| # taz.de -- Klimawahlkampf in Deutschland: Viele leere Versprechen | |
| > Der beginnende „Klimawahlkampf“ wird bizarr. Die kleinste | |
| > Oppositionspartei will die Versprechen der Groko umsetzen. Und auch Union | |
| > und SPD ducken sich weg. | |
| Bild: Bald vielleicht weniger in Gebrauch: die Dieselzapfsäule | |
| In den Verhandlungen um eine [1][Jamaika-Koalition 2017] erlebten die | |
| Bündnisgrünen eine Überraschung bei der Klimapolitik. „Die Union war | |
| bereit, uns bei den Zielen entgegenzukommen“, erinnert sich Fraktionschef | |
| Anton Hofreiter. „Aber dann waren sie sehr erstaunt, als wir die dafür | |
| erforderlichen Maßnahmen festschreiben wollten. Sie sagten mit vollem | |
| Ernst: Wozu brauchen wir das, wir haben doch die Ziele?“ | |
| Vier Jahre später geht es wieder so los. Die Erderhitzung ist zum ersten | |
| Mal ein entscheidendes Thema im Wahlkampf. Und die Parteien überbieten sich | |
| darin, immer fantastischere Ziele zu verkünden. Wenn es aber um deren | |
| konkrete Umsetzung geht, folgen CDU, CSU, SPD, FDP und Linke der Devise | |
| „Ja, aber“. Nur die Grünen sagen „Ja, deshalb“ und legen ein einigerma… | |
| klares Konzept vor. Und werden dafür medial verprügelt. | |
| So sieht dieser „Wettstreit der Ideen“ aus: Die grüne Kandidatin Annalena | |
| Baerbock hatte skizziert, wie die gerade verschärften Klimaziele der | |
| CDU/CSU/SPD-Bundesregierung errichbar wären: mit einem [2][höheren | |
| CO2-Preis für Benzin] schon 2023 statt 2025, was den Sprit zwei Jahre | |
| früher um 16 Cent pro Liter verteuern würde. Ein Aufschrei folgte: Wer | |
| „einfach weiter an der Spritpreisschraube dreht, der zeigt, wie egal ihm | |
| die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind“, polterte SPD-Kanzlerkandidat | |
| Olaf Scholz. | |
| CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer giftete, es gehe „nicht, dass die | |
| Preise immer weiter nach oben gehen“. Von der FDP kam die Idee für eine | |
| „Benzinpreisbremse“, und die Fraktionschefin der Linken warf Baerbock | |
| „unerträgliche Arroganz“ vor. Alle verschweigen, dass die Grünen die | |
| höheren Preise an die Menschen zurückgeben wollen. | |
| ## Viele leere Versprechungen | |
| Und alle ignorieren, dass Baerbock nur zu Ende denkt, was diese | |
| Bundesregierung selbst – unter dem [3][Druck des Verfassungsgerichts] – | |
| beschlossen hat: schneller und mehr Klimaschutz zu machen und Deutschland | |
| schon 2045 klimaneutral zu machen. Deshalb hatten auch die Experten der | |
| CDU/CSU sehr ähnliche CO2-Preiserhöhungen angekündigt wie Baerbock. | |
| Die SPD wehrt sich dagegen und will Emissionen mit Milliardenausgaben bei | |
| Gebäuden und im Verkehr senken – was die dringend nötigen schnellen | |
| Ergebnisse sicher nicht bringen wird. Die FDP setzt ganz auf den | |
| Emissionshandel, was die Preise etwa für die Industrie erst recht in die | |
| Höhe treiben dürfte. Und die Linke fordert Klimaneutralität schon bis 2035, | |
| wird aber kaum in die Verlegenheit kommen, das in die Realität umzusetzen. | |
| Wahlkampf ist die Zeit der leeren Versprechungen, erst recht beim Klima. | |
| Schon ein klimaneutrales Deutschland bis 2050 mit 100 Prozent Ökostrom, | |
| E-Autos und Gebäude ohne Gasheizung ist eine Herkulesaufgabe. Das mal eben | |
| um fünf Jahre vorzuziehen verschärft den Druck. Union und SPD haben aber | |
| weder den dafür nötigen Ausbau von Ökostrom organisiert noch das Verkehrs- | |
| oder Steuersystem, die Gebäude oder die Industrie dafür fit gemacht. | |
| Immerhin ist das von der SPD durchgesetzte [4][Klimaschutzgesetz] mit | |
| seinen verbindlichen Zielen für Jahre und Branchen ein echter Fortschritt | |
| und das Fundament der deutschen Klimapolitik für Jahrzehnte. Soll auf | |
| diesem Fundament gebaut werden? „Ja“, sagt CDU-Kandidat Armin Laschet, aber | |
| er warnt davor, es mit dem Klimaschutz zu übertreiben, „Ja“, sagt Olaf | |
| Scholz, aber nicht, wenn man es an der Zapfsäule spürt. Es ist das alte | |
| Denken: | |
| ## Das grüne Klimapaket ist angreifbar | |
| Umwelt- und Klimapolitik soll sich der Wirtschafts- und Sozialpolitik | |
| unterordnen. Man geht vom Jetzt aus und hofft, dass alles mehr oder weniger | |
| so bleibt, wie es ist. Die Grünen dagegen beschreiben ihre Politik vom Ende | |
| her – also von der „grünen Null“ für 2045. Daraus leitet sich alles ab: | |
| Zahlen und Daten für den Ausbau des Ökostroms und das Ende der Fossilen, | |
| höhere CO2-Preise mit Rückzahlung an die BürgerInnen, die Verankerung der | |
| Klimapolitik im Kanzleramt und in jedem neuen Gesetz. Strategisch geschickt | |
| legen Grünen-nahe Thinktanks und Stiftungen praktisch im Wochentakt | |
| Konzepte vor, wie die wichtigsten Probleme zu lösen wären: Flächen für | |
| Erneuerbare, Vogelschutz und Windkraft, Ende von fossilen Anlagen etc. | |
| Auch das grüne Klimapaket hat seine Lücken und Tücken: Seine Finanzierung | |
| über Schulden ist (zumal in einer Koalition mit der Union) unklar; es | |
| garantiert nicht das 1,5-Grad-Ziel, es ist nicht einfach zu erklären und es | |
| bietet Angriffsfläche. Das Baerbock-Bashing war nicht nur erfolgreich, weil | |
| viele Medien die Grünen erst hoch- und jetzt genüsslich runterschreiben. | |
| Sondern auch, weil viele MeinungsmacherInnen die Details der Klimapolitik | |
| schlicht nicht begriffen haben. | |
| Ein bizarrer Wahlkampf: Die kleinste Oppositionspartei macht Vorschläge, | |
| wie das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition umzusetzen ist – während | |
| sich die Mütter und Väter dieses Gesetzes in wolkige Allgemeinplätze und | |
| „Benzinwut“-Kampagnen flüchten. Union und SPD haben Angst vor konkreten und | |
| eventuell schmerzhaften Ansagen. Allerdings zeigen immer wieder Umfragen: | |
| Viele Menschen wissen, dass sich gerade beim Klimaschutz wirklich etwas | |
| verändern muss – und dass das nicht zum Nulltarif zu haben ist. | |
| ## Gibt es bald eine ernsthafte Klimapolitik? | |
| Wird die nächste Bundesregierung die ernsthafte Klimapolitik machen, zu der | |
| sie inzwischen durch die Erwartung der BürgerInnen, per Gesetz und per | |
| Gerichtsbeschluss verpflichtet ist? Das hängt vor allem an der CDU/CSU. | |
| Wird der gerade zum Öko konvertierte CSU-Chef Markus Söder seine | |
| Abgeordneten in Berlin auf Nachhaltigkeit einschwören? Wird der | |
| CDU-Wirtschaftsflügel die Wünsche der Wirtschaft nach klaren Vorgaben und | |
| ernsthaftem Klimaschutz in die Fraktion tragen? | |
| Wird ein Kanzler Laschet den Auftrag, „Schaden vom deutschen Volk | |
| abzuwenden“, auch für einen ernsthaften Kampf gegen die Erdüberhitzung und | |
| für zukunftsfähigen Wohlstand interpretieren? Die Union sollte auf den | |
| ehemaligen CSU-Umweltminister von Bayern, Werner Schnappauf, hören, der den | |
| Nachhaltigkeitsrat der Regierung leitet. Zu all den Klimaplänen sagt | |
| Schnappauf: „Die Königsdisziplin ist die Umsetzung.“ | |
| 11 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gruene-in-der-Jamaika-Sondierung/!5460692 | |
| [2] /Streit-ueber-Benzinpreis-Erhoehung/!5776408 | |
| [3] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!5769091 | |
| [4] /Deutschlands-neues-Klimaschutzgesetz/!5765956 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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