# taz.de -- Antirassistische Sprache: Schwarz ist keine Farbe | |
> Sprache prägt das Bewusstsein: „Schwarz“ und „weiß“ sind antirassis… | |
> Bezeichnungen, die über Macht sprechen, nicht über Hautfarben. | |
Bild: Drei Frauen aus Mississippi kämpfen 1965 dafür, das Kapitol in Washingt… | |
Menschen, die von Rassismus betroffen sind oder sich davon betroffen | |
fühlen, bezeichnen sich selbst oft als Person of Color (PoC). | |
Der Begriff kommt aus dem angloamerikanischen Raum und stammt aus der | |
Kolonialzeit. Erste Verwendungen sind laut Oxford Dictionary für das Ende | |
des 18. Jahrhunderts dokumentiert. Der Begriff geht möglicherweise auf das | |
französische gens de couleur libres (etwa „freie Menschen von Farbe“) | |
zurück und bezeichnete Personen in europäischen Kolonien, die im Gegensatz | |
zu versklavten Schwarzen Menschen (black people) begrenzte Freiheiten | |
besaßen. Die US-Bürgerrechtsbewegung wandelte den historischen Begriff Ende | |
der 1960er Jahre zu people of color um, als Gegenentwurf zu den abwertenden | |
Begriffen, mit denen die weiße US-Gesellschaft über Afroamerikaner sprach. | |
Martin Luther King benutzte die Bezeichnung citizens („Bürger“) of color. | |
Im Deutschen gibt es derzeit keine Übersetzung für den Begriff PoC. Direkte | |
Übersetzungen ins Deutsche sind oft mit rassistischer Geschichte verbunden. | |
Sie basieren auf der Annahme, dass es biologische menschliche Rassen gibt, | |
sind daher negativ konnotiert. Als Selbstbezeichnung wird daher Person of | |
Color auch im Deutschen immer mehr geläufig, oder im Plural People of | |
Color, beides kurz PoC. | |
Inzwischen wird in der Regel unterschieden zwischen den Begriffen PoC und | |
Schwarz, um den unterschiedlichen Rassismuserfahrungen von Schwarzen | |
Menschen und anderen nichtweißen Personen Rechnung zu tragen. Ob PoC dabei | |
Schwarze Personen implizit mitmeint, darüber besteht keine Einigkeit. Vor | |
allem in Nord- und Südamerika sind inzwischen die erweiterten Abkürzungen | |
BPoC (Black and People of Color) und BIPoC (Black, Indigenous and People of | |
Color) hinzugekommen, die gruppenspezifische Rassismuserfahrungen von | |
Schwarzen Menschen, indigenen sowie ehemals kolonialisierten oder | |
versklavten Gruppen verbinden – und gleichzeitig jeweilige Spezifika | |
anerkennen. | |
## PoC in Deutschland noch nicht üblich | |
Übrigens beziehen sich weder PoC noch Schwarz – mit großem S geschrieben – | |
auf Hautfarben. Ebenso wenig meinen sie eine ethnische Zugehörigkeit oder | |
Abstammung, wie zum Beispiel afroamerikanisch, sondern sie stehen für eine | |
Verbundenheit durch ähnliche Rassismuserfahrungen. Die Begriffe werden | |
durch die Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität nach dem | |
gewaltsamen Tod des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd immer häufiger | |
eingesetzt, auch in Deutschland. | |
Hierzulande identifizieren sich sehr viele Menschen als PoC. Allerdings ist | |
die Bezeichnung in Deutschland aufgrund seiner anderen | |
historisch-gesellschaftlichen Ausgangslage noch nicht üblich geworden. | |
Obwohl [1][über ein Viertel der deutschen Bevölkerung] einen sogenannten | |
Migrationshintergrund beziehungsweise eine Einwanderungsgeschichte hat und | |
Diskriminierungen aufgrund ethnischer, kultureller, sprachlicher oder | |
religiöser Unterschiede das Leben vieler prägen. | |
PoC ist aber nicht gleichzusetzen mit Migrationshintergrund. Es betont | |
nicht unbedingt eine Einwanderungsgeschichte, sondern kritisiert die | |
strukturelle Dominanz von Weißsein in Politik und Alltag. Doch es gibt | |
Wechselwirkungen. Menschen mit ostmittel- oder osteuropäischem Hintergrund | |
oder mit polnischer, russischer, balkanischer Herkunft machen in | |
Deutschland auch dann rassistische Erfahrungen, wenn sie als weiß gelten | |
könnten. Eine als osteuropäisch vermutete, als „undeutsch“ wahrgenommene | |
Sprachfärbung reicht oft aus, um rassistische Vorbehalte auszulösen. Der | |
Kontext der jeweiligen Gesellschaft ist entscheidend. | |
Auch weiß markiert keine Hautfarbe. Der Begriff wird klein und häufig | |
kursiv geschrieben, um seinen Charakter als Ideologie statt physischer | |
Tatsache zu markieren. Er zielt auf die gesellschaftspolitische Position | |
der so Bezeichneten ab: im Rahmen rassifizierender Vorstellungen zugehörig | |
zur Mehrheit, Macht ausübend, normgebend. Um die eigene Zugehörigkeit zu | |
einer privilegierten Gruppe zu benennen, kann weiß auch eine | |
Selbstbezeichnung sein. | |
## Kein Konsens über Definition von Weißsein | |
Das aber ist im Gegensatz zu Schwarz oder PoC weniger üblich. Das | |
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA) | |
schreibt [2][in seinem Glossar], die Bezeichnung weiß diene dazu, „diese in | |
der Regel unmarkiert bleibende Positionierung weißer Menschen – mit ihren | |
in der Regel für sie unsichtbaren Folgen – sichtbar zu machen“. | |
Für Weißsein existiert aber kein Konsens über eine allgemeingültige | |
Definition. Es bedeutet nicht automatisch, rassistisch zu sein, sondern | |
innerhalb einer rassistischen Hierarchie an der Spitze zu stehen. Auch wenn | |
man sich persönlich gegen Rassismus positioniert, profitiert man von weißen | |
Privilegien. | |
Weißsein bedeutet auch nicht, in jeder Situation automatisch oben zu | |
stehen. Andere Machtkategorien sind ebenfalls wirksam, etwa das | |
Klassenverhältnis, und sie sind verschränkt mit Rassismus. Weiße | |
Proletarier etwa sind nicht per se privilegiert, aber sie sind gegenüber | |
Schwarzen Proletariern durch ihr Weißsein privilegiert. | |
Die Komplexität von Rassismus zeigt sich darin, dass auch von Rassismus | |
betroffene Menschen andere Menschen durchaus rassistisch diskriminieren. | |
Nur weil [3][jemand von Rassismus betroffen ist], heißt es nicht, dass | |
diese Person nicht ihrerseits rassistisch denkt, spricht oder handelt. Ein | |
Beispiel wäre Antisemitismus unter Menschengruppen mit arabischen und | |
türkischen Wurzeln, die selber gegen „Türkenhass“ oder Muslimfeindlichkeit | |
kämpfen und als „Kanaken“ beschimpft werden. | |
## Historisches Erbe ohne persönliche Schuld | |
Viele Juden würden sich nach der oben entwickelten Definition nicht als PoC | |
bezeichnen, dennoch sind sie von Rassismus betroffen, der in diesem Fall | |
nicht nur durch die Vorstellung von „Rasse“, sondern noch durch weitere | |
Ideologien und Mythen genährt wird, etwa Verschwörungstheorien über | |
angeblich überproportionale Macht und großen Einfluss dieser Gruppe. Der | |
Begriff PoC vereint somit nicht immer alle, die von Rassismus betroffen | |
sind. Er ist kontextabhängig und muss in jeder Gesellschaft möglicherweise | |
etwas anders verstanden werden. | |
Es gilt noch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: Schuldverstrickung. | |
Geeigneter zur Sensibilisierung als die bisher aus dem US-amerikanischen | |
Kontext importierten Begrifflichkeiten sind die der – ebenfalls | |
US-amerikanischen – „memory studies“, der Erinnerungswissenschaften. Deren | |
Begriffe versuchen über die postkoloniale Herrschaftskritik hinauszuführen | |
und den Blick auf universale Verantwortung zu lenken. | |
Hier hat besonders der Holocaustforscher und Literaturhistoriker Michael | |
Rothberg mit seinem Buch „The Implicated Subject“ (2019) eine sprachliche | |
Denkweise eingeführt, die ausdrücklich über individuelle oder | |
Gruppenidentitäten hinausweisen will. Rothberg weist auf die „gemeinsame | |
Verantwortung für Dinge, die wir nicht getan haben“, hin. Er spricht von | |
„Verstrickung“: „verstrickt“ sind alle, die in Machtverhältnissen lebe… | |
die sie hineingeboren wurden. | |
Auch wenn sie diese Verhältnisse nicht selbst geschaffen oder mitgestaltet | |
haben, profitieren sie doch von ihnen und tragen durch ihr Verhalten zur | |
Aufrechterhaltung der Verhältnisse bei, ohne individuell schuldig zu | |
werden. Vor allem Europäer und Nordamerikaner treten damit ein historisches | |
Erbe an, ohne persönliche oder juristische Schuld zu tragen. | |
21 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migratio… | |
[2] https://www.idaev.de/recherchetools/glossar/ | |
[3] /Rassismus-als-System/!5702380 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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