| # taz.de -- Union und Grüne bei Bundestagswahl: Grünschwarzer Schlamassel | |
| > Grüne und Union werden nach der Bundestagswahl im Herbst bei aller | |
| > Unliebe zusammengehen müssen. Bis dahin heißt es, die Fehler des anderen | |
| > hinzunehmen. | |
| Bild: Sind sie der historische Kompromiss? Baerbock und Laschet im Bundestag | |
| Interessant ist das schon, oder? Da bereitet sich die Republik auf [1][eine | |
| schwarz-grüne oder sogar grün-schwarze Regierung] vor, also auf eine neue, | |
| vor einiger Zeit noch unvorstellbare Allianz der alten mit der neuen | |
| Mittelschicht, die Verbindung von Keine-Experimente-Konservatismus mit | |
| Sowohl-als-auch-Ökologie, bis in die Familien hinein vielleicht: | |
| [2][Freitags für die Zukunft], wahlweise fürs Klima oder für die Natur, | |
| weil beides irgendwie nicht mehr geht, und der Rest der Woche Wachstum und | |
| Konsum, damit es nicht zum Massenabsturz des Kleinbürgertums kommt. Man | |
| könnte sagen: Die vernünftigste Lösung für alle, die gern weiter so machen | |
| wie bisher, aber noch hoffen, ein bisschen vom Allerschlimmsten verhindern | |
| zu können. Vor allem den Griff des rechten Randes nach der Macht. | |
| Der historische Kompromiss, der uns vielleicht die Zukunft kostet, aber die | |
| Gegenwart rettet. Und dann das! Der progressistische Teil der allerneuesten | |
| Mitte bemerkt mit verhaltener Freude, dass sich die CDU/CSU in einen halb | |
| komischen und halb anrüchigen Machtkampf begibt. Laschet, der so radikal | |
| die Mitte vertritt, dass man an eine gewisse Katze denkt: Sie verschwindet, | |
| aber ihr Grinsen bleibt, und Söder, der so fundamental sich selbst | |
| vertritt, dass ihm ein neues Verb gewidmet werden muss: södern. | |
| Man wird in Zukunft von gewissen Karrieristen behaupten, sie hätten sich | |
| nach oben oder eben in die Mitte gesödert. Aber dann hat doch das breite | |
| Grinsen gegen das geschlängelte Södern gewonnen. Erst mal. Und das war | |
| irgendwie ein Signal. Der konservative bis reaktionäre Teil des | |
| Kleinbürgertums, dem immer noch ein Maaßen näher ist als eine Baerbock, hat | |
| verstanden, worum es geht. Wir müssen, sagt das Grinsen ohne Katze, einfach | |
| hocken bleiben. | |
| ## Die Fusion der Konservativen mit den Ultrarechten | |
| Wenn uns alles egal ist, ob sich da ein paar von uns [3][an den | |
| Coronamasken eine goldene Nase verdient] haben, ob ein paar von uns das | |
| Programm und die Rhetorik der AfD übernehmen – grinst es weg! Die anderen | |
| machen schon Fehler. Und zur Not gibt es ja auch immer noch [4][die | |
| Bild-Zeitung]. | |
| Das heißt also: Der konservativ-reaktionäre Teil des deutschen | |
| Kleinbürgertums wittert die Chance, die dann doch nicht so ersehnte Fusion | |
| mit dem eher ökologisch-liberal eingestellten Teil abzuwehren und dann auf | |
| ein ganz anderes historisches Projekt (mit Vorbildern in der Geschichte) zu | |
| setzen: die Fusion der Konservativen mit den Ultrarechten. Eine stramme | |
| Werte-Union für Deutschland. | |
| Wenn wir erst mal einfach weitermachen, können wir uns später immer noch | |
| entscheiden, ob wir mit den neuen Schnöselspießern zusammengehen oder doch | |
| gleich zu den Nazis. Daher lässt auch das Grinsen den rechten Kläffer | |
| gewähren. Denn dieses Grinsen ist nach beiden Seiten offen und steht noch | |
| mehr vielleicht für ein Erst-mal-gar-nichts. Das Erst-mal-gar-nichts wird | |
| sogar zur großen, verführerischen Botschaft: Weitergrillen, und eurem | |
| Fernsehen treiben wir die kritische Unbequemlichkeit schon noch aus. | |
| Die Sehnsucht nach dem Großen Erst-mal-gar-nichts bringt sogar die | |
| lächerliche FDP wieder nach oben, die immer noch glaubt, den | |
| Neoliberalismus verkaufen zu können. Wo doch schon jede*r genug davon hat. | |
| Zur Abwehr einer Fusion auf Augenhöhe (als braven Tigerenten-Verein kann | |
| man die Grünen dann immer noch aufnehmen, die machen doch alles mit, wenn | |
| sie ein bissel regieren dürfen) bedarf es einer Figur, die öffentlich | |
| demontiert werden kann. Nennen wir sie Annalena Baerbock. | |
| Sie hat ein paar Fehler gemacht, die zwar gegenüber denen der | |
| „Konservativen“ nicht allzu schwer wiegen, abgesehen davon, dass man bei | |
| denen so etwas gewöhnt ist. Es ist auch nicht, weil sie eine Frau ist. Oder | |
| gar wegen ihres politischen Programms. Diese Kandidatin macht nicht nur | |
| Fehler, sie ist ein Fehler. Und das, obwohl sie gerade dafür eigentlich gar | |
| nichts kann. | |
| ## Vakuum in der Mitte | |
| Sie ist eine so perfekte Vertreterin einer Generation, eines sozialen | |
| Status, eines Karriereweges, eines öffentlichen Auftretens, einer | |
| Sprechweise, eines Denkens und möglicherweise sogar Fühlens, eines | |
| Familienmodells, eines textilen Codes, eines Medienumgangs und so weiter, | |
| dass sie zum Idol von vielen ihrer Generation, ihrer Klasse, ihres Denkens | |
| und so weiter wurde. | |
| Ein Spiegel, in den jede*r „machtbewusste, gut vernetzte und ehrgeizige“ | |
| (so eine wohlwollende Charakterisierung zu Zeiten, als sie noch als nächste | |
| Kanzlerin gehandelt wurde) Insasse*in der neuen deutschen Mittelschicht | |
| zu blicken liebte. Der grinsende Laschet und die ehrgeizige Baerbock, das | |
| Traumpaar von altem und neuem Kleinbürgertum, und beide narzistisch genug, | |
| sich über die Widersprüche hinwegzumogeln. | |
| Die Mitte war leer, und in dieser Leere war [5][Angela Merkel] so lange | |
| unanfechtbar, denn die Herrschaft der leeren Mitte hatte immerhin größere | |
| Katastrophen abgewandt. Nun verlagerten sich aber Teile dieser Mitte immer | |
| weiter nach rechts, sodass die Basis der leeren Mitte nicht mehr ausreichen | |
| würde, eine Regierung zu tragen. Die Mitte musste wieder breiter werden, | |
| und zugleich sollte sie nicht mehr ganz und gar leer sein. Irgendwas musste | |
| in diese neue breite Mitte hinein. | |
| Aber das Spiegelbild des neuen deutschen Kleinbürgertums, das Bild der | |
| Annalena, die Karriere und Moral miteinander zu verbinden versprach, | |
| Neoliberalismus und Ökostyle, Feminismus und Anpassungsfähigkeit, hat auch | |
| ein paar blinde Stellen. So sehr sich die Menschen eines bestimmten Milieus | |
| in ihr wiederzuerkennen lieben, so sehr schließt es auch andere aus. | |
| Die Erfolgsformel von Karriereplanung, Selbstvermarktung und | |
| Vernetzungskunst offenbart nicht nur ein paar der Tricks, die man dabei | |
| schon anzuwenden bereit sein muss, sondern auch, dass es nicht für alle | |
| gelten kann. In aller Regel ist ein Grinsen ohne Katze erträglicher als ein | |
| Spiegel ohne Bild: In Zeiten des Leidens kann aber auch ein [6][solches | |
| Grinsen] unerträglich werden. | |
| 21 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=schwarz-gr%C3%BCne+k… | |
| [2] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=fridays+for+future+t… | |
| [3] /Schutzmasken-Affaere-der-Union/!5756249 | |
| [4] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/im-buch-abgeschrieben-vor… | |
| [5] /Schwerpunkt-Angela-Merkel/!t5007702 | |
| [6] /PolitikerInnen-im-Fluteinsatz/!5781625 | |
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| Georg Seeßlen | |
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