# taz.de -- Recycling von Häusern: Bauen ohne Müll | |
> Noch immer wird Abriss und Neubau priorisiert. Architekt*innen und | |
> Vertreter*innen von Bauwirtschaft und Umweltschutz fordern ein | |
> Umdenken. | |
Bild: Am Experiment-Haus von UMAR in Zürich wird zu ressourcenschonendem Bauen… | |
Es wäre doch toll, wenn man alle Baustoffe, die für die weltweit wachsenden | |
Städte benötigt werden, auch dort fände, wo sie verbaut werden. Und „wenn | |
einem ein Haus nicht mehr gefällt, dass man es einfach auseinandernehmen | |
könnte, […], ohne dass dabei Abfall entsteht“, so Armin Maiwald in der | |
Geburtstagsausgabe der Kindersendung mit der Maus „Hallo Zukunft“ vom 7. | |
März. | |
Zu Besuch war man im Züricher Forschungszentrum [1][“NEST“ für Urban Mini… | |
& Recycling], in dem internationale Wissenschaftler*innen erforschen, | |
wie man nach dem Konzept des Recyclings Häuser bauen, wieder | |
auseinandernehmen oder umnutzen könnte. Bauen ohne Müll. Mit Rohstoffen aus | |
der Stadt für die Stadt. | |
In diesem Konzept sind alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten | |
Ressourcen vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder | |
kompostierbar. Bauteile werden so verbunden, dass sie jederzeit wieder | |
voneinander getrennt werden können. Räume können nach Bedarf modular | |
eingefügt und wieder entfernt werden. Massive Tragstrukturen bleiben vor | |
Ort, statt abgerissen zu werden. | |
In Stahlbeton etwa, dem Baustoff der Moderne, stecken Unmengen „grauer | |
Energie“. Damit ist die benötigte Energie für Herstellung, Transport, | |
Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes gemeint. | |
Dies wird in Regelungen und Verordnungen zu Neubau und Sanierungen meist | |
vollkommen ausgeblendet. Die Diskussionen drehen sich in der Frage der | |
Energieeffizienz vornehmlich um den späteren Heizenergiebedarf. | |
Weltweite Sandkrise | |
Für die Herstellung von Beton (und Glas) werden Unmengen an Sand benötigt. | |
Eine Studie der ETH Zürich schätzte den weltweiten Verbrauch auf etwa 50 | |
Milliarden Tonnen jährlich. Die nach Wasser am zweitmeisten konsumierte | |
Ressource wird ausgerechnet auf einem Planeten knapp, der durch den | |
Klimawandel in weiten Teilen verwüstet. Dummerweise ist der | |
rundgeschliffene Wüstensand nicht zur Herstellung von Beton geeignet. Wir | |
befinden uns bereits in einer Sandkrise – der illegale Abbau zerstört | |
Flüsse und Küsten. | |
In München wird auf dem Campus der Technischen Universität im Rahmen des | |
[2][Projektes „Einfach bauen“] deshalb ebenfalls erforscht, wie einfache | |
Konstruktionen, die Verwendung vorgefertigter Elemente und die Reduktion | |
der Gebäudetechnik zu einer nachhaltigeren Bauweise beitragen können. | |
Modellhaft entstehen Gebäude, die einfach und ressourcenreduziert betrieben | |
werden können. Eine robuste Architektur, die ohne überflüssige Technik | |
auskommt und optimal auf klimatische Anforderungen ausgerichtet ist. | |
Mit dem Sanierungsprojekt [3][„Munich Re“] gelang es dem Büro Sauerbruch | |
Hutton auch im großen Maßstab, ein Bürogebäude der 1980er Jahre zu | |
„recyceln“, indem man die tragende Struktur erhielt. Zwar macht ein | |
Tragwerk nur rund 25% des Gebäudewertes aus – jedoch sind etwa 80% der | |
gesamten grauen Energie darin gebunden. | |
Zu Erhalt und Sanierung von Bestandsbauten und der Nutzung bereits | |
versiegelter Flächen gibt es eigentlich keine Alternative mehr. Dabei | |
entspricht die in einem Gebäude enthaltene graue Energie meist dessen | |
Heizenergiebedarf von mehreren Jahrzehnten, denn die Herstellung von | |
Zement, Stahl oder Ziegeln verlangt hohe Temperaturen. | |
50 Prozent des Müllaufkommens | |
Bau- und Abbruchabfälle machten laut Umweltbundesamt rund 50% des | |
Müllaufkommens in Deutschland aus. Sie können nur mit hohem Energieaufwand | |
wiederverwendet werden. Extraktion und Verarbeitung erzeugen bereits die | |
Hälfte aller Treibhausgasemissionen. Die Mülldeponie ist in der Baubranche | |
ohnehin die Regel. | |
Der Architekt Muck Petzet, der in München schon mehrere Protestaktionen | |
gegen den Abriss von Gebäuden initiiert hat, bemängelt, dass gerade Bauten | |
der 1950er bis 1970er Jahre heute als unzeitgemäß gelten und abgerissen | |
werden. Er vergleicht den Umgang mit der Ressource Baustoff mit der | |
Entscheidung, Leitungswasser in Einwegflaschen zu kaufen und diese dann in | |
den Hausmüll zu werfen. Als Generalkommissar des Deutschen Pavillons auf | |
der Architektur-Biennale 2012 in Venedig hatte er bereits eine | |
„Umbautheorie“ formuliert. Denn bewahrter Gebäudebestand ist kein Hindernis | |
für künstlerische Qualität, sondern zwingt gerade zu kreativen Lösungen. | |
Ein Beispiel dafür ist eine Liegenschaft in der Münchner Müllerstrasse: | |
Nachdem die Stadt die Gebäude erst als unsanierbar eingestuft und den | |
Neubau von Sozialwohnungen beschlossen hatte, verhinderte die | |
Instandbesetzung einer Künstler*innengruppe den Abriss. Gemeinsam mit | |
zahlreichen Unterstützer*innen gründete man die | |
[4][Sozialgenossenschaft „Bellevue di Monaco“]. Im durch das [5][Büro | |
*hirner & riehl architekten] behutsam sanierten Bestand fanden unter | |
anderem WGs für junge Erwachsene und Wohnangebote für unbegleitete | |
Flüchtlinge Platz. Ein Bedarf, der schon vor Beginn der Planung | |
festgestellt und durch Anwohner*innen formuliert worden war. | |
Ein ähnlicher Fall kooperativer Planung wäre der als [6][„Haus der | |
Statistik“] bezeichnete Gebäudekomplex am Berliner Alexanderplatz. Das | |
Geschäftsgebäude hatte ab 2008 leer gestanden, die vorhandene Bausubstanz | |
wurde als unvermarktbar eingestuft und Pläne für den Abriss zugunsten von | |
Neubau priorisiert. Eine Gruppe von Künstler*innen besetzte es und | |
formulierte mögliche Nutzungen. Es wurde ein Konzept entwickelt, um die | |
bestehende Substanz zu bezahlbarem Wohnraum und Räume für Kultur, Soziales | |
und Bildung kosteneffektiv umzuwandeln und zu erweitern. | |
Sozial ausgewogene Stadtplanung | |
Diverse Akteur*innen in der Gesellschaft haben längst den Ernst der Lage | |
erkannt und lassen sich nicht mit kompliziert vorgetragenen Sachgründen und | |
dem Hinweis auf angeblich zu hohe Kosten abspeisen. Umweltschutz und eine | |
sozial ausgewogene Stadtplanung von unten scheinen gut zusammen zu gehen. | |
Besonders, wenn Liegenschaften in Besitz der öffentlichen Hand sind. | |
Nun könnte aber ein sogenannter „Gebäudeeffizienzerlass“, der im Rahmen d… | |
Klimakabinetts vorbereitet wird, gerade in diesem Sektor die Abrisswut | |
beschleunigen. Die in ihm formulierten Empfehlungen priorisieren Abriss und | |
Ersatzneubau. | |
Mit einem Brandbrief hat sich deshalb der Bund Deutscher Architektinnen und | |
Architekten gemeinsam mit Architects for Future, der Deutschen Umwelthilfe | |
und der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen [7][an die | |
Bundesregierung gewandt]. Darin wird eine ganzheitliche, wirtschaftliche | |
und energetische Betrachtung bei der Bewertung von Bestand und Neubau | |
gefordert. Der „Abriss-Erlass“ fördere neben einer weiteren Verschwendung | |
von Ressourcen auch die Zerstörung historisch gewachsener Stadtbilder. In | |
einem breiten Bündnis mit der Architektenkammer Berlin forderte zuletzt | |
auch das [8][„Bündnis Bodenwende“] eine soziale und nachhaltige | |
Stadtplanungspolitik. | |
Was passiert, wenn sich die Stadt aus der Gestaltung des Lebensraumes Stadt | |
heraushält und diese Immobilienentwickler*innen überlässt, beweist | |
das traurige Ergebnis des Großprojektes „Europacity“ entlang der Berliner | |
Heidestraße. Ein dort realisierter „Kunstcampus“ beherbergt vor allem teure | |
Eigentumswohnungen, öffentliche Nutzungen fehlen, eine banale und kalte | |
Investorenarchitektur reiht sich auf dem in Filetgrundstücke zerteilten | |
Quartier aneinander, für das niemals ein städtebauliches oder | |
umweltpolitisches Gesamtkonzept entwickelt wurde. | |
27 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.empa.ch/de/web/nest/urban-mining | |
[2] https://www.einfach-bauen.net/ | |
[3] https://www.sauerbruchhutton.de/de/project/b95 | |
[4] https://bellevuedimonaco.de/ | |
[5] https://www.hirnerundriehl.de/ | |
[6] https://hausderstatistik.org/ | |
[7] https://www.bda-bund.de/2021/03/offener-brief-zum-gebaeudeeffizienzerlass/ | |
[8] https://www.ak-berlin.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilungen/Pressemit… | |
## AUTOREN | |
Antonia Herrscher | |
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