| # taz.de -- Unterwegs mit dem Grünen-Chef: Habecks Kichererbsenaffäre | |
| > Keine Ahnung von Falafel, immer neue Reden, nicht mittelmäßig genug: Es | |
| > gibt gute Gründe, die gegen Robert Habeck sprechen. | |
| Bild: Majestät brauchen Sonne: mit Robert Habeck auf Küstentour | |
| Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet, | |
| dass ich selbstständiger werden muss und lernen sollte, auch mal allein in | |
| die Ferien zu fahren. Sie hat nämlich in diesem Jahr etwas anderes vor. | |
| Normalerweise sind meine Urlaubstage damit gefüllt, für WLAN zu sorgen, | |
| meine Geldbörse zu öffnen und mich um Unterhaltungsangebote sowie um ihr | |
| leibliches Wohl in Form von Cheeseburgern, Pizza oder Eis zu kümmern. Was | |
| also tun mit dieser neuen Verantwortungslosigkeit? | |
| Zum Glück flatterte ein Reiseangebot der Grünen ins Haus: [1][Küstentour | |
| mit Robert Habeck], dem Nicht-Kanzlerkandidaten. Wenn man wild zeltet und | |
| mit der Fahrradflasche duscht, ist es auf jeden Fall günstiger als eine | |
| taz-Reise. Die Anfahrt muss man bedauerlicherweise selbst organisieren und | |
| wird dafür nicht mal mit veganen Matjes-Schnittchen aus der Region belohnt. | |
| Grundsätzlich muss hier angemerkt werden, dass eine Reise mit Annalena | |
| Baerbock natürlich relevanter gewesen wäre. Aber ihr großer E-Wahlkampfbus | |
| wird Gerüchten zufolge gerade noch umlackiert. Die riesigen Fotos dürfen | |
| aus Nachhaltigkeitsgründen bleiben, aber statt Kanzler*inkandidatin | |
| wird nur noch „Die Kandidatin“ draufstehen. Könnte ja dann alles sein: | |
| Spitzenkandidatin, Direktkandidatin, Wer-Wird-Millionär-Kandidatin. Immer | |
| gut vorbereitet, das Baerbock-Team. | |
| Die Küstentour dagegen: Ein Ohne-Bild-Minibus und ein maulender | |
| Nicht-Kanzlerkandidat, der lieber mit dem Fahrrad und der Bahn gefahren | |
| wäre als mit dem Auto. Erste Station: Sylt. Zeit für ein weißes Hemd und | |
| seriöse Nicht-Kanzlerkandidaten-Schuhe aus braunem Leder. Es ist brechend | |
| voll. | |
| ## Mit dem Rücken zum Wasser | |
| Und hier, in seiner ersten Wahlkampfrede, beginnen sie: die vier Gründe, | |
| die gegen Habeck sprechen. Erstens: Er glaubt, Falafel bestünden aus | |
| Weizenmehl. Aus Weizenmehl! Über mangelnde Sachkenntnis in Nahostfragen ist | |
| schon so mancher Politiker gestolpert. Die Kichererbsenaffäre stellt seine | |
| außenpolitische Kompetenz brutal in Frage. | |
| Nach seiner Rede geht der Nicht-Kanzlerkandidat durch die Sylter | |
| Fußgängerzone zum Strand. Da alle, inklusive der Tourist*innen aus | |
| Wanne-Eickel, Hannoversch Münden und Berlin-Waidmannslust, sehen wollen, wo | |
| es denn auf Sylt Falafel aus Weizenmehl gibt, läuft ein breiter | |
| Menschenstrom einfach hinterher. Es sieht aus wie beim Rattenfänger von | |
| Hameln. Doch Habeck lässt sich nur in den Sand plumpsen, mit dem Rücken zum | |
| Wasser. Es hat rein gar nichts damit zu tun, dass die herumschwirrenden | |
| Kameraleute und Fotograf*innen auf diese Weise schöne Bilder bekommen: | |
| der Mann und das Meer. | |
| Neuer Tag, blaues Hemd, dieselben Nicht-Kanzlerkandidaten-Lederschuhe. Das | |
| Handy klingelt: [2][Die Minderjährige] hat eine Krise, die sofortige | |
| telefonische Aufmerksamkeit erfordert. Mein Rat ist gefragt. Ich bin | |
| verwirrt. Mein Rat? Jetzt heißt es, etwas Schlaues oder wenigstens Cooles | |
| zu sagen. Darüber verpasse ich die Fähre nach Amrum. Auf Föhr hole ich den | |
| Ohne-Bild-Minibus wieder ein. | |
| ## Zum Kühemelken schicken | |
| Und hier ist er, der Grund Nummer zwei, der gegen Habeck spricht. Er sagt | |
| Dinge wie: „Da können Sie sich ein Ei drauf pellen.“ – „Kokolores“ �… | |
| müssten ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein.“ Jetzt geht es mir wie | |
| Baerbock. Ich würde den Nicht-Kanzlerkandidaten gerne zum Kühemelken | |
| schicken. | |
| Dritter Tag, schwarzes Hemd, noch immer keine Turnschuhe. Es geht nach | |
| Husum auf den Marktplatz. Ich bin langsam genervt. Schon wieder eine andere | |
| Rede! Schon wieder eine halbe Stunde mitschreiben! Hier also der dritte | |
| Grund, der gegen Habeck spricht: Wir sind es in Deutschland gewohnt, die | |
| immer gleichen Sätze von unseren Politiker*innen zu hören. Und ab und | |
| zu wird ein neuer eingeworfen, den man dann mitschreiben und mit dem man | |
| sich befassen kann. | |
| Vierter Tag, Jeanshemd, Friedrichstadt. Deutschland säuft ab. In meiner | |
| Heimatstadt Hagen schwimmen Autos und Mülltonnen die Straßen runter. Habeck | |
| will nicht in die Katastrophenregion fahren: „Es ist jetzt die Stunde der | |
| Retter und nicht die von Politikern, die auch noch aufs Bild wollen.“ Und | |
| später in Kiel: Naturkatastrophen habe es schon immer gegeben. „Aber die | |
| Dichte an singulären Ereignissen ist ein starker Indikator dafür, dass sich | |
| etwas ändert.“ Das sei der Kern, darum gehe es bei dieser Wahl. | |
| ## Baerbock unterlegen | |
| So, hier haben wir also Grund Nummer vier. Die Deutschen mögen | |
| Politiker*innen, die so sind wie sie selbst. Deshalb ist Kanzlerin Angela | |
| Merkel über viele Jahre so erfolgreich gewesen. Sie brilliert nicht. Habeck | |
| ist nicht mittelmäßig genug. In dieser Hinsicht ist er Baerbock unterlegen. | |
| Die Minderjährige findet, ich habe lang genug Ferien gemacht. Sie kommt | |
| bald wieder und erwartet einen vollen Kühlschrank. Wie heißt der Mann noch | |
| mal, der nicht Kanzler wird, fragt sie. „Habi? Bertie?“ Bei der nächsten | |
| Bundestagswahl darf sie wählen. Es gibt noch viel zu tun. | |
| 17 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Silke Mertins | |
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