Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Baumpfleger wieder vor Gericht
> Stepan Latypow hat nichts getan. Jetzt geht die Verhandlung über ihn
> weiter. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 98.
Bild: Stepan Latypow wird wegen einer Lappalie wie einem Graffiti verhaftet
Die berührende Geschichte ereignete sich vor wenigen Tagen vor Gericht.
Oder besser gesagt während einer Verhandlung über den Angeklagten Stepan
Latypow.
Latypows Ex-Frau, Ekaterina Saenko, war als Zeugin geladen. Sie sagte:
„Stepa ist der beste Mensch, mit einer offenen Seele und einem guten
Herzen. Er hat viel für dieses Land getan.“ Dann sagte sie noch, dass
Stepan in seinem Bereich landesweit wohl der einzige und beste Spezialist
sei (Latypow ist von Beruf Baumpfleger; Anm. d. Red.), er habe viele
Aufträge gehabt, gegen Schädlinge gekämpft und viele Bäume gerettet.
Latypow erhielt die Möglichkeit, seiner Ex-Frau Fragen zu stellen. Er
fragte: „Zeugin, ist Ihnen bekannt, dass der Angeklagte mit Ihnen die
besten Jahre seines Lebens verbracht hat?“ Der Richter quittierte diese
Frage mit Unverständnis. Es scheint, dass es in unseren zynischen Zeiten
auch noch gute Geschichten gibt: Zwei Menschen, die ihre Beziehung beendet
haben, jedoch gute Freunde geblieben sind und einander mit großem Respekt
begegnen. Man sollte sich für sie freuen. Doch normale menschliche Regungen
und ein Gefühl von Gerechtigkeit sind belarussischen Richter*innen weder
verständlich noch bekannt.
Zuvor war der Prozess gegen Stepan Latypow wegen der Erstellung eines
gerichtsrelevanten psychiatrischen Gutachtens unterbrochen worden. Die
Untersuchung wurde angeordnet, [1][nachdem Latypow im Gerichtssaal versucht
hatte, sich das Leben zu nehmen] – er hatte sich einen Stift in den Hals
gestoßen. Übrigens: Laut des Gutachtens leidet Latypow an keiner
psychischen Erkrankung.
Nach Latypows Ex-Frau trat auch ein Polizist auf, den Latypow angeblich
angegriffen haben soll. Er wurde als Alexei Alekseewisch Petrow vorgestellt
– ein schlechter Witz, da dies ein Allerweltsname ist. Er sagte aus, dass
ihm nichts passiert sei.
Ihm zufolge [2][habe sich am 15. September 2020 folgendes zugetragen]: Als
mehrere Polizisten versucht hätten, ein Graffiti (zwei DJs, die öffentlich
den bekannten Protestsong „Veränderungen“ gespielt hatten) zu übermalen,
habe Latypow sich eingemischt. Er sei dann zu Boden geworfen worden, habe
jedoch keinen Widerstand geleistet. Das war das genaue Gegenteil dessen,
was dieser Petrow während der Ermittlungen zu Protokoll gegeben hatte, wie
der Richter anmerkte. Damals habe Petrow ausgesagt, Latypow habe sich zur
Wehr gesetzt und um sich geschlagen. Als er auf dem Boden gelegen habe,
habe er sich her und her geworfen.
Laut der Menschenrechtsorganisation Wjasna beriet sich Latypow in einer
Verhandlungspause kurz mit seinem Anwalt. Briefe erhalte er mit
zweiwöchiger Verspätung. Dabei [3][schickten ihm seine Nachbarn jeden Tag
aufmunternde Worte] und zeichneten Igel für ihn (Latypows Lieblingstiere,
sein Totemtier). Dinge, die Verwandte für ihn abgäben, würden mehrere Male
überprüft, bis entschieden werde, ob er sie bekommen dürfe. Latypow zufolge
sei er in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni nach der Narkose fast nackt vom
Krankenhaus in ein Untersuchungsgefängnis gebracht worden.
Aber die Ermittlungen im Fall eines Mannes, der einfach auf die Straße ging
und Menschen im Hof seines Hauses fragte, was sie dort täten, sind noch
nicht zu Ende. Die nächste reguläre Gerichtsverhandlung steht unmittelbar
bevor. Wir, das heißt alle seine Freunde, werden dieses absurde Schauspiel
weiter verfolgen.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
11 Aug 2021
## LINKS
[1] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!5776137
[2] /Politische-Willkuer-in-Belarus/!5748145
[3] /Solidaritaet-in-Belarus/!5768038
## AUTOREN
Janka Belarus
## TAGS
Kolumne Notizen aus Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Jahr nach Wahl in Belarus: Wieder regiert die Angst
Ein Jahr nach der Wahl ist der belarussische Staatschef Alexander
Lukaschenko immer noch an der Macht. Von Protesten ist nichts mehr zu
sehen.
Jahrestag der Proteste in Belarus: Ernüchternde Bilanz
Wegen Alexander Lukaschenko im deutschen Exil: Ein persönlicher Rückblick
auf das Protestjahr in Belarus und die Repressionen des Diktators.
Politische Gefangene in Belarus: Hinter Gittern
Weggesperrt, misshandelt, verurteilt: In Belarus sind mindestens 454
politische Gefangene in Haft. Die taz stellt vier von ihnen vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.