| # taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Hinter Gittern | |
| > Weggesperrt, misshandelt, verurteilt: In Belarus sind mindestens 454 | |
| > politische Gefangene in Haft. Die taz stellt vier von ihnen vor. | |
| Dass ein Linienflugzeug, mit dem ein politisch unliebsamer Mensch aus dem | |
| Griechenland-Urlaub zurückkehrt, von einem Kampfjet abgefangen und zur | |
| Landung in einem Drittland gezwungen wurde, war der vorläufige Höhepunkt im | |
| Umgang des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko mit seinen | |
| Widersachern. | |
| „Das Regime kennt in puncto menschenrechtlicher und völkerrechtlicher | |
| Grundsätze keine Grenzen mehr“, kommentierte Amnesty International die | |
| spektakuläre Jagd auf den Blogger Roman Protassewitsch, der seitdem in Haft | |
| ist, wo er vermutlich gefoltert wird. Seit der Präsidentschaftswahl in | |
| Belarus vom 9. August 2020 werden Menschen, die gegen Lukaschenkos Regime | |
| protestieren, eingesperrt, gefoltert, verurteilt – und das wie am | |
| Fließband. | |
| Als politische Gefangene werden diejenigen Menschen verstanden, die aus | |
| politischen oder weltanschaulichen Gründen inhaftiert sind. Haftbedingungen | |
| und -dauer stehen dabei nicht im Verhältnis zu den begangenen Straftaten. | |
| Der Begriff des „anerkannten politischen Gefangenen“, von dem im | |
| Zusammenhang mit den Inhaftierten in Belarus häufig die Rede ist, stützt | |
| sich auf einen Leitfaden, den Menschenrechtsorganisationen aus | |
| verschiedenen osteuropäischen Ländern, darunter auch Belarus, basierend auf | |
| der Arbeit des Europarates und der von Amnesty International verwendeten | |
| Definition gemeinsam erarbeitet haben. | |
| Politische Gefangene sind kein neues Phänomen in Lukaschenkos Staat. Doch | |
| die rasant steigende Zahl an politisch motivierten Verhaftungen hat mit dem | |
| offensichtlich gefälschten Wahlergebnis im vergangenen Jahr eine neue | |
| Dimension erreicht. | |
| Unter den Gefangenen sind namhafte Politiker, wie der Blogger Sergei | |
| Tichanowski, der nach seiner Ankündigung zur Präsidentschaftskandidatur | |
| schon am 29. Mai 2020 inhaftiert wurde, sowie der oppositionelle | |
| Präsidentschaftskandidat Wiktor Babaryko, in Haft seit dem 18. Juni. | |
| Spektakulär war die Verhaftung von Maria Kolesnikowa, Leiterin des | |
| Wahlkampfbüros von Babaryko. Sie wurde am 7. September in Minsk entführt, | |
| eine erzwungene Abschiebung in die Ukraine scheiterte. Erst zwei Tage | |
| später wurde ihre Inhaftierung bestätigt. Alle drei sind bis heute in Haft. | |
| International bekannt wurden weitere Fälle: Am 21. Mai 2021 starb der | |
| 50-jährige Oppositionspolitiker Witold Aschurok nach fünf Monaten Lagerhaft | |
| – angeblich an Herzstillstand. Der 18-jährige Dmitri Stachowski, angeklagt | |
| wegen „Beteiligung an Massenunruhen“, beging am 25. Mai in der Haft Suizid. | |
| „Wenn der moralische Druck auf mich nicht weitergegangen wäre, hätte ich es | |
| nicht gewagt, eine so schreckliche Tat wie Selbstmord zu begehen. Aber | |
| meine Ausdauer war erschöpft“, schrieb er in einem Abschiedsbrief. Einige | |
| der Gefangenen sind noch nicht einmal volljährig, wie Nikita Solotorew der | |
| im vergangenen August als 16-Jähriger verhaftet und im Februar zu fünf | |
| Jahren Jugendstrafkolonie verurteilt wurde. | |
| Die Vorwürfe gegen die Angeklagten sind immer die gleichen: Aufruf zu und | |
| Teilnahme an Massenunruhen (Paragraf 293 des Strafgesetzbuches der Republik | |
| Belarus), Landfriedensbruch (Paragraf 342), Widerstand gegen Mitarbeiter | |
| der Ordnungskräfte (Paragraf 363) sowie Steuerhinterziehung (Paragraf 243). | |
| Diese Anklagen können jahrelange Freiheitsstrafen, Misshandlungen und | |
| Folter zur Folge haben. | |
| Menschenrechtsorganisationen und Häftlinge berichten von regelrechten | |
| Folterkammern, in denen die Gefangenen von anderen Häftlingen systematisch | |
| gequält und terrorisiert werden, um sie geständig zu machen und psychisch | |
| zu brechen. | |
| Im Falle des entführten Bloggers Roman Protassewitsch kommt noch der | |
| Vorwurf nach Paragraf 130 (Aufstachelung zu rassistischer, nationaler, | |
| religiöser oder anderer sozialer Feindseligkeit oder Hass) hinzu. Seine im | |
| Fernsehen übertragenen angeblichen Geständnisse, in denen er Alexander | |
| Lukaschenko lobte, sind offenbar unter dem Eindruck von Misshandlungen und | |
| Drohungen entstanden. | |
| Der im litauischen Exil lebende Protassewitsch hatte vor seiner Festnahme | |
| befürchtet, er könne in Belarus vom Tod bedroht sein. Beobachter | |
| befürchten, dass diese Furcht real sein könnte. Belarus ist das einzige | |
| Land Europas, in dem noch die Todesstrafe existiert. | |
| Die belarussische Menschenrechtsorganisation „Wjasna“ („Frühling“) zä… | |
| mit Stand vom 1. Juni 2021 454 anerkannte politische Gefangene in Belarus. | |
| In diesem Text stellt die taz vier von ihnen vor. Sie sind nicht berühmt. | |
| Sie sind keine Politiker – nur Menschen, die für Freiheit und Menschrechte | |
| kämpfen Gaby Coldewey | |
| ## Marfa Rabkowa, Biologin, seit dem 17.9.2020 in Haft | |
| Wadim Scharomski spricht langsam und überlegt lange, bevor er einen Satz | |
| ausspricht. So als ob er wüsste, dass er noch einen langen Weg vor sich | |
| hat, er mit seinen Kräften haushalten muss. Mehrmals in der Woche sucht er | |
| den Ort in Minsk auf, wo seine Frau Marfa Rabkowa lebt, bringt ihr Pakete, | |
| Lebensmittel, Briefe. Doch gesehen hat er sie seit neun Monate nicht mehr. | |
| Besuche verbietet die Gefängnisleitung. | |
| Das letzte Mal sah Scharomski seine Frau am 17. September, als sie beide | |
| nach einer Hausdurchsuchung festgenommen wurden. Doch während er bald | |
| wieder nach Hause kam, ist seine Frau immer noch inhaftiert. Anfangs hatten | |
| er und die Verwandten gehofft, Marfa würde im November entlassen werden. | |
| Später klammerte man sich an ein gemeinsames Neujahrsfest. Die | |
| Untersuchungshaft ist mehrfach verlängert worden, zuletzt im März und bis | |
| zum 17. Juni. | |
| Warfa Rabkowa droht bei einer Verurteilung eine Strafe von zwölf Jahren | |
| Haft. Die Vorwürfe: sie soll zu „sozialem Hass gegen die Machthaber | |
| angestachelt haben“, „in einer kriminellen Vereinigung tätig gewesen sein�… | |
| „Massenunruhen finanziert und vorbereitet haben“. | |
| Wadim Scharomski und Warfa Rabkowa sind in der Menschenrechtsbewegung | |
| aktiv. Rabkowa hatte vor den Wahlen im August 2020 mit Wahlbeobachtern | |
| gesprochen, sich an der Aktion „Menschenrechtler für ehrliche Wahlen“ | |
| beteiligt und nach den Wahlen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. | |
| Wadim Scharomski sagt: „Mir hat ein Milizionär das mal so erklärt: ‚Wir | |
| hassen euch mehr als die Aktivisten. Mit denen würden wir ziemlich schnell | |
| fertig werden, wenn ihr Menschenrechtler nur nicht wärt. Ihr stört uns bei | |
| der Arbeit.‘“ In dieses Bild passe auch, dass sich die Miliz bei der | |
| Hausdurchsuchung vor allem für Texte über Polizeigewalt interessiert hat. | |
| Marfa Rabkowa, die bis zu ihrer Verhaftung beim Menschenrechtszentrum | |
| „Wjasnja“ (der Frühling) die Arbeit der Freiwilligen koordiniert hatte, | |
| störte mit ihrer stillen, aber beharrlichen Arbeit diejenigen, die | |
| glaubten, sie könnten die Opposition mit Gewalt und Folter vernichten. | |
| Einer der Freiwilligen, mit dem sie zusammenarbeitete, war ihr späterer | |
| Mann, Wadim Scharomski. | |
| Ihr Chef [1][Ales Bialiatski], der für die Arbeit des | |
| Menschenrechtszentrums 2020 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet | |
| worden ist, lobt „das hohe Verantwortungsbewusstsein und die hohe | |
| Motivation von Marfa für ihre Arbeit“. Den ganzen Sommer habe sie bis zu | |
| ihrer Verhaftung non-stop gearbeitet. „Sie hat sich keinen Urlaub gegönnt, | |
| nur gegessen, geschlafen und gearbeitet.“ Immer wieder habe er bewundert, | |
| mit welcher Kraft sie die schwierige Arbeit bewältigt habe. „Wir alle sind | |
| froh, Marfa als Mitarbeiterin und Weggefährtin zu haben“, sagt Bialiatski. | |
| „Marfa hat nicht ‚nein‘ sagen können, wenn ihr jemand sein Leid geklagt | |
| hat“, sagt ihr Ehemann. Bevor sie zur Menschenrechtsarbeit gekommen sei, | |
| habe die Biologin viel Zeit mit Tieren verbracht, ehrenamtlich in einem | |
| Tierheim für Hunde gearbeitet. | |
| In der Haft sei sie schon drei Mal erkrankt, habe zwölf Kilogramm | |
| abgenommen, berichtet ihr Mann. Sie lerne dort Englisch, aber das falle | |
| ihre schwer, weil sie sich nicht konzentrieren könne. Medikamente müsse man | |
| ihr ins Gefängnis bringen. Ob sie an Covid-19 erkrankt sei, könne er nicht | |
| sagen. „Dort wird ja nicht getestet.“ Erschwerend komme hinzu, dass sie in | |
| eine Liste von Personen eingetragen sei, „die zu Extremismus und Taten | |
| gegen den Staat neigten“. Deshalb, so Scharomsky, würden die Aufseherinnen | |
| Marfa besonders häufig kontrollieren. | |
| „Meine Briefe an Marfa sind Monologe“, sagt Wadim. „Wenn ich einen Brief | |
| schreibe, weiß ich nicht, wann er gelesen wird. Vielleicht in einem Monat, | |
| vielleicht auch gar nicht.“ Mit Hilfe des Strichcodes der Post könne er | |
| sehen, dass die Briefe innerhalb von 24 Stunden im Gefängnis ankommen. Doch | |
| was danach mit diesen geschehe, hänge allein vom Personal ab. | |
| „Marfa Rabkowa war immer für die Verhafteten da. Nun ist es an der Zeit, | |
| dass wir für sie da sind“, schreibt das Menschenrechtszentrum „Wjasnja“. | |
| Und Scharomsky fügt hinzu: „Das schlimmste, was uns und den anderen | |
| Gefangenen in Belarus passieren könnte, ist, dass wir sie einfach vergessen | |
| würden. Vergesst uns nicht!“ Bernhard Clasen | |
| ## Stepan Latypow, Baumpfleger, seit 15.9.2020 in Haft | |
| Es ist der 1. Juni 2021, Verhandlungssaal eines Gerichts in Minsk. | |
| Plötzlich geht alles ganz schnell. Der in einem Glaskasten sitzende | |
| Angeklagte Stepan Latypow steigt auf eine Bank und rammt sich einen | |
| Kugelschreiber in den Hals. Blutend bricht er zusammen, verliert das | |
| Bewusstsein und wird abtransportiert. Kurz zuvor hatte sein Vater als Zeuge | |
| vor Gericht ausgesagt. Und der Sohn hatte ihm zugerufen: „Vater! Kurz vor | |
| unserem Wiedersehen sind Leute vom Dezernat zur Bekämpfung Organisierter | |
| Kriminalität zu mir gekommen und haben mich bedroht. Wenn ich nicht | |
| gestehe, wird es auch Strafverfahren gegen meine Freunde und Verwandten | |
| geben. Und ich muss wieder in die Folterkammer. Da war ich bereits 51 Tage. | |
| Nur, dass Du vorbereitet bist.“ | |
| Der 41jährige wird der Organisation von Massenaufruhr und des Widerstands | |
| gegen die Staatsgewalt beschuldigt. Seit vergangenem September sitzt er in | |
| Untersuchungshaft. | |
| Latypow, der aus einer Familie von Biologen stammt, ist von Beruf | |
| Baumpfleger. Während seines Studiums der Forstwirtschaft reist er mehrfach | |
| nach Großbritannien, wo er eine Zusatzqualifikation als Industriekletterer | |
| erwirbt. 2009 gründet er seine „Firma BelArbo“, deren Mitarbeiter | |
| landesweit im Einsatz sind. Latypows Expertise, vor allem im Kampf gegen | |
| den giftigen Bärenklau, ist gefragt. Auch im Garten der Rezidenz des | |
| belarussischen Präsidenten hat er in luftiger Höhe schon Hand angelegt. | |
| Am 16. August 2020 postet er auf seinem Instagram-Account folgende Sätze: | |
| „Man kann alles mögliche verzeihen, aber nicht, dass Menschen gefoltert, | |
| vergewaltigt und getötet werden, weil sie sich geweigert haben, Alexander | |
| Lukaschenko zu wählen. Einen solchen Präsidenten brauchen wir nicht.“ | |
| Rund einen Monat später, am 15. September, wird Latypow festgenommen. Seine | |
| Vergehen: Er hat sich schützend vor ein Graffiti mit den Konterfeis zwei | |
| Djs gestellt, die den bekannten sowjetischen Protestsong „Veränderungen“ | |
| von Wiktor Zoi gespielt haben. Und er hat die Sicherheitskräfte | |
| aufgefordert, sich auszuweisen. Wenige Tage später verbreitet das | |
| belarussische Staatsfernsehen, Latypow habe Angehörige der Miliz vergiften | |
| wollen. | |
| Nach einer Operation sitzt Latypow inzwischen wieder in Untersuchungshaft. | |
| Am 10. Juni ordnet ein Gericht an, ihn „psychiatrisch begutachten“ zu | |
| lassen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. | |
| Barbara Oertel | |
| ## Katja Andreewa, Journalistin, seit November 2020 in Haft | |
| Wenn man mich fragte, ob ich etwas anders machen würde, als am 15. November | |
| vergangenen Jahres, ist die Antwort: Nein!“, schreibt Katerina (Katja) | |
| Andreewa in einem Brief an ihren Mann Igor Iljasch. Da ist das Urteil gegen | |
| sie schon ergangen. | |
| Katja Andreewa, die an der Belarussischen Staatlichen Universität (BGU) | |
| Journalismus studiert hat, ist furchtlos. Und sie ist neugierig. Um zu | |
| berichten, geht sie auch an Orte, wo sich andere nicht hintrauen. Zum | |
| ersten Mal wird die 27-jährige Minskerin im März 2017 festgenommen – unter | |
| anderem, weil sie von einer Demonstration gestreamt hat. Das macht sie auch | |
| am 15. November 2020 wieder, vom Balkon einer Wohnung am „Platz der | |
| Veränderungen“ – dem Innenhof eines Wohnkomplexes in Minsk, der zum Symbol | |
| für die Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko schlechthin geworden | |
| ist. | |
| Der Vorwurf gegen Andreewa lautet auf Teilnahme an einer unerlaubten | |
| Massenveranstaltung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Aus dem | |
| siebentägigen Arrest wird eine längere Inhaftierung. Jetzt heißt es, sie | |
| habe gegen Artikel 324, Absatz 1 Strafgesetzbuch verstoßen – „Organisation | |
| und Vorbereitung von Aktionen, die die öffentliche Ordnung verletzen oder | |
| aktive Teilnahme an solchen Aktionen.“ Bis zur Gerichtsverhandlung bleibt | |
| sie in Untersuchungshaft, ein Wiedersehen mit Verwandten wird untersagt. | |
| Am 18. Februar verkündet ein Gericht das Urteil gegen die Korrespondentin | |
| des unabhängigen polnischen Fernsehsenders Belsat: Zwei Jahre Haft. Ihr | |
| Kollege Dmitri Jegorow spricht von „Rache“, „nackter Gewalt“ und einer | |
| Politik der Einschüchterung gegenüber Journalisten. | |
| Im Jahr 2020 hat Katja Andreewa mit ihrem Mann ein Buch unter dem Titel | |
| „Der belarussische Donbass“ herausgegeben. Darin geht es um die Rolle von | |
| Belarussen im bewaffneten Konflikt in der Ukraine. Das Buch dokumentiert | |
| die Geschichten zahlreicher Kämpfer belarussischer Herkunft, die sowohl auf | |
| Seiten der Ukraine, als auch auf der Russlands gekämpft haben. Am 26. März | |
| 2021 wird das Buch in Belarus als „extremistisch“ verboten. | |
| Katjas Mann Igor, der 2020 ebenfalls kurzzeitig in Haft geriet, jetzt aber | |
| wieder auf freiem Fuß ist, berichtet auf Facebook fortlaufend über Katja | |
| Andreewas Schicksal. Sie werde von einen Gefängnis ins nächste verlegt. Ihr | |
| Transport von Schodino nach Mogiljow sei nicht die beste Reise ihres Lebens | |
| gewesen. Sie habe die ganze Zeit über Handschellen tragen müssen, im Waggon | |
| seien Hunde und schwer bewaffnete Sicherheitskräfte gewesen, habe Katja in | |
| einem Brief geschrieben, berichtet Igor. | |
| Derzeit sitzt Katja Andreewa in der Strafkolonie in Gomel ein – in | |
| Quarantäne, der obligatischen ersten Station für Neuzugänge in | |
| Haftanstalten. Sie beschäftigt sich mit Pflanzen. „Ich habe mehr als | |
| hundert Samen gepflanzt, wunderschöne künftige Blumen“, schreibt sie. Auf | |
| ihre Kleidung ist ein gelbes Etikett mit Vor- und Nachnamen genäht – eine | |
| spezielle Kennzeichnung für Häftlinge mit einer „Neigung zum Extremismus“. | |
| Sie fühle sich dennoch gut und sei positiv gestimmt, heißt es in einem | |
| Brief an ihren Mann. Und: „Wisse, unsere Liebe wird alles und jeden | |
| besiegen.“ Janka Belarus | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| ## Andrei Ljubetzki, Kieferchirurg, seit dem 4. Mai 2021 in Haft | |
| Am 4. Mai 2021 wird der 46-jährige Arzt Andrei Ljubetzki verhaftet. Er wird | |
| nach Paragraph 368 Strafgesetzbuch von Belarus wegen | |
| „Präsidentenbeleidigung“ angeklagt. Derzeit befindet er sich in | |
| Untersuchungshaft. Juristisch kann er bis zu Prozessbeginn zwei Monate in | |
| Haft bleiben. | |
| Seine Frau meint, ein dreijähriger Hausarrest wäre noch das „beste“ Urtei… | |
| Es sei schwer vorstellbar, dass die Behörden ihn einfach wieder freilassen. | |
| Ljubetzkis Ehefrau Natalja ist schon vor ihrem Mann in die Repressionswelle | |
| geraten. Als zur Schau gestellte Staatsfeindin in einem Propagandafilm im | |
| Fernsehen sah sie sich gezwungen, Belarus mit ihren vier Kindern zu | |
| verlassen. Die Zahnärztin hatte nach der Ausstrahlung des Films ihre Arbeit | |
| verloren. Ihr Chefarzt schlug eine Kündigung in „beiderseitigen | |
| Einverständnis“ vor. So seien eben die Spielregeln. | |
| Andrei Ljubetzki selbst hatte angesichts der jüngsten Ereignisse im Land | |
| die Möglichkeit seiner Verhaftung nicht ausgeschlossen, sich aber | |
| geweigert, Belarus zu verlassen. | |
| „Ich lebe nicht für Essen oder Wohnung. Ich möchte frei atmen, ich möchte, | |
| dass meine Kinder sich frei durch ihre Stadt bewegen können. Ich möchte | |
| wissen, dass wir geschützt sind. Und nicht, dass sie dich einfach entlassen | |
| oder verhaften können“, sagte Ljubetzki in einem Interview, kurz bevor sie | |
| ihn nach einer Hausdurchsuchung mitgenommen hatten. Solche Aussagen reichen | |
| in Belarus für einen Haftbefehl. | |
| Andrei Ljubetzki ist einer der besten Kiefernchirurgen für Kinder im Land. | |
| Spezialisten wie ihn kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Drei, | |
| vier Monate warteten Menschen auf einen OP-Termin bei ihm. 18 Jahre war er | |
| auf dem Gebiet der plastischen Gesichschirurgie tätig. Viele Kinder mit | |
| angeborenen Anomalien haben dank seiner Hilfe die Chance auf ein | |
| glückliches Leben erhalten. | |
| Ljubetzki selbst sagte zu seinen politischen und menschlichen Überzeugung: | |
| „Seit 1994 (Amtsantritt Lukaschenkos, Anm. d. Redaktion), vom ersten Tag | |
| an, war ich dagegen. Aber nur im Stillen – wie die Mehrheit der Belarussen. | |
| Obwohl ich meine Meinung nie verhehlt habe. Ich erinnere mich, dass während | |
| des Wahlkampfes 2010 ein Beamter aus dem Gesundheitsausschuss in unsere | |
| Klinik kam und uns zu einem Treffen mit einem Vertrauten Lukaschenkos | |
| einlud. | |
| Ich fragte, warum er nur für einen Kandidaten werbe, wo es doch zehn gebe. | |
| Vielleicht wurde auch auch deshalb meine Bewerbung als Abteilungsleiter | |
| nicht genehmigt. Und 2016 wurde mein Antrag auf eine Reduzierung der | |
| Arbeitszeit nicht bewilligt. Wir erwarteten damals unser viertes Kind und | |
| ich wollte meine Frau mehr unterstützen.“ | |
| Im Oktober letzten Jahres tauchte in allen Medienberichten Bilder über die | |
| brutale Festnahme des Arztes während einer Protestdemonstration auf. | |
| Ein Kollege, dessen Name hier nicht genannt werden kann, charakterisiert | |
| Ljubetzki so: „Wir sind unendlich stolz auf ihn. Andrei ist ein Mensch mit | |
| starkem Willen, mit Ehre und Gewissen. Ein Mensch, der immer geradeheraus | |
| sagt, was er denkt. Andrei hat nie um Hilfe gebeten, er hat das alles mit | |
| sich selber ausgemacht, und war außerdem immer noch für andere da. | |
| Er ist ein sehr empathischer Mensch. Er hat einen guten Sinn für Humor. Und | |
| er schreibt sehr gute Gedichte. Wir haben schon gewitztelt, dass man Mut | |
| und Ehre in ‚Ljubetzki-Einheiten‘ messen könne. | |
| Ach, und jetzt ist er im Gefängnis und ich im Exil. Wir wollten ihn | |
| überreden, das Land zu verlassen, aber er ist Belarusse durch und durch und | |
| konnte sich ein Leben außerhalb seines Landes nicht vorstellen.“ | |
| Weiter schreibt der ungenannte Kollege: „Das einzige, was wir tun können, | |
| ist Briefe schreiben, Geld schicken und die Hoffnung nicht verlieren. Ich | |
| glaub daran, dass auch Andrei nicht verloren ist. Er hat uns immer wieder | |
| inspiriert und hat durch sein Beispiel gezeigt, dass man frei und ohne | |
| Angst leben kann.“ Janka Belarus | |
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| 15 Jun 2021 | |
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