| # taz.de -- Holzarchitektur gegen die Klimakrise: Worauf wir bauen können | |
| > Der Klimaforscher Schellnhuber will eine Architekturbewegung, die auf | |
| > Holzbau setzt. Aktuell aber lohnt sich Holzverkauf in Deutschland kaum. | |
| Bild: Das bisher höchste Holzgebäude der Welt: Mjøstårnet in Norwegen | |
| Auf den ersten Blick steht da einfach ein Hochhaus. Ein Kasten eben, | |
| obendrauf eine Balkenkonstruktion, die mehrere Dachterrassen umrahmt. Ein | |
| bisschen fehl am Platz sieht der Mjøstårnet vielleicht aus, übersetzt „Turm | |
| des Mjøsa-Sees“. Er steht im 10.000-Seelen-Ort Brumunddal im Südosten | |
| Norwegens, um ihn herum reihen sich Einfamilienhäuser aneinander. Und | |
| Bäume. In der Region gibt es Forstwirtschaft. | |
| Und so ist es erst der zweite Blick, der offenbart, warum der Mjøstårnet | |
| doch an seinen Standort passt. Der 18-stöckige Gigant ist aus Holz gebaut. | |
| Mit seinen 85 Metern ist er sogar das höchste Holzhaus der Welt, auch wenn | |
| es in mehreren Ländern mittlerweile Pläne gibt, den Rekord zu brechen. | |
| Das Bauen mit Holz ist nicht neu, aber etwas aus der Mode gekommen. Eine | |
| Gruppe um den renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber plant | |
| das große Comeback – für den Klimaschutz. Die rund 20 Personen, darunter | |
| auch der Chef des Umweltbundesamts Dirk Messner und die Architektin Annette | |
| Hillebrandt, haben ein Unternehmen gegründet, das sie in Anlehnung an die | |
| revolutionäre Designbewegung des Architekten Walter Gropius „Bauhaus der | |
| Erde“ nennen. | |
| Um falsche Bescheidenheit bemüht sich die Gruppe gar nicht erst. „Wir sehen | |
| uns als Speerspitze einer globalen Bewegung“, sagt Schellnhuber. „Wir | |
| glauben, dass wir hier eine Welle anstoßen, die die gebaute Umwelt | |
| verändern wird.“ | |
| ## Der Elefant im Klimaraum | |
| Nötig wäre es durchaus. Etwa 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen haben | |
| in [1][irgendeiner Weise mit dem Bauen, Betreiben oder Abreißen von | |
| Gebäuden] zu tun. Da wären [2][das Heizen] und das Kühlen während der | |
| Nutzung, die Abrissbirne – aber eben auch die Unmengen von Energie, die im | |
| Zuge der Herstellung von Stahl, Beton oder Glas nötig sind. „Das ist bisher | |
| als Elefant im Klimaraum, wie ich das gerne nenne, übersehen worden“, meint | |
| Schellnhuber. | |
| Das Bauwesen ist beispielsweise auch der einzige Sektor, in dem Deutschland | |
| sein selbst gesetztes Klimaziel für das vergangene Jahr nicht geschafft | |
| hat. Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) muss deshalb dem | |
| Klimaschutzgesetz zufolge ein Sofortprogramm zum Gegensteuern vorlegen. | |
| Die schlechte Klimabilanz des Sektors im vergangenen Jahr hatte zwar auch | |
| mit Corona zu tun, weil viele Menschen oft zu Hause waren und mehr geheizt | |
| haben. Der deutsche Expertenrat für Klimafragen, der gemäß dem | |
| Klimaschutzgesetz die Entwicklung der deutschen Emissionen analysiert, | |
| warnte aber kürzlich: Auch ohne Sondereffekte wie die Pandemiefolgen ist es | |
| in den kommenden Jahren zu erwarten, dass Deutschland seine eigenen | |
| CO2-Grenzwerte für das Bauwesen nicht einhält – wenn sich nichts ändert. | |
| Das gilt jetzt erst recht, schließlich hat die Bundesregierung kürzlich die | |
| Anhebung ihrer Klimaziele verkündet. Es gibt also Einiges zu tun bis zur | |
| Klimaneutralität, die die Bundesregierung für das Jahr 2045 festschreiben | |
| will. Klimaneutral zu sein bedeutet, höchstens noch in einem Tempo | |
| Treibhausgase auszustoßen, dass sogenannte CO2-Senken wie Bäume, Moore und | |
| möglicherweise auch Technologien sie vollständig wieder aus der Atmosphäre | |
| herausziehen. | |
| ## Wohnen in der CO2-Senke | |
| Der Clou beim Bauen mit Holz: Es hilft an beiden dieser Enden des | |
| Klimaschutzes. Es ist mit weniger Energieaufwand verbunden als die Nutzung | |
| von Stahl und Beton, senkt hier also die Emissionen. Es bindet aber auch | |
| Kohlenstoff in den Gebäuden – man wohnt also künftig in der CO2-Senke. „D… | |
| ist ein ganz wichtiger Punkt“, meint Schellnhuber. „Der Schlüsselsektor bei | |
| dem allen ist: das Bauwesen.“ | |
| Es gibt auch Skepsis, zum Beispiel von Torsten Welle, dem | |
| wissenschaftlichen Leiter der Berliner Naturwald-Akademie. Er findet das | |
| Projekt „nicht ganz ungefährlich für den Wald“. Natürlich sei die | |
| Verwendung von Holz eine gute Methode, um Kohlenstoff zu binden, aber nur | |
| dann, „wenn es sehr langfristig eingesetzt wird, mindestens über 100 | |
| Jahre“, sagt Welle. Nur dann bilde das Bauholz einen Speicher zusätzlich zu | |
| den nachwachsenden Bäumen. „Die enormen Mengen an Beton und Stahl, die | |
| international verbaut werden, können wir sowieso nur zu Bruchteilen mit | |
| Holz ersetzen“, gibt er zu bedenken. | |
| Sinnvoller für den Klimaschutz sei daher generell die Reduktion von | |
| Emissionen und die Suche nach Technologien, um mineralische Baustoffe und | |
| Metalle klimaneutral herzustellen – etwa mit Wasserstoff als | |
| Reduktionsmittel in der Stahlproduktion und erneuerbaren Energien. Zudem | |
| sei ein Umdenken beim Bauen nötig: „Wir dürfen nicht [3][Gebäude | |
| leichtfertig abreißen] und neu bauen, wie das häufig geschieht, sondern | |
| müssen sie so lange wie möglich nutzen und erhalten.“ | |
| Es gelte die Regel: „Der bestehende Wald ist der beste Speicher für | |
| Kohlendioxid“, sagt Welle. Außerdem entstünden bei einer verstärkten | |
| Nutzung von Bauholz Zielkonflikte zwischen dem Klima- und dem Artenschutz | |
| oder den Funktionen des Waldes als Wasserspeicher und Kühlanlage der | |
| Landschaft. Der Geograph fürchtet bei einer stark steigenden Nachfrage nach | |
| Holz eine „Goldgräberstimmung“ bei den Waldbesitzern, die zu einer | |
| Übernutzung des Waldes führen könnte. | |
| ## Artenreiche Primärwälder schützen | |
| Diesen Einwand gegen Holz als Baustoff kennt man auch beim Bauhaus der | |
| Erde. „Auf der Basis nachhaltiger Forstwirtschaft können organische | |
| Materialien produziert und im Baubereich genutzt werden“, heißt es dort. | |
| Artenreiche Primärwälder müssten aber konsequent geschützt und von der | |
| Verwertung ausgenommen werden. | |
| Von einer Goldgräberstimmung sind die Waldbesitzer in Deutschland sowieso | |
| weit entfernt. Jüngst rief der Präsident des Deutschen | |
| Forstwirtschaftsrates, Georg Schirmbeck, sie gar zum „Sägestreik“ auf, weil | |
| durch die hohe Nachfrage auf dem Weltmarkt die Händler zwar wieder gute | |
| Holzpreise erzielten, bei den Waldbesitzern aber nichts ankam. „Mit unserem | |
| Rohstoff werden Riesengewinne eingefahren, aber die Waldbauern profitieren | |
| kein Stück davon“, wetterte Schirmbeck. „Wir werden regelrecht abgezockt | |
| von den wenigen Holzhandelskonzernen, die den Markt dominieren.“ | |
| In den Regionen, die während der vergangenen Jahre von Dürre, Unwettern und | |
| Insektenbefall betroffen waren, suchen die Waldbesitzer schon länger nach | |
| neuen Einkommensquellen. Sie brauchen Geld, um die Wiederaufforstung der | |
| zusammengebrochenen Bestände zu finanzieren. Die Bundesministerien für | |
| Landwirtschaft und Umwelt sind derzeit damit beauftragt, Kriterien dafür zu | |
| entwickeln, wie die Waldbesitzer für die Ökosystemdienstleistungen – also | |
| etwa als Kohlendioxidspeicher und Reservoir für Biodiversität – ihres | |
| Eigentums bezahlt werden könnten. | |
| Der FSC, also die Siegelorganisation für nachhaltige Forstwirtschaft, will | |
| die Förderung von Ökosystemleistungen an ein bestimmtes Waldmanagement | |
| koppeln, das etwa den Wildbestand oder den Einsatz von | |
| Pflanzenschutzmitteln umfasst. Ein Forst müsste mindestens zehn ökologisch | |
| besonders wertvolle Biotopbäume pro Hektar enthalten und nur 20 Prozent | |
| nicht heimische Baumarten, um förderfähig zu sein, fordert der FSC. Durch | |
| eine jährliche Prüfung müsse sichergestellt werden, dass die Regeln auch | |
| eingehalten werden. | |
| Egal, ob als Produzent von Bauholz, Lebensraum für bedrohte Arten oder | |
| Senke für Kohlendioxid – die Ansprüche an den geschwächten Wald von heute | |
| werden weiter zunehmen. | |
| 9 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
| Susanne Schwarz | |
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