# taz.de -- Blogger Protassewitsch auf Twitter: Weiter Winter in Belarus | |
> Der entführte Blogger Roman Protassewitsch wandelt lächelnd durch Minsk | |
> und meldet sich auf Twitter zurück. Leider ist das kein Hoffnungssignal. | |
Bild: Roman Protassewitsch wird am 3. Juni im Staatsfernsehen vorgeführt | |
„Hallo, ich bin jetzt auf Twitter mit einem neuen Account unterwegs. Komme | |
also langsam wieder ins Internet zurück. Wäre nett, wenn ihr mir mal | |
schreiben würdet, bin jetzt immer erreichbar. Schreibt mir oder kommentiert | |
mich, ich werde zeitnah antworten.“ So spricht Twitter-User @protas_by, | |
unter einem Baum irgendwo im Freien stehend und sichtlich gut gelaunt in | |
seine Handykamera. | |
Derartige Versuche, den eigenen Twitter-Account zu bewerben, gibt es | |
Zehntausende. Nichts Besonderes also, möchte man meinen. [1][Doch hinter | |
@protas_by steht Roman Protassewitsch], der oppositionelle belarussische | |
Journalist, der am 23. Mai bei seinem [2][Flug von Athen nach Litauen] von | |
belarussischem Militär über dem Himmel von Belarus nach Minsk entführt | |
wurde. | |
Protassewitsch wird eine Mitverantwortung für „Massenunruhen“ gegeben, ein | |
Vorwurf, der ihm eine Haftstrafe von 15 Jahren einbringen könnte. Seit dem | |
25. Juni befinden sich Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega | |
nicht mehr in Hausarrest, können gemeinsam irgendwo in einem Vorort von | |
Minsk in einem von der Polizei bewachten Haus wohnen. Fotos des russischen | |
Fernsehens RT zeigen die beiden in sommerlicher Kleidung durch Minsk | |
flanieren. Und @protas_by antwortet tatsächlich auf alle möglichen und | |
unmöglichen Fragen. | |
„Wie schaffst du es, so lebensfroh zu sein unter diesen ganzen Foltern?“, | |
fragt ein Nutzer mit dem Namen „Kommissar“. Und Protassewitsch antwortet, | |
er sei nicht gefoltert worden. „Es wäre zumindest dumm, mich zu foltern, | |
beobachtet doch die ganze Welt diese Situation.“ Und eine Tatsiana Burgaud | |
gesteht, sie habe jetzt Flugangst bekommen. „Ich habe jetzt auch | |
Flugangst“, antwortet ihr Protassewitsch. „Und auch wohl noch für lange | |
Zeit:).“ | |
## Lukaschenko will spalten | |
Ist in Belarus der politische Frühling ausgebrochen? Dürfen jetzt | |
politische Gefangene im Hausarrest mit der Freundin ein Zimmer teilen, | |
einen Twitter-Account betreiben und Ausflüge in die Stadt unternehmen? | |
Leider nein. Es sieht vielmehr eher danach aus, als wollte Diktator | |
Lukaschenko die Opposition spalten, nach dem Motto: „wenn ihr mit den | |
Behörden zusammenarbeitet, geht es euch wie Roman und Sofia, wenn ihr nicht | |
zusammenarbeitet, lernt ihr Besenstile im After und andere Foltermethoden | |
kennen.“ | |
Einer von denen, die von Bedingungen, wie sie Twitter-User Protassewitsch | |
hat, nur träumen kann, ist der politische Gefangene Stepan Latypow. [3][Am | |
1. Juni hatte er einen öffentlichen Suizidversuch unternommen], sich einen | |
Stift in den Hals gestochen. Danach war er gefallen und hatte noch | |
begonnen, sich die Arme aufzuschneiden. | |
Oder Polina Scharendo-Panasjuk. Als sie am 7. Juni vor Gericht stand, hatte | |
sie sich zunächst geweigert, beim Einzug der Richter aufzustehen. „Ich | |
stehe doch nicht vor Banditen auf“, hatte sie ihre Entscheidung begründet. | |
Wenige Minuten später war sie jedoch dann doch aufgestanden. „Ich stehe nur | |
deswegen auf, weil ich weiß, dass man mir Gewalt antun kann, so wie in | |
Untersuchungshaft geschehen“, erklärte sie. Die meiste Zeit hatte | |
Scharendo-Panasjuk während des Prozesses demonstrativ in einem Buch | |
gelesen. | |
## Das Prinzip der Macht | |
„Sie haben Protassewitsch Twitter gegeben, damit man ihn hasst. Das ist | |
auch der Grund, warum die beiden nicht in U-Haft sitzen, sondern frei in | |
der Stadt spazieren gehen können. 500 andere politische Gefangene können | |
das nicht, obwohl viele von ihnen weitaus weniger schwerwiegende Anklagen | |
haben“, erklärt Adaria Guschtyn, Korrespondentin der Plattform Nascha Niva | |
und Ehefrau des Chefredakteurs Jahor Marzinowitsch, auf ihrer | |
Facebook-Seite. | |
„Die Macht handelt nach einem altbekannten Prinzip: Sie versucht, die | |
Gesellschaft zu spalten, will erreichen, dass wir die Feinde unter uns | |
suchen. Und solange wir uns nicht einig sind, können wir nicht gewinnen.“ | |
Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Posts wurde Jahor Marzinowitsch | |
verhaftet und Nascha Niva von den Behörden gesperrt. Dieses Vorgehen zeigt | |
erneut: Wer in Belarus mit den Behörden zusammenarbeitet, kann sich | |
ungestört in den sozialen Netzen bewegen, staatlichen TV-Stationen | |
Interviews geben. Wer zu dieser Zusammenarbeit nicht bereit ist, bekommt | |
die Repressionen des Staats zu spüren, wie etwa die Journalisten von Nascha | |
Niwa oder dem Internetportal tut.by. | |
8 Jul 2021 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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