| # taz.de -- Forscherin über Klimaschutz im Bausektor: „Fehler der Gegenwart … | |
| > Lamia Messari-Becker ist Expertin für nachhaltiges Bauen. Sie erklärt, | |
| > worauf es dabei ankommt und wie sich das mit bezahlbarem Wohnen vereinen | |
| > lässt. | |
| Bild: Lamia Messari-Becker hat die Bundesregierung zum Thema umweltschonendes B… | |
| wochentaz: Frau Messari-Becker, wenn Sie ein Gebäude der Zukunft planen | |
| würden, wie sähe das aus? | |
| Lamia Messari-Becker: Technisch betrachtet müsste es mehrere Elemente | |
| vereinen: möglichst keinen Abfall und keinen CO2-Ausstoß in der Herstellung | |
| oder im Betrieb verursachen und möglichst energieautark sein – nicht | |
| unbedingt für sich, [1][sondern eingebettet im Quartier]. Eine Ansammlung | |
| nachhaltig geplanter Gebäude macht noch kein nachhaltiges Stadtquartier | |
| aus. | |
| Darf es auch schön sein? | |
| Absolut. Das sollte es sein. Menschen identifizieren sich mit ihrem Gebäude | |
| und ihrem Quartier, wenn diese nachhaltig und schön sind. Bauen stiftet | |
| Identität. Sozial nachhaltig ist ein Gebäude auch, wenn es gerne und lange | |
| genutzt wird, etwa indem flexible Grundrisse Umnutzungen erlauben. | |
| Der Bausektor steht weltweit für 30 Prozent der gesamten CO2-Emissionen, | |
| für 40 Prozent Energieverbrauch, für 50 Prozent Ressourcenverbrauch, für 60 | |
| Prozent Abfallaufkommen und für 70 Prozent Flächenversiegelung. Das sind | |
| niederschmetternde Zahlen. | |
| Und ich ergänze: Der Bausektor liefert 100 Prozent unseres sozialen | |
| Lebensraums. Keine andere Branche greift so stark in Ihren und meinen | |
| sozialen Lebensraum. Es gibt daher keine Transformation ohne Bausektor, | |
| ohne Architektur, ohne Baukultur. | |
| Wo setzen Sie an? | |
| Ganzheitlichkeit ist die Antwort. [2][Rohstoffe sind knapp und endlich], | |
| wir müssen sie so sparsam wie möglich einsetzen und im Kreislauf halten. | |
| Also Bauprodukte so konzipieren, dass man sie wiederverwenden kann. Im | |
| Moment bauen wir Rohstoffe ab und hinterlassen der Natur eher Abfall. | |
| Abfall sollte es nicht mehr geben, Abfall ist eine Ressource. Wir müssen | |
| die Verfahren so durchdenken, dass eine [3][ressourcenbewusste | |
| Kreislaufwirtschaft im Bau] etabliert wird. Das ist keine einfache Aufgabe. | |
| Das ist eine Revolution. | |
| Es ist ein Bauen, das die Fehler der Gegenwart korrigieren kann. Wir | |
| denken: Indem wir immer mehr dämmen, immer mehr Technik einbauen, bauen wir | |
| nachhaltiger. Das verbessert vielleicht den Betrieb der Gebäude, siehe | |
| energieeffiziente Neubauten. Aber nimmt man den Lebenszyklusgedanken ernst, | |
| wird klar, dass man die Umwelteffekte nur verschiebt: vom Betrieb in die | |
| Herstellung der Gebäude. | |
| Weil sie in der Herstellung viele Materialien verbrauchen? | |
| Eben. Alles, was Sie einbauen, um im Betrieb effizient zu sein, kostet mehr | |
| Material, mehr Technik und damit wieder mehr Rohstoffe. Und deshalb dürfen | |
| wir uns nicht länger nur auf die Heizung im Betrieb konzentrieren, sondern | |
| müssen auch die Herstellungsphase bedenken. Stichwort: CO2-Footprint und | |
| graue Energie – in diesen Zeiten eigentlich goldene Energie. Ein | |
| Ressourcenausweis setzt hier an. Er erfasst die Aufwände im Zyklus eines | |
| Gebäudes. | |
| Bauwirtschaft ist Privatwirtschaft. Rohstoffe werden teurer, es gibt | |
| Material- und Personalengpässe. Es geht um Geld. Daneben gibt es unzählige | |
| staatliche Vorgaben. In jedem Bundesland, jeder Kommune gilt etwas anderes. | |
| Beide Bereiche bewegen sich starr, schwerfällig nebeneinanderher. Wie | |
| bekomme ich mehr Synergieeffekte? | |
| Die Immobilienbranche ist immobil, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein | |
| mächtiger, aber langsamer Dampfer. Wir brauchen mehr als einen Schlepper, | |
| um die Richtung zu verändern. | |
| Könnte die öffentliche Hand eine solche Rolle spielen? | |
| Ja. Der Bausektor ist mit über 620 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in | |
| einem Jahr, öffentliche Investitionen nicht eingerechnet, stärker als die | |
| Autoindustrie. Die öffentliche Hand ist bei Infrastruktur, Schul- und | |
| Wohnungsbau sehr einflussreich. Hier muss die Vergabe nach | |
| Nachhaltigkeitskriterien erfolgen. Müssen Kommunen Aufträge an den | |
| billigsten Anbieter vergeben? Das ist nicht mehr zeitgemäß. | |
| Der Autor Daniel Fuhrhop fordert, man dürfe überhaupt nicht mehr bauen. | |
| Abriss sei zu teuer, verbrauche zu viel graue Energie. Wir müssten umbauen, | |
| verdichten, aufstocken. Stimmen Sie zu? | |
| Den Bestand zukunftsfest zu machen ist architektonisch wie bautechnisch | |
| spannend und spart uns die in den Gebäuden gebundene graue Energie. Wir | |
| brauchen nicht nur ein Baurecht, sondern auch ein Umbaurecht. Und [4][eine | |
| Umbaukultur], die Wiederverwenden genauso wertschätzt wie das, was völlig | |
| neu ist. Dennoch haben Umbau und Nachverdichtung Grenzen, etwa mit Blick | |
| auf Freiraum und Stadtklima. Ich sage grundsätzlich: Innen- vor | |
| Außenentwicklung – und Leerstand ist Leergut. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Die Zukunft liegt im Bestand, die Priorität bei der Innenentwicklung, | |
| Umnutzung, Nachverdichtung. Natürlich wird man, wenn es nicht reicht, auch | |
| neu bauen. Ein Beispiel: Wären Stahl und Beton ein Land, stünden sie als | |
| CO2-Emittenten an dritter Stelle. Und trotzdem brauche ich für eine | |
| Windkraftanlage fast 2.000 Tonnen Stahlbeton für das Fundament. Klar muss | |
| die CO2-Bilanz solcher Baustoffe besser werden, aber wir brauchen sie | |
| weiter, gerade für die Transformation. Damit sind wir beim zweiten | |
| Schlepper: Forschung und Innovation. Es gibt vielversprechende Ideen, den | |
| Materialeinsatz auch beim Neubau zu minimieren und kreislauffähig zu bauen, | |
| selbst beim Beton. | |
| Will man Roh- und Baustoffe wiederverwerten, dürfen keine Schadstoffe | |
| enthalten sein oder Kleber. Beim Holzbau ist das teilweise der Fall. Wie | |
| gelingt Recycling schadstofffrei? | |
| Man muss [5][recyclinggerecht konstruieren], Bauschichten reversibel | |
| verbinden, um sie später sortenrein trennen zu können. Also lieber | |
| verschrauben als verkleben. Der Grundsatz ist: Reversibilität im Bau | |
| sichert die Rohstoffe der Zukunft. | |
| Heißt nachhaltig bauen mehr mit Naturmaterialien bauen? | |
| Nicht ausschließlich. Jedes Material hat Vor- und Nachteile. [6][Lehm | |
| speichert Hitze und Feuchte] und kann je nach Belastung auch die | |
| Tragfunktion übernehmen. Holz ist ein wunderbares Material, und wir sollten | |
| mehr damit bauen, etwa bei Aufstockungen. Seine Vorteile liegen in der | |
| guten Ökobilanz, der Dämmwirkung und dem Naturbezug. Aber um Bauholz | |
| nachhaltig zu nutzen, muss ein Baum auch 50 Jahre wachsen dürfen. Sonst | |
| wird das Kreislaufgleichgewicht gestört; die CO2-Bilanz ist hin. Und | |
| Holzhäuser bedürfen oft einer Kühlenergie, das kennen wir von | |
| Dachgeschossen. Man muss abwägen. | |
| Es gleicht sich am Ende aus? | |
| Wenn man Pech hat, ja. Um ein Grad zu kühlen ist bis zu vierfach | |
| energieaufwendiger, als um ein Grad zu erwärmen. Auch Stahlbeton hat nicht | |
| nur Nachteile wie die CO2-intensive Produktion, die besser werden muss. | |
| Sondern auch Vorteile, etwa seine thermische Speicherfähigkeit, hohe | |
| Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit. Wir werden also Staudämme aus Stahlbeton | |
| bauen und weit gespannte Brücken kaum komplett in Holz ausführen. | |
| Die Bundesregierung will 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen lassen. Wie | |
| erreicht man das, wenn man zugleich Ressourcen schonen will? | |
| Man sollte am Ziel festhalten, Wohnraum so zu schaffen, dass jeder nicht | |
| nur eine Wohnung finden, sondern auch bezahlen kann. Aber es ist nicht | |
| gesagt, dass [7][die Wohnungen alle im Neubau entstehen]. | |
| Also den Bestand und den Leerstand aktivieren. Reicht das? | |
| Eine Option wäre, kommunale brachliegende Flächen zu nutzen, deren | |
| Sanierung als zu teuer gilt, oder Umnutzungen im Bestand zu vereinfachen. | |
| Der Widerspruch zwischen 400.000 Wohnungen und Ressourcenschonung bestünde | |
| nur dann, wenn man die Nachhaltigkeitsziele nicht verfolgt. Ansonsten halte | |
| ich dieses Ziel für ökologisch machbar. Ich erlebe allerdings, dass | |
| ökologisches Wohnen zunehmend ein Elitenprojekt ist. Deshalb begrüße ich, | |
| dass ein Viertel des Volumens mit sozialen Kriterien verbunden wird. Es | |
| wird ein Qualitätssiegel geben, das Nachhaltigkeitsaspekte bewertet. | |
| Wie nimmt man die Bauwirtschaft mehr in die Pflicht? | |
| Die Bauwirtschaft ist eine der ökonomisch stärksten Branchen. | |
| Förderprogramme werden gut angenommen. Aber es braucht mehr, unter anderem | |
| Reformen, um den Bestand besser und schneller weiterzuentwickeln, oder | |
| einheitliche Bauordnungen, um mehr Wissenstransfer zwischen München und | |
| Frankfurt zu ermöglichen. Stand heute: Jeder erfindet das Rad neu und weiß | |
| es besser. Und es braucht mehr Konkurrenz, Angebote und Strukturen, etwa | |
| kommunales Bauen, um Wohnraum direkter an die Menschen zu bringen. | |
| Förderungen waren bislang zinsgünstige Kredite. Brauchen wir ein anderes | |
| Fördersystem? | |
| Wir sollten mehr auf Zuschüsse setzen, etwa pro eingesparte CO2-Tonne einen | |
| Bonus gewähren. Warum hat die Industrie lange CO2-Zertifikate geschenkt | |
| bekommen, und warum kriegen das nicht auch private Bürger? Dann hätten sie | |
| einen Anreiz. Eine CO2-orientierte [8][Förderung der Kreditanstalt für | |
| Wiederaufbau] wäre wirksamer. Nötig sind auch Programme, die eine | |
| Umbaukultur, das Sanieren mit Freude, Flächeneffizienz, eine urbane | |
| Wärmewende, Kreislaufwirtschaft und Quartierslösungen fördern. | |
| Wie sehen Sie die Zukunft? | |
| Ich bin Ingenieurin und will Lösungen umsetzen. Wenn es uns gelingt, eine | |
| Politik des zielgerichteten Ermöglichens zu etablieren, bin ich | |
| optimistisch. Momentan sind viele Vorschritten leider nur gut gemeint. | |
| 12 Nov 2022 | |
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| Sabine Seifert | |
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