den dramaturgisch öden Katastrophen gehört,
> konzentriert man sich auf Zweierlei: 1. „Tiere gehen immer“ und 2.
> „Idioten machen Sachen“.
Bild: Erstaunlich, aber es scheint ja doch ein Gerhard-Schröder-Erbe zu geben,…
Erstaunlich, aber es scheint ja doch ein Gerhard-Schröder-Erbe zu geben,
das unantastbar ist. Jedenfalls wandeln gerade viele in den Fußstapfen
seiner Gummistiefel. Für die Nachgeborenen: Es gibt das Gerücht, dass
Schröders [1][Auftritt beim Elbe-Hochwasser 2002] ihm die Wahl gerettet
hat. Rot-Grün lag damals in den Umfragen hinten, aber der Kanzlerkandidat
der Union, Edmund Stoiber, hielt es für vernünftiger, auf
Hochwasser-Tourismus zu verzichten. Er überließ Schröder das Feld, der sich
an Helmut Schmidt und dessen Hamburger Sturmflut 1962 erinnerte, um
umgehend in Gummistiefeln und Regenjacke aufzumarschieren und ein paar
ikonische Bilder zu produzieren.
Man muss allerdings auch neidlos anerkennen, dass niemand das so gut konnte
wie Schröder, in seiner ganzen antiquierten Alphamännchenhaftigkeit: mit
kantigem Kinn in der Gegend herumstehen und grimmige Entschlossenheit
ausstrahlen. Man weiß im Nachhinein nicht mehr so genau, ob es den
Betroffenen viel genutzt hat, zumal er die Hände die meiste Zeit in den
Hosentaschen hatte, aber ihm selbst fraglos schon.
Seither wagt kein Spitzenpolitiker mehr, es bei Hochwasserkatastrophen
anders zu machen. In den vergangenen Wochen begaben sich hier in
Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Innenministerin Daniela
Behrens (SPD), Umweltminister Christian Meyer (Grüne), Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu
Hochwassereinsatzgebieten. Manche schafften sogar drei Hotspots an einem
Tag. Es ist gut, dass normale Bürger immer wieder eindringlich vor
Hochwassertourismus gewarnt wurden, das wäre sonst wirklich zu viel
geworden.
Aber das sage ich natürlich auch nur, weil ich solche Termine hasse. Ich
mag einfach das Gefühl nicht, Menschen im Weg herumzustehen und auf die
Nerven zu gehen, die mit der akuten Krisenbewältigung oder auch nur
Krisenbetroffenheit beschäftigt sind. Bedauerlicherweise bringe ich ja
keine Fähigkeiten und Erkenntnisse mit, die im Ernstfall zu irgendetwas
Nutze sind.
## Hochwasser ist eine eher langweilige Katastrophe
Man muss allerdings auch sagen, dass [2][Hochwasser] dramaturgisch
betrachtet zu den eher langweiligen Katastrophen gehört. Wenn es sich nicht
gerade zu katastrophalen Flutwellen auftürmt oder irgendwo Deiche zu
brechen drohen, suppt und gluckst das so vor sich hin, richtet leise seine
Verheerungen an, hat unfassbar viel mit bangem Warten und Pumpen und
Schaufeln zu tun.
Kein Wunder, wenn man sich lieber darauf konzentriert, die gut fassbaren
Dramen zu erzählen. Die lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: 1.
„Tiere gehen immer“ und 2. „Idioten machen Sachen“. Meine Newsfeeds
wimmelten jedenfalls von geretteten Shetlandponys und
Serengetipark-Bewohnern. Aber auch von Menschen, die Absperrungen umfahren,
baden, surfen oder – mein Favorit – von jenen Bürgern, die in Neustadt
angeblich nachts an der Straße Feuerwehrpumpen ausgeschaltet haben, weil
die ihnen zu laut waren.
## Empört schnaufen und den Kopf schütteln
Das ist so entlastend, da weiß man, was man zu tun hat: empört schnaufen
und den Kopf schütteln. Und es passt nahtlos in vertraute Deutungsmuster:
Die Menschen werden halt immer egoistischer und rücksichtsloser oder
technikgläubiger (weil sie nicht kapieren, dass ihr Navi nicht in Echtzeit
alle Straßensperrungen mitbekommt). In Wirklichkeit sind sie vielleicht
auch einfach dumm und überfordert, aber so genau möchten wir das nicht
wissen. Es ist doch schöner, wenn es zur Abwechslung mal wieder eindeutig
Schuldige gibt. Zack, aufgelöst, Ende gut, wie beim Tatort.
Ganz anders als bei den Menschen, die immer noch darum bangen, auf welchen
Schäden sie wohl sitzen bleiben, wenn das verdammte Wasser endlich weg ist.
Aber bis das geklärt ist, will sie ja auch niemand mehr hören, diese
Hochwassergeschichten.
14 Jan 2024
## LINKS
[1] /Politikerbesuche-in-den-Flutgebieten/!5066098
[2] /Hochwasser-in-Niedersachsen/!5981359
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
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Frank-Walter Steinmeier
Flut
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