# taz.de -- Shitstorm gegen Baerbock wegen N-Wort: Gepflegte Feindbilder | |
> Grünen-Chefin Baerbock benutzt in einer Talkshow das N-Wort und bittet | |
> vor Ausstrahlung um Entschuldigung dafür. Es folgt: ein rechter | |
> Shitstorm. | |
Bild: Nicht das erste Mal Ziel eines rechten Shitstorms: Grünen-Kanzlerkandida… | |
Auf einen neuen Skandal um die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena | |
Baerbock, muss man dieser Tage nicht lange warten. Aktuell geht es um die | |
Reproduktion rassistischer Sprache in einem Interview. Während Baerbock | |
Konsequenzen aus ihrem Fehler zieht, nutzen Konservative und Rechte den | |
Vorfall, um lang gepflegte Feindbilder zu verstärken. | |
Aber was war passiert? Vergangenen Dienstag war Baerbock in der | |
Tachles-Arena des Zentralrats der Juden zum Interview zu Gast. In dem | |
Gespräch über Antisemitismus und Rassismus erzählt sie eine Geschichte aus | |
dem Schulunterricht des Sohnes einer Bekannten. | |
Der Sohn hatte sich geweigert, eine Bildergeschichte zu einem Arbeitsblatt | |
zu schreiben, auf dem das N-Wort stand. Daraufhin wurde ihm vorgeworfen, | |
den Schulfrieden zu stören. Baerbock erzählt die Geschichte, um | |
diskriminierende Bildungsinhalte an Schulen zu kritisieren, spricht aber in | |
ihrer Nacherzählung die rassistische Bezeichnung aus. | |
Das Interview soll erst Anfang August ausgestrahlt werden. [1][Am | |
Sonntagnachmittag machte Baerbock jedoch selbst auf diesen Fehler bei | |
Twitter aufmerksam] und bat um Entschuldigung dafür, rassistische Sprache | |
reproduziert zu haben: „Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews | |
in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorfalls das N-Wort | |
zitiert.“ | |
Und weiter: „Das war falsch und das tut mir leid. Denn ich weiß ja um den | |
rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die Schwarze | |
Menschen unter anderem durch ihn erfahren.“ Bei der Ausstrahlung, [2][und | |
auch schon in dem Ausschnitt der Sendung], den Baerbock bei Twitter | |
veröffentlicht hat, wird das Wort deswegen ausgepiept. | |
Rassistische Sprache zu reproduzieren und [3][damit Betroffene zu | |
retraumatisieren und herabzuwürdigen,] ist falsch und sollte gerade einer | |
Spitzenpolitiker:in nicht passieren. Doch Baerbock hat ihr eigenes | |
Verhalten reflektiert, ihren Fehler erkannt, sich darum bemüht, dass er | |
behoben wird, und bei Betroffenen um Entschuldigung gebeten. Damit könnte | |
der Vorfall erledigt sein. | |
Geht es bei diskriminierungsfreiem Sprechen ja nicht darum, keine Fehler | |
machen zu dürfen – sondern diese einzugestehen, wenn sie passiert sind, zu | |
reflektieren und sie künftig zu meiden. In Wahlkampfzeiten gäbe es nun also | |
Drängenderes, dem sich Medien und die Zivilgesellschaft zuwenden sollten. | |
Dass wir uns nun aber doch an dieser Stelle damit beschäftigen sollten, | |
liegt daran, dass Konservative und Rechte den Vorfall nutzen, um Stimmung | |
zu machen. Die Bild-Zeitung berichtete zuerst von Baerbocks Entschuldigung. | |
Verschiedene Journalist:innen, wie Judith Sevinc Basad von der Bild oder | |
Falter-Chefredakteur Florian Klenk mischten sich in die Diskussion über den | |
Gebrauch des N-Wortes ein. Es entspann sich ein von rechts dominierter | |
Shitstorm gegen Baerbock, mit den vorhersehbaren Schlagworten: | |
Selbstzensur, links-grün-versifft, politische Korrektheit, Sprachpolizei. | |
Es dauerte nicht lange, bis die rassistische Bezeichnung, abgekürzt und | |
ausgeschrieben, in die Twitter-Trends gelangte. Es ist ein erneutes | |
Beispiel für die Obsession von einigen nicht-Schwarzen Menschen mit dem | |
N-Wort. | |
## Hat mit Selbstzensur nichts zu tun | |
Doch das Auspiepen des N-Wortes hat mit Selbstzensur nichts zu tun, sondern | |
damit, Schwarze Menschen nicht verbal degradieren und demütigen zu wollen. | |
Die Bezeichnung, die in ihrer wörtlichen Übersetzung lediglich „Schwarz“ | |
bedeutet, war niemals wertfrei, sondern schon immer ein diskriminierender | |
Begriff. | |
Im 17. Jahrhundert kam er in die deutsche Sprache und etablierte sich | |
später im Zuge der Entwicklung der Rassentheorie. Der Begriff ist eng mit | |
der Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus verbunden und wird | |
seitdem strategisch genutzt, um Schwarze Menschen als primitiv und | |
minderwertig darzustellen. Die Nutzung des N-Wortes ist also 1:1 die | |
Verbalisierung von rassistischen Denkmustern, in denen die weiße | |
Vorherrschaft manifestiert wird. | |
Einige bestehen in der aktuellen Diskussion trotzdem weiterhin darauf, das | |
Wort zu nutzen, und fordern, die Verwendung von Kontext und Motivation | |
abhängig zu machen. Und natürlich spielt es eine Rolle, wer das Wort nutzt, | |
und es ist auch ein Unterschied, ob es als direkte Beleidigung oder als | |
Zitat genutzt wird. Auch deswegen ist der bei Twitter getätigte Vergleich | |
von Martin Luther King oder der von der Bild-Zeitung aufgegriffene von | |
[4][Boris Palmer, der den Fußballspieler Dennis Aogo mit dem N-Wort | |
bezeichnete], mit Baerbock fehl am Platz. | |
Baerbock entschuldigte sich im Vergleich zu Palmer und zieht Konsequenzen | |
aus ihren Fehlern. Doch auch wer das Wort nutzt, um auf diskriminierende | |
Inhalte aufmerksam zu machen, beleidigt, triggert und verletzt Schwarze | |
Menschen. Die Reproduktion durch Nichtbetroffene ist also niemals in | |
Ordnung – weder als Zitat noch als Satire getarnt. | |
26 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/ABaerbock/status/1419311837800173570?s=20 | |
[2] https://twitter.com/ABaerbock/status/1419311895140503554?s=20 | |
[3] /Antirassistische-Sprache/!5702930 | |
[4] /Ausschlussverfahren-gegen-Boris-Palmer/!5770669 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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